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Gerhard Fischer
Gleditsch - Vater der Forstwissenschaft

Im Stadtbild des Bezirks Schöneberg läßt sich noch heute an Straßennamen rund um den Heinrich-von-Kleist-Park ablesen, wo sich bis 1910 der Berliner Botanische Garten in etwa befand. Nördlich begrenzte ihn die Pallasstraße, benannt nach dem Berliner Naturforscher Petrus Simon Pallas (1741-1811). Auf sie mündet von Süden her die Elßholzstraße, die an den Botaniker Johann Sigismund Elßholz (1623-1688) erinnert, den Hofmedikus des »Großen Kurfürsten« Friedrich Wilhelm. Parallel zu ihr verläuft die Gleditschstraße, benannt nach Johann Gottlieb Gleditsch, der vier Jahrzehnte lang den Botanischen Garten von Berlin leitete.
     Dennoch sei die Frage erlaubt: Was wissen wir wirklich über ihn? Bestenfalls kennt der Durchschnittsbewohner der Hauptstadt die Gleditschie, einen dornenreichen Parkbaum. Der Botaniker bezeichnet als »Gleditsia« eine aus zehn Arten laubabwerfender Bäume bestehende Gattung von Johannisbrotgewächsen, die ihrerseits zu der großen Familie der Hülsenfrüchtler gehören. Dieser Gattung gab John Clayton (1685-1773) noch zu Lebzeiten seines international bekannten Kollegen Gleditsch den Namen Gleditschie.
     Am 5. Februar 1714 wurde Gleditsch in Leipzig als Sohn eines Stadtmusikus geboren.

Hier besuchte er die Schule und studierte ab 1728 an der Leipziger Universität Philosophie und Medizin. Schon zu dieser Zeit schlug sein Herz für die Botanik, die damals in der Hauptsache als eine Hilfswissenschaft der Medizin betrachtet und gelehrt wurde. Bei Reisen in den Harz, den Thüringer Wald und andere Mittelgebirge beschäftigte er sich eingehend mit den dort noch wild wachsenden Holzarten. Als sich sein Leipziger Universitätslehrer Johann Ernst Hebenstreit (1703-1757) auf Geheiß seines Königs, August des Starken, 1730 auf eine dreijährige Forschungsreise nach Nordafrika begab, vertrat ihn in Leipzig der Jüngling bereits als Kustos des Boseschen Gartens und des Akademischen Botanischen Gartens in der Grimmaischen Straße.
     Seine Studien beendete Gleditsch in Leipzig 1732 mit der Promotion zum Dr. phil. und setzte sie anschließend am Berliner Collegium medicochirurgicum fort, dem 1724 gegründeten wundärztlichen Ausbildungsinstitut, das seit 1726 eng mit der Charité verbunden war. (BM 2/96)
     Auch in Preußens Hauptstadt erwies sich alsbald wieder seine Fähigkeit, Wissenschaft und Praxis miteinander zu vereinen: Im Auftrag Friedrich Wilhelms I., des »Soldatenkönigs«, legte er gemeinsam mit dem Armenarzt und Stadtchirurgen Christian Gottfried Habermaaß zwischen dem Rosenthaler und dem Oranienburger Tor umfangreiche Vorrichtungen zum Auffangen des Flugsandes an, der damals bei Nordwind ständig in die Stadt eindrang.
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Der bekannte Berliner Aufklärer Friedrich Nicolai (1733-1811) erzählt davon 1786 in seiner »Beschreibung der königlichen Residenzstadt Berlin«: »Vor dem Rosenthaler Tore, dem Oranienburger Tore und dem Hamburger Tore ist die sandigste und am wenigsten angenehme Gegend, aber ein aufmerksamer Spaziergänger wird hier mit großem Vergnügen bemerken, wie durch den Fleiß einiger Patrioten seit mehr als fünfzig Jahren der allenthalben waltende ganz unfruchtbare Flugsand durch Weidenzäune und Pflanzungen gehemmt, Alleen angelegt, viele Obstbäume gepflanzt und mit unglaublicher Industrie auf diesem ehmals ganz dürren Boden die schönsten Gartengewächse in größter Vollkommenheit gezogen werden. Diese wichtigen Verbesserungen haben zuerst zwei Männer veranlasset, welche dafür den beständigen Dank der Nachwelt verdienen.
