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materiell und ideell erleiden mußte,
das Quellenmaterial zur historischen Topographie wesentlich breiter ist, als allgemein
angenommen wird.
Nennen will ich hier vor allem Ernst Fidicin, insbesondere sein Werk »Berlin historisch und topographisch dargestellt«. Er hat mit dieser Darstellung und ihrer Materialfülle Maßstäbe gesetzt und gleichzeitig eine unverzichtbare Quellensammlung vorgelegt. Seinen Erkenntnissen zur Topographie von Orten etwas zuschreiben zu können, ist für jeden Historiker gleichzeitig ein großer Ansporn. Sehr stark beeindruckt hat mich auch die Publikation von Gandert über die Bewirtschaftung kommunaler Gartenanlagen, die, obgleich »nur« gartenhistorischen und architektonischen Aspekten gewidmet, eine Fülle von Materialien zu einem breiten Spektrum der Geschichte Berlins enthält. Zu den oben erwähnten Ausnahmen
gehört Ihr Beitrag »Die Provinz Brandenburg in
der NS-Zeit (1933 bis 1945)« in der vom
Akademie- Verlag herausgegebenen
»Brandenburgischen Geschichte«. Ein Blick auf Ihre
wissenschaftliche Entwicklung zeigt, daß die NS-Zeit
durchaus einen gewichtigen Platz in Ihrer Forschungstätigkeit einnahm.
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Pfade in der Geschichte der Stadt legen Der Historiker Laurenz Demps über seine Arbeit Den an Berlin Interessierten sind Sie schon lange kein Unbekannter mehr. Seit den 80er Jahren publizieren Sie zur Geschichte
der deutschen Hauptstadt. 1987 erschien »Der
Gendarmenmarkt«, ihm folgten dann nahezu Jahr auf Jahr recht bemerkenswerte, meist großzügig ausgestattete Bücher, wie »Die Neue Wache« (1988), »Das Brandenburger
Tor« (1990), »Der Schlesische Bahnhof« (1991),
»Der Schiffbauerdamm« (1993), »Der Pariser
Platz« (1995). Im vorigen Jahr »Die
Wilhelmstraße« und »Der Invalidenfriedhof«. Die Titel
machen aufmerksam darauf, daß Sie sich der
Stadtgeschichte, der preußischen und deutschen
Geschichte in und um Berlin, bis auf Ausnahmen, über die Topographie nähern. Warum
dieser Weg der Erforschung und Darstellung?
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halt. Sie ist sekretiert worden. Die
Gründe sind mir nie genannt worden. Die
Nazizeit beschäftigt mich weiterhin. Zur Zeit
sammle ich Material über Zwangsarbeiter- und
Konzentrationslager in Berlin. Ein Bereich, der interessanterweise für Berlin bisher
kaum erkundet wurde. Dies gilt auch für mein
Vorhaben, die Luftangriffe auf Berlin zu dokumentieren. Es soll kein
militärstrategisches Buch sein, davon gibt es genug, sondern
die Wirkung der Luftangriffe auf Berlin und seine Bevölkerung dokumentieren. Von
welcher Seite man die Zeit der NS-Diktatur auch beleuchtet, sie ist der tiefste Bruch
in der Stadtgeschichte, die Verluste und Folgen erheblich und unersetzbar. Sie reichen
vom Ende des liberalen Geistes in der Berliner Bevölkerung über die Vertreibung und
Vernichtung eines ganzen Bevölkerungskreises bis hin zur Vernichtung der Historizität
der Stadt mit Wirkung über die Zeit nach 1945 hinaus.
Sie sind Jahrgang 1940, studierten an der Berliner Humboldt- Universität Geschichte
und Kunstgeschichte. Sie promovierten und habilitierten sich mit Themen, die zwar Aspekte
der Berliner Geschichte zum Inhalt hatten, jedoch keinesfalls zwangsläufig den Weg zum
Chronisten der Berliner Stadtgeschichte wiesen.
Wann und warum entschieden Sie sich dafür?
| die zerstörte Stadt gewandert. Er weckte
in mir die Neugierde auf das Berlin, wie es vor dem Zweiten Weltkrieg existierte, und
zog mich hinein in die vielfältigen
Diskussionen über das Berlin der Nachkriegszeit.
