33 Probleme/Projekte/Prozesse | Privatsammler |
Peter Keller
Glück, Leidenschaft und Verantwortung Privatsammler und das Kunstgewerbemuseum Glück, Leidenschaft und Verantwortung prägen das Leben des privaten Sammlers. Das Glück des Sammlers ist das des
Finders, der ein Stück aufstöbert, oder des
Besitzers, der es sein eigen nennt.
| |||||
Vetter Pons, Illustration zu dem Roman Balzacs | |||||
Figur des »Vetter Pons« dem Typ des
Sammlers ein literarisches »Denkmal«
(Walter Benjamin, 1937).
Theodor Fontane stellte, in Gestalt des Pastors Seidentopf, den Zwiespalt eines Sammlers zwischen Leidenschaft und Beruf dar (»Vor dem Sturm«). Die Metapher für diese Gespaltenheit ist Seidentopfs Studierstube: | |||||
34 Probleme/Projekte/Prozesse | Privatsammler |
»Die Studierstube besaß zwei nach dem Garten hinausgehende Fenster, zwischen denen unser Freund eine bis in Mitte des Zimmers gehende Scheidewand gezogen hatte. So waren zwei große, fast kabinettartige Fensternischen gewonnen, von denen eine dem Prediger Seidentopf, die andere dem Sammler und Altertumsforscher gleichen Namens angehörte. [...] auf dem Arbeitstische in der Camera archaeologica lag >Bekmanns historische Beschreibung der Kurmark Brandenburg, Berlin 1751 bis 53<, auf dem Arbeitstisch in der Camera theologica >Dr. Martin Luthers Bibelübersetzung, Augsburg 1613< aufgeschlagen. Beides Prachtbücher, wie sie nur ein Sammler hat: groß, dick, in festem Leder, mit hundert Bildern.« | |||||||
Karl Ferdinand von Nagler, Generalpostmeister und Sammler (1770-1846) | |||||||
35 Probleme/Projekte/Prozesse | Privatsammler |
Gelegentlich griff der Pastor fehl und
zitierte aus Bekmann statt aus der Bibel. Dann hatte seine Sammlerleidenschaft ihn
davongetragen.
Anders als in der Literatur treten Sammler in der Karikatur des 18. und 19. Jahrhunderts kaum auf. Weder Cruikshank noch Hogarth widmen dem Thema ein Blatt. Es liegt wohl in der Natur der Sache, daß die bildenden Künstler die Sammler günstiger darstellten als die Schriftsteller: Sie stehen einander näher. Honorè Daumier bevorzugte in seinen Karikaturen öffentliche Szenen: Atelier-, Ausstellungs- oder Salonbesuche. Die erregten Ausrufer und Auktionatoren, ignoranten Zuschauer oder zweifelhaften Händler eigneten sich besser als Spottobjekt. Sammler hingegen stellte er wohlwollend in intimen Aquarell- oder Ölskizzen dar, einmal als Kunstliebhaber, die gemeinsam Grafiken betrachten, ein andermal als mageren, lächelnden Greis inmitten seiner Schätze. Dem Sammeln folgten
In Berlin gab es private Sammler, nach landläufiger Meinung, in nennenswerter Zahl erst seit der Reichsgründung. Zuvor überwog »eine aristokratisch-provinzielle Form des Kunstsammelns«, dominiert vom preu-ßischen Königshaus (Andreas-Christian Arndt, 1985). Eine Ausnahme stellte Johann | Matthias von der Schulenburg
(1661-1747) dar. Er stammte aus Emden bei
Magdeburg, diente der Republik Venedig als Feldmarschall und kam dort, im Alter von 65
Jahren, zufällig ans Sammeln, weil er einem
Freunde Geld lieh und dessen Kunstsammlung pfänden mußte. Bevor er seine
»vornehme und erlesene Gemäldesammlung«, wie man sie rühmte, von Venedig nach Berlin überführen konnte, starb er, und seine Bilder wurden 1775 bei Christie's versteigert (Alice Bonion, 1991).