     Es sind dies: der berühmte und um die Mark überhaupt so verdiente Hr. Prof. Gleditsch und der verstorbene Oberinspektor Habermaaß. Der letzte wagte 1732 zuerst, dem alles überziehenden Flugsande, welcher damals alle umliegenden Gärten und Gegenden verderbte und dem niemand Grenzen setzen wollte, einen schmalen Damm entgegenzusetzen, auf welchem Erlen etwas dicht standen. Herr Prof. Gleditsch, als er 1733 nach Berlin kam, riet ihm,
allerhand wuchernde Grasarten, deren Wurzeln sich in diesem dürren Sande am besten erhalten, zu wählen, und zeigte sie ihm an dem Orte, wo sie wuchsen. Besonders empfahl er ihm, das sogenannte Queckengras (um Berlin Päden genennet) von der um Pankow gelegenen Fläche holen zu lassen.«1)
     1735 eröffnete Gleditsch eine ärztliche Praxis im erzgebirgischen Annaberg. 1736 verfaßte er auf den Gütern des Grafen Ziethen in Trebnitz bei Müncheberg einen »Catalogus plantarum«, eine pflanzenkundliche Bestandsaufnahme von dessen großen Gärten. 1740 wurde er zum »Landphysikus«, also zum Amtsarzt, des Kreises Lebus berufen, 1742 promovierte er an der Universität Frankfurt/ Oder zum Dr. med. Hier hielt er in der Folgezeit Vorlesungen über die »materia medica«, insbesondere über Botanik und Physiologie, bis ihn 1744 ein Ruf nach Berlin erreichte.
     Damit begann für Gleditsch eine 42jährige Wirksamkeit als Königlicher Hofrat und Professor der Botanik am Collegium medicochirurgicum, als Ordentliches Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften und Königlicher Botanikus, also als Direktor des Botanischen Gartens. Diese Einrichtung, 1718 von Friedrich Wilhelm I. der Akademie der Wissenschaften angegliedert, wurde ab 1746 von Gleditsch völlig neugestaltet.
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     Nicolai schreibt darüber: »Es wurden neue Gewächshäuser gebauet und wegen der Menge der fremden Pflanzen vermehrt, auch die in freier Luft aushaltenden Stauden und Sommergewächse systematisch geordnet und dazu ein Seminarium errichtet. Zur Beförderung dieser Anstalten tat dieser unermüdliche Botaniker unterschiedliche Reisen und schaffte überhaupt soviel herbei, daß die Anzahl der Pflanzen mit den im Garten ohne Unterhaltung von selbst wachsenden Schwämmen, Schilf-, Gras-, Moos- und anderen Wassergewächsen auf 6000 angewachsen war.«2)
     Von Gleditsch geleitet, erlangte der Garten europäischen Ruf. Dazu heißt es bei Nicolai: »Die Anzahl der Gewächse wird durch die unermüdliche Sorgfalt des großen Pflanzenkenners Herrn Gleditsch beständig unterhalten und auch vermehret. Überhaupt hat dieser Garten, welcher zu seinem Zwecke sehr bequem liegt, darin fettes, mageres, lockeres, festes Gartenland, trockener Heideboden, schlechtes Sandland, Sümpfe und Wiesengrund anzutreffen sind, von Zeit zu Zeit verschiedenen botanischen Gärten und Pflanzungen teils den Anfang, teils beträchtliche Zusätze gegeben; und durch ihn ist auch die Kultur der Gegend von Berlin ungemein verbessert worden.«3)
     In diesem Garten unternahm Gleditsch 1749 seinen berühmten Versuch zur Sexualität der Pflanzen, der als »experimentum Berolinense«, als »Berliner Experiment« in die Geschichte der Botanik einging. Seit dem 17. Jahrhundert nämlich hatten die Gelehrten darüber gestritten, wie sich die Pflanzen vermehren.
