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Friedrich Kleinhempel
Postillon des Weltgeistes

Staatsminister Heinrich von Stephan (1831–1897)

Ernst Heinrich Wilhelm von Stephan, dessen Todestag sich in diesem Monat zum 100. Male jährt, hinterließ in seinem beispiellos reichen Lebenswerk originäre wissenschaftliche, politische und diplomatische Leistungen von bleibendem Wert, vor allem aber das endlich vereinigte, leistungsfähige Post- System Deutschlands. Als Großtat ragt sein ausschlaggebender Anteil am Zustandekommen des Weltpostvereins heraus.
     Am 7. Januar 1831 war Heinrich Stephan im pommerschen Städtchen Stolp als Kind einer geachteten Handwerkerfamilie geboren worden. Der intelligente, musisch begabte und körpergewandte Knabe, Bruder von fünf Geschwistern, wurde mehr und mehr ein ausgezeichneter Schüler des Stolper Gymnasiums, dieser ehemals berühmten Lateinschule. Er lernte alte und neue Sprachen, Geschichte und Geographie, studierte die Poeten des Altertums und las in der Bibel, spielte Geige und Klavier bald ebensogut wie sein privater Musiklehrer. Er begann zu turnen und zu schwimmen, wobei er sogar

einen Schulkameraden vor dem Ertrinken erretten konnte. Sein Wissen erregte Aufsehen. Mitschülern gab er Privatunterricht in Mathematik, Latein und Französisch. Die Reifeprüfung bestand er vorzeitig und mit Glanz. Ihn faszinierte alles, was er über Kommunikation und Verkehr nur finden konnte. Ein kleiner Globus zu Hause lenkte seine Phantasien auf verbesserte Verbindungen der Menschen untereinander. Das Berufsziel schien bald fixiert, und seine Verkündung als 17jähriger Postanfänger ist belegt: »Ein schlechter Kerl, der nicht denkt, General- Postmeister zu werden!« Dies, zur Maxime unter Posthornblasen erhoben, führte ihn fortan ziemlich sicher auf seinem mit viel achtungsvollem Applaus wie mit manchem antipreußischen Argwohn versehenen, unvergleichlichen persönlichen »Postkurs« – bis hin zur volkstümlich ehrenden Erhebung in den fiktiven Stand eines »Weltpostmeisters« und der Signierung seiner Schaffensära als »Stephanzeit«. Dies alles flog ihm nicht zu; er hat sein Leben lang zäh gearbeitet!
     Am 20. Februar 1848 wurde Heinrich Stephan als Posteleve in Stolp vereidigt. Anderthalb Jahre später bereits kam er mit bestem Zeugnis nach Marienburg, wo er – wißbegieriger Romantiker in Anwartschaft auf den Beamtenrock – nebenher die Kultur- und Verkehrsgeschichte des Deutschen Ritterordens studierte und alsbald auch Ordensschloßführer sein durfte. Schon im Jahr dar-
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befähigt war Stephan, konzentrieren konnte er sich, arbeiten mit vollstem Fleiß, Ideen entwickeln bis zum großen Wurf, was seinen Post- Oberen nicht verborgen blieb. Nach Ableistung seines (pflichtgemäßen) Einjährig- Freiwilligen- Dienstes an preußischer Kanone holte man ihn, aushilfsweise, im September 1851 nach Berlin ins Rechnungsbüro des General- Postamtes. Eifrig bereitete er sich nebenbei auf sein zweites Examen vor – und schmökerte zusätzlich in kargen Mußestunden im Stadtarchiv. Im November 1851 wurde er nach Köln am Rhein versetzt, ins Postamt erst, bald in die Oberpostdirektion. Ein angespannter Postdienst dort, täglich 14 Stunden und jeden zweiten Tag Nachtdienst, hinderte ihn nicht, wiederum sich in Geschichtsstudien zu vertiefen. In der alten Colonia Agrippina lagen natürlich als Lernstoff die antiken Römer nahe, deren entwickelte Praxis strikter Staatspost- Organisation auf ihrem Achtzigtausend- Kilometer Fernstraßennetz Stephans Achtung erregte.

 
Postfachlich hatte er sich mit den unterschiedlichsten und verwickeltsten Tarifverhältnissen aller Länder zu beschäftigen.
