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Mieten den Getreideexport und das Verarbeiten von Kartoffeln zu Branntwein zu verbieten. Als Antwort hatten sie eine scharfe Zurechtweisung erfahren: Solche Petitionen stünden einer Stadtverordnetenversammlung gar nicht zu! Hinter der harschen Antwort stand natürlich das Interesse der ostelbischen Junker, die sich die lukrative Chance gesteigerter Profitmacherei nicht entgehen lassen wollten, zumal der heimische Schnaps im Deutschen Zollverein auf preußischen Druck hin mit Schutzzöllen von 200 – 300 Prozent bevorteilt war. Erst Anfang Januar 1847 hob die preußische Staatsregierung »ausnahmsweise« die Eingangszölle auf Getreide und Mehl, mit denen für gewöhnlich heimische Agrarproduzenten (sprich: allermeist die ostelbischen Junker!) abgeschottet wurden, auf. Gleichzeitig wurde lauthals verkündet, daß die Regierung Kommissare in Atlantikhäfen entsenden werde, die dort, koste es, was es wolle, überseeisches Getreide ankaufen sollten – da war es kein Wunder, daß die Getreidepreise in Rotterdam, Antwerpen und Le Havre überraschend in die Höhe schossen! Die Bauern aus den Teltow- und Niederbarnim- Dörfern, die Berlin auf den Wochenmärkten mit Lebensmitteln versorgten, wollten natürlich auch ihren Gewinn aus der Notlage der Städter schlagen und ließen die Preise, insbesondere für Kartoffeln, kräftig ansteigen: die Metze (ca. 2–2,5 kg) Kartoffeln, die normalerweise einen Silbergroschen (Sgr.)
Kurt Wernicke
... der betretene Weg der Unordnung

»Kartoffelrevolution« in Berlin 1847

Die Getreideernte im Sommer 1846 war in Mitteleuropa ausgesprochen schlecht ausgefallen. Das mußte nicht mehr, wie noch 1816/17, eine Hungerkatastrophe zur Folge haben, denn seither hatte sich die Kartoffel schon zum Volksnahrungsmittel entwickelt. Aber im Herbst 1846 mußte man konstatieren, daß auch die Kartoffelernte weit unter Normalmaß geblieben war: Die seit Jahrzehnten nicht nachgezüchteten Kartoffelsorten waren für diverse Krankheiten anfällig geworden und überraschten die Kartoffelanbauer mit der Krautfäule und der Schwarzfleckigkeit der Knollen, was zu über 50 Prozent Ausfall, gemessen am Durchschnitt, geführt hatte. Beim Zusammenfall von schlechter Getreide- und schlechter Kartoffelernte bedurfte es keiner großen Prophetie, um für das Frühjahr 1847 Versorgungsschwierigkeiten und Teuerung vorauszusagen, und die Berliner Stadtverordneten hatten in voller Verantwortung für ihre Mitbürger schon Anfang Oktober 1846 in einer Bittschrift an den König darum gebeten, angesichts der dürftig gefüllten Scheuern und