Deren bisexuelle Fortpflanzung hatte erstmals der Tübinger Universitätsmediziner und -botaniker Prof. Rudolf Jacob Camerarius (1665-1721, seit 1688 Direktor des dortigen Botanischen Gartens) nachgewiesen, indem er Griffel von Pflanzenblüten erfolgreich mit Pollen bestäubte. Auch daß Insekten den Blütenstaub auf Pflanzennarben übertragen, war erkannt worden. Dennoch zweifelten manche Botaniker weiterhin an, daß dadurch Samen entstehe.
     Um letzte Gewißheit zu schaffen, brachte Gleditsch auf einer weiblichen Dattelpalme, die bis dahin noch nie Samen hervorgebracht hatte, den Staub von Blüten einer männlichen Palme der gleichen Art aus dem Leipziger Botanischen Garten aus - und siehe da: Die Berliner Palme bildete Samen. Zur Sicherheit wiederholte er den Versuch 1750 und 1751 - mit demselben Ergebnis. Darüber berichtete er der wissenschaftlichen Welt 1751 in der Schriftenreihe der Berliner Akademie mit seinem »Essai d'un fécondation artificielle, fait sur l'espèce Palmier, qu'on nomme Palma dactylifera fol. labelliformi« (»Versuch einer künstlichen Befruchtung, durchgeführt an der Palmenart, die >Palma dactylifera ...< heißt«). Bei Nicolai liest sich der Vorgang folgendermaßen: »Was aber vorzüglich diesen Garten bei Kennern der Naturgeschichte in beständigem Andenken erhalten muß, sind die wohlgeratenen Versuche, welche Herr Prof. Gleditsch dreimal gemacht, einen weiblichen Palmbaum, der seit vielen Jahren vergebens geblühet, ohne Früchte zu tragen, durch eine künstliche Begattung vollkommen zu befruchten.
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Er ließ dazu das befruchtende männliche Blumenmehl sich zweimal aus Leipzig und einmal aus Karlsruhe in Briefen schicken. Um gewiß zu sein, daß die Versuche geraten wären, wurden die reifen Datteln in die Erde gesteckt; sie keimten bald, und die jungen Bäume wurden zum Andenken dieser in unserm Jahrhundert so wichtigen Versuche zum Teil in verschiedene Gärten auswärts verschickt, zum Teil befinden sich dergleichen junge, von Samen erzogene Palmen noch im Garten, von welchen die männlichen jährlich blühen, sowie der alte weibliche Mutterstamm.«4)
     Auch der systematischen und der beschreibenden Botanik gab Gleditsch wesentliche Anstöße. Er erforschte, wie klimatische Faktoren die Bewegung von Gewächsen beeinflussen. 1753 erschien sein pilzkundliches Werk »Methodis fungorum«, 1764 sein »Systema plantarum a staminum situ«. Er stellte ein eigenes System der Pflanzen auf, indem er sie nach dem Vorhandensein von Staubgefäßen und nach deren Stellung einteilte. Nach diesen Kriterien unterschied er »Phänostemones« (Phanerogamen, Samenpflanzen) und »Kryptostemones« (Kryptogamen, blütenlose Pflanzen). Obwohl er sich mit dieser Klassifikation und Terminologie von dem Schweden Carl v. Linné (1707-1778) unterschied, blieb er diesem anderen bedeutenden Pflanzensystematiker jener Zeit in Freundschaft verbunden. Als 1735 der Petersburger Botaniker
J. G. Siegesbeck (1686-1755) den schwedischen Naturforscher wegen dessen Sexualsystems der Pflanzen attackierte, veröffentlichte Gleditsch 1740 zu Linnés Ehrenrettung eine Gegenschrift, und 1780 gab er dessen »Philosophie botanica« postum heraus.
