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(Reichsminister, Ministerialbürokratie,
Diplomaten, Juristen, Militärs,
Bürgermeister u. a.), Wirtschaftsleiter,
KZ- Bewachungspersonal und andere Naziaktivisten
insgesamt 99 Personenkategorien. Zur zweiten
Gruppe gehörten 23 Personenkategorien.
Darunter befanden sich Berufsoffiziere der Wehrmacht, nominelle NSDAP- Mitglieder
nach dem 1. Mai 1937, Mitglieder der Hitlerjugend (HJ) und anderer NS- Organisationen
sowie »Personen, welche die preußische
Junkertradition vertreten«. Da diese nicht als
ausgesprochene Nazianhänger galten, sollten sie »sorgfältig geprüft« und
gegebenenfalls entlassen werden.
Die zweite Bestimmung sah die Errichtung von Kommissionen zur Entnazifizierung, sogenannte Spruchkammern, vor. Jeder, der meinte, zu Unrecht klassifiziert worden zu sein, erhielt die Möglichkeit, eine Entnazifizierungs- Kommission in erster Instanz anzurufen. Solche Kommissionen bestanden in allen 20 Verwaltungsbezirken und in den vier Sektoren von Berlin. Sie waren von der jeweiligen Besatzungsmacht eingesetzt worden, auf der Magistratsebene vom Alliierten Komitee für Entnazifizierung der Stadtkommandantur. Jede Kommission bestand aus sieben Mitgliedern, die alle aktive Antifaschisten sein und nach Möglichkeit alle Schichten der Bevölkerung repräsentieren sollten. Als oberste Berufungsinstanz fungierte das Alliierte Komitee für Entnazifizierung. Die dritte Bestimmung verpflichte alle Ar- | |||
Gerhard Keiderling
Prozesse und Spruchkammer- Verfahren Der Abschluß der Entnazifizierung in Berlin 19461948 Am 26. Februar 1946 erließ die Alliierte Kommandantur der Stadt Berlin die
Direktiven zur Entnazifizierung (vgl. BM 3/1997). Ihre Anordnung BK/O (46) 101a
übernahm die Direktive Nr. 24 des Alliierten
Kontrollrates in Deutschland vom 12. Januar 1946. Diese enthielt klare Bestimmungen
über den Geltungsbereich, die Überprüfung
und Entfernung von ehemaligen Mitgliedern der NSDAP und »den Allierten feindlich«
gegenüberstehenden Personen. Sie waren »aus öffentlichen und halböffentlichen
Ämtern und aus verantwortlichen Stellungen in
bedeutenden privaten Unternehmen« zu entfernen. Der Anordnung waren drei
Ausführungsbestimmungen beigefügt.
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beitgeber und Verwaltungschefs, binnen
drei Tagen dem Alliierten Komitee für
Entnazifizierung die ausgesprochenen Entlassungen zu melden. Den Betroffenen wurde von
der Polizeibehörde folgender Sichtvermerk in den Personalausweis gestempelt: »Der
Inhaber dieses Personalausweises ist betroffen von den Bestimmungen der Anordnung
der Alliierten Kommandantur Nr. 101 a vom 26. Februar 1946 betreffend
Entnazifizierung.«
Außerdem mußten Listen mit den Namen derjenigen Personen eingereicht werden, die seit dem 30. April 1945 im Zuge der Entnazifizierung ihre Stellungen verloren hatten. Fragen des Vermögens, der Gewerbegenehmigung und anderer existentieller Dinge blieben vorerst unberücksichtigt. Der Magistrat der Stadt Berlin, der die Anordnung 101 a der Alliierten Kommandantur am 4. März 1946 erhielt, veranlaßte sofort alles Nötige. In der ständigen Konferenz der Bezirksbürgermeister vom 7. März 1946 wies der Stellvertreter des Stadtrates für Personalfragen und Verwaltung, Martin Schmidt (KPD), an, daß die vier zugelassenen Parteien (KPD/SED, SPD, CDU, LDP), der FDGB und der Hauptausschuß »Opfer des Faschismus« beim Magistrat personelle Vorschläge für die Bestallung der Kommissionen unterbreiten sollten. Mit der Aufgabe einer Sektorenkommission, die in jedem Sektor als höheres Berufungsgericht fungieren sollte, wurden die Bezirksämter Prenzlauer Berg, Schöneberg, Charlottenburg und Wedding | beauftragt. Die Kommissionen nahmen
im April 1946 ihre Arbeit auf.
