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Wolfgang Zur
Der Gründer der Berliner Berufsfeuerwehr

Ludwig Carl Scabell (1811–1885)

Wenn die Berliner Berufsfeuerwehr im Jahre 2001 ihr 150jähriges Jubiläum begeht, wird man sich gewiß an einen Mann erinnern, dem die Berliner Feuerwehr viel zu verdanken hat: Ludwig Carl Scabell.
     Leider sind in der Vergangenheit die Geschehnisse um diesen Berliner nicht immer voll erkannt und dargestellt worden. Heute, über 125 Jahre nach seinem Ausscheiden aus der Berliner Feuerwehr, ist die Aufarbeitung dieser Versäumnisse ein schwieriges Unterfangen. Mit den nachfolgenden Zeilen will ich versuchen, etwas Licht in die Vorgänge um den ersten Leiter der ältesten und größten Berufsfeuerwehr Deutschlands zu bringen.
     Wie schwierig das Unterfangen ist, beweist allein die Tatsache, daß im Jahre 1976, zum 125jährigen Jubiläum der Berliner Feuerwehr, noch nicht einmal bekannt war, ob Scabell gebürtiger Berliner war oder nicht. Der einzige Anhalts- und Ausgangs-

punkt für die erforderlichen Recherchen war ein Hinweis in der Fachliteratur, daß Scabell auf dem Friedhof der Petri-Kirchgemeinde in der Friedensstraße beigesetzt worden sein soll. 1979 schließlich gelang es mir durch langwierige, intensive Studien der alten Kirchenbüchern der Petri-Kirchgemeinde, diese wichtige Frage zu beantworten: Ludwig Carl Scabell wurde am 25. September 1811, um 9.30 Uhr in Berlin, Friedrichstraße 204, als erstes Kind des Königlichen Oberwasserbauinspektors Wilhelm Ludwig Scabell (Sohn von Johann David Scabell, Architekt aus Magdeburg) und dessen Ehefrau Caroline Alberine Ulrike, geborene Eitelwein (Tochter des Johann Albert Eitelwein, Oberbaurat, Professor und Direktor der Königlichen Universität) geboren.
     Nach abgeschlossener Schul- und Berufsausbildung heiratete Scabell Franziska Wilhelmine, die Tochter des evangelischen Bischofs und Königlichen wirklichen Oberkonsistorialrates, Propstes zu Cölln, Dr. Neander.
     Über die Stationen Bauinspektor in Liegnitz, Betriebsdirektor der Berlin-Stettiner Eisenbahn und technischer Mitarbeiter im Preußischen Innenministerium wurde Scabell Oberspritzenkommissarius und Bauinspektor beim Berliner Polizeipräsidium. Am 1. Februar 1851 schließlich wurde er zum Königlichen Branddirektor ernannt. Steigbügelhalter Scabells war der damalige Berliner
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Polizeipräsident von Hinkeldey. Über die Gründe, warum er ausgerechnet Scabell in das Amt des Branddirektors berief, ihn mit der umfassende Reorganisation des Berliner Feuerlöschwesens beauftragte, läßt sich nichts Genaues sagen. Sicher spielte seine erfolgreiche Tätigkeit als Oberspritzenkommissarius und Bauinspektor im Berliner Polizeipräsidium eine Rolle, die von ihm bei der Ausübung dieser Tätigkeiten gesammelten Erkenntnisse wirkten sich später positiv beim Aufbau der neuen Berliner Berufsfeuerwehr aus.
     Zwar gab es auch schon vor 1851 festangestellte Löschkräfte in Berlin, deren Organisation und Dienstablauf durch verschiedene Verordnungen geregelt war. So legte die am 6. Juli 1828 erlassenen Wachtordnung für Feuerwachen beispielsweise fest, daß die acht Spritzenhäuser Berlins während der Zeit von 9 Uhr abends bis 7 Uhr morgens mit je einem Rohrmeister und 3 Druckmeistern besetzt zu sein hatte. Diese Wachbesetzung mußte abwechselnd vor dem Spritzenhaus Posten stehen und hatte bei einer Feuermeldung Alarm zu schlagen. Scabell sorgte durch die Neuorganisation im Jahre 1851 u. a. dafür, das die Berliner Berufsfeuerwehr rund um die Uhr – zu jeder Tages- und Nachtzeit – einsatzbereit war.
     Die Unzulänglichkeiten des alten Feuerlöschwesens traten noch einmal deutlich zutage, als am 6. September 1851 auf dem Grundstück des Prinzen Albrecht ein Brand
ausbrach. Die Löschmannschaften waren dem starken Feuer nicht gewachsen, organisatorisch in jeder Hinsicht überfordert. Die von Ludwig Carl Scabell eingeführte Struktur sah u. a. eine völlig neue Form der Alarmierung der Löschkräfte vor. Dem schnelleren Bekanntwerden der Brandbzw. Unfallstelle diente eine elektromagnetische Telegrafenanlage, für deren Anlegung Scabell mit den Herren Siemens und Halske am 20. Juni 1851 einen Vertrag geschlossen hatte. Bis zum Jahre 1852, so sah er vor, sind die dazu nötigen Telegrafenleitungen in die Erde zu verlegen, haben alle 36 Stationen betriebsfähig zu sein. Die Einführung einer solchen Anlage für diesen Zweck war zur damaligen Zeit eine Revolution. Ebenso wie die Fertigstellung des Berliner Rohrnetzes, das für Löschwasser an jedem Ort und zu jeder Zeit sorgte. Nun endlich konnten die fachlich gut ausgebildeten und trainierten Feuerwehrmänner wirksam den »Roten Hahn« bekämpfen. Schnell war der Name des Branddirektors in aller Berliner Munde. Scabell stand für Mut, Sachkenntnis und Sicherheit.