     In Köln liefen damals alle überseeischen Postrechnungen ein. Gedanken zur Vereinheitlichung und Vereinfachung im Weltverkehr reiften seinerzeit heran. Stephan fand
auf nahm man ihn zur Oberpostdirektion nach Danzig. Dort bestand er die Prüfung zum Post- Assistenten mit Auszeichnung. Als Prüfungssprachen hatte der beflissene Prüfling, wie damals möglich, Italienisch und Spanisch gewählt – jedoch keinen Prüfer gefunden, der diese gekonnt hätte. Eminent
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in Köln sogar noch Zeit, sich zu verloben. »Der Romantiker in ihm wählte die Agathe des >Freischütz< zur Frau ... die Sängerin Anna Tomala stammt aus Pest, und so lernt er rasch nebenbei Ungarisch.«1) Das junge Eheglück währte sieben Jahre, bis zum Tode der Sängerin. Später heiratete Stephan erneut.
     Die Prüfungen für die höheren Verwaltungsstellen bestand Stephan 1855 mit Auszeichnung. Seine außergewöhnliche Postbeamten- Karriere vollzog sich nun wie unaufhaltsam: 1856 Ruf ins Generalpostamt Berlin, Beförderungen zum Postrat, Oberpostrat, Geheimen Postrat und Vortragenden Rat, zum Geheimen Oberpostrat schließlich 1868. Generalpostdirektor des Norddeutschen Bundes wurde er 1870 sowie im Jahr darauf Generalpostmeister des soeben gegründeten Deutschen Reichs. 1880 dann wurde er Staatssekretär des Reichspostamtes, 1895 in den Rang eines Staatsministers erhoben. Viele bedeutende Ehrungen außerdem sind ihm, dem preußisch stolzen, eigentlich eher bescheidenen, universell gebildeten, geist- und humorvollen Manne ob seiner enormen Verdienste zuteil geworden, darunter vom Kaiser der erbliche Adelstitel.
     Über Verantwortung und Freiheit im Handeln verfügte Stephan in seinen Ämtern. Neben den Anstrengungen des Dienstes und seiner Aufmerksamkeit für alle Erfordernisse bei Personal und Verwaltung publizierte er seine Erkenntnisse aus der Geschichte
des Verkehrs, die bisher kaum ein Historiker beachtet hatte: Seine 1858 erschienene »Geschichte der preußischen Post von ihrem Ursprunge bis auf die Gegenwart« erhielt sofort außerordentlich günstige Kritiken. Stephan stellte darin die Staatengeschichte nicht mehr bloß als Herrschaftsgeschichte, sondern in einem Komplex dar, worin er mit der Post eines der ältesten preußischen Staatsinstitute charakterisierte, das »zur Hebung des Wohlstandes und der Gesittung der Nation beigetragen, den schnelleren Umschwung der Lebenskraft im Staatskörper vermittelt, die Tätigkeitsäußerungen der verschiedenen Verwaltungszweige erleichtert und den Staatsreichtum vermehrt hat«.2) Eine der wissenschaftlich glänzenden Stephanschen Schriften wurde »Das heutige Ägypten« (Leipzig 1872), welche nach einer mehrwöchigen Reise durch jenes Land anläßlich der Eröffnung des Suezkanals 1869 entstanden war. Noch einmal trat Stephan als weitsichtiger Autor von bestem analytischen Verstand mit »Weltpost und Luftschiffahrt« (Berlin 1874) hervor.
     Auch die vielen rein postdienstlichen Schriften aus seiner Feder wiesen ihn als feinsinnigen Schreiber aus, der in der Sache stilvoll zu überzeugen wußte.
