106   Geschichte und Geschichten Konferenz der »Deutschen Mittelstelle«  Nächste Seite
auf der Synode der Bekennenden Kirche in Barmen verabschiedet – heißt es in der 5. These: »Die Schrift sagt uns, daß der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat, in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen. Die Kirche erkennt in Dank und Ehrfurcht gegen Gott die Wohltat dieser seiner Anordnung an. Sie erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten. Sie vertraut und gehorcht der Kraft des Wortes, durch das Gott alle Dinge trägt.«2)
     Kirchen- und theologiegeschichtlich betrachtet, ist in diese grundlegende »Barmer Theologische Erklärung« der Bekennenden Kirche zum Teil ein Erbe aufgenommen worden, das auf den Theologen und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer (1906–1945) zurückgeht: Auf Initiative von Dietrich Bonhoeffer tagte vor 65 Jahren – vom 29. bis 30. April 1932 – im Berliner Kirchenbundesamt eine Konferenz der »Deutschen Mittelstelle für ökumenische Jugendarbeit«. Ein Jahr zuvor war Bonhoeffer auf der Jahrestagung des Weltbundes für Internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen in Cambridge zum internationalen Jugendsekretär gewählt worden.
     Um Kirche und Theologie vor dem Nationalsozialismus zu schützen bzw. um sich von
Hans-Joachim Beeskow
Ist die bestehende Ordnung in Ordnung?

Über die Konferenz der »Deutschen Mittelstelle für ökumenische Jugendarbeit«

Als die Nazis am 30. Januar 1933 die Macht ergriffen, sollte das Führerprinzip auch in den Kirchen zur Geltung gebracht werden. Das stellte die Kirchen vor grundlegende Entscheidungen. Im Zuge dieses Entscheidungsprozesses entstanden einerseits die Bekennende Kirche, die das Führerprinzip entschieden ablehnte, und andererseits die Partei der »Deutschen Christen«, die bereit war, »eine Kapelle zu werden unter dem großen, umfassenden Dach des Tempels des deutschen Volkstums und des deutschen Menschen, des Heiligtums der Rasse, des Blutes und des Bodens ...«1).
     Die »Deutschen Christen« ließen sich vom nationalsozialistischen Staat gleichschalten. Sie betrachteten den NS-Staat als »gottgegeben«, als »Schöpfungsordnung«. Die Bekennende Kirche hingegen sah jede Ordnung unter dem Aspekt der »Erhaltung«, d. h. jede Ordnung steht unter dem Zorn und der Gnade Gottes und kann um Christi willen preisgegeben werden. In der »Barmer Theologischen Erklärung« – sie wurde 1934