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kostete, war Ende Januar 1847 auf Berliner Märkten schon auf drei Sgr. gestiegen. Eine Berliner Zeitung, die »Zeitungs- Halle«, ließ daraufhin einen Versuchsballon steigen und setzte die Nachricht in die Welt, das Polizeipräsidium habe mit zwei Sgr. einen Höchstpreis für die Metze Kartoffeln festgelegt; prompt kam ein offizielles Dementi: Die Polizei denke nicht daran, den freien Handel zu beschneiden – festgelegt auf ihre prinzipiellen Maximen von der Nichteinmischung des Staates in das Handelsleben, war die Machtelite unfähig, auf eine akute krisenhafte Situation angemessen zu reagieren. Stattdessen kramte sie von früher her bekannte Palliativmittelchen hervor: Mehlersatz wurde ebenso propagiert wie Pferdefleischverzehr, und der Hof- und Geldadel veranstaltete Subskriptionsbälle »zugunsten der Armen«. Selbst als in der ersten Februarwoche von wütenden Berliner Frauen ein Bauernwagen mit Kartoffeln umgestürzt wurde, erregte das die Behörden nicht. Noch bis Mitte April dauerte es, bis man sich dort zur vorübergehenden Aufhebung der an den Stadttoren zu entrichtenden Kommunalsteuer auf Getreide und Mehl entschloß, was nun allerdings den Berliner Magistrat schwer traf, der bereits 40 Prozent seines 1847er Etats an das städtische Armenwesen zu wenden hatte (im Vorjahr waren es »nur« 33 Prozent gewesen). Er gab Zuschüsse für die öffentliche Speisung Bedürftiger und ließ über die Armenkommissionen der Stadtbezirke täglich Marken für 6 000 Brote ausgeben, die er dann bei den Bäckern einlöste.
     Zu dieser Zeit war der Kartoffelpreis auf den Berliner Märkten auf fünf Sgr. pro Metze geklettert. Da – einmal abgesehen von den vielen Arbeitslosen und Gelegenheitsarbeitern – der größte Teil der Berliner Arbeiter über einen Tageslohn von zehn Sgr. nicht hinauskam, bedeutete das, daß man für die üblicherweise kinderreiche Familie, die ohnehin kein Fleisch kannte und daher hauptsächlich von Kartoffeln lebte, den halben Tagesverdienst aufzubringen hatte, um nur die hungrigen Mäuler am häuslichen Herd zu stopfen. Arbeiterfrauen waren es dann auch, die am Sonnabend, dem 17. April, auf dem Molkenmarkt ihren Unmut demonstrierten, indem sie Kartoffelsäcke umrissen. Am heftigsten reagierten sie aber am Mittwoch, dem 21. April 1847, auf dem Gendarmenmarkt auf die höhnenden Worte einer Hökerin, die von einem Moment zum anderen den Kartoffelpreis um einen Sgr. erhöht hatte und den darüber erzürnten Kundinnen prophezeite, sie würden noch zufrieden sein, wenn ihnen die Bauern Heu verkauften: Wutschnaubend warfen die Frauen sich über die prallen Kartoffelsäcke, zerschnitten diese und stürzten sich – nun ohne jede Bezahlung – auf die umherkullernden Erdfrüchte.
     Wenn ein Damm einmal gebrochen ist, sind die losgelassenen Fluten schlecht einzudämmen: Mit Windeseile machte das Beispiel Schule, zumal die Ordnungsmacht –
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Hungerunruhen 1847, Zeichnung von Vincenz Katzler, Wien
die pro Wochenmarkt aus ganzen zwei Marktpolizisten bestand – der entfesselten Volkswut hilflos gegenüberstand. So tobte die Rachefurie der Hungernden auch über den Molkenmarkt (von dem etliche Quellen sogar Zeitgleichheit mit dem Ausbruch auf dem Gendarmenmarkt bezeugen, sodaß der Verdacht aufkam, bei dem spontanen Volkszorn habe es sich evtl. um eine abgestimmte Aktion gehandelt) und den Dön-
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hoffplatz, wo Marktstände zerstört und wucherische Händler bedroht wurden.
     Am nächsten Tag, an dem Wochenmarkt auf dem Alexanderplatz stattzufinden pflegte, blieben dort verständlicherweise die Händler aus, wofür sich die stattdessen auftauchenden Haufen an den Bäckern und Fleischern benachbarter Straßen schadlos hielten. Fraglos war die spontane Wut des Mittwoch nun verraucht, dafür hielt der großstädtische Janhagel seine Stunde für gekommen und gierte nach Plünderungen.
     Das für die öffentliche Sicherheit verantwortliche Militärgouvernement hatte sich für marktpolizeiliche Befugnisse nicht zuständig gefühlt und daher am Mittwoch überhaupt nicht eingegriffen. Der Donnerstag bot aber mit Plünderungen in den Straßen ein anderes Bild, und so wurde dann ab Mittag die Berliner Garnison requiriert, die auch Verhaftungen vornahm. Zur Vergeltung warfen Krawallierer dem Befehlshaber des Gardekorps, Prinz Wilhelm von Preußen, die Fenster in seinem Palais am Opernplatz/Unter den Linden ein. Am Folgetag wurden die üblichen Freitagsmärkte – der auf dem Gendarmenmarkt, der auf dem Dönhoffplatz und der auf dem Neuen Markt – unter scharfer militärischer Bedeckung abgehalten, was den Händlern Mut zum Wiedererscheinen machte. Vorstadtbewohner kamen zwar voller Neugierde herbei, manche darunter bestimmt auch krawallbereit, aber die unübersehbare Präsenz der Ordnungsmacht, die
sich im Abstand von 15 bis 25 Schritt mit Schildwachen manifestierte, mahnte doch nachhaltig zur Ruhe: Die »Berliner Kartoffelrevolution« hatte ihr Ende gefunden.
     Sie hatte allerdings mehrere Nachspiele. Erstens hatte der Magistrat urplötzlich Kartoffeln zur Hand, die er pro Metze für 2,5 Sgr. verkaufen konnte. Zweitens gab es gerichtliche Nachspiele, bei denen etwa hundert Gefängnis- und Zuchthausstrafen verhängt wurden; am härtesten traf es den 32jährigen Arbeitsmann J. K. G. Höft, Vater von zwei Kindern, der zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt wurde wegen des besonders schweren Verbrechens, einen Offizier geschlagen und einem Soldaten dessen Säbel entrissen zu haben! (Die große Mehrzahl der Inkulpanten wurde allerdings zum Geburtstag des Königs am 15. Oktober amnestiert.) Drittens mußte sich der Berliner Magistrat schamvoll eingestehen, daß er viel zu spät aktiv geworden war: Als er dem Innenminister den Text eines Maueranschlags zur Beruhigung der Berliner vorlegte, war dessen Publikation schon durch die militärischen Maßnahmen überflüssig geworden und verschwand in den Akten (s. nachfolgende Erstveröffentlichung). Und in einem allerletzten Nachspiel zitterte die »Kartoffelrevolution« noch 25 Jahre später nach, als im Juli 1872 Mieterkrawalle Berlin erschütterten und der täglich über diese Berliner Ereignisse vom Innenminister unterrichtete nunmehrige Kaiser Wilhelm in
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seinem Kurort Wiesbaden drohte, man solle die Krawalle bloß nicht auf die leichte Schulter nehmen als lediglich sozial motivierte Unruhen ohne politischen Hintergrund: 1847 habe man die Berliner Hungerunruhen auch harmlosgeredet, und nicht einmal ein Jahr später habe die Märzrevolution den ganzen Staat erschüttert!