     Stephans rührige wissenschaftliche Tätigkeit in Verbindung mit seinem dynamischen Wirken an der Spitze einer großen Verwaltung fand Anerkennung in der Gelehrtenwelt; die Hallenser Philosophen verliehen
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ihm 1873 die Doktorwürde honoris causa »in freudiger Anerkennung der hohen Verdienste« auf dem weiten Gebiet seiner den öffentlichen wie den geistigen Verkehr über die Grenzen des Vaterlandes hinaus fördernden Verwaltung sowie der »freien ... in geistvollen Schriften dargelegten Bildung ... als Zeichen großer Verehrung.«3)
     Die Post in Deutschland, die früher staatliche Zuschüsse gekostet hatte, erbrachte nun Gewinn infolge Stephans Wirken an der Spitze – 300 Millionen Mark allein in 15 Jahren! Was hat er nicht alles reformiert, innoviert, vereinfacht, vereinheitlicht, erleichtert, verbraucherwirksamer, publikumsfreundlicher angeregt usw. – oder gelegentlich abgeschafft! Noch mit der Zusammenführung und Reform der ursprünglich zehn einzelnen, rückständigen Postverwaltungen des Norddeutschen Bundes befaßt, speziell mit der Einführung des niedrigen Einheits- Briefportos, mußte Stephan zunächst alle inneren Aufgaben zurückstellen und die Feldpost im deutsch- französischen Krieg 1870/71 organisieren – ein kompliziertes Werk, das er meisterhaft bewältigte. Als der nachmalige Generalpostmeister des 1871 gegründeten Deutschen Reichs die zersplitterten Postinstitute zur Reichspost zu vereinigen hatte, glückte ihm diese Jahrhundertaufgabe ebenso meisterlich, wenn auch nur mit den gewaltigen Anstrengungen, welche das Entflechten und Entheben uralter, oft mit Macht und List ver-
teidigter Staatsansprüche erforderten. Die zahlreichen abgekapselten und dringend reformbedürftigen Territorialposten wurden »zusammengeschmolzen« mittels des Reichspostgesetzes von 1871, das deutlich Stephans revolutionierenden Geist erkennen ließ. Neueingeführt und vereinheitlicht wurden für ganz Deutschland der Postzwang (Reichspostprivileg), das billige, überall gleichermaßen gültige Groschenporto für Briefe, das Briefgeheimnis, der vereinfachte Tarif für Pakete, die Haftpflicht der Post, die Postanweisung und das Postmandat für Geldbeträge, die Bücherpost.
     Eine der originellen Stephanschen Erfindungen war die Postkarte! Unter Stephans Ägide kam es zu vielen Erleichterungen des Postverkehrs im Inland und mit dem Ausland. 1875 vereinigte Stephan die Telegrafenmit der Postverwaltung des Reichs. Zwanzig Jahre nach Gründung der Reichspost hatte sich die Zahl der Postanstalten in ganz Deutschland von 5 755 auf 28 612 erhöht, die der Telegrafenanstalten von 1691 auf 19384, die der Landbriefträger von ca. 10 000 auf ca. 25 000, davon viele mit Fuhrwerk.
     Ferner hatte Stephan alle wichtigen Städte und Handelsplätze Deutschlands mit unterirdischen Telegrafenkabeln verbunden und die Telegraphieentwicklung wesentlich befördert, den Worttarif bei Telegrammen durchgesetzt, die Rohrpost in Berlin sowie Stadtpostsysteme errichtet, das eben erst erfundene Telefon eingeführt (in Berlin
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1877–1881) – »Jedem Bürger sein Telefon« lautete Stephans Devise – zusammen mit Werner von Siemens (1816–1892) den Elektrotechnischen Verein gegründet u. a. m. Stephan bildete 1877/79 aus der ehemals Deckerschen Geheimen Ober- Hofbuchdruckerei und der preußischen Staatsdruckerei in Berlin die Reichsdruckerei, die fortan technisch und künstlerisch international anerkannte Spitzenleistungen in den damals besten Druckverfahren vollbrachte. Der von Stephan 1885 in den Reichstag eingebrachte Entwurf eines Postsparkassengesetzes scheiterte allerdings. Aufmerksam kümmerte sich der Generalpostmeister – stets das komplexe Ganze im Blick, und damit auch »den Menschen« im Beamten – um geistige und materielle Wohlfahrt seines Personals, seiner Unterbeamten und Beamten im Reich. Er führte die Unfall-, Kranken- und Altersversicherung der Post ein, ließ Lebensversicherungen, Unterstützungskassen, Postspar- und Vorschußvereine bilden, schuf Amtsbibliotheken, gab das »Archiv für Post und Telegraphie heraus«, stiftete Stipendien zu Auslandsreisen, förderte persönlich Waisenkinder und talentierte Nachwuchskräfte, schuf die Höhere Post- und Telegrafenschule. Schon 1874 hatte Stephan postgeschichtliche Sammlungen im Reichspostamt eingerichtet, woraus er das dann 1897 eröffnete, weltweit erste Postmuseum in dem eigens errichteten prächtigen neobarocken Eckhaus Leipziger/Mauerstraße schuf. (Vgl. Bei- trag von Helmut Caspar in diesem Heft.) Stephan setzte sich nicht nur für heute noch zwiespältig bestaunte wilhelminisch- monumentale Architektur der an die 2 000 neuen Postgebäude ein, welche immerhin deutsch- kaiserliche Staatswürde zu repräsentieren hatten, sondern verdienstvoll auch für deren bessere innere Ausgestaltung, große, helle, beheizte Schalterräume für das Publikum, zweckmäßige Arbeitsräume und hilfreiche technische Einrichtungen für das Personal.
