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Helmut Caspar
Gigantengruppe auf dem Dach des Postmuseums

Hundert Jahre alt ist das Reichspostmuseum an der Ecke Leipziger Straße/Mauerstraße in der Mitte der Hauptstadt, doch kaum jemand kennt den Bau, an dem sich täglich tausende Autos im Schrittempo vorbeiquälen. Noch sind die Portale zugemauert, und bis vor kurzem verdeckten blaue Plastikplanen den Blick auf das edle Gemäuer im Stil der Neorenaissance.
     Während der Innenausbau des Museums für Post und Kommunikation Berlin, so der offizielle Name der Sammlung, voranschreitet, wird die neue Ausstellung vorbereitet. Sie dokumentiert, wie sich im Laufe der Jahrtausende Postwesen und Kommunikation über Länder und Kontinente hinweg entwickelt haben. Die Schau soll 1998 eingerichtet und 1999 eröffnet werden.
     Stukkateure haben bereits nach alten Befunden und Vorlagen die Wandelgänge um den Lichthof unter einem hohen Glasdach wiederhergestellt. In den 60er und 70er Jahren waren die auffälligen Schmuckdetails und Profile abgeschlagen worden, um »glatte« Konturen zu gewinnen. Wilhelminischer

Prunk war damals als Un-Kunst suspekt. Derzeit wird der Boden des Riesenraums ausgebaggert. Das ist ein wichtiger Eingriff in die Struktur des Hauses, denn der Hauptsaal war nie unterkellert. In dem unterirdischen Raum, einer Schatzkammer nicht unähnlich, sollen nach Worten des stellvertretenden Museumsdirektors Hans Hübner besonders interessante Postwertzeichen und Briefe, bibliophile Drucke und historische Landkarten gezeigt werden.
     Mit der Wiederherstellung des Postmuseums erhält Berlin ein lange vergessenes Juwel wilhelminischer Baukunst zurück. Bereits um 1872 hatte der weitblickende Generalpostmeister Heinrich von Stephan (1831-1897) angeregt, eine Sammlung postalischer Belege und Zeugnisse — von Briefen, Postwertzeichen, Stempeln und Kopiermaschinen bis zu Briefkästen und Kutschen anzulegen. Damit entstand das erste und für lange Zeit größte Postmuseum der Welt. 1897 umfaßte der Katalog des Reichspostmuseums bereits mehr als 6 000 Ausstellungsobjekte zur Geschichte des Verkehrs und Nachrichtenwesens. Die Ausstellungspolitik berücksichtigte die Technikbegeisterung der damaligen Zeit, und außerdem sicherte der exzellente Standort nicht weit vom Brandenburger Tor dem Museum großen Zulauf. Ein »anständig gekleidetes« Publikum besah sich die Exponate zunächst im preußischen Generalpostamt Leipziger Straße 15, neben dem heutigen Postmuseum, doch reichte der
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Platz schon bald nicht mehr aus. Das Interesse wuchs, so daß Ende des vorigen Jahrhunderts unter dem kaiserlichem Adler, der für alle Postbauten vorgeschrieben war, ein neues, repräsentativeres Eckgebäude mit drei Geschossen nach Entwürfen des Architekten Ernst Hake errichtet wurde.
     Die von einer speziellen Behörde errichteten Bauten der Reichspost besaßen damals, ähnlich denen der Justiz, ausgesprochenen Repräsentationscharakter. Bei solchen Postpalästen wurden weder Mühen noch Kosten gespart, in ihnen die ganze Pracht der wilhelminischen Ära zur Schau zu stellen. Kaiser Wilhelm II., der solche Staatsbauten genehmigen mußte, befand beim Betrachten der Entwürfe für das Reichspostmuseum kurz und bündig: »Gut! Reiner und einfacher Styl«. Erwähnenswert ist das kaiserliche Schwarz- Weiß- Rot im Innenraum. Säulen aus schwarzem und rotem Marmor kontrastieren zu hellem Sandstein und ergeben so die Farben des deutschen Reiches.
     Die Postbauten an der Leipziger Straße wurden im Zweiten Weltkrieg außen und innen schwer beschädigt. Der Lichthof trug erhebliche Schäden davon. Das Glas war durchschlagen, und der Fußboden durch Splitterwirkung beschädigt. 1947 wurde die Bausubstanz durch Überdachung des Lichthofes in der Höhe der zweiten Galerie gesichert, und in den 50er Jahren konnte man auf einer Fläche von 1 200 Quadratmetern den Ausstellungsbetrieb aufnehmen. Der
wenig sorgsame Umgang mit der historischen Bausubstanz verursachte Jahre später hohe zusätzliche Kosten, als die einstigen Schmuckdetails anhand erhalten gebliebener Reste mühevoll zurückgewonnen wurden. Einschußspuren an der Fassade des Postmuseums sind größtenteils beseitigt. Doch an einigen Stellen hat man die Löcher nicht geschlossen – Geschichte soll nicht getilgt werden.
     Die Metallfiguren eines Briefträgers, Postillons, Telefonisten, Telegrafisten, eines Schiffsführers und Eisenbahnfahrers werden bald den Lichthof schmücken, während auf eine Büste Kaiser Wilhelms II. verzichtet werden muß. Sie gehört zu den Kriegsverlusten. Zum denkmalpflegerischen Programm gehört die Nachbildung der von Ernst Wenck geschaffenen meterhohen Gigantengruppe auf der Attika. Dem Berliner Kunstschmied Fritz Kühn diente ein verkleinertes Modell als Vorlage für die Wiederherstellung der Kupfertreibarbeit. Die drei Riesen, die eine Weltkugel tragen, sollen noch in diesem Jahr auf das Dach gehievt werden. Hingegen wird aus Kostengründen auf die Wiederherstellung der beiden Türme links und rechts der drei Tonnen schweren Skulptur verzichtet.
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© Edition Luisenstadt, 1997
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