Während meiner Lehre bei der Berliner Reichsbahn lernte ich dann die Stadt aus
einem ganz anderen Blickwinkel kennen: den riesigen komplizierten Mechanismus eines
historisch gewachsenen Verkehrsystems einer Großstadt. Hinzu kam das besondere
Erlebnis, das einem die Reichsbahn als Berliner Gesamtbetrieb in der ansonsten
geteilten Stadt verschaffen konnte. So war ich als
Ostberliner als Aufsicht auf dem Bahnhof Westkreuz tätig.
Auch während meines Studiums ließ mich Berlin nicht los. Im Fach Kunstgeschichte war Berlin ebenso das Thema einer Reihe von Seminarreferaten wie meiner Abschlußarbeit. Die endgültige Weichenstellung für meine wissenschaftliche Arbeit fiel in eine Zeit, als in der DDR ein langsames Umdenken im Erbe- und Tradtionsverständnis begann. Vor dem Hintergrund der damit im Zusammenhang stehenden Diskussionen fiel die Entscheidung, an der Universität endlich wieder Landesgeschichte zu lehren. Als ich nach der Habilitation das Angebot bekam, mich dem neu gegründeten Lehrstuhl, den Professor Materna eingerichtet hatte, anzuschließen, nahm ich mit Freuden an. Vor dem Hintergrund der Teilung der Stadt und des Kalten Krieges war Stadtgeschichts- | ||||
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schreibung mit ideologischen Vorgaben
und Vorurteilen auf beiden Seiten verknüpft,
wobei die wissenschaftliche Arbeit in Ost-Berlin
in weit stärkerem Maße beeinflußt war. Was
von Ihrer Forschung hat nach dem Fall der Mauer Bestand?
Laurenz Demps: Die Frage nach dem, was bleibt, war vor 1989 in etwa identisch mit der Frage, was hat Geltung in Ost und West. 1977 habe ich im Jahrbuch des Märkischen Museums eine Gesamtübersicht über die Luftangriffe auf Berlin publiziert. Sie wird heute noch zitiert, weil es immer noch die einzige ist und sie den damaligen Forschungsstand adäquat widerspiegelte. Sich mit seinen wissenschaftlichen Arbeitsergebnissen zur Zeit der Teilung durchzusetzen bzw. sie öffentlich zu machen, war natürlich mit vielen Schwierigkeiten und Diskussionen verbunden. Als ich 1986 meine Übersicht über die Zwangsarbeiterlager in Berlin publizierte, wurde mir in der DDR indirekt der Vorwurf gemacht, hier eine Gesamtberliner Verantwortlichkeit in den Vordergrund zu stellen, ohne zu differenzieren. Dagegen wurde uns Anfang der 80er Jahre zu unserem Buch »Berlin wird Weltstadt« von Westberliner Rezensenten der Vorwurf gemacht, wir hätten Gesamt- Berlin zu wenig betrachtet, weil nur 30 Prozent der Abbildungen dem Westteil der Stadt entstammten. Dabei wurde sowohl vergessen, daß es zur Jahrhundertwende kein West-Berlin gab, als auch die Tatsache, daß die | kulturhistorisch bedeutsamsten
Ansichten sich nun mal im historisch gewachsenen Zentrum der Stadt häuften, das nach der
Teilung der Stadt zum Ostteil gehörte.
Je weiter eine Sache zurücklag, um so unkomplizierter konnte man mit ihr umgehen. Das war für die Ereignisse des 20. Jahrhunderts schon weitaus schwieriger. Ich denke dabei auch an den von mir verfaßten Abschnitt über Berlin in der Nazizeit in der »Geschichte Berlins von den Anfängen bis 1945«. Die unzulängliche Quellenlage und die zwingenden ideologischen Vorgaben haben hier kein Ruhmesblatt Berliner Geschichtsschreibung entstehen lassen. Trotzdem glaube ich, daß viel von dem, was DDR- Historiker erkundet, dokumentiert und publiziert haben, bleiben wird. Ich denke dabei an solche herausragenden Arbeiten wie die von Kurt Wernicke über die Revolution von 1848/49 oder an das, was Goralczyk über den Gendarmenmarkt geschrieben hat. Gleichwohl scheint mir ein Blick auf die Liste Ihrer Publikationen und die anderer
Ostberliner Historiker, die Topographie der Stadt betreffend, die Vermutung zu bestätigen,
daß manche Orte erst mit dem Fall der Mauer
wissenschaftlich erkundbar und ohne ideologische Vorbehalte publizierbar waren.
