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Martin Küster
Magister im preußischen Soldatenrock

Friedrich Christian Laukhard und die Preußenbriefe eines Musketiers

»Unser Marsch ging über Berlin, oder vielmehr in Berlin sollten wir bis auf weitere Order kantonieren.« So berichtete ein Musketier des preußischen Infanterieregimentes Nr. 3, das unter dem Kommando des Generalmajors Johann Leopold von Thadden am 5. Juni 1790 von seinem Standort Halle aufgebrochen war. »In Berlin bemerkte ich den großen Unterschied zwischen den Einwohnern großer und denen kleiner Städte. Wenn in Halle oder sonstwo etwas vorgeht, dann steht der Pöbel auf allen Gassen und gafft, hingegen in Berlin sahen uns nur wenige zu, als wir einzogen. Sie hielten dergleichen ihrer Aufmerksamkeit nicht wert ... «1)

Herzoglicher Schreibauftrag

Als das Thaddensche Regiment sowie weitere Truppen aus Brandenburg, Magdeburg, Stendal, Gardelegen und anderen Orten der Altmark in Berlin Zwischenquartier nahmen, waren die in Berlin stationierten sieben Infanterie- und drei Kavallerieregimenter bereits Richtung Schlesien marschiert.

Am 10. Juli 1790 folgte ihnen Friedrich Wilhelm II. (1744-1797), Preußens König seit August 1786. Um den neuen Wiener Kaiser Leopold II. (1747-1792) unter Druck zu setzen, hatte er mobil gemacht und vier Fünftel des preußischen Heeres in Schlesien konzentriert. Der Österreicher, durch Krieg mit dem Preußen-Verbündeten Türkei sowie Aufstände in der Habsburger Monarchie strapaziert, sah sich genötigt, am 26. Juli 1790 die Konvention von Reichenbach abzuschließen. Darin verpflichtete er sich, die antitürkische Allianz mit Russland zu verlassen, mit der Pforte Frieden zu schließen und in drei Jahren Krieg eroberte Gebiete, einschließlich Belgrad, zurückzugeben.
     So wie den wenigsten dieser Feldzug des »Dicken Wilhelm« geläufig sein dürfte, werden nicht allzu viele etwas mit dem Namen des zitierten Musketiers vom Regiment Thadden anfangen können: Friedrich Christian Laukhard. Der war studierter Theologe, Magister der Philosophie, ein literarisch und historisch beschlagener Mann, beherrschte Latein, Griechisch, Hebräisch, sprach Französisch und Italienisch. Auf dieses Unikat in seinem Armeekorps aufmerksam gemacht, unterhielt sich auf dem Rückmarsch aus Schlesien nach Berlin der Kommandierende mit ihm. Dieser Friedrich August Herzog von Braunschweig und Lüneburg (1740-1805), Generalleutnant, Neffe des Alten Fritz, galt als gebildeter Mann, den die Berliner Akademie der Wissenschaften mit Recht zu ihrem Mitglied gemacht hatte. Er befahl Laukhard, ihn in Berlin aufzusuchen und einen Auszug aus seinem Tagebuch zu überbringen.
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Laukhard schrieb die Sache neu. Gegen Ende von fünf Wochen Berlin-Aufenthalt trabte der Magister unter der Aufsicht eines Korporals zum Palais des Generals, übergab »einen kleinen Abriß« seiner Schicksale, dazu ein »Extrait du Journal d' un Mousqetaire Prussien fait dans la Campagne de 1790« und als Sahnehäubchen ein lateinisches Festgedicht auf den Herzog. Herzogliche Ermunterungen in Berlin gaben Laukhard einen der letzten, entscheidenden Anstöße, in Halle seine Erlebnisse für den Druck niederzuschreiben.
     Von 1792 bis 1802 wuchs seine Autobiografie auf sechs Bände an.

Skandalöser Freigeist

Nicht 1758, wie er selbst angibt, sondern nach dem Kirchenbuch der unterpfälzischen Gemeinde Wendelsheim bereits am 7. Juni 1757 als Sohn des dortigen protestantischen Predigers Philipp Burkhard Laukhard geboren, wird der Jüngling auf väterlichen Wunsch im Herbst 1774 an der Universität Gießen immatrikuliert und 1778 noch für ein Jahr an die renommierte Universität Göttingen geschickt. Ohne innere Bindung wählt der junge Mann die Gottesgelahrtheit. Mit wachsender Lust an theoretischem Denken ödet ihn orthodoxes Luthertum an. Um so mehr lässt er sich von wüstem Studentenleben, ausschweifendem Kommers, rohen Streichen gefangen nehmen.

