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Christian Böttger
Um ein soziales Bodenrecht Adolf Damaschke (1865-1935) Nach der Herstellung der politischen und ökonomischen Einheit Deutschlands im
Jahre 1871 setzte mit der rasch voranschreitenden Industrialisierung und der damit
verbundenen Verschärfung der sozialen
Widersprüche ein gesellschaftlicher Entwicklungsprozeß ein, der sehr wesentlich zur Herausbildung verschiedener sozialer Reformbewegungen beitrug. An der
Entstehung, Ausformung und Verbreitung dieser gegen Ende des 19.
Jahrhunderts auftretenden Bewegungen waren
verschiedene bürgerliche Gruppen mit
unterschiedlichen Motivationen und daraus
abgeleiteten Anschauungen beteiligt. Deshalb ist es
interessant, sich die soziale Herkunft und die
Lebenswege von führenden Persönlichkeiten dieser auch in Berlin aktiven Reformbewegungen vor Augen zu führen.
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Adolf Damaschke | ||||||
jährt sich am 30. Juli. Wie viele Lebens- und Sozialreformer jener Zeit stammte auch er aus einem Elternhaus, das seiner sozialen Stellung nach zu den Verlierern des Modernisierungsprozesses nach 1871 gehörte. Sein Vater, ein Berliner Tischlermeister, war stets geplagt von den typischen Handwerkersorgen eines durch die Industrialisierung in seiner Existenz bedrohten handwerklichen und kleingewerblichen Mittel- | |||||||
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standes. Schon in seiner Kindheit, die er in Berlin verlebte, lernte Adolf Damaschke die beengten Wohnverhältnisse der
unteren Volksschichten kennen. Die Wohnung, in der er zusammen mit dem Bruder und
seinen Eltern die ersten zehn Jahre seines Lebens verbrachte, lag in einem Hinterhaus der Rosenthaler Straße 39, in der Nähe des
Hackeschen Marktes. Die Familie bewohnte hier eine aus Stube, Kammer und Küche bestehende Wohnung, wobei die Kammer »natürlich« vermietet war. Wie viele
seiner Altersgenossen hatte auch der kleine Adolf in den ersten zehn Lebensjahren kein
eigenes Bett, sondern er schlief in einem Bettkasten, der auf Rollen lief und abends
unter dem Bett der Eltern hervorgezogen wurde.
Die sozialen Verhältnisse, in denen Adolf Damaschke aufwuchs, ließen lediglich eine Volksschulausbildung zu. Daran schloß sich aufgrund seiner Begabungen eine Ausbildung zum Volksschullehrer an. Für die Förderung der Ausbildung von Lehrern wurden damals größere Staatsmittel zur Verfügung gestellt. Von Ostern 1880 bis 1883 besuchte Damaschke die Präparandenanstalt und dann bis 1886 das »Berliner Seminar für Stadtschullehrer«. Als junger Volksschullehrer richtete sich sein soziales Engagement zunächst auf die Freiheit der Lernmittel. Dabei sollte er auch seine ersten politischen Erfahrungen machen. Im Bezirksverein der Fortschrittspartei in der Luisenstadt gelang es ihm 1890 in einer Ver- | sammlung gegen den Willen der
anwesenden Stadtverordneten, eine
Entschließung für die Lernmittelfreiheit
durchzusetzen, was eine Auseinandersetzung mit
seinem Schulinspektor und die anschließende Versetzung in den Berliner Norden zur Folge hatte. Die Kämpfe um die Lernmittelfreiheit brachten ihn auch bald mit der
Berliner Presse in Verbindung. In seiner schulfreien Zeit arbeitete er als Journalist für
die »Volkszeitung«, die damals Franz
Mehring (18461919) als Chefredakteur leitete.
