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Heiko Schützler
19. April 1970:
Das Lenindenkmal wird enthüllt

Am Sonntag, dem 19. April 1970, wenige Tage vor Lenins 100. Geburtstag, ist es soweit: 200 000 Menschen nehmen an der feierlichen Großkundgebung teil, die um 10.30 Uhr beginnt. »Frühlingswind bewegt die von vielen mitgeführten Fahnen der Arbeiterklasse und unserer Republik. In hellem Sonnenlicht strahlen die farbenfrohen Fassaden der neuen Häuser - ein festliches Bild festlich gestimmter Menschen bei einem festlichen Anlaß.«, so berichtet das SED-Zentralorgan »Neues Deutschland«, in der Ausgabe des Folgetages. Die Nationalhymne der DDR erklingt, und der Ostberliner Oberbürgermeister Herbert Fechner (1913-1998) begrüßt auf der Ehrentribüne neben dem noch weiß verhüllten Monument Walter Ulbricht (1893-1973) und die zahlreich erschienene Politprominenz. Anwesend sind auch Angehörige des Diplomatischen Korps.
     Nicht im ND genannt werden die zahlreichen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, die sich in Zivil oder FDJ-Hemd unter die Menge gemischt haben und vom Dach des Stufenhochhauses aus dirigiert werden.

Als ersten Redner sieht das Protokoll einen Bauarbeiter vor, den Brigadier Kurt Bromberg. »Und alle spüren den Stolz und die Freude, als er diesen Satz spricht: >Im Namen der Erbauer des Leninplatzes kann ich Ihnen heute mitteilen: Wenige Tage vor dem 100. Geburtstag des großen Lenin hat der Platz, der seinen Namen trägt, die architektonische Hauptgestaltung erhalten, wie es unsere Partei und Regierung beschlossen haben.< «. So das ND.
     Dann spricht der sowjetische Botschafter Abrassimow in deutscher Sprache. Er »dankt dem ZK der SED, der Regierung der DDR, den Erbauern des Platzes und allen Berlinern für die Achtung und Ehrung, die sie mit dem Denkmal dem genialen Führer des internationalen Proletariats erweisen«.
     Als Nächster ergreift Walter Ulbricht das Wort. Er führt aus, Platz und Denkmal würden Zeugnis dafür ablegen, dass die Arbeiterklasse und alle Werktätigen Lenin lieben und verehren, seine Lehren beherzigen »und alle ihre schöpferischen Kräfte für den Sieg des Sozialismus einsetzen«, und bezeichnet das Denkmal als Symbol für die gewaltigen historischen Veränderungen, »die sich in einem Vierteljahrhundert seit der Befreiung in der DDR und ihrer Hauptstadt vollzogen haben«.
     Nach diesen Worten leitet er zum Höhepunkt der Kundgebung, zur Enthüllung des Denkmals, über. Das Tuch der Verhüllung ruckelt - und bleibt hängen.
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Wiederholte energische Versuche sind notwendig, dann endlich fällt es und enthüllt das Standbild aus rotem ukrainischen Granit. Sein Standort ist im räumlichen Schwerpunkt des Platzes gewählt worden. Die Statue Lenins und die sich entfaltende Fahne erwachsen aus einem kreisrunden Sockel von 26 Meter Durchmesser bis zu einer Höhe von 19 Metern. Das Motiv der Fahne klingt in der geschwungenen Platzbebauung und der Stufung des Punkthochhauses neu an. Der niedrige Sockel, symmetrisch mit hellen und dunklen Natursteinplatten belegt, hebt den Denkmalsbereich optisch hervor. Drei flache, zwischengelegte Stufen machen ihn begehbar und verhindern die Isolierung dieses Platzraumes. Zum Hochhaus und zum Volkspark hin wird der Bereich durch ein viertelkreisförmiges Hochbeet abgeschlossen, das durch zwei Treppen unterbrochen ist.
     Bereits am 31. Oktober 1968 beschloss die Berliner Stadtverordnetenversammlung den Aufbau des Leninplatzes. Ausdrücklich ist in dem Beschluss davon die Rede, die gesamte Platzanlage als Denkmal anzusehen.
     Der Leninplatz gehörte wie Alexanderplatz und Liebknechtstraße zum Generalbebauungsplan der Hauptstadt, der den konzentrierten Aufbau des Stadtzentrums vorsah. Am nordöstlichen Eingang zum Ostberliner Stadtzentrum gelegen, sollte er einen weithin sichtbaren Höhepunkt der
Stadtkomposition bilden und war als soziales Zentrum des Arbeiterbezirkes Friedrichshain gedacht, dessen Bebauung im Zweiten Weltkrieg zu über 50 Prozent vernichtet worden war.
     Grundlage der Neugestaltung des Platzes war ein Entwurf von Hermann Henselmann (1905-1995), mit dem er den 1968 ausgeschriebenen Wettbewerb gewonnen hatte. Höhepunkt dieser Anlage sollte ein Bibliothekspavillon werden in der Form einer sich spiralförmig aufrollenden, steil ansteigenden roten Fahne. Die Projektierung des Platzes fällt jedoch in eine schwierige Zeit: Der Mauerbau von 1961 hat auch auf das Bauwesen erhebliche Auswirkungen. Daher wird der ursprüngliche Entwurf Henselmanns stark vereinfacht. An die Stelle des Pavillons tritt das Lenindenkmal von Nikolai Wassiljewitsch Tomski (1900-1984). Das dahinter befindliche Wohnhochhaus, von Henselmann noch siebenstufig geplant, wird mit drei Stufen von 17, 21 und 25 Geschossen in Großplattenbauweise errichtet. Die technischen Einrichtungen sind im Erdgeschoss untergebracht. Das Haus besitzt pro Etage 24 Einraumwohnungen mit je 34,10 m2, 92 Zweiraumwohnungen mit je 45,20 bis 58,70 m2 163 Dreiraumwohnungen mit je 65,50 bis 73,55 m2 und eine Vierraumwohnung mit 81,97 m2 in unterschiedlichen Grundrisslösungen.
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Zur Unterstreichung der axialen Grundidee der Anlage war auf dem Trümmerberg ein Café in Leichtbauweise geplant, erschlossen durch eine Freitreppenanlage. Beides ist nicht ausgeführt worden.
     Die Wirkung des Ensembles wurde durch elfgeschossige Wohnbauten gesteigert, deren Schwung das Fahnenmotiv des gesamten Platzes aufnahm und die gleichzeitig die alte Restbebauung optisch abschirmten. Sie wurden von den Bewohnern S- und U-Block genannt, assoziierend die Abkürzung SU für Sowjetunion.
     Die Wohnhochhäuser stellten in ihrer räumlichen Wirkung eine neue Qualität dar, die mit Plattenbau bis dahin nicht möglich gewesen war. Auf der Grundlage des Henselmannplanes erstellten Mitarbeiter des Berliner Wohnungsbaukombinates unter der Leitung von Heinz Mehlan (1926-1987) gemeinsam mit einer Gruppe von Architekten des Bezirksbauamtes, Abteilung Städtebau, den endgültigen Entwurf.