Dem Anfällig-sein für liederlich-lockeren Lebenswandel steht Laukhards durch englische, französische und deutsche Aufklärer geprägte, gleichermaßen ernsthafte wie spottsüchtige Auseinandersetzung mit dem entgegen, was er »die sogenannten Grundlehren des Christentums« nennt. Ein redlicher Freund mahnt den auf Probe als Vikar Eingesetzten, sein freies Reden über die Religion einzustellen:

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»Sauft, lieber Freund, ... macht Hurkinder, schlagt und rauft Euch, kurz, treibt alle Exzesse; das wird Euch nicht so viel schaden als Eure Freigeisterei.«2)
     Das Verhalten dieses Freigeistes erregt den höchsten Unwillen des Fürsten von Nassau-Weilburg. Um Martini 1781 ließ er über die zuständige Kommission mitteilen, der Kandidat Laukhard »sei als ein Mensch bekannt, der ganz und gar keine Religion habe, der über die heiligsten Geheimnisse der christlichen Lehre öffentlich spotte, überdies ausschweifend lebe, dem Trunk sich ergebe, Pasquillen auf andere schmiede und sogar die Kanzel zum Tummelplatz seiner skandalösen Auftritte mache; deshalb trügen seine Durchlauchten dem Konsistorio auf, den bisherigen Vikarius Laukhard zu removieren und ein anderes unbescholtenes Subjekt an die Stelle zu setzen.«3)
     Nach mancherlei Beschäftigungen tritt Laukhard durch väterliche Vermittlung 1782 im preußischen Halle eine Lehrerstelle am Waisenhaus der Franckeschen Stiftung an. Im Januar des folgenden Jahres promoviert der gescheiterte Vikar mit einem Geschichtsthema an der Hallenser Universität, beginnt im August als Privatdozent Vorlesungen über »vaterländische Geschichte«, liest auch über Universalgeschichte, deutsche Rechtsgeschichte und Logik. Das Leben des Mitzwanzigers scheint sich zu ordnen.
Doch seine Unangepasstheit stellt ihm erneut ein Bein. Er schreibt einen Roman. Diesen »Baldrian Weitmaul« belegt der Zensor nicht nur mit Druckverbot, tückisch lässt er ihn unter den Spitzen der Fakultät zirkulieren. Im Ergebnis dessen sind etliche Professoren, die sich in dem Roman wiedererkannt haben, mit dem Zensor einer Meinung: Dieser Magister solle keine Vorlesungen mehr halten dürfen. Um einem Vorlesungsverbot entgegenzuwirken, habilitiert sich Laukhard eiligst.
     Die Lage scheint sich zu beruhigen. Doch die Kosten für die zwei Disputationen, nicht gezahlte Kollegiengelder seiner Studenten, der Verlust des Romanhonorars, Ausgaben für »Zerstreuungen« und ein ausbleibender Wechsel lassen ihm die Schulden über den Kopf wachsen. Und da geschieht es: Während stets und überall Soldaten aus dem preußischen Heer desertieren, desertiert Weihnachten 1783 der Magister aus dem akademischen Alltag in das Hallenser Regiment des Preußenkönigs.

Berlins hübsche Häuser

Über seine militärische Ausbildung teilt Laukhard im Wesentlichen nur so viel mit, dass er nicht schnell das lernte, was selbst »vom dümmsten Bauernjungen begriffen wird«, man aber mit ihm viel Geduld gehabt habe.

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»Damals lebte der große König noch, und der Grundsatz, dass derbe Hiebe gute Exerziermeister wären, war ein Lieblingsgrundsatz des damaligen Inspektors der Magdeburger Brigade, des Generalleutnants von Saldern (Friedrich Christoph v., 1719-1785, M.K.), bei dessen Namen unsere alten Krieger noch zittern. Aber dieser Grundsatz wurde bei mir nicht angewandt, und kein Offizier hat mir jemals Hiebe angeboten, viel weniger gegeben oder geben lassen.«4) Wenn ihm auch nichts vom Drill der jeweils mehrwöchigen Exerzierzeiten, den Strapazen bei den jährlichen Revuen geschenkt wurde - den Magister in Uniform wusste man auch zweckdienlicher einzusetzen; so als Französischlehrer für den Sohn des Kompaniechefs, und man gestattete ihm auch, seinen Sold mit anderweitigem Stundengeben aufzubessern.
     Wenn Laukhard jedoch aus dem Berlin seines ersten dortigen Aufenthaltes Juni 1790 berichtet, dass die Soldaten, welche Arbeit fanden, sich »hübsches Geld« verdienten, so hat das diesen Hintergrund: Das auch von Friedrich Wilhelm II. nicht angetastete Prinzip der Kompaniewirtschaft ermöglichte den Kompaniechefs, so viel wie nur möglich von dem Geld für sich selbst einzubehalten, das sie für Verpflegung, Bekleidung und Ausrüstung ihrer Soldaten erhielten. Auf dieses Privileg verzichteten sie offensichtlich auch während einer längeren Feldzugspause nicht.