Ab 1892 geriet Damaschke in Kontakt mit dem »Verein für naturgemäße Gesundheitspflege Berlin II«, der sich in der Hauptsache aus sogenannten kleinen Leuten, aus Arbeitern und Handwerkern des Berliner Ostens zusammensetzte. Da dem Vorstand des Vereins auch bekannte Sozialdemokraten und Gewerkschaftsführer angehörten, erwuchsen ihm regelmäßig Schwierigkeiten mit den Behörden. Kurze Zeit später wurde Damaschke mit Erfolg gebeten, den Vorsitz zu übernehmen, um hier mit seiner Reputation als Lehrer die Behörden von der Vorstellung einer vermeintlichen politischen Gefährlichkeit des Vereins abzulenken. Im darauffolgenden Jahr erfolgte dann die Wahl in den Vorstand des »Bundes der Vereine für volksverständliche Gesundheitspflege« und zum Leiter des Bundesorgans, das den Titel »Naturarzt« führte. Zur Auflagesteigerung dieser Zeitschrift in den fast vier Jahren seiner dortigen Tätigkeit stieg die Auflage | |||||
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von 36 000 auf 71 000 haben
sicherlich auch die von ihm beigesteuerten volkspädagogischen Artikel beigetragen.
Die Einstellung seiner Arbeit im November 1896 sowie die von ihm selbst herbeigeführte Entlassung aus dem Schuldienst stehen im Zusammenhang mit einem neuen Aufgabengebiet als Chefredakteur der »Kieler Neuesten Nachrichten«. Diese Tageszeitung hoffte er zu einem zentralen Organ der deutschen Bodenreformbewegung ausbauen zu können, doch sollte er sie nur wenige Monate leiten. Mit der Idee einer Reform des Bodenrechts war Damaschke bereits 1890 das erste Mal in Berührung gekommen, als er zufällig von einer Veranstaltung des 1888 gegründeten »Deutschen Bundes für Bodenbesitzreform« in der Kommandantenstraße erfuhr, die er besuchte. Immer mehr vertiefte sich der gesellschaftlich engagierte Damaschke in den Gedanken um die Schaffung eines soziales Bodenrechts. Er sollte für sein weiteres Leben bestimmend werden. Die Bodenreformer wandten sich besonders gegen die gewerbsmäßige Bodenspekulation, die hauptsächlich für das Mietskasernenelend verantwortlich gemacht wurde. Darüber hinaus begann die Bodenspekulation auch zunehmend, die industrielle Entwicklung zu behindern. Besonders in Berlin bildete der Bebauungsplan, der große Gebiete mit einem Schlag als zukünftiges Bauland ausgewiesen hatte, die Grundlage für eine | spekulative Umklammerung der Reichshauptstadt. Da die Grundbesitzer den Boden erst für eine Bebauung freigaben, wenn sie die ihnen zusagenden Preise dafür realisieren konnten, verfügten sie praktisch über eine Monopolstellung und trugen so wesentlich zur Grundrentensteigerung (in Form einer Steigerung der Bodenpreise und Pachtzinsen) bei. Diese Monopolstellung des Bodenbesitzers hat ihre Ursache in der Tatsache, das der Boden gegenüber anderen Waren über einige Besonderheiten verfügt; er ist nicht produzierbar und vermehrbar. Von den Bodenreformern wurde diese Tatsache erkannt und gefordert, daß der Boden nicht wie andere Waren behandelt werden dürfte. Die Grundrentensteigerung sollte ihrer Meinung nach der Allgemeinheit zufließen. Über den Weg zur Realisierung dieses Zieles herrschten unterschiedliche Auffassungen. Wollten die einen eine Verstaatlichung des gesamten Bodens, so glaubten die anderen, aus der Bodenreform vorerst eine Steuerangelegenheit machen zu müssen, d. h. sie wollten die Grundrentensteigerung »wegsteuern«. Zu den Letztgenannten gesellte sich auch Adolf Damaschke, der inzwischen eine führende Stellung innerhalb der Bewegung erlangt hatte. Michael Flürscheim (18441912), ein gelernter Bankfachmann und als Gegenspieler Damaschkes ein weiterer markanter Vertreter der Bodenreformbewegung, vertrat den entgegengesetzten Standpunkt. | |||
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Am 12. Oktober 1891 wurde Adolf
Damaschke in der Hauptversammlung des Deutschen Bundes für Bodenbesitzreform neben Michael Flürscheim und G. Stoffers als Bundesschriftführer in den Vorstand des
Bundes gewählt. Da Flürscheim sich stets auf
Reisen befand und Stoffers in Düsseldorf lebte,
hatte Adolf Damaschke den Hauptteil der laufenden Arbeit zu erledigen. Mit Damaschkes geplanter Übersiedlung nach Kiel faßten
die Verantwortlichen der Organisation deshalb in einer für den 26. September 1896
einberufenen Hauptversammlung den Entschluß, die bodenreformerische Arbeit in
größere Organisationen einfließen zu lassen.
