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115 Geschichte und Geschichten![]() | Entnazifizierung in Berlin ![]() ![]() |
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sten, Kriegsverbrecher und Personen,
die sich in Staat, Wirtschaft und Kultur an den NS- Verbrechen mitschuldig gemacht
hatten, gemäß alliierter Absprachen verhaftet
und interniert. Zahlreiche Hauptbelastete waren bei Kriegsende untergetaucht oder in
die Westzonen geflüchtet, wo sie eine mildere Behandlung erhofften. Besonders
suchten sowjetische Stellen nach »Werwölfen«.
Viele Jugendliche, grundlos beschuldigt oder denunziert, gerieten damals in das Räderwerk der sowjetischen Militärorgane und ihrer Staatssicherheit (NKWD). Stellvertretend sei das Schicksal von Horst Herrmann genannt, der mit 16 Jahren am Endkampf um Berlin teilnahm. Im Juni 1945 warf ihm die Militärkommandantur Prenzlauer Berg vor, ein »Werwolf« zu sein, und steckte ihn ins Internierungslager Hohenschönhausen, Genslerstraße. Ein Jahr später wurde er von einem sowjetischen Militärtribunal im Schnellverfahren zu zehn Jahren Freiheitsentzug verurteilt und in ein sibirisches Arbeitslager verschleppt, aus dem er erst Ende 1953 zurückkehrte. Seine Familie hatte all die Jahre über nichts von ihm gehört. 1) Im Mai 1945 stand die »Entnazifizierung durch Arbeit« im Vordergrund. Unter Androhung von Haft- oder Geldstrafen bzw. dem Entzug der Lebensmittelkarte mußten die erfaßten Nazis zu besonders schweren Arbeiten antreten. Das Bezirksamt Neukölln rechtfertigte dies am 14. Mai 1945: »Die Nazi- | ||||||
Gerhard Keiderling
Von Säuberungen, »Persilscheinen« und Mitläufern Der Beginn der Entnazifizierung in Berlin 1945 Mit dem Befehl Nr. 1 des sowjetischen Stadtkommandanten Generaloberst N. E.
Bersarin vom 28. April 1945, der die NSDAP und
ihre Gliederungen verbot, setzte ein politisch- rechtliches Verfahren ein, auf das sich
die vier alliierten Siegermächte schon vor
der Kapitulation Hitler- Deutschlands geeinigt hatten: die Entnazifizierung, d. h.
Ausrottung des Nationalsozialismus, Säuberung
der Gesellschaft von Funktionären und Nutznießern der NSDAP, Ausschließung von mehr als nur nominellen Mitgliedern der Nazi- Partei vom öffentlichen Leben, Abschaffung von NS-Symbolen, Straßennamen und Denkmälern u. a. m. Die sowjetische Besatzungsmacht ging von Anfang
an mit aller Strenge vor. Ihr Organ
»Tägliche Rundschau« verlautbarte am 17. Mai
1945: »Der Nazismus wird ausgerottet werden, ganz gleich ob sich die deutsche
Bevölkerung daran aktiv beteiligt oder nicht.«
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partei hat die friedliebenden Teile
Berlins noch in den letzten Stunden ihrer Herrschaft zur Fronarbeit für ihren
verbrecherischen Krieg gezwungen. Unter Aufsicht
und unter der Knute der Mitglieder dieser Partei mußten Männer, Frauen und Kinder
schanzen, wertvolles Kulturgut vernichten und sinnlose Zerstörungen vornehmen.