Das 19 m hohe, von Nikolai Tomski geschaffene Lenindenkmal am ehemaligen Leninplatz im Berliner Bezirk Friedrichshain
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Professor Nikolai Tomski, Präsident der sowjetischen Akademie der Künste und erfahren im Erstellen von Lenindenkmälern, arbeitete von Anfang an eng mit den Architekten zusammen, um eine möglichst vollständige Integration des Denkmals in die bauliche Gesamtkonzeption zu erreichen. Er ging dabei vom symbolischen Gehalt des Denkmales aus, von der Bedeutung Lenins für das deutsche Volk.
     Nach Tomskis Auffassung befähigten Lenins Lehren die Werktätigen der DDR, den Sozialismus aufzubauen. In diesem Sinne formulierte es auch Walter Ulbricht bei der Grundsteinlegung: »Das Lenindenkmal in der Hauptstadt der DDR, Berlin, wird im wahrsten Sinne des Wortes ein Denkmal des Volkes sein. Zugleich dient es der Kraft und dem festen Zusammenschluß der ganzen Gemeinschaft sozialistischer Staaten um die Sowjetunion.«
     Die Platzanlage hat die jüngere deutsche Geschichte nicht überstanden. Am 13. November 1991 wurden Lenins Kopf und drei weitere Segmente entfernt. Schaulustige und Fotografen verursachten dabei ein Verkehrschaos. Nur mit Polizeieskorte konnte der Transport über eine rote Ampel entkommen. Bis Januar 1992 wurde das Denkmal gegen Proteste von Anwohnern vollständig abgetragen. Lenin erwies sich dabei als überaus standhaft:
     Die Beseitigung wurde mit einer halben Million DM fünfmal teurer als vorgesehen.

Häuserensemble mit Lenindenkmal auf dem ehemaligen Leninplatz, heute Platz der Vereinten Nationen

 
Im jetzigen Platz der Vereinten Nationen, dessen mittlerweile sanierte Restbebauung seit 1995 unter Denkmalschutz steht, klafft ein Loch. Es wird kaum zu schließen sein.

Bildquellen: Repros LBV

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/2001
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