Der »Deutsche Bund für
Bodenbesitzreform« sollte als besondere Abteilung in den
»Deutschen Volksbund« überführt werden,
doch auch dieser mußte kurze Zeit später
seine Arbeit aufgeben.
Eine andere dieser Organisationen war der Nationalsoziale Verein, den Friedrich Naumann (18601919) zusammen mit Adolf Damaschke und einigen von Adolf Stöcker (18351909) enttäuschten Christlichsozialen am 23. November 1896 im Hotel »Kaisersaal« in Erfurt gründete. Diese Partei, die »eine Politik der Macht nach außen und der Reform nach innen« anstrebte, existierte nur von 1896 bis 1903. Zur Ehrenrettung Adolf Damaschkes soll hier allerdings hervorgehoben werden, daß er stets konsequent allen aggressivmilitaristischen Auffassungen innerhalb dieser Partei offen entgegen- | trat, ja, sie sogar als »nationalsoziale
Irrwege« geißelte, wohl wissend, daß er
dabei manchmal gegen Naumann selbst Stellung beziehen mußte. Dies geschah
beispielsweise, indem er in einem Leitaufsatz in
der »Deutschen Volksstimme« vom 20.
April 1897 unmißverständlich gegen
Naumanns Propaganda für eine Flotten- und
Kolonialpolitik auftrat. Demgegenüber betonte Damaschke immer die reformerische Seite der Partei, den Gedanken der Bodenreform, so beispielsweise im Wahlkampf
für die Reichstagswahlen vom 16. Juni 1898,
als er in Ostholstein für den
Nationalsozialen Verein kandidierte. Er errang zwar hier
ein respektables Ergebnis, jedoch reichten die von ihm erzielten Stimmen nicht für
ein Mandat.
Die Einbindung des Bodenreformgedankens in andere Organisationen erwies sich als unbefriedigend und wenig effektiv. Ehemalige Bundesmitglieder drängten Damaschke, der nach dem Scheitern des Kieler Projektes wieder in Berlin tätig war und für die »Zeit« und die »Welt am Montag« arbeitete, die Bodenreformorganisation zu erneuern. Am 2. April 1898 wurde der »Bund deutscher Bodenreformer« auf neuer Grundlage mit neuem Programm gegründet und Adolf Damaschke zu seinem Vorsitzenden gewählt. Seine Geschäftsstelle hatte er am Arkonaplatz 8. Die größte politische Bedeutung erlangte dieser Bund nach dem verhängnisvollen | |||||
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Symbolhafte Darstellung eines »dritten Weges« zwischen Kapitalismus und Kommunismus für die Zeitschrift »Deutsche Volksstimme«, Organ des Bundes Deutscher Bodenreformer |
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Ersten Weltkrieg mit der Einführung einer demokratischen Verfassung. In vielen Ländern Europas, so in Rußland, aber auch der Tschechoslowakei und im Baltikum, war nach den Revolutionen von 1917/18 eine Bodenreform durchgeführt worden, die zur Enteignung des aristokratischen Großgrundbesitzes führte. Auch in Deutschland ergab sich mit der Novemberrevolution die Chance, die Bodenbesitzverhältnisse grundlegend umzugestalten. Adolf Damaschke er war mit Friedrich Naumann an der Gründung der Deutschen Demokratischen Partei beteiligt nahm am 14. November 1918 sofort Kontakt mit dem sozialdemokratisch dominierten »Rat der Volksbeauftragten« auf, um in der Bodenfrage die entscheidenden Maßnahmen einzuleiten. Doch obwohl 520 Soldatenräte Damaschke ihre Zustim- | mung zu den von ihm unterbreiteten Vorschlägen geschrieben und telegrafiert hatten, geschah vorerst nichts. Es kamen die Wahlen zur