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Bernhard Meyer
9. Oktober 1968:
Einweihung des Klinikums Steglitz

Nach einer 11-jährigen Planungs- und Bauphase rüstete West-Berlin in den Oktobertagen 1968 zur Einweihung des ersten Großklinikums der Bundesrepublik Deutschland.
     Mit 160 000 m2 Fläche, 1 350 Planbetten und Kapazitäten für ca. 35 000 Patienten im Jahr sollte in Berlin das modernste Krankenhaus Europas übergeben werden. Ein derartiges Ereignis stand dem Senat vor der Weltöffentlichkeit gegenüber Ost-Berlin und den aufbegehrenden 68er Studenten ausgezeichnet zu Gesicht. Und so kommt die politische Prominenz, um der Weihe dieses Gebäudes besonderen Glanz zu verleihen. Es erscheinen der Botschafter der USA in Deutschland Henry Cabot Lodge (1902-1985), der aus diesem Anlass die Garantieerklärung der Amerikaner für die Sicherheit und Freiheit West-Berlins erneuert; Bundesgesundheitsministerin Käte Strobel (1907-1996) eilt aus Bonn herbei, anwesend sind auch Leon Chatelain, der Vorsitzende der amerikanischen Benjamin-Franklin-Stiftung, und der Regierende Bürgermeister Klaus Schütz. Das traditionelle Banddurchschneiden erleben Tausende Berliner vor dem Klinikum.