Diese Taten der Mitglieder der NSDAP fordern und berechtigen ihren Sondereinsatz. Aufräumungsarbeiten, Fortschaffen der
Barrikaden, Abtransport von Munition, schwere und gefährliche Wiederaufbauarbeiten
werden im Sondereinsatz der ehemaligen Büttel des Naziregimes erledigt.«
Dennoch kritisierten die Berliner eine »zu weiche« Behandlung der Nazis. Erbost schrieb der Ortsbürgermeister von Britz am 15. Mai 1945: »Es kommt noch immer vor, daß ehemalige Mitglieder der NSDAP spazieren gehen, während Frauen und Hausbewohner den Schutt allein von den Straßen räumen.« Großen Unmut erregte es, daß bei der Vergabe der Lebensmittelkarten Nazis nicht »sonderbehandelt« wurden und daß die Besatzungsorgane bei der Requirierung von Wohnraum keinen Unterschied zwischen Faschisten und Antifaschisten machten. Mit dem Wiederbeginn des politisch- administrativen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens setzte ab Mitte Mai 1945 die Säuberung der neuen Ämter von Nazis ein. Sie geschah arbeitsrechtlich dadurch, daß der betroffene Personenkreis entlassen bzw. | nicht wieder eingestellt wurde. Der
Magistrat hatte im Juni 1945 eine Reihe entsprechender Verordnungen erlassen. Doch
deren Ausführung stieß auf Hindernisse.
Personalunterlagen waren in den Kriegswirren vernichtet worden. Mancher täuschte eine andere Vergangenheit vor oder bewarb sich von vornherein bei einer Behörde bzw. in einem Stadtteil, wo man ihn nicht
kannte. Es wurden »Unbedenklichkeitsbescheinigungen«, im Volksmund »Persilscheine« genannt, vorgelegt, die sich Nazis untereinander ausstellten. Hier ein Muster:
»Bürgermeisterei Berlin- Karlshorst, den 28. 5. 45: Unbedenklichkeitserklärung! Nach den mir vorliegenden Aussagen und eidesstattlichen Erklärungen beantrage ich die Streichung des ..., geb. ... in ..., wohnhaft Karlshorst ..., von der Liste der NSDAP mit der Begründung, er war nur gezwungen Pg 2) und nie Gesinnungs-Pg.« Möglichkeiten, sich der Entnazifizierung zu entziehen, gab es viele. Als im Sommer 1945 die Flüchtlinge aus dem Osten in die Stadt drängten, wurde es noch schwieriger, die »Spreu vom Weizen« zu trennen. Damals machte ein Vierzeiler die Runde: »Ich komme aus dem Osten und suche einen Posten. Meine Papiere sind verbrannt, Adolf Hitler habe ich nie gekannt.« Andererseits gerieten Unbescholtene durch Denunziation in das Räderwerk der Besatzungsorgane. Die Beschuldigten stan- | |||
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den den Vorwürfen meist völlig hilflos gegenüber und mußten oftmals
Verhaftung, Internierung und Arbeitslager über sich ergehen lassen.
Am 30. Juni 1945 befahl der Oberste Chef der SMAD, Marschall G. K. Shukow, binnen drei Tagen sämtliche Nazis aus der Stadtverwaltung zu entlassen. Die Sowjets wollten offenbar den am 4. Juli einziehenden Westmächten eine »nazireine« Hauptstadt präsentieren. Der Stadtrat für Personal und Verwaltung, Arthur Pieck Sohn des KPD- Vorsitzenden Wilhelm Pieck -, teilte am 9. Juli 1945 mit, aus der Stadtverwaltung, in der mehr als 80 000 Personen beschäftigt waren, seien 25 740 Mitglieder der NSDAP entlassen worden. Es zeigte sich jedoch, daß die Probleme in der zerstörten Stadt nicht ohne NS-belastete Fachleute bewältigt werden konnten. So wurden über 100 Nazis in leitenden Positionen der Verwaltung und der städtischen Wirtschaft weiterbeschäftigt. Der Oberbürgermeister rechtfertigte dies im Oktober 1945 damit, »daß man Ausnahmen machen müßte. Es gibt genügend Beweise dafür, daß sich Mitglieder der NSDAP besser und anständiger betragen haben als Leute, die sich heute als große Antifaschisten aufspielen.« Die Westalliierten brachten im Juli 1945 eigene Vorstellungen von »Denazification« und »Reeducation« mit, die sie in ihren Besatzungssektoren praktizierten. In der Alliierten Kommandantur der Stadt Berlin zo- | gen sich die Beratungen über
einheitliche Direktiven in die Länge.