Seit Anfang des 19. Jahrhunderts vermehrte sich die Zahl der Sammler in Berlin. Prinz Karl (1801-83), der Teile seiner Sammlung dem Kunstgewerbemuseum vermachte, gehörte dazu, der Verleger Georg Andreas Reimer (1776-1842), der niederländische, und Athanasius Graf Raczynski (1788-1874), der italienische Malerei sammelte. Der Gewerbepolitiker Peter Christian Wilhelm Beuth (1781-1853) sammelte ebenso wie der Generalpostmeister Nagler, von dem später zu sprechen sein wird. Dem raschen Wachstum der Sammlungen des Königs trug die schnelle Folge der Museumsbauten Rechnung: Schinkels Altes (1830) und Stülers Neues Museum (1847), die Nationalgalerie (1876) sowie das Kaiser-Friedrich-(Bode-)Museum (1904). Letzteres bewahrt in seinen beiden Namen die Erinnerung an zwei wichtige Gestalten der Berliner Sammlergeschichte. Das Kronprinzenpaar Friedrich und Viktoria sammel | ||||
36 Probleme/Projekte/Prozesse | Privatsammler |
Der Staat gewährte seit 1873 einen jährlichen Zuschuß und finanzierte den Museumsneubau (der heutige Gropius-Bau), aber erst 1885 wurde das - inzwischen umbenannte - Kunstgewerbemuseum der Verwaltung der königlichen Museen unterstellt. Vor allem in den ersten Jahrzehnten und seit 1930 erwarb das Kunstgewerbemuseum ganze Sammlungen: | ||||||||
Vier Gläser aus der Minutoli-Sammlung | den Lüneburger Ratsschatz 1874, den
Engerer Schatz 1888, den Welfenschatz 1936.
Die erste Phase war die »Aufbauphase« des Museums, in der man »en bloc« kaufte. Die zweite könnte man die »republikanische« nennen, begänne sie nicht gerade unter den Nationalsozialisten. Jedenfalls spielte in dieser Zeit der König keine Rolle mehr, und Bürger traten, als Förderer ihres Museums, an seine Stelle. Acht Privatsammlungen, die in das Museum Eingang gefunden haben, werden nun anhand ausgewählter, erhaltener Objekte in einer Sonderausstellung vor Augen geführt, und ein Katalog versucht, die Persönlichkeiten der Sammler nachzuzeichnen. Es handelt sich um den Generalpostmeister Karl Ferdinand von Nagler (1770-1846), den Regierungsrat Alexander von Minutoli (1806-1886, Sohn von Johann Heinrich Carl Freiherr Menu von Minutoli, dessen Samm | |||||||
te selbst, zur Feier seiner
Silberhochzeit wurde 1882/83 eine Ausstellung
privater Sammlungen veranstaltet. Wilhelm Bode, Generaldirektor der Berliner Museen,
beriet und unterstützte zahlreiche Sammler,
darunter Adolf von Beckerath, James Simon und Richard von Kaufmann.
Privatsammler und das Kunstgewerbemuseum Das Kunstgewerbemuseum zu Berlin ging aus einer privaten Initiative hervor. 1867 gründeten der Architekt Martin Gropius, der Direktor der Gewerbe-Akademie Reuleaux und andere, unterstützt von der Kronprinzessin, den »Verein Deutsches GewerbeMuseum zu Berlin«. Im folgenden Jahr er-öffnete es seine erste ständige Ausstellung. | ||||||||
37 Probleme/Projekte/Prozesse | Privatsammler |
lung den Beginn des Berliner
Ägyptischen Museums bestimmte), den
Domkapitular Alexander Schnütgen (1843-1918), das
Stiftsfräulein Caroline von Uttenhoven
(gestorben 1883), Albert Figdor (1843-1927), Alfred
Wolters (1856-1934), Hermine Feist (1855-1933) und Aloys Lautenschläger (1870-1943).
Zwei private Kunstsammlungen unserer Tage runden die Ausstellung ab. | Alexander von Minutoli hatte hier Jura studiert und wurde Regierungsrat in Liegnitz (Schlesien). Dort trug er seine Sammlung zusammen, die der Staat in zwei Schritten, 1859 und 1869, von ihm erwarb. Alfred Wolters besuchte in Berlin die Artillerie- und Ingenieurschule, wurde Offizier, Leiter der Henckels-Werke in Solingen und begann im Alter eine Sammlung von preußischem | ||||||
Die Beziehungen der
Sammlerinnern und Sammler zu Berlin waren unterschiedlich. Drei von ihnen, Karl
Ferdinand von Nagler, Hermine Feist und Aloys Lautenschläger, lebten in
Berlin. Nagler, Schöpfer des modernen
preußischen Postwesens, stammte eigentlich aus Ansbach. Seine Sammlung zählt
zu den frühen Berliner Kunstgewerbesammlungen und wurde noch zu
seinen Lebzeiten 1835 für die Kunstkammer erworben. Hermine Feist war
gebürtige Berlinerin und Tochter eines
Kohlemagnaten, ihr Landhaus am Wannsee barg eine große Porzellan- und Gemäldesammlung.
Lautenschläger, erfolgreicher Hals-, Nasen-, Ohrenarzt, kam aus Aschaffenburg und ließ sich 1899 in Berlin nieder. Zwei der Sammler hatten ihre Lehr- oder Studienjahre in Berlin verbracht. | |||||||
Der Rokokoraum der Sammlung Minutoli auf Schloß Liegnitz, Schlesien | |||||||
38 Probleme/Projekte/Prozesse | Privatsammler |
© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 8/1996
www.berlinische-monatsschrift.de