Entwurf für einen Maueranschlag des Magistrats, April 1847
Bekanntmachung

     Seit gestern ist unsere Stadt Zeuge der strafbarsten Exzesse. Sie erfüllen den ruhigen Bürger mit Entrüstung, zugleich aber mit großer Besorgnis. Wenn auch die Not des Augenblickes schwer auf vielen Einwohnern unserer Stadt lastet: die Kommunalbehörden müssen sich das Zeugnis geben, alles, was zu tun möglich und notwendig war, mit den gutgesinnten Einwohnern der Stadt gemeinschaftlich getan zu haben, um diese Not allen unseren bedrängten Einwohnern zu erleichtern. Es ist schon früher beschlossen, auch ferner dafür zu wirken, soweit die Mittel der Stadt reichen. Wir haben die sichere Hoffnung, daß die Preise der notwendigsten Lebensbedürfnisse den höchsten Punkt erreicht haben, und daß eine Steigerung nicht zu fürchten, wohl aber eine Ermäßigung dieser Preise sicher zu hoffen steht. Ein unerläßliches Erfordernis hierfür ist aber, daß die Produzenten mit ihren Erzeugnissen nicht von den Märkten zurückgehalten wer-

den durch die Furcht: ihr Eigentum der sicheren Gefahr der Vernichtung auszusetzen.
     Mitbürger unserer Stadt!
     An Sie richten wir unser Wort, von Ihnen hängt es ab, dahin zu wirken, daß jedem, dem Ihre Worte zugänglich sind, es klar werde, wie Bosheit, Arbeitsscheu und die Lust an der Vernichtung des Eigentums und Gefährdung der Ruhe und Sicherheit der Stadt die Exzesse hervorrufen, ihnen Nahrung gibt, und alle ruhigen Einwohner mit in das sichere Verderben reißt, und daß der betretene Weg der Unordnung die Not nicht lindern kann, vielmehr sie bis zur äußersten Grenze steigern muß.
     Mitbürger unserer Stadt!
     Wirken Sie mit uns dahin, jeder in seinem Kreise, daß die aufgeregten Gemüter beruhigt, die besonnenen Herr ihrer Ruhe bleiben und daß der Mutwille und die Bosheit in der ruhigen Haltung der ordnungsliebenden Einwohner unserer Stadt ihr Ende finden.
     Berlin, den 24.(?) April 1847
     Oberbürgermeister, Bürgermeister und Rat hiesiger königlicher Residenzien
(Quelle: GSTA/PK, Rep. 77 MdI, Tit. 501 Nr. 3, Bd. 2, fol. 257.

     Erstveröffentlichung. Das Datum im Probedruck ist irreführend, weil schon für den Tag der vorgesehenen Publikation eingesetzt. Tatsächlich muß der Text spätestens am 23. April 1847 verfaßt worden sein.)

Bildquelle: Archiv Autor

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