33   Probleme/Projekte/Prozesse Privatsammler  Nächstes Blatt
Peter Keller
Glück, Leidenschaft und Verantwortung

Privatsammler und das Kunstgewerbemuseum

Glück, Leidenschaft und Verantwortung prägen das Leben des privaten Sammlers. Das Glück des Sammlers ist das des Finders, der ein Stück aufstöbert, oder des Besitzers, der es sein eigen nennt.
     Verantwortung übernimmt der Sammler dadurch, daß er Kulturgüter bewahrt oder sie gar der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Und die Leidenschaft treibt den Sammler an, macht ihn geduldig, ausdauernd, aber auch blind. Honorè de Balzac verglich in »Vetter Pons« einen Kunstsammler mit dem »Soldatenkönig« (1847):
»Ähnlich dem zweiten König von Preußen, der sich für einen Grenadier nur begeisterte, wenn er sechs Fuß erreichte, und sinnlose Summen opferte, um den Mann in sein lebendes Grenadiermuseum einreihen zu können, geriet der ehemalige Händler nur für Bilder in Glut, die ohne Fehl waren, zu den Hauptwerken eines Meisters zählten und keine Veränderungen erlitten hatten.«
Balzac, der übrigens selbst ein leidenschaftlicher Sammler war, setzte in der

Vetter Pons, Illustration zu dem Roman Balzacs
Figur des »Vetter Pons« dem Typ des Sammlers ein literarisches »Denkmal« (Walter Benjamin, 1937).
     Theodor Fontane stellte, in Gestalt des Pastors Seidentopf, den Zwiespalt eines Sammlers zwischen Leidenschaft und Beruf dar (»Vor dem Sturm«). Die Metapher für diese Gespaltenheit ist Seidentopfs Studierstube:

BlattanfangNächstes Blatt

   34   Probleme/Projekte/Prozesse Privatsammler  Voriges BlattNächstes Blatt
»Die Studierstube besaß zwei nach dem Garten hinausgehende Fenster, zwischen denen unser Freund eine bis in Mitte des Zimmers gehende Scheidewand gezogen hatte. So waren zwei große, fast kabinettartige Fensternischen gewonnen, von denen eine dem Prediger Seidentopf, die andere dem Sammler und Altertumsforscher gleichen Namens angehörte. [...] auf dem Arbeitstische in der Camera archaeologica lag >Bekmanns historische Beschreibung der Kurmark Brandenburg, Berlin 1751 bis 53<, auf dem Arbeitstisch in der Camera theologica >Dr. Martin Luthers Bibelübersetzung, Augsburg 1613< aufgeschlagen. Beides Prachtbücher, wie sie nur ein Sammler hat: groß, dick, in festem Leder, mit hundert Bildern.«
Karl Ferdinand von Nagler, Generalpostmeister und Sammler (1770-1846)

BlattanfangNächstes Blatt

   35   Probleme/Projekte/Prozesse Privatsammler  Voriges BlattNächstes Blatt
Gelegentlich griff der Pastor fehl und zitierte aus Bekmann statt aus der Bibel. Dann hatte seine Sammlerleidenschaft ihn davongetragen.
     Anders als in der Literatur treten Sammler in der Karikatur des 18. und 19. Jahrhunderts kaum auf. Weder Cruikshank noch Hogarth widmen dem Thema ein Blatt. Es liegt wohl in der Natur der Sache, daß die bildenden Künstler die Sammler günstiger darstellten als die Schriftsteller: Sie stehen einander näher.
     Honorè Daumier bevorzugte in seinen Karikaturen öffentliche Szenen: Atelier-, Ausstellungs- oder Salonbesuche. Die erregten Ausrufer und Auktionatoren, ignoranten Zuschauer oder zweifelhaften Händler eigneten sich besser als Spottobjekt. Sammler hingegen stellte er wohlwollend in intimen Aquarell- oder Ölskizzen dar, einmal als Kunstliebhaber, die gemeinsam Grafiken betrachten, ein andermal als mageren, lächelnden Greis inmitten seiner Schätze.