Die KPD nutzte ihre dominierende Stellung in der Stadtverwaltung, um die Zusammensetzung der Kommissionen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Als in der Beratenden Bezirksversammlung von Reinickendorf (Französischer Sektor) die SPD am 15. Mai 1946 anfragte, warum die Kommission allein von der KPD/SED beschickt würde, berief sich der Bezirksbürgermeister Erich Böhm (KPD/SED) auf alliierte Vorschriften, wonach von sieben Kommissionsmitgliedern vier anerkannte Opfer des Faschismus sein müßten. Damit hätten seiner Meinung nach mindestens zwei Parteien Schwierigkeiten. Das prozeßähnliche Verfahren der Entnazifizierungs- Kommissionen, allgemein Spruchkammern genannt, regelte die Alliierte Kommandantur mit der Anordnung BK/0 (46) 288 vom 29. Juni 1946. Ermittlungsstäbe aus »zuverlässigen Antifaschisten« trugen das Beweismaterial gegen die angeklagten Personen zusammen. Dann erfolgte die öffentliche Bekanntgabe der Verhandlung mit der Aufforderung: »Wer sachdienliche Mitteilungen über die Genannten zu machen vermag, möge sich mit der Entnazifizierungs- Kommission in Verbindung setzen.« In der Hauptverhandlung hatte der Anwalt des Angeklagten die Möglichkeit, Entlastungszeugen anhören zu lassen. Das Urteil bedurfte der Bestätigung durch das Alliierte Komitee für Entnazifizierung, das oftmals | |||
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eigene Recherchen anstellte.
Dementsprechend zogen sich die Spruchkammerverfahren in die Länge, Ende 1947 waren erst 26 000 von insgesamt 56 000 Anträgen entschieden.
Trotz einheitlicher Vorgaben durch die Alliierte Kommandantur gab es unterschiedliche Handhabungen in den vier Besatzungssektoren. Ungeachtet dessen handelte es sich bei den Spruchkammern prinzipiell um ein rechtsstaatliches Verfahren. Es setzte der Rechtsunsicherheit und Willkür des ersten Nachkriegsjahres ein Ende. Die Strafen, die die Spruchkammern verhängten, reichten von Bestätigung der Entlassung aus beruflichen Positionen bis zur Zahlung einer Geldbuße, allgemein verbunden mit dem Verlust von politischen Rechten. Die Entnazifizierungspraxis der ersten Nachkriegsjahre war begleitet von einer Vielzahl aufklärerischer Maßnahmen. Dazu gehörten die erschütternden Tatsachenberichte von Überlebenden der Konzentrations- und Vernichtungslager ebenso wie eine Vielzahl enthüllender Beiträge über die NS-Diktatur und die Kriegsverbrechen, mit denen besonders die Presse im sowjetischen Sektor ihre Leser konfrontierte. Als der sowjetische Dokumentarfilm »Gericht der Völker« in die Ostberliner Kinos kam, wurden Gemeinschaftsbesuche von Belegschaften, Schulklassen usw. organisiert. Große Aufmerksamkeit erregten die lokalen Prozesse, so der eines sowjetischen Militärge- | richts gegen den ehemaligen
Lagerkommandanten und das SS- Bewachungspersonal des KZ Sachsenhausen.
Die Entnazifizierung geriet langsam aber sicher in den Strudel des ausbrechenden Kalten Krieges zwischen Ost und West. Was als eine demokratische Selbstreinigung der Deutschen gedacht war, hatte sich in eine Rehabilitierungsaktion verwandelt. Während die Sowjets noch immer Jagd auf die großen und kleinen Nazis machten, erlahmte das Interessse der westlichen Militärregierungen. Und doch zeigte sich drei Jahre nach dem Kriege, daß die Entnazifizierung ein wesentliches Instrument der Neustrukturierung der deutschen Nachkriegsgesellschaft gewesen war. Im westlichen Besatzungsbereich hatte die personelle Säuberung im Vordergrund gestanden, wesentliche Eingriffe in das gegebene Staats- und Wirtschaftssystem unterblieben. Im östlichen Besatzunsgsbereich dagegen diente die Entnazifizierung einer durchgreifenden Neuordnung der gesellschaftlichen Verhältnisse in Richtung Sowjetisierung, die als »antifaschistisch- demokratische Umwälzung« offeriert wurde. 1948 wurde das Kapitel »Entnazifizierung« geschlossen. Im Westen endete die aufwendige Fragebogenpraxis, Internierte wurden freigelassen, Kriegsverbrecher begnadigt. Im Osten wurden im Februar 1948 die Entnazifizierungskommissionen aufgelöst. | ||
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© Edition Luisenstadt, 1997
www.luise-berlin.de