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gangenen Jahren intensiv gearbeitet und kommt zu folgendem Schluß: »Im Verhältnis zu Max Liebermanns künstlerischer Bedeutung nahmen zu wenige Trauergäste an der Beisetzung teil. Das verwundert nicht, wenn man die Zeit bedenkt, doch es stimmt hinsichtlich menschlicher Beeinflußbarkeit durch Druck, Gewalt und Angst bedenklich.«2) Immerhin waren bei der Beerdigung etwa 100 Menschen anwesend, das offizielle Berlin aber fehlte.
     Am 30. Januar 1936 teilt die jüdische Presse mit: »Wegen Vorbereitung zur Liebermann- Ausstellung bleibt das Jüdische Museum zu Berlin bis Sonntag, dem 9. Februar, dem Tag der Eröffnung der Gedächtnisausstellung, geschlossen. Eine Reihe von wertvollen Leihgaben ist inzwischen eingetroffen.« Als der eigentliche Initiator der Liebermann- Ausstellung ist Heinrich Stahl, der Vorsitzende der Berliner Jüdischen Gemeinde, zu betrachten. Er war ein großer Verehrer des Künstlers und besaß zahlreiche seiner Werke.
     Für die Ausstellung zeichnete der Direktor des Berliner Jüdischen Museums Franz Landsberger verantwortlich. Er war seit dem 1. Mai 1935 mit der Leitung dieser Institution betraut. Ausschlaggebend dafür, daß der Vorstand der Berliner Jüdischen Gemeinde ihm dieses Amt überhaupt angeboten hatte, war, wie er Jahrzehnte später berichtete, seine in der Jüdischen Rundschau erschienene »eigene Ehrung
Hermann Simon
Liebermann- Ausstellung im Centrum Judaicum

Unter dem Titel »Was vom Leben übrig bleibt, sind Bilder und Geschichten« findet in der Zeit vom 5. Mai bis zum 3. August in der ehemaligen Neuen Synagoge eine Ausstellung aus Anlaß des 150. Geburtstages von Max Liebermann statt, und zwar in den Räumen, die gegenwärtig die Sonderausstellung »Erbe und Auftrag« beherbergen. (Vgl. BM 11/96, S. 90 ff.) Es ist eine besondere Ausstellung: Sie hat einen direkten Bezug zum Ausstellungsort. Unmittelbar neben der Neuen Synagoge, in der Oranienburger Straße 31, befand sich in den Jahren 1933 bis 1938 das Berliner Jüdische Museum. Dieses Museum veranstaltete ein Jahr nach dem Tode des Künstlers eine Liebermann- Gedächtnisausstellung.
     Am 8. Februar 1935 war der am 20. Juli 1847 in Berlin geborene Max Martin1) Liebermann hochbetagt in seiner Heimatstadt gestorben. Er wurde drei Tage später auf dem Friedhof der Berliner Jüdischen Gemeinde in der Schönhauser Allee beigesetzt.
     Wer hat an der Trauerfeier teilgenommen? Darüber hat Ernst Braun in den ver-