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den ich in meiner Habilitationsschrift
über die Entstehung der Gestapo in Berlin ausführlich behandelt habe. Andere Sachen
dagegen gingen nicht, z. B. Publikationen
über Spandau oder Charlottenburg.
Glauben Sie, daß Ihre Arbeiten über
die »Wilhelmstraße« und den
»Invalidenfriedhof« in der DDR gefördert und publiziert
worden wären?
Wie sieht es denn in der Werkstatt des Chronisten der Berliner Geschichte aus?
| schaft anregen. Ist die Sammlung für
ein Thema in etwa abgeschlossen und das Material geordnet, dann arbeite ich
konzentriert und in einem Zug an der Publikation.
Aber es treten auch Verlage an mich heran und schlagen interessante Projekte vor.
Sie gehören zu den Wissenschaftlern, die
sich aktiv in Politik einmischen, zumindest galt dies für die Vergangenheit. Sie waren
Mitglied der Ostberliner Stadtverordnetenversammlung. Welche Erfahrungen konnten Sie
sammeln und welche Ihrer Vorstellungen erwiesen sich als Illusionen?
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meiner Mitgliedschaft in der
Stadtverordnetenversammlung ich war
Mandatsträger des Kulturbundes der DDR während
der Jahre 1989 und 1990 nicht missen. Es war eine interessante und spannende Zeit
meines Lebens.
Am 3. November 1989 habe ich zum ersten Mal in der Stadtverordnetenversammlung gesprochen und den Vorschlag unterbreitet, Magistrat und Stadtverordnetenversammlung zu trennen, d. h. auch für Ost-Berlin die Gewaltenteilung durchzusetzen, was dann so beschlossen wurde. Es war die Zeit des Aufbruchs, die Zeit der Straße, die Zeit der öffentlichen Anteilnahme an den Diskussionen um die Geschichte und Perspektiven der Stadt und Deutschlands. Ich glaube, daß ich einiges für meine Arbeit als Historiker in dieser Zeit gelernt habe. Sie sind nicht nur für die Verlage,
Buchhändler und Leser ein vielbegehrter Autor. Für
viele Berliner und Besucher sind Sie auch ein
kenntnisreicher Führer durch die Stadt, der
häufig auf Straßen, Plätzen, in historischen
Gebäuden und auf Friedhöfen anzutreffen ist.
Warum nehmen Sie sich diese Zeit?
| ständlich, daß ich die Hörer meiner
Vorlesungen auch an die Orte der Stadt begleite. Außerdem ist das auch für meine
Arbeit sehr nützlich. Man ist gezwungen, den
breiten Materialhorizont, den man sich erarbeitet hat und der keinen interessiert,
anschaulich zusammenzuziehen und einprägsame Wertungen zu bringen. Das hilft
beim Schreiben der Bücher, denn es besteht immer die Gefahr, daß man sich in Nebensätzen in den Orkus der Geschichte schreibt.
Durch die Geschichte einer Stadt zu führen setzt voraus, daß an diesen Orten die
Stadtgeschichte Spuren hinterlassen hat. Mit Ihrem Buch von der Wilhelmstraße haben Sie
das Wagnis unternommen, einen Handlungsort zu beschreiben, der verschwunden ist. Wie
waren die Reaktionen?
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Jetzt wächst zusammen, was
zusammengehört, so verkündete Willy Brandt es
hoffnungsvoll nach dem Fall der Mauer. Wie ist das
unter Berlins Historikern?