Und auch 25 Jahre später feierte im inzwischen wiedervereinigten Berlin der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen zur Vierteljahrhundertfeier das Klinikum als »Symbol der deutsch-amerikanischen Freundschaft«.
     Das Großkrankenhaus entstand als Universitätsklinikum der Freien Universität Berlin. Demgemäß überreichten die Architekten den symbolischen Schlüssel an den Senator für Wissenschaft und Kunst Werner Stein (1913-1993), der ihn wiederum an Rektor Ewald Harndt (1901-1996) aushändigte. Der später im Volksmund »Grauer Riese« genannte Bau beherbergt in seinem Inneren alle Voraussetzungen für eine niveauvolle hochspezialisierte klinische Betreuung, für Forschung und Lehre. Das erklärt die beträchtlichen Kosten von 304 Millionen DM, von denen 58,3 Millionen von der amerikanischen Benjamin-Franklin-Stiftung getragen wurden. Bereits vor der Einweihung beschloss das Kuratorium der Stiftung 1967 den Namen: Klinikum der Freien Universität. Heute lautet die offizielle Bezeichnung Benjamin-Franklin-Klinikum der Freien Universität Berlin. Nachdem zwischenzeitlich das Rudolf-Virchow-Krankenhaus und das Krankenhaus Westend ebenfalls zur klinischen Basis gehörten, 1994 jedoch aus diesem Verband ausschieden, ist das Benjamin-Franklin-Klinikum heute die einzige klinische Einrichtung der FU.
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Notwendig wurde der Bau durch die 1948 erfolgte Gründung der Freien Universität in West-Berlin. Zu den Gründungsfakultäten gehörte die Medizin, die jedoch im Gegensatz zur im Ostteil der Stadt gelegenen Humboldt-Universität mit der Charité über keine eigenständige klinische Basis verfügte. Als vorübergehende Notlösung wurden verschiedene städtische Krankenhäuser mit der praktischen Ausbildung der Studenten beauftragt, eine dauerhafte Lösung konnte diese Regelung nicht sein. Aber es fehlte Geld für den Bau eines Universitätsklinikums. Die USA hatten schon mehrfach geholfen: 1954 beim Henry-Ford-Bau der FU in der Dahlemer Garystraße mit 1,3 Millionen DM, bei der Amerika-Gedenkbibliothek am Kreuzberger Blücherplatz durch eine Spendensammlung des amerikanischen Volkes mit 5,4 Millionen DM, bei der Kongresshalle im Tiergarten, die 1958 übergeben wurde.
     Mit dem Vorsatz, die amerikanischen Freunde erneut um Unterstützung zu bitten, nutzte der Regierende Bürgermeister Willy Brandt (1913-1992) im Frühjahr 1958 eine Reise nach Washington, um in einem Gespräch mit Eleanor Lansing Dulles (1895-1996), die im US-Außenministerium die Berlin-Abteilung leitete, für eine kräftige finanzielle Beteiligung beim Bau eines Universitätsklinikums zu werben.
     Das Klinikum sollte zwischen Teltowkanal und Klingsorstraße, zwischen dem vom Flüsschen Bäke durchzogenen
gleichnamigen Park und dem Schlosspark, am früheren Hindenburgdamm im Bezirk Steglitz entstehen. Dieser Standort wurde bereits im Herbst 1951 für ein Universitätsklinikum in Erwägung gezogen. Nun sollte der Bau der FU zugeordnet werden, wobei die finanzielle Abwicklung der Benjamin-Franklin-Stiftung übertragen wurde. Die Amerikaner beauftragten die Architektenbüros Curtis und Davis aus New Orleans, als deren deutscher Konsultant der Berliner Architekt Franz Mocken (1913-1973) nominiert wurde, der in dieser Mission schon am Bau der Kongresshalle beteiligt war. Die obersten Gremien der FU erklärten gegenüber dem Senat ihre Zustimmung zu dem Vorhaben. Dieser jedoch hatte dringende Wünsche der Bezirksämter Steglitz und Reinickendorf auszuräumen, die in ihren Bezirken gern den geplanten Neubau als repräsentatives Städtisches Krankenhaus sehen wollten. Das war aus der Sicht von Steglitz verständlich, denn das Städtische Krankenhaus des Bezirks wurde 1945 von den amerikanischen Streitkräften beschlagnahmt und seitdem von diesen genutzt. Aber die amerikanischen Förderer des Projekts formulierten den dringenden Wunsch, den Neubau als »Teaching Hospital« zu nutzen. Am 21. Oktober 1959 traf man sich zur feierlichen Grundsteinlegung am bezeichneten Ort. Die obligatorischen drei Hammerschläge führte Frau Dulles aus.
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Das Klinikum Steglitz im Bau, der von 1961-1968 dauerte
Als der Neubau Konturen annahm, reifte der Gedanke, die gebotene Chance für die Erneuerung der medizinischen Fakultät zu nutzen. So reiste eine Delegation der Medizinischen Fakultät unter Leitung des Dekans Hans Herken 1960 in die USA, um die architektonische Konzeption mit den Erfahrungen amerikanischer Universitäten bei Wahrung deutscher Traditionen auszufüllen. Als Ziel schwebte den Fakultätsmitgliedern eine komplex wirkende »Arbeitseinheit« der verschiedensten medizinischen Fachgebiete vor. Am 24. Juni 1964 fand das Richtfest für das Klinikum statt. »Es wird der medizinischen Wissenschaft helfen, es wird dem Krankenhausneubau in Deutschland neue Wege weisen«, erklärte Willy Brandt. In dieser Zeit debattierte man über die neuartigen Strukturen und die erforderliche personelle Besetzung der Lehrstühle. Es galt in zweierlei Hinsicht, neue Wege einzuschlagen. Zum einen existierten reformerische Bestrebungen zur Erneuerung des medizinischen Hochschulwesens, zum anderen gab es bisher im deutschsprachigen Raum kein Beispiel dafür, dass medizinische Betreuung (außer Pädiatrie und Psychiatrie), Lehre und Forschung unter einem Dach, in einem Gebäude konzentriert werden.
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Mit dieser Lösung sollte der Aufsplitterung der Medizin in zahlreiche Fachgebiete eine vereinheitlichende Struktur und die Möglichkeit zu interdisziplinärem Zusammenwirken zum Nutzen der Patienten gegeben werden. Wenngleich die Studentenbewegung von 1968 ihren Schwerpunkt keineswegs in der Medizin fand, so sind ihre Forderungen nach Entstaubung des Studiums, zur Auflösung hierarchischer Strukturen in den Kliniken und zur Verhinderung einer Klassenmedizin unüberhörbar gewesen. Der von den Studenten für die Universitäten ausgelöste Modernisierungsschub beeinflusste zweifellos die konzeptionellen Überlegungen für das neue Klinikum.
     Die Bauleute verbauten 8 700 Tonnen Stahl, 3,5 Millionen Ziegelsteine und 20 000 m2 Glas, die Elektriker verlegten 1 216 Kilometer Leitungen.
     Im Oktober 1968 begann der Probebetrieb, ab 3. März 1969 zogen Patienten in das Klinikum ein. Sie fanden Operationssäle, Ambulanzen, Laboratorien, Röntgendiagnostik, Strahlentherapie und physikalische Therapie in einem Hause vor. Die ersten akademischen Vorlesungen mit Patientendemonstration für 2 700 Studenten an 20 Lehrstühlen erfolgten im Sommersemester 1969. Dafür standen elf Kliniken mit 16 Operationssälen und 1 426 Betten zur Verfügung. Das Personal setzte sich aus 355 Ärzten, 295 Assistenzärzten, 805 Krankenschwestern und Pflegern sowie weiteren 1 600 Beschäftigten zusammen.
Das alles vollzog sich in drei miteinander verbundenen Gebäudekomplexen - einem Flachbau für die Versorgung, zwei Bettenhäusern und einem zentralen Behandlungstrakt.
     Heute verfügt die Freie Universität nur noch über das Benjamin-Franklin-Klinikum als Ausbildungs- und Forschungsstätte, da das Westend-Krankenhaus 1994 herausgelöst und das Rudolf-Virchow-Krankenhaus mit der Charité zum Universitätsklinikum der Humboldt-Universität zusammengeführt wurde.

Bildquelle: Repro LBV

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/2001
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