     Bleibende Verdienste erwarb sich Gleditsch vor allem, indem er die Pflanzenkunde auf das Forstfach anwendete und damit die Forstbotanik begründete.
     Vor ihm war das Forstwesen eine rein empirische Angelegenheit gewesen, die wissenschaftlich allenfalls von ihrer ökonomischen Seite her, als ein Bestandteil der Kameralistik, behandelt wurde, ohne naturwissenschaftlich-technische Bezüge zu berücksichtigen. Gleditsch gehörte zu den ersten, die der Forstwirtschaft eine wissenschaftliche Grundlage gaben, namentlich durch sein 1774/75 erschienenes zweibändiges Hauptwerk »Systematische Einleitung in die neuere, aus ihren eigentümlichen physikalisch-ökonomischen Gründen hergeleitete Forstwissenschaft«.
     Waren bis dahin in Preußen die Forstleute - etwa an der von Hans Dietrich v. Zanthier gegründeten »Meisterschule« in Wernigerode/ Ilsenburg - fast ausschließlich unter pragmatischen Gesichtspunkten ausgebildet worden, so ordnete Friedrich II. im Jahre 1770 an, in Berlin reitenden Feldjägern und jungen Forstleuten ordentliche Vorlesungen über das Forstwesen zu halten.
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Daraufhin eröffnete Gleditsch noch im gleichen Jahr - vom König und von dessen Minister Freiherr v. Hagen beauftragt - mit der Berliner Forstlehranstalt die erste wissenschaftliche Einrichtung ihrer Art. Er selber erteilte hier wöchentlich acht bis zehn Stunden Unterricht. Bei allem Streben nach theoretischer Fundierung ließ er auch die Praxis nicht außer acht. Davon zeugen sowohl seine 1782 publizierten »Physikalisch-ökonomischen Betrachtungen über den Heideboden der Mark Brandenburg« wie sein tatkräftiger Einsatz für das Ziel, auf solchen Böden schnellwachsende Bäume - ausländische Eichen, Robinien, Koniferen - heimisch zu machen.
     Neben der vielfältigen Lehr- und Forschungstätigkeit - sei es am Collegium medicochirurgicum, am Botanischen Garten oder an der Forstlehranstalt - vereinte Gleditsch weitere ehrenvolle Ämter in seiner Hand. Er war Aufseher des Naturalienkabinetts der Berliner Akademie der Wissenschaften, das im dritten Stock der Sternwarte in der Letzten Straße, der nachmaligen Dorotheenstraße, untergebracht war. 1780 berief man ihn eingedenk seiner medizinischen Kenntnisse zum Mitglied der Hofapothekenkommission. Auch der 1773 gegründeten Berlinischen Gesellschaft Naturforschender Freunde gehörte er an und veröffentlichte Studien in deren »Beschäftigungen naturforschender Freunde«.
     Vor 210 Jahren, am 5. Oktober 1786, ist Johann Gottlieb Gleditsch in Berlin gestorben. Eine Gleditschie wurde auf seinen Grabhügel gepflanzt. Die »Botanica medica« - ein Werk, in dem sich sein medizinisches und sein botanisches Wissen vereinten - erschien 1788/89 aus dem Nachlaß. Sein Neffe und Schüler Karl Ludwig Willdenow (1765-1812), der spätere Berliner Universitätsbotaniker, wurde 1790 sein erster Biograph, trat 1798 seine Nachfolge am Collegium medicochirurgicum und 1801 in der Leitung des Königlichen Botanischen Gartens an. (BM 6/95) Auch auf diesem Wege hat die von Gleditsch begründete Tradition fortgewirkt.

Quellen:
1 Friedrich Nicolai: Beschreibung der königlichen Residenzstadt Berlin. Eine Auswahl, hrsg. von Karlheinz Gerlach, Leipzig 1987, S. 353
2 Ebenda, S. 325
3 Ebenda, S. 326
4 Ebenda, S. 325 f.

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 10/1996
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