Friedrich Wilhelms II. Heeresreform: Bei Preußens Infanterie trat ab 1788 an die Stelle des Dreispitzes der zweiklappige Hut, Casquet genannt. Der Zopf verkürzte sich, das Pudern der Haare wurde außer zu Paradezwecken allmählich eingeschränkt. Vorher und nachher: Musketier unter Friedrich II. (links) und seinem Nachfolger (rechts)

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Des Musketiers Laukhard anonym gedruckte Preußenbriefe

In Berlin herrschte aber, wie Laukhard übermittelt, zu dieser Zeit eine große Teuerung; die Löhnung reichte also vorn und hinten nicht aus. »Wer aber nichts verdienen konnte, mußte in Berlin ganz kümmerlich leben... Daher sehnten wir uns beinahe alle wieder weg.« Hinzu kam die miserable Unterbringung: »Berlin hat zwar recht hübsche Häuser; und in diesen Häusern gibt es ganz artige Zimmer, allein wir wurden größtenteils in Gemächer geworfen, welche den Höhlen wilder Tiere ähnlicher sahen als Lagerstätten für Menschen.

Die reichen Bürger gaben den ärmeren, besonders Soldatenweibern und dergleichen Geld, daß sie ihre Mannschaft einnehmen mußten, und so wurden wir zu armen Leuten hingelegt, welche freilich nicht in Palästen wohnen. Wer uns selbst aufnahm, der hatte entweder eine unterirdische Wohnung oder einen Boden oder sonst ein Loch, wohin er uns werfen konnte. Kurz, die Quartiere in Berlin waren durchaus schlecht und gaben zu sehr vielen Klagen der Soldaten Anlaß.«5) Selbst in Bordelle wurde einquartiert.

Des Musketiers Sicht

Am 14. Juni 1792, genau vierzig Tage nach dem Datum, unter dem Laukhard in Halle das Vorwort zu den beiden ersten Folgen seines Lebens- und Schicksalsberichtes verfasst und seinem getreuen Freund, dem Buchhändler und Verleger Franz Heinrich Bispink (1749-1820) übergeben hatte, musste er wiederum kriegsmäßig ausgerüstet mit seinem Regiment auf Marsch gehen, diesmal in Richtung Westen. In Koblenz versammelte Friedrich Wilhelm II. Regimenter aus verschiedenen Provinzen seines Königreiches, mit rund 42 000 Mann ein Viertel seines mobilen Feldheeres. Als nunmehriger Verbündeter des Kaisers ging es gegen die »Neufranken«, gegen das offensiv seine Revolution verteidigende Frankreich. Als Preußens Oberkommandierender fungierte der regierende Bruder jenes Fürsten, der Laukhard in Berlin den Anstoß zum Schreiben gegeben und ihm für die Dauer des neuerlichen Feldzuges doppelte Löhnung verschafft hatte.

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Dieser Karl Wilhelm Ferdinand zu Braunschweig-Lüneburg (1735-1806) erließ, von den Emigranten gedrängt, jenes Manifest an die Franzosen vom 25. Juli 1792, das drohte, Paris dem Erdboden gleichzumachen und mit den »Rebellen« unbarmherzig abzurechnen, sollten sie nicht klein beigeben.
     An der Beurteilung dieses größenwahnsinnigen Pamphlets, welches das genaue Gegenteil bewirkte, bestätigte sich die selbstbewusste Eigeneinschätzung Laukhards: »Ein Musketier sieht oft mehr und richtiger als mancher Herr Offizier samt seinem König. Diesen fehlt es an geschärftem Gefühl dazu.«6) Als vom Offizier bis zum Gemeinen fast alles noch prahlte, dass man es den »Patrioten«, wie sich die Verteidiger ihres revolutionären Vaterlandes selbst nannten, in wenigen Wochen geben werde - da nahm der uniformierte Magister, geschult im akademischen Disput, dieses Manifest Stück um Stück auseinander. Und zwar nicht aus zeitlicher Distanz, sondern unmittelbar und vor Ort. Seine abschließende Frage: »Sollte man nicht billig auf den Gedanken gerathen: daß der Krieg gegen die Neufranken nur habe Mittel seyn sollen, andere versteckte, weit wichtigere Zwecke zu erreichen, als den, Ludwig zu retten?«7) In »kleinen rauchigen Stuben, unter stetem Getümmel der Soldaten«8) schrieb Laukhard verabredungsgemäß Korrespondenzen, zweiundzwanzig an der Zahl, und sandte sie nach Halle.