Nationalversammlung. Es gelang dem Bund Deutscher Bodenreformer, 76 eingeschriebene Mitglieder des Bundes aus ganz verschiedenen Parteien in die Nationalversammlung zu bringen. Dennoch hatten die in den meisten Parteien tonangebenden Kräfte die Bodenfrage bei der Erarbeitung des Entwurfes für eine neue Reichsverfassung wieder unter den Tisch fallen lassen. Alles schien verloren. Jetzt mußte schnell gehandelt werden. In einer von den Bodenreformern schleunigst verfaßten Eingabe vom 27. Februar 1919 wurde gefordert, daß die Bodenreform unter den »Grundrechten des deutschen Volkes« in der neuen Verfassung verankert wird. Diese Eingabe, | |||||||
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die Hunderttausende von
Unterschriften fand, hatte vollen Erfolg. Die ersten
Früchte eines zähen und unermüdlichen
Kampfes konnten eingebracht werden. In die
»Grundrechte und Grundpflichten der
Deutschen« wurde der Artikel 155 eingefügt, der die verfassungsmäßige Grundlage liefern
sollte, um u. a. das Enteignungsrecht von Grund und Boden zu erleichtern und seinen
Wertzuwachs der Allgemeinheit nutzbar machen zu können. Damit war der
Grundgedanke der Bodenreform erfaßt.
Eine praktische Umsetzung dieses Artikels fand jedoch kaum statt. Zwar verabschiedete die Nationalversammlung noch im Schatten der Revolution am 10. Mai 1920 das Reichsheimstättengesetz, doch kam die dazu notwendige Reform des Enteignungsgesetzes aufgrund der parlamentarischen Mehrheiten nicht zustande. Tief enttäuscht wandte sich Adolf Damaschke in seinen letzten Lebensjahren von dem damals von »Interessentengruppen« beherrschten demokratischen Parlamentarismus, in den er 1918 so viele Hoffnungen gesetzt hatte, ab. Adolf Damaschke kann wohl als einer der bedeutendsten Repräsentanten des deutschen Sozialkonservatismus angesehen werden. An seiner Person wird sichtbar, daß Begriffe wie »reaktionär« und »konservativ«, die oft gleichgesetzt werden, nicht identisch sind. Damaschke bekannte sich unmißverständlich zu einem Fortschritt in der menschlichen Kulturentwicklung, der für | ihn nicht losgelöst von den Eigentumsverhältnissen existierte. Den Gang der Geschichte stellte er sich spiralförmig aufwärts windend vor. Damit wurde er aber bereits zum Überwinder des linearen Fortschrittsglaubens einer durch das mechanistische Denken des Maschinenzeitalters geprägten Epoche. Die marxistische
Vorstellung vom Klassenkampf, die er nicht teilte, trennte ihn von der damaligen
Sozialdemokratie, auch wenn er in den
Sozialdemokraten seine natürlichen Verbündeten sah
und mit ihnen eng zusammenarbeitete. Zu einem Konservativen machte diesen »Mystiker des Bodens« (Naumann), der mit Hilfe eines demokratischen Bodenrechtes den Einzelmenschen in seine Gemeinschaft
zurückbinden wollte, seine Orientierung an den
traditionellen Werten (Heimat, Familie, Volk, Nation), aber auch sein zyklisches
Weltbild. Die Wiederkehr des Gleichen dachte er
sich aber auf einer höheren Stufe: »So wird
auch die siegreiche Bodenreform einst dasselbe sein wie das ursprüngliche Bodeneigentum, und doch wird es auch etwas anderes sein, etwas Höheres und Größeres.« (Adolf Damaschke: Aus meinem Leben, S. 344)
Bildquellen:
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© Edition Luisenstadt, 1997
www.luise-berlin.de