80   Berlin im Detail »Podbielskieiche«  Nächste Seite
Hainer Weißpflug
Die »Podbielskieiche« - ein Naturdenkmal im Olympiastadion

Im Ostteil des Stadions, gleich rechts hinter dem olympischen Tor, steht einsam, umgeben von Beton und Natursteinbebauung, eine Traubeneiche. Kaum einer der Besucher des Stadions, ob Tourist oder Fußballfan, nimmt Notiz von ihr oder weiß gar, daß sie als Naturdenkmal VII–6/B geschützt ist und den Namen »Podbielskieiche« trägt. Auch die Pförtner, die am Tage meines Besuches im Berliner Olympiastadion Eintritt kassierten, wußten nicht, daß und warum diese Eiche so heißt und, daß sie als Naturdenkmal geschützt ist. Kein Schild weist auf diesen Status hin. Einst war sie das Wahrzeichen des »Deutschen Stadions«, und an der Sandsteinmauer zu ihren Füßen befand sich eine Gedenktafel mit dem Profil Podbielskis. Heute führt sie ein eher kümmerliches und unbeachtetes Dasein.
     Die Eiche stammt offenbar aus jener Zeit, als der Grunewald noch weitgehend als zusammenhängendes Waldgebiet existierte. Das für die Olympiade 1936 errichtete Olympiastadion steht auf jenem Terrain des Grunewaldes, das kurz nach der Jahrhundert-

wende für den Bau einer Rennbahn für die westlichen Bezirke Berlins ausgewählt worden war. In diesem Teil des Grunewaldes nördlich der Heerstraße wurden gerade eine Villensiedlung errichtet und die Vorortbahn gebaut. Mit dem Entwurf der Rennanlage war Otto March (1845–1913) beauftragt. Er sollte auf ca. 700 000 Quadratmetern die Rennbahn errichten und zugleich den Waldcharakter des Geländes erhalten. Am 23. Mai 1909 war die Anlage fertiggestellt. Schon die-
SeitenanfangNächste Seite


   81   Berlin im Detail »Podbielskieiche«  Vorige SeiteNächste Seite
se erste Bebauung des Terrains ist mit dem Namen Podbielski verbunden. Er hatte sich vor der Jahrhundertwende um den Pferderennsport beim Verein zur Förderung der Hannoverschen Landespferdezucht und in der Finanzkommission des Union-Klubs Verdienste erworben. Seinem Geschick verdankt die Grunewaldrennbahn, damals eine der schönsten Pferderennbahnen, ihre Entstehung. Der Berliner Renn-Verein, den er selbst gründete, ernannte ihn aufgrund seiner Verdienste zum Ehrenvorsitzenden.
     1909 übernahm Podbielski den Vorsitz im Deutschen Reichsausschuß für die Olympischen Spiele. Er leistete die Vorarbeit für den Start einer deutschen Mannschaft bei den Olympischen Spielen 1912 in Stockholm und bereitete die für 1916 nach Berlin vergebenen Spiele vor. Dazu sollte auf dem Gelände der Grunewaldrennbahn in einer 85 000 Quadratmeter großen Mulde innerhalb der Rennbahn ein großes Olympiastadion gebaut werden. Otto March erarbeitete hierfür die entsprechenden Entwürfe, aber die Ausführung drohte zu scheitern, weil die Stadt Berlin 1911 von ihrer Zusage, sich mit Zuschüssen am Bau zu beteiligen, zurücktrat. Podbielski, zu diesem Zeitpunkt schon Vorsitzender des Reichsausschusses für die Olympischen Spiele, erreichte, daß der von ihm neugegründete Berliner Rennverein die gesamten Kosten in Höhe 2 250 000 Mark übernahm. 1912 begann der Bau, und 1913 wurde das »Deutsche Stadion« als das zu die-
sem Zeitpunkt größte der Welt eröffnet. Am 8. Juni 1913 übergab Podbielski im Beisein des Kaiserpaares vor 30 000 Sportlern aus allen Teilen des Landes das Stadion seiner Bestimmung. Im Sinne der olympischen Idee sollten Kunstwerke von Ludwig Cauer, Herrmann Fuchs, Ludwig Vordermayer, Georg Kolbe, Walter Schmarje und August Kraus in Bronze gegossen und bis 1916 im Ehrenhof des Stadions aufgestellt werden. Über diesen Ehrenhof gelangte man durch einen 60 Meter langen, 20 Meter breiten und 7 Meter hohen Tunnel in das in die Erde gesenkte Stadion. Es hatte eine 600 Meter lange und 7 Meter breite Aschenbahn, einen Fußballplatz von 70 x 110 Metern, Sprunganlagen, einen Turnplatz, eine 666,66 Meter lange und zehn Meter breite Radrennbahn und eine Schwimmanlage. Die Gesamtfläche des Stadions betrug 51 300 Quadratmeter. Der Erste Weltkrieg verhinderte allerdings die Durchführung der Spiele im Jahre 1916 und damit auch die Nutzung des Stadions als deren Zentrum.
     Seit wann der Baum den Namen »Podbielskieiche« trägt, geht aus der Literatur nicht ganz eindeutig hervor. Fest steht nur, daß aus Anlaß des 70. Geburtstages Viktor von Podbielskis im Februar 1914 an der Eiche eine von dem Berliner Bildhauer Walter Schmarje geschaffene Gedenktafel enthüllt wurde. Sie zeigt sein Profil und trägt die Inschrift: »Dem Förderer des deutschen Sports Viktor von Podbielski«.
SeitenanfangNächste Seite