Freiwilliger der französischen Rheinarmee 1796

In zwei »Packs« zu insgesamt 438 Oktavseiten brachte sie Bispink noch im gleichen Jahr heraus. Ihr Titel: »Briefe eines preußischen Augenzeugen über den Feldzug des Herzogs von Braunschweig gegen die Neufranken im Jahre 1792«. Ohne Angabe des Verfassers, des Druckers, des Verlegers und des Erscheinungsortes.

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Des Musketiers Preußenbriefe unterscheiden sich grundlegend von der »Art manches gedungenen oder beförderungsbedürftigen Journal- und Zeitungsschreibers in unserem lieben Deutschland, bey jeder Gelegenheit auf die Fränkische Nation (zu) schimpfen«.9) Sein von Kritik nicht freies Bekenntnis: »... als Mensch bewundre und lobe ich auch recht aufrichtig vieles, was meine Brüder, die Neufranken, zu ihrer Entjochung und zur Begründung ihrer Freiheit und Rechte unternommen haben, und noch unternehmen«.10)

Valmy, Landau und Kronprinzenauftrag

Laukhards Post aus dem Felde könnte man eine politisch-militärisch-soziale Korrespondenz nennen. Gereift an Erfahrung und Erkenntnis, vertieft er sie wenige Jahre später in seinen Lebenserinnerungen. Doch es ist auch ein einzigartiger Kriegsreport, den er hinterlassen hat. Er schildert in allen brutalen Details das Elend der einfachen preußischen Soldaten und das Elend, das sie unter der mit den »Neufranken« sympathisierenden Bevölkerung Lothringens und des Elsass anrichten. Seine Schilderung des Rückzugs der Preußen nach der Kanonade von Valmy am 20. September 1792, der die Hälfte des preußischen Interventionskontingents an Hunger, Kälte, Verwundungen, Durchfall, Ruhr, Schlamm sowie Schlamperei einer verantwortungslosen, unfähigen militärischen Führung elendiglich