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für den Künstler« Max Liebermann.3) Im Katalog der Ausstellung macht Landsberger deutlich, was die Ausstellung beabsichtige: »Für ihre Ehrenpflicht« halte es die Berliner Jüdische Gemeinde, »am ersten Gedenktage des Hinscheidens von Max Liebermann eine Ausstellung seiner Kunst zu veranstalten. In i h r e Hände ist es jetzt gelegt, das Andenken an diesen ihren großen Sohn lebendig zu halten.«
     Für jeden verständlich sind Landsbergers Formulierungen im Katalog: An eine große Ausstellung konnte nicht gedacht werden, weil es einerseits der zur Verfügung stehende Raum verbot, zum anderen aber auf die Mitarbeit der Museen verzichtet werden mußte. So ließ sich »außer dem Besitz des Berliner Jüdischen Museums (...) nur der Privatbesitz, und auch dieser nur in eingeschränktem Maße, heranziehen«. Die wesentlichen privaten Leihgeber waren Heinrich Stahl und Martha Liebermann, die Witwe des Künstlers. Dem Ausstellungskatalog sind keine Provenienzvermerke beigegeben; nur mit Mühe und dank dem jüngst erschienenen Werkverzeichnis von Eberle4) konnten die heutigen Provenienzen für unsere Ausstellung festgestellt werden. Die Eröffnung der Gedächtnisausstellung 1936 ist durch Berichte der jüdischen Presse gut dokumentiert.
     Heinrich Stahl wies in seiner Eröffnungsrede »auf die Besonderheit dieser Liebermann- Ausstellung in jüdischen Räumen:
von Juden für Juden – gegenüber früheren größeren Liebermann- Ausstellungen hin«, wie die Jüdische Allgemeine Zeitung berichtete.5) Über die Ausstellung selbst lesen wir: »Sämtliche Epochen von Liebermanns Kunst sind vertreten, von den Porträts der Eltern bis zu den Enkel- Bildern, vom frühen Selbstbildnis, dem Brekers Plastik nach der ergreifenden Totenmaske gegenüberhing, bis zum spätesten, die Farbenpracht seines Wannseegartens und der Gemüse auf dem Judenmarkt zu Amsterdam, die beiden Tobiasbilder, Graphik und Ölskizzen. Die Beschränkungen hemmten nicht den Gesamteindruck beglückender Meisterschaft, und der Akt der Pietät gegen den Toten mahnte die Lebenden zur Bewahrung und Bewährung jüdischer Qualität.«6)
     Die bis zum 22. März geöffnete Ausstellung fand regen Zuspruch; die Mitarbeiterin des Museums, Irmgard Schüler, spricht von einem »Rekordbesuch von fast 6 000 Besuchern«.7)
     Die Ausstellung war einer der Höhepunkte in der Geschichte des kurzlebigen Berliner Jüdischen Museums, das mit dem Novemberpogrom sein Ende fand. Von den zahlreichen Kunstwerken dieser Kulturinstitution der Berliner Jüdischen Gemeinde hat lediglich die Bildersammlung überdauert, die heute über die ganze Welt verstreut ist. Über dieses Wunder hat Franz Landsberger – ihm war nach dem Novemberpogrom und einer Verschleppung in das Konzentrationslager
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Sachsenhausen die Emigration gelungen8) – im Dezember 1946 in der New Yorker Emigrantenzeitschrift »Aufbau« berichtet. Er stützte sich auf einen Bericht von Ernst Grumach, einem früheren Dozenten an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums. Dieser hatte die Bildersammlung des Museums in einem Berliner Keller gefunden und schrieb Landsberger: »Über einigen dieser Bilder hat der Himmel ... seine Hand gehalten, wie zum Beispiel über dem herrlichen Selbstbildnis von Liebermann, das unter einem Haufen leerer Rahmen in einem offenen Kellerfenster gesteckt hat und Jahre lang Schnee und Regen ausgesetzt war. Trotzdem ist das Bild selbst vollkommen unbeschädigt.«9)
     Dieses Bild hing neben 56 anderen in der Liebermann- Ausstellung des Jahres 1936. Es war Besitz des Berliner Jüdischen Museums, weil es der Maler dieser Gemeindeinstitution zu ihrer Eröffnung am 24. Januar 1933 geschenkt hatte. Jetzt gehört es als »Leihgabe aus Privatbesitz« zu den 25 aus verschiedenen Museen sowie Privatsammlungen stammenden Gemälden, die in der Ausstellung zum 150. Geburtstag des Malers wieder in Berlin zu sehen sein werden.
     Aber nicht nur Kunst wird gezeigt: Welche Schicksale den Gemälden – und zwar nicht nur ihnen, sondern auch ihren damaligen Besitzern und Leihgebern – widerfahren sind, wird bei dieser Gelegenheit berichtet. Durch die Ausstellung soll auch die besonde-
re Situation deutlich werden, in der sich die Berliner Juden um das Jahr 1936 befanden.
     Anliegen dieser Exposition ist es ferner, die Geschichte der Familie Liebermann darzustellen, um den aus einer angesehenen Kaufmannsfamilie stammenden Künstler als Berliner Juden und jüdischen Berliner zu zeigen und in die jüdische Tradition einzuordnen.

Die Ausstellung ist das Ergebnis gemeinsamer Arbeit der Stiftung »Neue Synagoge Berlin Centrum Judaicum«, der Max-Liebermann- Gesellschaft- Berlin e. V. und des Museumspädagogischen Dienstes Berlin.

Geöffnet ist sie Sonntags bis Donnerstags von 10.00 bis 18.00 Uhr und Freitags von 10.00 Uhr bis 14.00 Uhr. Samstag und an jüdischen Feiertagen ist geschlossen.
Der Eintritt beträgt 5,00 DM, ermäßigt 3,00 DM.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.

Quellen und Anmerkungen:
1     Der zweite Vorname Martin, der der Forschung bisher unbekannt ist, findet sich im Geburtsregister (Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Hauptabteilung VIII, J 1+2, Juden- und Dissidentenregister, Nr. 6 Geburten L-Z 18451847 RfS, Nr. 1847/14)

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2     Ernst Braun: Die Beisetzung Max Liebermanns am 11. Februar 1935: Umstände, Personen, Überlieferungen, Pressereaktionen, Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Band 17, 1985, S. 168
3     Franz Landsberger: Erinnerungen an Max Liebermann Die Geschichte einer Freundschaft, Berlinische Notizen 3/4 1973, S. 7. Es handelt sich um den Gedenkartikel »Der Künstler und Jude«, Jüdische Rundschau, 12. Februar 1935, S. 1 f.
4     Matthias Eberle: Max Liebermann: 1847-1935, Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien, Band 1 (1865-1899) und 2 (1900-1935), München 1995 und 1996
5     Lutz Weltmann: Ausstellungen (Max Liebermann zum Gedächtnis), Jüdische Allgemeine Zeitung vom 12. Februar 1936
6     Ebenda
7     Irmgard Schüler: Das Jüdische Museum. Zwanzig Jahre jüdische Kunstschau, Israelitisches Familienblatt (A) vom 25. Februar 1937, S. 16 a
8     Das Archiv der Stiftung »Neue Synagoge Berlin Centrum Judaicum« hat unlängst zusammen mit anderer Korrespondenz eine in diesem Zusammenhang relevante Postkarte [undatiert, Poststempel 3. Februar 1939] von Landsberger an Arthur Sillbergleit erworben. Hier schreibt Landsberger: »In 6-8 Wochen hoffe ich in Oxford zu sein, später USA.«
9     Franz Landsberger: »Ein wiedergefundener Schatz: Die Bilder des Berliner Jüdischen Museums gerettet«, In: Aufbau, New York, 27. Dezember 1946, S. 19
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