83 Geschichte und Geschichten | Astronomenfamilie Kirch |
lehrten Bauern und Astronomen«
Christoph Arnold (1650-1697) in Sommerfeld bei
Leipzig kennengelernt. Arnold, zum Leipziger Freundeskreis Gottfried Kirchs
gehörend, unterrichtete die junge Maria
Margaretha gemeinsam mit ihrem Vormund, dem Pastor Justin Töllner aus dem Nachbarort
Panitzsch, in dessen Haus sie nach dem frühen Tod ihrer Eltern aufwuchs. Das
wißbegierige, an Naturwissenschaften sehr
interessierte junge Mädchen konnte sich auf diese Weise recht umfangreiche, unter anderem auch astronomische Kenntnisse aneignen.
Gottfried Kirch hatte, als er seine spätere Frau kennenlernte, schon ein recht bewegtes Leben hinter sich. Der 30 Jahre Ältere, am 18. Dezember 1639 in Guben/Lausitz als Sohn eines Schneiders geboren, hatte in Jena Mathematik und Astronomie studiert, war wissenschaftlicher Gehilfe des Danziger Astronomen Johannes Hevelius (1611-1687) gewesen und hatte in Königsberg seine Studien beendet. Um 1677 ließ er sich in Lobenstein (Thüringen) nieder und heiratete zum ersten Mal. Hier befaßte er sich mit der Herstellung und Herausgabe von Kalendern mit astrologisch vorausberechneten Witterungsvorhersagen, um damit den Lebensunterhalt für sich, seine Frau und die sieben Kinder, die aus der Ehe hervorgegangen waren, zu bestreiten. Ein Vorhaben, das ihm mehr schlecht als recht gelang. Auch die Übersiedlung nach Leipzig im Jahre 1676, von der er sich eine Verbesserung sei | |||||
Heidrun Siebenhühner
Das Wetterbuch der »Kirchin« Fast 75jährige Beobachtungsreihe der
Am Silvestertag des Jahres 1700 vermerkte Frau Maria Margaretha Kirch
(1670-1720), die Ehefrau des Direktors der
Berliner Sternwarte Gottfried Kirch, in ihrem Tagebuch, daß in Berlin ein Regenbogen zu
beobachten gewesen sei, »ein liebliches
Zeichen bei Beschluß des alten Jahres, ja gar
eines Seculi«.
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ner Lage erhofft hatte, änderte nicht viel
an seiner beruflichen und privaten Situation. Nach wie vor verdiente Gottfried Kirch
das Geld für sich und seine Familie mit der »Kalendermacherei«. Erst durch die
Entdeckung des gewaltigen Kometen, die ihm am 4. November 1680 während eines Aufenthaltes in der damaligen wettinischen
Residenz Coburg gelang, nahm sein Leben eine Wende. Diese Entdeckung bedeutete für Kirch
einen großen persönlichen Erfolg und
rückte ihn in die erste Reihe der Astronomen in
Europa. Er festigte seinen Ruf durch eine Anzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen.
Einen herben Schicksalsschlag hatte Gottfried Kirch im Jahre 1690 hinnehmen müssen, als er seine erste Frau verlor. Auch die sieben Kinder waren bereits in jungen Jahren verstorben. In dieser Situation traf er nun im Hause Christoph Arnolds in Sommerfeld bei Leipzig auf die 30 Jahre jüngere Maria Margaretha Winkelmann. In der Folgezeit begegneten sie sich öfter, und schließlich heirateten beide am 5. Mai 1692. Die Ehe wurde sehr glücklich. Sechs Kinder gingen aus ihr hervor. Zwei von ihnen, Christfried Kirch (1694-1740) und Christine Kirch (1696-1782), setzten die astronomische und meteorologische Familientradition mit großem Erfolg fort. Gottfried und Maria Margaretha Kirch ließen sich bald nach ihrer Hochzeit in Guben nieder, wo sie in Gottfried Kirchs Elternhaus wohnten und ihr Geld mit der gewohn | ten Kalenderarbeit verdienten. Bei den
dabei notwendigen astronomischen und astrologischen Berechnungen unterstützte
Maria Margaretha ihren Mann tatkräftig. Sie
wurde seine vertrauteste und beste Mitarbeiterin. Hier in Guben begann Maria
Margaretha Kirch auch mit ihren
regelmäßigen täglichen Wetterbeobachtungen und
-aufzeichnungen.