     Als am 6. Februar 1870 in der Stadt Havelberg ein Brand ausbrach, der in seiner Intensität so heftig war, daß er die gesamte Stadt in Schutt und Asche zu legen drohte, wurde die Berliner Feuerwehr zu Hilfe gerufen. Scabell erhielt den Einsatzbefehl durch eine Ministerdepesche: »Auf königlichen Befehl Hilfstruppen der Feuerwehr nach Havel-
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berg.« – Mit einem Extrazug wurden Mannschaften, Fahrzeuge und Gerätschaften zur rund 100 Kilometer entfernten Einsatzstelle gebracht. Nach zehn Stunden Kampf war der Brand gelöscht, die Stadt Havelberg zum größten Teil gerettet.
     Als die »Gründerjahre« über Berlin hereinbrachen erlebte die Stadt eine wahre Bevölkerungsexplosion. Innerhalb von nur 20 Jahren (1871: 931 984 Einwohner; 1890: 1 960 147 Einwohner) wuchs Berlin um eine Million Menschen, die Stadt erlebte einen Bau-Boom wie nie zuvor, neue Industrien entstanden, neue Verkehrsstrukturen, die Zeit war voller Umbrüche. Und machte auch vor der Feuerwehr nicht halt. Als die großen Fabriken sowie die vier- oder fünfstöckigen Miets-
Ludwig Carl Scabell, Königlicher Branddirektor von 1851 bis 1875
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kasernen entstanden, hätte die auch Berufsfeuerwehr auf die neuen Gegebenheiten zugeschnitten werden müssen. Leider verpaßte Scabell (und mit ihm die Feuerwehr) in den Bereichen Organisation und Technik den Anschluß. Hierfür sprechen auch die folgenden Zahlen: Im Jahre 1851 gab es laut Statistik lediglich 140 Brände in Berlin. Ihnen stehen 932 Brände im Jahre 1874 gegenüber. Während die Zahl der Brände sich also um fast 800 erhöhte, wurde das Personal der Berliner Berufsfeuerwehr nur um acht Oberfeuermänner und 16 Feuermänner vermehrt. Dieses Mißverhältnis fand auch keinerlei Kompensierung durch die Einführung neuer Technik.
     Vielleicht hat Scabell dies erkannt und beachtet, vielleicht auch nicht. Als er endlich reagierte, war es bereits zu spät. Die von ihm geforderten Neuanschaffungen und die damit verbundenen Geldmittel wurden einerseits von den zuständigen Institutionen nicht bewilligt, andererseits lief gegen ihn eine Intrige, die ihm auch persönlich zu schaffen machte. Sie zielte auf die Abänderung des Unterstellungsverhältnisses der Berufsfeuerwehr. Der Branddirektor Ludwig Carl Scabell mußte die Lösung der anstehenden Aufgaben seinem Nachfolger im Amt überlassen. All diese Gründe veranlaßten Scabell dazu, sich von seiner Feuerwehr zu distanzieren. Im Januar 1874 wurde bekannt, daß Scabell als Branddirektor der Berliner Feuerwehr seinen Abschied verlangen wird.
Ebenfalls im Jahre 1874 hatte er ein »Pensions-Reglement« für die Feuerwehrleute dem Minister des Innern, dem Polizeipräsidium und dem Magistrat zur Genehmigung vorgelegt. Dieses sehr zeitgemäße und dringend benötigte Reglement – viele Feuerwehrleute zogen sich bei der Ausübung ihres Berufs gefährliche Verletzungen zu, die schließlich zur Dienstunfähigkeit führten – wurde von den Stadtverordneten abgelehnt. Wörtlich hieß es in dem Beschluß: Die Versammlung lehnt die Vorlage des Magistrats ab, erklärt sich jedoch bereit, ein Pensions- und Unterstützungs-Reglement für die Angestellten der hiesigen Feuerwehr mit dem Zeitpunkt festzustellen, mit welchem die Verwaltung des Feuerlöschwesens den städtischen Behörden übertragen wird.«
     Wie Scabell auf diese Ablehnung reagierte, ist nicht bekannt. Im November 1874 jedenfalls wird gegen ihn eine Disziplinarverfahren eingeleitet, in dem ihm eine »ungeregelte Verwaltung« vorgeworfen wird. – In der »Illustrirten Zeitschrift für die Deutsche Feuerwehr« vom 31. Dezember 1874 lesen wir dazu den folgenden Artikel: »Wo viel Intelligenz, macht sich leider auch im Leben viel Oberflächlichkeit und Gemeinheit breit. Dies beweist sich auch bei dem allverehrten Chef der Berliner Feuerwehr, Herrn Branddirektor und Geheimrath Scabell, dessen unermüdliche Tätigkeit und seltenes Organisationstalent bei wahrhaft genialer Leitung der Berliner Feuerwehr
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Struktur der Berliner Verwaltung um 1850