In der deutschen Öffentlichkeit wurde über die Behandlung der sogenannten »einfachen« oder »nominellen Pg« lebhaft diskutiert. Bei rund zehn Millionen NSDAP- Mitgliedern war eine Differenzierung zwischen »Naziaktivisten« und »nichtaktivistischen Nazis« geboten. Galt es doch, Millionen irregeführter Deutscher aufzuklären und für die Mitwirkung an einem neuen demokratischen Gemeinwesen zu gewinnen. Das sogenannte Mitläuferproblem wurde seit Herbst 1945 zu einer Schlüsselfrage der Entnazifizierung. Das meist undifferenzierte Vorgehen der alliierten und deutschen Stellen stieß bei der Bevölkerung, die sehr wohl die Entnazifizierung für nötig hielt, auf harte Kritik. Der Unmut entzündete sich daran, daß die kleinen Pg's als erste an die Reihe kamen und teilweise zu hart bestraft wurden. Die vier neuen Parteien, die im Juni/Juli 1945 in Berlin zugelassen worden waren, sprachen sich für eine ausgewogene und gerechte Behandlung der Betroffenen aus und verhehlten dabei nicht parteiegoistische Ziele. CDU und LDP lag an der Gewinnung des Mitglieder- und Wählerpotentials aus dem vorwiegend (klein-) bürgerlichen Lager. Aber auch die KPD, die mit ihrer Bündnispolitik einen Eingang in die ihr bisher verschlossen gebliebenen Kreise des Mittelstandes und des gehobenen Bürgertums erhoffte, um- | |||
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warb diese Kreise. Im Vertrauen auf ihre Erfahrungen mit dem »Nationalkomitee Freies Deutschland« (19431945), wo
deutsche Offiziere und Soldaten in sowjetischer Kriegsgefangenschaft massenhaft einen
politischen Wechsel vollzogen hatten, erhoffte sie sich einen großen Zulauf aus dem
Heer der »Ehemaligen«.
Fred Oelßner, in der KPD- Führung für Agitation und Propaganda verantwortlich, erklärte im Oktober 1945: »Wir wollen keine Werbekampagne unter den Pg entfalten; Pg jetzt in unsere Partei aufnehmen zu wollen, ist lächerlich. Ausnahmen werden nur bei Jugendlichen gemacht. Das ist notwendig. Es gab in Deutschland immerhin Millionen Hitleranhänger (wenn auch nicht Mitglieder), die man schließlich nicht alle bestrafen und aufhängen kann. Aber in welchem Lager die Hitleranhänger morgen stehen werden, das ist von entscheidender Bedeutung. Darum sagen wir ganz klar: >Jawohl, wir wollen nicht eine Hetze und Strafe gegen die kleinen Pg. Wir wollen ihnen die Möglichkeiten geben, sich mit aktiv am Aufbau zu bewähren und nach einer gewissen Bewährungsfrist in unsere Partei zu kommen.< Und warum sollen Pg sich nicht bewähren? Man kann doch diesen Millionen nicht für ewig den Weg versperren.« Die KPD- Führung trug ihre Wünsche der SMAD vor. Am 23. Januar 1946 gab Stalin sein Einverständnis. Pieck notierte: »Taktische Linie bei Behandlung der Nazimitglie- | der: differenzieren aktive Nazis weiter
wie bisher bekämpfen, nominelle Mitglieder
der Nazipartei heranziehen, ihnen sagen, daß bei loyalem Verhalten auf unsere Unterstützung rechnen, daß wir ihnen Arbeit anvertrauen.« Pieck teilte diese »Linie«
auf einer Kundgebung des Blocks der vier Parteien am 30. Januar 1946 im Haus des
Rundfunks in der Masurenallee mit. Obwohl sie den Prinzipien der
Entnazifizierungspolitik der vier Mächte entsprach und in der
Bevölkerung gewünscht worden war, löste
sie dennoch eine leidenschaftliche Debatte aus. Vor allem in KPD und SPD gab es heftigen Widerspruch; man hielt eine solche
moderate Behandlung der Nazis für
verfrüht und zu weitgehend. Hingegen
schöpften Abertausende kleiner Pg's neue
Hoffnung auf Rückkehr in ihre Berufe und somit
in eine gesicherte Existenz.
Quellen:
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© Edition Luisenstadt, 1997
www.luise-berlin.de