SeitenanfangNächste Seite


   107   Geschichte und Geschichten Konferenz der »Deutschen Mittelstelle«  Vorige SeiteNächste Seite
ihm deutlich abzugrenzen, machte Dietrich Bonhoeffer auf der Berliner Tagung der »Deutschen Mittelstelle ...« den Begriff der Erhaltungsordnung geltend. Mit theologisch exakten Formulierungen sprach Bonhoeffer das mit diesem Begriff inhaltlich Gemeinte so aus: »Der Unterschied (zwischen Schöpfungs- und Erhaltungsordnung, H.-J. B.) sei der, daß vom Begriff der Schöpfungsordnung her gewisse Ordnungen, Gegebenheiten als an sich wertige, urständliche, als solche >sehr gute< angesehen werden, während mit dem Begriff der Erhaltungsordnung gemeint sei, daß jede Gegebenheit nur von Gott in Gnade und Zorn erhaltene Gegebenheit sei im Ausblick auf die Offenbarung in Christus. Jede Ordnung unter der Erhaltung Gottes sei ausgerichtet auf Christus und nur seinetwegen erhalten. Eine Ordnung ist nur solange als Erhaltungsordnung Gottes anzusehen, als sie noch offen ist für die Verkündigung des Evangelismus. Wo eine Ordnung, und sei sie die ursprünglichst scheinende, Ehe, Volk usw. dieser Verkündigung verschlossen ist, muß sie preisgegeben werden. Statt von der Schöpfungsordnung her müsse allein aus der in Christus gegebenen Offenbarung Gottes die Lösung des allgemein ethischen ... Problems gesucht werden.«3) Dietrich Bonhoeffer, der später wegen seiner antifaschistischen Gesinnung und Haltung von den Nazis ermordet wurde (am 9. April 1945), deutete hier bereits die Konsequenzen an, die sich aus der Beibehaltung des Begriffes Schöpfungsordnung (die »Deutschen Christen« taten dies) ergeben. Von der Schöpfungsordnung her könnte überhaupt jede Ordnung »als gottgewollt« gerechtfertigt werden.
     Sehr bezeichnend war in diesem Zusammenhang die Äußerung des ebenfalls auf der Konferenz anwesenden nationalsozialistischen Pfarrers Peters, der später Deutsch- Christlicher Bischof in Magdeburg wurde. Er gab zu bedenken: »Schöpfungsordnung sei gar nicht Gegenstand des Erkennens, sondern einfach des Gegebenseins.«
     Ein weiterer Teilnehmer an der Konferenz, der Münsteraner Theologieprofessor Wilhelm Stählin, bestritt energisch, daß man die Möglichkeit habe, zu entscheiden, wann der Augenblick gekommen sei, im Sinne der »Erhaltungsordnung« eine bestehende Ordnung um Christi willen preiszugeben. Nach W. Stählin führe Bonhoeffers Argumentation sehr leicht in gewisse weichlich- pazifistische Ideen hinein, die unchristlich seien. Dietrich Bonhoeffer dagegen hielt es für ein verantwortlich theologisches Denken geradezu für unerläßlich und geboten, eine Entscheidung darüber zu fällen, ob eine bestehende Ordnung in Ordnung ist und »eine nur noch unter der Erhaltung stehende Ordnung zerbrochen werden müsse, weil sie nicht mehr offen sei für die Offenbarung in Christus. Und dieses sich Entscheiden sei gerade jeder Weichheit fern«.4)
     Auch in seinem berühmt gewordenen Vor-
SeitenanfangNächste Seite


   108   Geschichte und Geschichten Konferenz der »Deutschen Mittelstelle«  Vorige SeiteAnfang
trag am 26. Juli 1932 in Ciernohorske Kupele (Tschechoslowakei), in dem Bonhoeffer u. a. »die Ordnung des internationalen Friedens« als Gottes Gebot für uns heute bezeichnete, formulierte er nochmals seine theologische Position gegen die Vertreter der »Schöpfungsordnungstheologie«. In dem Argument, das Gebot Gottes in der Schöpfungsordnung zu finden, ist die große Gefahr zur Stelle, »daß sich von hier aus grundsätzlich alles rechtfertigen läßt. Man braucht ein Daseiendes nur als Gottgewolltes, Gottgeschaffenes auszugeben, und jedes Daseiende ist für Ewigkeit gerechtfertigt, die Zerrissenheit der Menschheit in Völker, nationaler Kampf, der Krieg, die Klassengegensätze, die Ausbeutung der Schwachen durch die Starken, die wirtschaftliche Konkurrenz auf Tod und Leben.«5)
     Die sich auf der Konferenz der »Deutschen Mittelstelle« in Berlin des Jahres 1932 abzeichnenden, deutlich erkennbaren theologischen Fronten sind bereits die des späteren Kirchenkampfes während der Nazizeit. Es waren bekanntlich dann die »Deutschen Christen«, die mit ihrer Schöpfungsordnungstheologie den nationalsozialistischen Staat für in Ordnung, als »gottgewollt« erklärten.
     Die Konferenz der »Deutschen Mittelstelle ...« 1932 in Berlin gehört zu einem sehr wichtigen Kapitel der Vorgeschichte der Bekennenden Kirche, die sich später theologische Positionen von Dietrich
Bonhoeffer zu eigen machte und im wesentlichen praktizierte.

Quellen:
1     Karl Barth: Not und Verheißung im deutschen Kirchenkampf, Bern 1938, S. 5
2     Ernst Wolf: Barmen. Kirche zwischen Versuchung und Gnade, München 1984, S. 137
3     Dietrich Bonhoeffer: Gesammelte Schriften, hrsg. von Eberhard Bethge, Band 1 (Ökumene), München 1958, S. 129
4     Ebenda, S. 131
5     Ebenda, S. 149

Weiterführende Literatur:
Eberhard Bethge: Dietrich Bonhoeffer. Eine Biographie, München 1970

SeitenanfangAnfang

© Edition Luisenstadt, 1997
www.luise-berlin.de