König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen
Der „Romantiker" auf dem Thron von Preußen
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„Persönliches institutionelles
Dauerzutrittsrecht
des Ministerpräsidenten
zum König"
„Persönliches nur von Hinckeldey
(wegen Verhinderung eines Attentats gewährtes) Dauerzutrittsrecht zum König"
(z. T. genutzt: über 50 mal pro Jahr)
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Ministerpräsident
Otto Frh. von Manteuffel
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Preußisches Innenministerium
Ferdinand von Westphalen
(Schwager von Karl Marx)
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Land Brandenburg
(Sitz Potsdam)
Der Polizeipräsident von Berlin von Hinckeldey
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Sicherheitspolizei
Sittenpolizei
Zensurpolizei
Baupolizei
Gewerbepolizei
Fremdenpolizei
Paßwesenpolizei
Politische Polizei
Verkehrspolizei
Brandpolizei Branddirektor Scabell
Beleuchtungspolizei
Kriminalpolizei (1 Leiter & 5 Polizeileutenants)
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„Kirchenpolizei"
„Schulpolizei"
„Gesundheitspolizei"
„Badewannenpolizei"
„Waschtrögepolizei"
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Magistrat von Berlin
Oberbürgermeister von Berlin Wilhelm Krausnick
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allein zu dem Weltrufe verholfen, den wir ihr neidlos zuerkennen müssen. Wer mit eigenem Interesse die von uns gebrachten Artikel über Berliner Feuerlösch-Angelegenheiten verfolgt hat, wird mit uns sagen müssen, daß auch hier traurige Vögel ein kunst- und mühevoll erbautes Nest umkreisen, um sich nach Erreichung schmutziger Ziele recht behaglich und warm einnisten zu können. Einen anderen Zweck können die kontinuierlichen Verdächtigungen und Angriffe eines Mannes nicht haben, der auch, um mit einem neueren geflügelten Worte unseres großen Reichskanzlers zu reden, in unserer Liebe und Achtung thurmhoch und erhaben über jeglicher Verdächtigung steht. Die in unserer letzten Nummer gebrachte Notiz hat sich zudem in einer Weise aufgeklärt, wie es richtiger und eclatanter für einen Ehrenmann nicht getan werden konnte. Scabell hat nämlich, der Verläumdungen gröblichster Natur müde, beim Ministerium des Innern selbst eine Untersuchung seiner Verwaltungsgeschäfte im Schooße der Berliner Feuerwehr kategorisch verlangt, um einer neu zu greifbaren Clique jeglichen Halt und Boden ihrer gemeinen Wühlerei nachhaltig zu entziehen.«
     Wie und mit welchen Konsequenzen dieses Disziplinarverfahren ausging, ist nicht überliefert. Seinem Entlassungsgesuch wurde im Mai 1875 stattgegeben, mit Wirkung vom 1. Oktober 1875 trat Branddirektor Scabell in den Ruhestand. Er war 64 Jahre alt.
Zehn Tage später brannte plötzlich das Hotel Kaiserhof in der Wilhelmstraße. Dieser Hotelbrand hatte neben der Tatsache, daß er der größte zu Berliner Friedenszeiten war, eine überraschende, pikante Note. In einem Zeitungsbericht vom 11. Oktober 1875 lesen wir: »Der Auszug eines Mannes aber rief in allen Anwesenden die wehmütigsten Empfindungen wach. Scabell, der 27 Jahre lang dem Feuer siegreich entgegentrat, der während eines Menschenalters mit bewundernswerter Aufopferung Leben und Eigentum der Berliner so sicher beschützte, daß sie die furchtbare Gewalt des Elements verspotten lernten, dieser Mann, der jetzt gebrochen an Körper und Geist in einem Gasthofe sein Asyl aufschlagen muß, weil ihm bei seinen kärglichen und ungewissen Pensionsverhältnissen die Mittel zur Gründung eines eigenen Heims fehlten, er mußte zum ersten Male dem Feuer weichen. Schweigend, wohl ihrer traurigen Zukunft gedenkend, trugen die Feuerwehrleute die geringen Habseligkeiten ihres bisher unerschrockenen Führers hinab, schweigend halfen sie dem kranken Mann in den Wagen.«
     Am 9. Juli 1885 starb Ludwig Carl Scabell. Er wurde auf dem Friedhof der Petri-Kirchgemeinde beigesetzt. Seine Grabstelle hat den Zweiten Weltkrieg nicht überstanden. 1976 wurde im Berliner Ortsteil Wannsee eine kleine Straße nach ihm benannt.

Bildquelle: Feuerwehr-Museum

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