Dem Sammeln folgten
die Neubauten der Museen

In Berlin gab es private Sammler, nach landläufiger Meinung, in nennenswerter Zahl erst seit der Reichsgründung. Zuvor überwog »eine aristokratisch-provinzielle Form des Kunstsammelns«, dominiert vom preu-ßischen Königshaus (Andreas-Christian Arndt, 1985). Eine Ausnahme stellte Johann

Matthias von der Schulenburg (1661-1747) dar. Er stammte aus Emden bei Magdeburg, diente der Republik Venedig als Feldmarschall und kam dort, im Alter von 65 Jahren, zufällig ans Sammeln, weil er einem Freunde Geld lieh und dessen Kunstsammlung pfänden mußte. Bevor er seine »vornehme und erlesene Gemäldesammlung«, wie man sie rühmte, von Venedig nach Berlin überführen konnte, starb er, und seine Bilder wurden 1775 bei Christie's versteigert (Alice Bonion, 1991).
     Seit Anfang des 19. Jahrhunderts vermehrte sich die Zahl der Sammler in Berlin. Prinz Karl (1801-83), der Teile seiner Sammlung dem Kunstgewerbemuseum vermachte, gehörte dazu, der Verleger Georg Andreas Reimer (1776-1842), der niederländische, und Athanasius Graf Raczynski (1788-1874), der italienische Malerei sammelte. Der Gewerbepolitiker Peter Christian Wilhelm Beuth (1781-1853) sammelte ebenso wie der Generalpostmeister Nagler, von dem später zu sprechen sein wird. Dem raschen Wachstum der Sammlungen des Königs trug die schnelle Folge der Museumsbauten Rechnung: Schinkels Altes (1830) und Stülers Neues Museum (1847), die Nationalgalerie (1876) sowie das Kaiser-Friedrich-(Bode-)Museum (1904).
     Letzteres bewahrt in seinen beiden Namen die Erinnerung an zwei wichtige Gestalten der Berliner Sammlergeschichte. Das Kronprinzenpaar Friedrich und Viktoria sammel

BlattanfangNächstes Blatt

   36   Probleme/Projekte/Prozesse Privatsammler  Voriges BlattNächstes Blatt
Der Staat gewährte seit 1873 einen jährlichen Zuschuß und finanzierte den Museumsneubau (der heutige Gropius-Bau), aber erst 1885 wurde das - inzwischen umbenannte - Kunstgewerbemuseum der Verwaltung der königlichen Museen unterstellt. Vor allem in den ersten Jahrzehnten und seit 1930 erwarb das Kunstgewerbemuseum ganze Sammlungen:
Vier Gläser aus der Minutoli-Sammlung den Lüneburger Ratsschatz 1874, den Engerer Schatz 1888, den Welfenschatz 1936.
     Die erste Phase war die »Aufbauphase« des Museums, in der man »en bloc« kaufte. Die zweite könnte man die »republikanische« nennen, begänne sie nicht gerade unter den Nationalsozialisten.
     Jedenfalls spielte in dieser Zeit der König keine Rolle mehr, und Bürger traten, als Förderer ihres Museums, an seine Stelle.
     Acht Privatsammlungen, die in das Museum Eingang gefunden haben, werden nun anhand ausgewählter, erhaltener Objekte in einer Sonderausstellung vor Augen geführt, und ein Katalog versucht, die Persönlichkeiten der Sammler nachzuzeichnen.
     Es handelt sich um den Generalpostmeister Karl Ferdinand von Nagler (1770-1846), den Regierungsrat Alexander von Minutoli (1806-1886, Sohn von Johann Heinrich Carl Freiherr Menu von Minutoli, dessen Samm
te selbst, zur Feier seiner Silberhochzeit wurde 1882/83 eine Ausstellung privater Sammlungen veranstaltet. Wilhelm Bode, Generaldirektor der Berliner Museen, beriet und unterstützte zahlreiche Sammler, darunter Adolf von Beckerath, James Simon und Richard von Kaufmann.

Privatsammler und das Kunstgewerbemuseum

Das Kunstgewerbemuseum zu Berlin ging aus einer privaten Initiative hervor. 1867 gründeten der Architekt Martin Gropius, der Direktor der Gewerbe-Akademie Reuleaux und andere, unterstützt von der Kronprinzessin, den »Verein Deutsches GewerbeMuseum zu Berlin«. Im folgenden Jahr er-öffnete es seine erste ständige Ausstellung.


