92   Geschichte und Geschichten Hector Berlioz  Nächstes Blatt
Dieter Götze
Berühmte Ausländer in Berlin:
Hector Berlioz

Im Leben des französischen Komponisten Hector Berlioz (1803-1869), des Begründers der Programmmusik, nahmen Gastspiele in Deutschland einen herausragenden Platz ein. Sie brachten ihn in direkte Berührung mit dem deutschen Konzertleben, führten aber auch zur Bekanntschaft mit Komponisten wie Robert Schumann (1810-1856), Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) und Richard Wagner (1813-1883), die ihrerseits Berlioz' kompositorisches Schaffen mit großer Aufmerksamkeit verfolgten und sich für die Aufführung seiner zunächst umstrittenen Sinfonien und Opern engagierten. Zu einem Zentrum der Berlioz-Pflege wurde Weimar, wo sich Franz Liszt (1811-1886) und sein Freundeskreis für den viel Geschmähten einsetzten.
     In Berlin - er besuchte die Stadt mehrfach, unter anderem 1843 und 1847 - war Berlioz von der reichen musikalischen Landschaft beeindruckt. So schrieb er 1843 in einem Brief an seinen Freund Desmarest:
     »Ich würde mit dieser königlichen Stadt Berlin nicht fertig werden, wenn ich ihren Reichtum an musikalischen Mitteln bis ins einzelne studieren wollte.

Es gibt wenige Hauptstädte, wenn überhaupt es solche gibt, die in Beziehung auf harmonische Schätze mit ihr verglichen werden können. Die Musik schwebt dort in der Luft, man atmet sie ein, man wird von ihr durchdrungen. Man findet sie im Theater, in der Kirche, im Konzert, auf der Straße, in den öffentlichen Gärten, überall; immer groß und stolz, stark und behende, strahlend im Schmuck der Jugend, sieht sie edel und ernst aus, gleich einem schönen bewaffneten Engel, der wohl manchmal geruht, auf der Erde zu wandeln, aber mit zitternden Schwingen und stets bereit, wieder zum Himmel emporzufliegen. (...)«1)
     Großes Lob zollte er der Singakademie, jenem Laienchor, der 1791 von Carl Friedrich Fasch (1736-1800) gegründet worden war und unter dessen Nachfolgern Carl Friedrich Zelter (1758-1832) und Karl Friedrich Rungenhagen (1778-1851) in der Bachpflege besondere Akzente setzte:
     »Die meisten Sänger der Berliner Singakademie sind musikalisch, und fast alle haben frische, klangvolle Stimmen; der Sopran und der Baß besonders scheinen mir ausgezeichnet. Außerdem werden die Proben von Herrn Rungenhagen mit Ausdauer und Geduld in geschickter Weise geleitet; daher erzielt man auch, wenn ein großes Werk vor dem Publikum aufgeführt wird, eine prächtige Wirkung, mit der sich nichts von dem, was wir in Paris auf diesem Gebiete hören können, irgendwie vergleichen läßt.«2)
BlattanfangNächstes Blatt

   93   Geschichte und Geschichten Hector Berlioz  Voriges BlattArtikelanfang
Mit großer Genugtuung registrierte Hector Berlioz das Interesse des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861, König 1840-1858) an seinen Kompositionen. Dass sich der Regent kein Konzert entgehen ließ, in dem ein Werk von Berlioz erklang, berührte ihn tief. Dieser Sympathie gab Friedrich Wilhelm IV. 1847 erneut Ausdruck, als er ihn zu einem Mittagessen ins Schloss Sanssouci einlud. Belustigt registrierte Berlioz dabei, wie einige Höflinge ihre ablehnende Haltung ihm gegenüber änderten, nachdem sie aus der Ferne ein intimes Gespräch des Königs mit dem Komponisten beobachtet hatten. In seinen »Memoiren« schließt Berlioz die Beschreibung dieser Szene mit den Worten: »Man hielt mich für einen mächtigen Günstling des Königs! Welch eine drollige Welt ist doch ein Hof.«3)

Quellen:
1 Hector Berlioz: Memoiren mit der Beschreibung seiner Reisen in Italien, Deutschland, Rußland und England 1803 bis 1865, Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig 1980, S. 290
2 Ebenda, S. 291
3 Ebenda, S. 379


Hector Berlioz im Jahre 1863
 

Repro: LBV

BlattanfangArtikelanfang

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 4/2001
www.berlinische-monatsschrift.de