Laurenz Demps: Es herrscht eine angenehme Atmosphäre. Dies ist nicht weiter verwunderlich, denn man kannte sich bereits aus der Literatur, arbeitete an einem gemeinsamen Thema und bezog sich aufeinander. Letzteres ergab sich aus dem unterschiedlichen Zugang zu den Archiven. Persönlich lernte ich Kollegen Ribbe im Dezember 1989 bei einer Diskussionsrunde im RIAS kennen. Natürlich wurde über gemeinsame und unterschiedliche Sichtweisen, z. B. anläßlich 750 Jahre Berlin, diskutiert und vieles geklärt, Verständnis für einander und die jeweiligen Arbeitsbedingungen gewonnen. Für das Zusammenwachsen der Chronisten des nun wieder vereinten Berlins steht die gerade veröffentlichte »Brandenburgische Geschichte«, die zur Hälfte von Ost und Westberliner Autoren erarbeitet wurde. Natürlich gab es darauf Reaktionen in der Öffentlichkeit, manch skeptische darunter, aber die positiven Bewertungen überwiegen. Es ist ja keinesfalls zum Nachteil der Stadt, wenn die Kapazitäten zusammengefaßt werden. Sie gehören zu den Professoren der Humboldt- Universität, die nach der Wende, wie es so schön heißt, positiv evaluiert wurden. Wie vollzog sich das für Sie? |
Laurenz Demps: Der Beginn dieser Aktion war recht freundlich und voller Erstaunen seitens der westdeutschen
Kollegen. Viele von ihnen haben bis zum Fall der Mauer kaum unsere Arbeiten zur Kenntnis genommen. Sie waren daher nicht
selten über die hohe Qualität dessen erstaunt,
was ostdeutsche Historiker erforscht und publiziert hatten. Es wurde etwa ein Drittel
der Kollegen positiv evaluiert.
Nachdem ich also nach bundesrepublikanischem Recht berufungsfähig geworden war, bewarb ich mich für die ausgeschriebene Stelle Landesgeschichte. Zu einem ersten Platz hatte es allerdings nicht gereicht. Dann kam das Hochschul- Überleitungsgesetz, und die Personalkommissionen mußten entscheiden, ob jemand weiter beschäftigt wird oder nicht. Nicht wenige Kollegen sprachen sich für mich aus, andere waren der Meinung, ich sei auf Grund meines Mandats als Ostberliner Stadtverordneter und Kulturbundfunktionär zu verstrickt mit dem alten Regime gewesen. Die Auseinandersetzung darüber endete mit einem Kompromiß, wonach ich für zweieinhalb Jahre weiterbeschäftigt werden sollte. Diesen Kompromiß nahm ich nicht an. Vor dem Arbeitsgericht erwirkte ich dann eine Verlängerung meiner Tätigkeit an der Universität bis zum 30. Juni 1999. Ich bin dann der Ostdeutsche, der in diesem Bereich das Licht ausmacht. Einfach war dies alles nicht, es zerrte und zerrt an den Nerven, | |||||
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und es tröstet einen nur bedingt der
Gedanke, daß es anderen weitaus schlechter
ging und geht. Was hilft, ist die Arbeit.
Mit wieviel Mitarbeitern und Studenten arbeiten Sie gegenwärtig und was sind die Inhalte Ihrer Projekte?
An zwei Universitäten Berlins wird Berliner Stadtgeschichte betrieben. Was die einen als glücklichen Umstand betrachten, bedeutet für andere die Aufforderung zur Reduzierung. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Einschränkungen, von denen die Historische Kommission betroffen ist. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung? |
Laurenz Demps: Mit großer Sorge. In
absehbarer Zeit scheiden altersbedingt Professor Materna von der Humboldt-Uni und
Professor Heinrich von der Freien Universität aus, so daß die Zahl der Professoren,
die Stadtgeschichte betreiben, immer geringer wird. Mit den Kürzungen bei der
Historischen Kommission ist die Zahl der
bestallten Historiker ebenfalls reduziert worden.
Übersehen wird bei diesen Entscheidungen, daß zu den Attraktivitäten der
deutschen Hauptstadt deren Stadtgeschichte, die
Zeugnisse Berliner Kunst-, Kultur- und Wissenschaftsentwicklung, die Berliner
Museen usw. gehören. Und eine Stadt, die es
verdammt nötig hat, den Tourismus als wirtschaftliches Standbein auszubauen, kann
auf die Förderung der akademisch betriebenen Stadtgeschichte eigentlich nicht verzichten.
Zu den berufsbedingten Eigenschaften eines Historikers gehört, daß er auch
träumen kann. Wovon träumen Sie?
Das Gespräch führte Hans-Jürgen Mende | |||||
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© Edition Luisenstadt, 1997
www.luise-berlin.de