     Stephans historisch bedeutsamstes Werk jedoch bleibt die internationale Postreform. Diplomatie- Proben hatte er schon bestens bestanden mit der erfolgreichen Verhandlungsführung in Frankfurt am Main zur Übereignung der gesamten Thurn und Taxisschen Post an das in zwei jüngsten Kriegen siegreiche Preußen im Jahre 1867. Die Ablösesumme hatte er mit drei Millionen Talern auf einen Bruchteil der geforderten gedrückt und anschließend von der Gegenseite Dankesbriefe erhalten für seine faire und liebenswürdige Art. Die einzelnen norddeutschen Postverwaltungen hatte er zu einer Bundespost vereinigt. Die gesamtdeutsche Reichspost war wesentlich sein Werk. Stephan, fasziniert von der Idee der Post als »Hebel der Kultur«, war angetreten, den Verkehr dar Nationen untereinander von überkommenen fiskalischen Fesseln zu lösen. Post habe Dienende zu sein, nicht Profit zu schachern. Dafür gewann er – mühselig genug seinerzeit – mehr und mehr Mitstreiter.
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Von der ersten zwischenstaatlichen Vertragsanbahnung an hatte man ihn beauftragt, ihn, der alle europäischen Hauptsprachen sprechend auf internationalem Parkett direkt verhandeln konnte – ein unschätzbarer Vorzug! Diesen Postvertrag mit Spanien erwirkte er, diplomatisch völlig ungewöhnlich, in allerkürzester Zeit, obwohl das dortige Ministerium gerade im Umsturz lag und die Königin im Wochenbett. Wie besessen emissärisch arbeitend, nahm er die Herrlichkeiten der spanischen Kunstschätze gelegentlich dieser Reise begierig auf.
     Stephans Ideale, Überzeugungskraft und Initiativen, vereint mit seinem wachsenden Ansehen und persönlicher Beliebtheit bei ausländischen Fachkollegen, erzielten dann den großen Durchbruch am 15. September 1874: In Bern trat erstmals der internationale Postkongreß zusammen! Vertreter aus 22 Staaten von vier Kontinenten gründeten den »Allgemeinen Postverein« und beschlossen entsprechenden Vertrag. Fortan rissen sämtliche Staaten Europas, die USA, Teile Nordafrikas sowie Asiens die bisher so hinderlichen Schlagbäume und Drahtverhaue kleinlichen Staatsegoismus' nieder und betrieben ein einziges Postgebiet für Briefpost zu durchgängigem Transport und Einheitsporto von umgerechnet 20 Pfennigen. Am Ende des Jahrhunderts gehörten diesem dann zurecht »Weltpostverein« genannten Staatenbund außer China, Teilen Innerafrikas und Arabiens sämtliche Gebiete und
Staaten der Erde als Mitglieder an. Ein weites Telegrafennetz sowie fast 200 Postdampfschifflinien verbanden die Kontinente. Die Kongresse des Weltpostvereins bis 1891 erlebten ihren Vorkämpfer der europäischen und Weltgemeinschaft immer wieder als geistvollglühenden Hauptstreiter für den Weltpostverkehr.
     Schwer diabeteskrank, mußte Stephan im 66. Lebensjahr eine Beinamputation hinnehmen. »Bald nach dem letzten Geburtstag«, schrieb seine Tochter Else, »setzte die tückische Krankheit meines Vaters zu dem letzten Vorstoß ein, und er erlag ihr am 8. April 1897.« – Heinrich von Stephan wurde unter riesiger öffentlicher Anteilnahme und mit allem Prunk des deutschen Kaiserreichs beigesetzt. Der Friedhof der Dreifaltigkeitskirche am Halleschen Tor birgt sein Grab.

Quellen:
1     Wolfgang Götz: Heinrich von Stephan. Leben und Werk eines bedeutenden Mannes, In: »Die Woche«, Heft 2/1931, S. 32
2     Referat, In: B. Billig: Unter dem Zeichen des Verkehrs, Berlin 1895, S. 159
3     Ebenda, S. 199 Bildquelle: Archiv Autor

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