   82   Berlin im Detail »Podbielskieiche«  Vorige SeiteAnfang
Diese Tafel befindet sich im »Museum« des Olympiastadions.
     Viktor von Podbielski wurde am 26. Februar 1844 in Frankfurt an der Oder geboren und starb am 21. Januar 1916 in Berlin. Er war Rittergutsbesitzer, Generalstabsoffizier, Reichstagsabgeordneter, Königlich- Preußischer Staatsminister und Minister für Landwirtschaft. Für den Namen der Eiche aber war von Podbielskis Engagement für den Sport ausschlaggebend.
     Der etwa 200 Jahre alte Baum, mit einem Stammumfang von ca. 3 Metern und einer Höhe von etwa 15–20 Metern verlor seinen prononcierten Platz als Wahrzeichen des Stadions im Zuge der baulichen Veränderungen in Vorbereitung der Olympischen Spiele von 1936. Schon 1928 hatte man eine Erweiterung des »Deutschen Stadions« ins Auge gefaßt, weil zwar die Sportanlagen den geforderten Normen entsprachen, aber die Plätze für die Zuschauer nicht ausreichten. Finanzielle Schwierigkeiten verhinderten die Verwirklichung der mehrfach erstellten Pläne. Hitler schließlich ließ alle diese Versuche stoppen, weil ihre Realisierung nicht zu einer olympischen Arena im Geiste Großdeutschlands geführt hätte. Er befahl 1933 statt dessen den Abbruch fast aller Anlagen und die Errichtung des Olympiastadions, wie man es heute noch nutzt. Unsere »Podbielskieiche« hat die baulichen Veränderungen überstanden und wurde, wenn auch nicht mehr als Wahrzeichen, in das Stadion
einbezogen. Auch den Zweiten Weltkrieg hat der Baum überlebt und kündet noch immer vom einstigen Waldreichtum des gesamten Geländes. Heut liegen erneut Pläne zum Umbau, zur Erneuerung und Modernisierung des Olympiastadions auf dem Tisch. Hoffen wir, daß die als Naturdenkmal geschützte »Podbielskieiche« auch diese Veränderungen gut übersteht.

Bildquelle: Archiv Autor

SeitenanfangAnfang

© Edition Luisenstadt, 1997
www.luise-berlin.de