BlattanfangNächstes Blatt

   37   Probleme/Projekte/Prozesse Privatsammler  Voriges BlattNächstes Blatt
lung den Beginn des Berliner Ägyptischen Museums bestimmte), den Domkapitular Alexander Schnütgen (1843-1918), das Stiftsfräulein Caroline von Uttenhoven (gestorben 1883), Albert Figdor (1843-1927), Alfred Wolters (1856-1934), Hermine Feist (1855-1933) und Aloys Lautenschläger (1870-1943).
     Zwei private Kunstsammlungen unserer Tage runden die Ausstellung ab.
Alexander von Minutoli hatte hier Jura studiert und wurde Regierungsrat in Liegnitz (Schlesien). Dort trug er seine Sammlung zusammen, die der Staat in zwei Schritten, 1859 und 1869, von ihm erwarb. Alfred Wolters besuchte in Berlin die Artillerie- und Ingenieurschule, wurde Offizier, Leiter der Henckels-Werke in Solingen und begann im Alter eine Sammlung von preußischem
Die Beziehungen der Sammlerinnern und Sammler zu Berlin waren unterschiedlich. Drei von ihnen, Karl Ferdinand von Nagler, Hermine Feist und Aloys Lautenschläger, lebten in Berlin. Nagler, Schöpfer des modernen preußischen Postwesens, stammte eigentlich aus Ansbach. Seine Sammlung zählt zu den frühen Berliner Kunstgewerbesammlungen und wurde noch zu seinen Lebzeiten 1835 für die Kunstkammer erworben. Hermine Feist war gebürtige Berlinerin und Tochter eines Kohlemagnaten, ihr Landhaus am Wannsee barg eine große Porzellan- und Gemäldesammlung.
     Lautenschläger, erfolgreicher Hals-, Nasen-, Ohrenarzt, kam aus Aschaffenburg und ließ sich 1899 in Berlin nieder.
     Zwei der Sammler hatten ihre Lehr- oder Studienjahre in Berlin verbracht.

Der Rokokoraum der Sammlung Minutoli auf Schloß Liegnitz, Schlesien


BlattanfangNächstes Blatt

   38   Probleme/Projekte/Prozesse Privatsammler  Voriges BlattArtikelanfang
Eisenkunstguß, die er 1934 dem Kunstgewerbemuseum vermachte.
     Zwei Sammler schließlich hatten nie in Berlin gelebt oder gearbeitet, standen aber in engem persönlichen Kontakt mit Berliner Museumsleuten: Alexander Schnütgen aus Köln mit Julius Lessing, dem damaligen Direktor des Kunstgewerbemuseums, und Albert Figdor aus Wien mit Wilhelm Bode.
     Jede(r) der acht vertritt einen anderen Ansatz oder ein anderes Sammelgebiet.
     Aus der Sammlung Feist gelangte Porzellan in das Kunstgewerbemuseum, aus der Sammlung Minutoli, die der Förderung der schlesischen Gewerbe dienen sollte, vor allem Glas und Keramik.
     Schnütgen verkaufte dem Kunstgewerbemuseum 1878 einen großen Teil seiner Textilien, die aus alten Kirchenschätzen auf den Kunstmarkt gelangt waren und die der Domkapitular bewahren wollte, getreu seinem Motto: Colligite fragmenta ne pereant, sammelt die Überreste, damit sie nicht untergehen (Katalog Köln 1993). Lautenschläger vermachte 1943 dem - damals ausgelagerten und geschlossenen - Museum Silber und Porzellan aus seiner Sammlung. Von Figdor und Nagler kamen verschiedenste Arten kunstgewerblicher Gegenstände, von Nagler unter anderem Emails und Elfenbeine, von Figdor Möbel, Miniaturen und Schatzkunst. Figdors Interesse galt der süddeutschen und österreichischen Kulturgeschichte im allgemeinen, seine Sammlung
war noch viel reicher, als die Bestände im Kunstgewerbemuseum erahnen lassen.
     Die Geschichte der Institution Museum ist eng mit der des privaten Sammelns verbunden. Das erste öffentliche Museum der Welt entstand durch eine private Stiftung, als Elias Ashmole 1675 seine Sammlungen der Universität Oxford vermachte. Die letzte der Medici, Anna Maria Luisa, stiftete 1743 die Uffizien, indem sie ihre Sammlungen dem Herzogtum Toskana übertrug. Das British Museum in London war ursprünglich eine naturkundliche Sammlung und begann erst nach dem Erwerb der Vasen William Hamiltons (1772), auch antike Kunstwerke zu sammeln (Katalog London 1996).
     Privatsammlungen sind »eine unersetzliche Ergänzung; denn sie helfen den Museen dabei, den Veränderungen des Geschmacks zu folgen, und ermöglichen ihnen, sich in die Zukunft hinein fortzusetzen« (Krysztof Pomian, 1988).
     Die Ausstellung »Glück, Leidenschaft, Verantwortung« will an dieses vielschichtige Verhältnis von Sammler und Museum erinnern. Sie schreibt ein Kapitel der Museumsgeschichte und erweist den Privatsammlern des Kunstgewerbemuseums die Ehre.

Die Ausstellung ist ab 29. August täglich von 10 bis 17 Uhr im Kunstgewerbemuseum Berlin, Matthäikirchplatz, zu sehen.
     Bildquelle: Autor
BlattanfangArtikelanfang

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 8/1996
www.berlinische-monatsschrift.de