krepieren ließ, ist ein einzigartiges Zeitzeugnis, auf das auch Goethe sich stützte, als er viel später seine »Campagne in Frankreich« verfasste.
     Der Krieg führt den Musketier Laukhard schließlich bis vor die Festung Landau in der Pfalz. Die ergibt sich den Preußen nicht. Volksrepräsentant der französischen Rheinarmee in Landau ist das Mitglied des Nationalkonvents Georg Eduard Dentzel. Dieser 1755 geborene ehemalige Pfarrer ist ein alter Bekannter und entfernter Vetter Laukhards. Das hat Laukhard seinen Oberen mal erzählt, und die nehmen ihn sich nun vor und bereden ihn, in die belagerte Festung zu »desertieren« und unter Ausnutzung seiner Bekanntschaft mit dem Repräsentanten durch Bestechung die Belagerten zur Übergabe zu bewegen. Laukhard sträubt sich erst. Doch: »Im Grunde aber hatte ich des Soldatenlebens herzlich satt, und so war es mir lieb, hier endlich eine Gelegenheit vor mir zu sehen, meinen Abschied durch eine eklatante Dienstleistung selbst zu verdienen.«11) Der 23-jährige preußische Oberst und Kronprinz Friedrich Wilhelm (1770-1840) lässt über seinen Adjutanten dem 36-jährigen preußischen Musketier versprechen: »Er wird auf alle Fälle königlich belohnt und auf immer vor Armut und Not in Sicherheit gesetzt. Aus einem Mann wie Er muss noch einmal was in der Welt werden. Pardieu!«12) Der Kronprinz persönlich: »Er soll sehen, daß ich nicht undankbar bin und daß ich Wort halte.«13)
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   21   Probleme/Projekte/Prozesse Friedrich Christian Laukhard  Voriges BlattNächstes Blatt
Während des Kronprinzen königlicher Vater »wegen der polnischen Händel« Anstalten zu seiner Abreise aus der Pfalz nach Berlin trifft, macht sich des Königs Musketier für seinen »Salto mortale« bereit. Am 26. September 1793 lässt er sich vor der Festung von einer französischen Dragoner-Patrouille gefangen nehmen. Schon von seinem ersten Tag in Landau kann er erzählen: »Niemals habe ich meine Würde als freigeborner Mensch lebhafter gefühlt als damals, da ich - dem Namen nach - verloffener preußischer Soldat zwischen einem Repräsentanten der mächtigen französischen Nation und zwischen zwei Divisionsgeneralen saß und diesen so ganz in allen Stücken gleichgehalten wurde.«14)
     Seinen feudal erteilten Auftrag konnte der Bürger Laukhard nicht ausführen. Nach der Entsetzung Landaus (just zu dem Zeitpunkt, da in Berlin der Kronzprinz weihnachtliche Hochzeit mit Luise von Mecklenburg-Strelitz machte) ging er mit anderen Kriegsgefangenen und Deserteuren auf den Marsch nach dem Südosten Frankreichs.
     Was er von Landau an, was er in Lyon als ausländischer Angehöriger eines Bataillons der »armee revolutionnaire«, der Sansculotten-Streitkräfte, was er als Krankenpfleger eines Lazaretts in Dijon sah, erlebte, erfragte - das füllt in der 1955er Leipziger Ausgabe seiner Autobiografie zweihundert Seiten, ist ein packendes Zeugnis der Zeit auslaufender Jakobiner-Diktatur und ihrer Reflexion durch einen deutschen Intellektuellen.
Seifenblase Unter den Linden

Am 4. Februar 1795 verlässt Laukhard Frankreich. Über abenteuerliche Um- und Irrwege langt er am 27. Oktober wieder in Halle an. Auf Anraten Bispinks und seines ehemaligen Kompaniechefs schreibt der nunmehr wieder zivile Untertan an den Kronprinzen, erinnert ihn an dessen Versprechen vor Landau. Er bittet (trotz nicht erbrachter Dienstleistung) um die »Anwartschaft auf die Lehrstelle der französischen Sprache auf der Universität zu Halle und um einen mäßigen Gehalt aus dem Schulfond bis zum vollen Antritt der erbetenen Stelle.«15) Der Kronprinz übergibt die Angelegenheit Johann Christoph Wöllner (1732-1800), seines Vaters Justiz- und Kultusminister. Als endlich »der hinkende Bote von Berlin« kommt, bringt er die kategorische Ablehnung des Ministers. Auch ein erneuter Anlauf im folgenden Jahr bringt kein Ergebnis; der Kronprinz lässt sich damit entschuldigen, dass er erst einmal für die Invaliden seines Regimetes zu sorgen habe. Dass Ursache der permanenten Ablehnung sein könnte, was er in seiner fortgeführten, von einem Leipziger Verleger auf den Markt gebrachten Autobiografie über die »Neufranken« und »Patrioten« schrieb und schlussfolgerte - diesen unpreußischen Verdacht äußert Laukhard nicht.

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   22   Probleme/Projekte/Prozesse Friedrich Christian Laukhard  Voriges BlattNächstes Blatt

Originalausgabe des zweiten Bandes des »Wolfstein«

Sein Bekenntnis: »Der Regent oder die Regenten haben ihre Gewalt und ihr Ansehen weder von Gott noch durch die Geburt noch durch das Naturgesetz, sondern einzig und allein von der Nation, welche sie absetzen kann, sobald es ihr gefällt«, ist lästerlich-rebellisch. Und dann diese von jedem erkennbar auf den beschränkten Neffen und Nachfolger Friedrichs II., den Mätressenkönig und Rosenkreuzeradepten Friedrich Wilhelm Zwo zielende Majestätsbeleidigung:

»Der Vater, der Onkel kann ein großer Mann, ein Vater seines Volkes sein, und der Sohn, der Neffe ist vielleicht ein Dummkopf, ein Taugenichts, ein Wollüstling, Geisterseher und schwächlicher Tyrann.«16)
     Nachdem der Kronprinz am 16. November als Friedrich Wilhelm III. die Nachfolge seines verstorbenen Vaters angetreten hatte, macht sich Laukhard im Februar des folgenden Jahres - ab Treuenbrietzen zu Fuß - auf den Weg zu seiner dritten Berlin-Visite. Der König empfängt ihn tatsächlich im Kronprinzenpalais Unter den Linden. Er weist seinen Sekretär an, des Petenten Aufsatz ans Oberschulkollegium zu schicken - und die Angelegenheit landet wieder, diesmal auch ohne Wöllner, bei den ablehnenden Oberen der Hallischen Universität. Die erneute Zusicherung des dankesschuldigen Monarchen, »daß dem guten Laukhard ein Plätzchen geschaffn würde, wobei er ohne Sorgen leben könnte«17) erwies sich als königliche Seifenblase.
     Der letzte Band von Laukhards Selbstbiografie erschien 1802. Schon zuvor hatte der Verfasser begonnen, teilweise anonym, Erzählungen und Romane zu produzieren. Während seines letzten Aufenthaltes an der Spree hatte ihm der Besitzer einer Berliner Leihbibliothek versichert, »die Laukhardschen Produkte sind ganz vorzüglich gut und werden mehr gesucht als selbst die Werke unsrer besten Schriftsteller«.18) Im Publikumsgeschmack der Zeit, in fiktiven Orten und Landen angesiedelt, verarbeitete der ums Brot für sich und Frau und Kind Schreibende eigene und die Erlebnisse anderer. In »Franz Wolfstein oder die Begebenheiten eines dummen Teufels« zum Beispiel geißelt er Rekrutenschinderei.
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   23   Probleme/Projekte/Prozesse Friedrich Christian Laukhard  Voriges BlattArtikelanfang
»Eulerkappers Leben und Leiden« bereitet nochmals die Gießener Studentenstreiche auf. Laukhards Vorwort dazu, das »die Herren von der Jenaischen und Berliner Recensionsfabrik« attackiert, ist am 10. Juni 1803 noch in Halle geschrieben. Das Wort »An die Leser«, das er den »Abentheuerlichen und wahrhaften Begebenheiten des Amtmann Stxxx und seiner Familie« voranstellt, ist am 29. August 1809 formuliert in Veitsrodt, einer kleinen Gemeinde im französischen Saardepartement. Hier soll Laukhard von 1804 bis 1809 eine Stelle als Pfarrverweser innegehabt haben, dann aber von den Behörden, diesmal des kaiserlichen Frankreichs, entlassen worden sein. Die Nachrichten über sein weiteres Verbleiben werden vollends vage. Nur eins ist gewiss: Am 29. April 1822 ist dieser begabte, doch an sich und den Umständen seiner Zeit gescheiterte Mann als »Privatlehrer« in Kreuznach gestorben.

Quellen und Anmerkungen:
1 Friedrich Christian Laukhard, Leben und Schicksale, von ihm selbst beschrieben. Hrsg. von Wolfgang Becker, Leipzig 1955, S. 177 f.
2 Ebenda, S. 86
3 Ebenda, S. 89 f.
4 Ebenda, S. 152
5 Ebenda, S. 178
6 Ebenda, S. 142
7 Briefe eines preußischen Augenzeugen über den Feldzug des Herzogs v. Braunschweig gegen die Neufranken im Jahre 1792, 1. Pack, Germanien 1792, S. 84

8 Ebenda, S. 6
9 Ebenda, S. 8
10Ebenda, S. 12
11Laukhard, Leben und Schicksale, a. a. O., S. 326
12Ebenda, S. 327 f.
13Ebenda, S. 329
14Ebenda, S. 341 f.
15Ebenda, S. 555
16Ebenda, S. 510 f.
17Ebenda, S. 577
18Ebenda, S. 578

     Die von Wolfgang Becker herausgegebene Fassung von 1955 erschien in zweiter Auflage 1989 in Leipzig. Eine frühere Auswahl in zwei Bänden ist: Magister F. Ch. Laukhards Leben und Schicksale, von ihm selbst beschrieben. Bearbeitet von Dr. Victor Petersen, Stuttgart 1908. Sie erschien bis 1930 in 13 Auflagen.
     Eine auf 166 Seiten gekürzte Fassung bietet: F. C. Laukhard, ein abenteuerliches Leben während der Französischen Revolution. Leben und Schicksale von ihm selbst beschrieben. Bearbeitet von Franz Dobmann. Heidenheim a. d. Brenz.

Bildquelle: Repros Autor

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 4/2001
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