Im Juli 1700 kam es zu einer entscheidenden Veränderung im Leben der Familie Kirch: Gottfried Kirch wurde als erster Astronom an die Sternwarte der Berliner Societät der Wissenschaften berufen. Die Familie zog also nach Berlin, wo sie jedoch zunächst äußerst schwierige Arbeits und Lebensbedingungen vorfand. Die Sternwarte in der Dorotheenstraße (damals »Letzte Straße«) war noch im Bau, der sich aus finanziellen Gründen immer wieder verzögerte. Das Observatorium konnte 1706 erst provisorisch in Betrieb genommen werden, endgültig fertig war es sogar erst 1711. Die unbefriedigende Wohnungssituation besserte sich, nach zwei Umzügen, erst im Jahre 1708. Am 4. April zog die Familie in das nun fertiggestellte Astronomenhaus, Dorotheenstraße 10. Die Freude über die neue Bleibe währte jedoch nicht lange, denn am 25. Juli 1710 starb Gottfried Kirch. Trotz aller anfänglichen Schwierigkeiten führte Kirch, unterstützt von seiner Frau, in seiner Berliner Zeit eine große Zahl astronomischer und meteorologischer Beobachtun | |||||
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gen durch und hinterließ eine Reihe
von wissenschaftlichen Arbeiten. Mit den
täglichen Witterungsaufzeichnungen begann er am 16. August 1700. Sie finden sich in
seinem Witterungs-Tagebuch, das den Titel trägt:
Observatio des Gewitters Ao 1700 Vom 16t. Augustis biß zu Ende besagten Jahres. Die Eintragungen dieses ersten Zeitabschnitts sind kurz und wurden ohne Verwendung meteorologischer Instrumente gewonnen. So lesen wir z. B. am 23. August: »herrlich schön Wetter den gantzen Tag«, am 26. August: »Noch schön Wetter« und am 30. August: »gewölckend«. Diese Eintragungen sind der Beginn einer von der Berliner Astronomenfamilie Kirch | geschaffenen Beobachtungsreihe, die in
ihrer Art einmalig ist.
Maria Margaretha Kirch hatte, selbständig und unabhängig von ihrem Mann, am 1. Januar 1701 mit ununterbrochenen täglichen Witterungsbeobachtungen begonnen und setzte diese zunächst bis zum 31. Mai 1714, dann - nach einer zweijährigen Unterbrechung - noch bis zum 17. Dezember 1720 fort. Ihr Beobachtungs-Tagebuch trägt den Titel: Wetter Buch M.M.K. 1701 Bei ihren Aufzeichnungen bemühte sich Maria Margaretha Kirch um exakte und detaillierte Formulierungen, und sie benutzte für ihre Beobachtungen ein Thermometer, von ihr als »Wetterglas« bezeichnet. So lesen | |||||||
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wir unter dem 18. Januar 1701: »Das
Wetterglas hing in einer ziemlich offenen Kammer und war 16 und einhalb Grad.« Für den 13. Januar 1701 hatte sie vermerkt: »Noch trübe mit starkem Schneien
abwechselnd. Um die Vesper-Zeit etwas zerbrochen
Gewölck, es wärete aber nicht lange, so ward es wieder ganz trübe, und hat die folgende Nacht sehr geschneiet.« Und am 15.
Januar 1701 schrieb sie: »Diese Woche ist erst
leidlich gewesen, aber zuletzt folgte ein ernstes Winter-Wetter.«
Der Tod Gottfried Kirchs im Juli 1710 stürzte die Familie in eine äußerst schwierige Situation, denn Maria Margarethas Einkünfte aus Kalenderberechnungen reichten bei weitem nicht aus, um sich und ihre Kinder versorgen zu können. Aus dieser Notlage half Baron Bernhard Friedrich von Krosigk, der die Familie bei sich aufnahm und der Witwe Gottfried Kirchs die Möglichkeit bot, in seiner Privatsternwarte, auf dem Dach seines Hauses Wallstraße 135, zu arbeiten. Hier konnte sie auch ihre Wetterbeobachtungen, die sie 1701 begonnen hatte, fortsetzen. 1714 verließ der Baron Berlin, und Maria Margaretha Kirch nahm eine Einladung nach Danzig an, wo sie sich zwei Jahre lang aufhielt. Anfang des Jahres 1716 wurde ihr Sohn Christfried (geboren am 24. Dezember 1694 in Guben) als Direktor an die Berliner Sternwarte berufen, an der sein Vater bis 1710 gewirkt hatte. Maria Margaretha kehrte zurück nach Berlin, zog zu ihrem Sohn in | das Astronomenhaus und unterstützte
ihn, wie Jahre zuvor ihren Mann, bei seinen astronomischen Arbeiten. Hier nahm
sie auch am 15. April 1716 ihre Wetterbeobachtungen wieder auf und führte sie bis zum 17. Dezember 1720 weiter. Wenige Tage später, am 29. Dezember, starb sie.
Christfried und Christine Kirch führten zunächst das Werk ihrer Eltern gemeinsam fort. Nach dem frühen Tod Christfried Kirchs im Jahre 1740 war es seine Schwester Christine, die die Witterungsbeobachtungen allein weiterführte und niederschrieb. Christine Kirch befaßte sich, wie ehemals ihre Eltern auch, mit astrologisch vorausberechneten Witterungsvorhersagen, die sie als selbständige wissenschaftliche Rechnerin für die von der Akademie herausgegebenen Volkskalender erstellte. Die Beobachtungen und Aufzeichnungen führte sie mit einigen Unterbrechungen bis zum 30. April 1774 weiter. Die Familie Kirch hatte somit also eine fast 75jährige meteorologische Beobachtungsreihe aufgestellt. Die Kirchschen Witterungs-Journale, die neben meteorologischen Aufzeichnungen viele Angaben über Kometen, Meteore, Sternschnuppen und veränderliche Sterne enthielten, waren lange Zeit unauffindbar, tauchten später in Schottland auf, wo sie von schottischen Astronomen ausgewertet worden waren. Kopien davon (Mikrofilme) befinden sich heute u. a. in der Bibliothek des Deutschen Wetterdienstes in Offenbach. | |||||
© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 10/1996
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