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Hubert Olbrich
Engagiert für eine Politik des Friedens

Die Physikerin Freda Wuesthoff (1896-1956)

Technischer Fortschritt und kultureller Aufschwung haben in den Jahrzehnten nach dem französisch-deutschen Krieg (1870/71) die Entwicklung bis weit ins 20. Jahrhundert geprägt. Unter den Persönlichkeiten, die in führender Position oder durch herausragende Bedeutung daran beteiligt gewesen sind, findet man viele Juden. Als Folge seiner bildungsbewussten Familienerziehung ist der jüdische Anteil unter Wissenschaftlern, Entdeckern und Kulturträgern überproportional groß. Für multidimensionale Unternehmertätigkeit stehen die Leistungen von Walther Rathenau (1867-1922), zunächst Nachfolger seines Vaters Emil Rathenau (1838-1915) als AEG-Präsident, dann als Staatsmann ein politischer Exponent der jungen Demokratie.
     Über Bedeutung und Leistungen von Juden gibt es zahlreiche Beispiele. Hier sei der Physikerin Freda Wuesthoff, alias Herzfeld, geb. Hoffmann gedacht. Ihr persönliches Schicksal war von politischen, im Judenhass der Nationalsozialisten wurzelnden Eingriffen betroffen.


Freda Wuesthoff, München 1953

Im perversen Rassejargon der Machthaber galt ihre Mutter Marie geb. Weisbach (1875-1961), als »Volljüdin« und die aus »arischer« Partnerschaft hervorgegangene Tochter somit als »Halbjüdin«.

Ein berühmter Vater

Freda Hoffmann kam am 16. Mai 1896 in Berlin zur Welt. Sie war das erste Kind aus der Ehe des Stadtbaurates Ludwig Hoffmann (1852-1932) und seiner 23 Jahre jüngeren Ehefrau Marie.

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Deren Zwillingsschwester Susanne Weisbach war mit dem norwegischen Architekten Peter Dybwad (1859-1921) verheiratet. Zusammen mit ihm hatte Ludwig Hoffmann im Bauwettbewerb zum Reichsgericht in Leipzig 1885 den ersten Preis gewonnen und den Auftrag erhalten, den prämierten Entwurf zu überarbeiten und auszuführen. Als Regierungsbaumeister leitete er die Bauarbeiten, zu deren Abschlussfeier sich am 24. Oktober 1895 Kaiser Wilhelm II. (1859-1941, Kaiser ab 1888) einfand. Hoffmann wurde nach Berlin berufen. Als Stadtbaurat prägte er von 1896 bis 1924 die Bauperiode für die öffentlichen Gebäude der Stadt: Brücken, Brunnen, Badeanstalten, Denkmäler, Feuerwachen, Krankenhäuser, Kulturbauten (z. B. Märkisches Museum), Wohngebäude, Schulen und Turnhallen, Verwaltungsbauten sind sein Werk.
     Nach Beendigung des Physikstudiums wurde Freda Hoffmann Mitarbeiterin im Berliner Vereinsinstitut der Zuckerindustrie. Dessen Leitung oblag bis 1926 ihrem künftigen Schwiegervater, Prof. Dr. Alexander Herzfeld (1854-1928), dessen jüdischer Großvater, Jakob Herzfeld, aus Gollub bei Thorn stammte und der nach 1815 in Schlesien als Kaufmann Müllereiprodukte von Windmühlen vertrieb, von denen er eine Anzahl im Kreis Guhrau und Umgebung gepachtet hatte.
     Zunächst war Freda Hoffmann als Assistentin eingestellt.
Ein Jahr darauf wurde sie zur Leiterin der Physikalischen Abteilung befördert, die es zuvor nicht gab. Die Genehmigung zur Einrichtung dieser Stelle hatte das Vereinsdirektorium auf Anregung von Carl Wentzel-Teutschenthal (1876-1944) erteilt, einem einflussreichen Agrarindustriellen, Saatzüchter, Wirtschafts- und Wortführer der Land- und Zuckerwirtschaft, von Zeitgenossen apostrophiert als »Krupp der deutschen Landwirtschaft«. Der integere Regimekritiker wurde - im Prozess verunglimpft als »Achteljude« - vom Volksgerichtshof unter dem Vorsitz des fanatischen Roland Freisler (1893-1945) am 13. November 1944 zum Tode verurteilt und im Hinrichtungsschuppen von Plötzensee am 20. November 1944 ermordet. Am Stelle des versagten Grabes erinnert ein Gedenkstein im Garten des Zucker-Museum an die überragende Persönlichkeit.

Heirat mit Franz Herzfeld

Nur zwei Jahre blieb Freda Hoffmann im Vereinsinstitut. Mehrere Veröffentlichungen zeugen von ihrer Tätigkeit. Im Geschäftsbericht des Institutsdirektors (Z. Ver. Dt. ZuckInd. 1927, Allg. Teil, S. 178) heißt es: »Am 1. Mai 1926 schied die Physikerin Fräulein Dr. Freda Hoffmann auf eigenen Wunsch aus dem Verbande des Instituts aus.«

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Unmittelbar davor steht die Mitteilung: »Am 1. 4. 1926 trat der Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Alexander Herzfeld nach 43jähriger, verdienstvoller und erfolgreicher Tätigkeit von seinem Amt zurück.« Beide Mitteilungen verbindet ein innerer Zusammenhang: der unmittelbar bevorstehende Hochzeitstermin der favorisierten Geheimratstochter mit Herzfelds jüngstem Sohn Franz (1896-1992), der als promovierter Chemiker im Vereinsinstitut arbeitete. Auf mehrfach gemeinsam unternommenen Inspektionsreisen, in denen Versuche und Überprüfungsarbeiten in der Betriebspraxis anstanden, lernten sie einander schätzen, verlobten sich in der Zuckerfabrik Obernjesa bei Göttingen und beschlossen, eine zweijährige Ausbildung in Berlin beim Patentanwalt Dr. Julius Ephraim gemeinsam zu absolvieren. Die Hochzeit fand am 22. April 1926 statt, d. h. etwa zur Halbzeit der patentanwaltlichen Ausbildung, insoweit finanziell gestützt vom Zuckerinstitut, dem die junge Frau bis zum 1. Mai 1926 noch angehörte. Genau am folgenden Jahrestag der Hochzeit legten beide 1927, zusammen mit drei weiteren Kandidaten, das Examen als Patentanwalt ab. Das junge Paar eröffnete noch am Examenstage im Anwaltshaus Margarethenstraße 8 das gemeinsame Patentanwaltsbüro und unternahm sofort, mit finanzieller Unterstützung der beiderseitigen Väter und Geheimräte, eine aufwendige Geschäftsreise in die USA, um Korrespondenz-Beziehungen mit dortigen Anwälten zu begründen. Mit Berufsverbot belegt

Freda Herzfeld geb. Hoffmann war die erste Patentanwältin in Deutschland; sie blieb die einzige bis zum Jahre 1950. Die Ehe, kinderlos, war mit beruflicher Harmonie gesegnet, nicht aber gegen Eingriffe der Politik gefeit. Ein harter Schlag traf die florierende Patentanwaltspraxis mit dem nationalsozialistischen Berufsverbot für die »halbarische« Freda Herzfeld, das strikt untersagte, vor dem Patentamt und den Gerichten aufzutreten. Sie wurde aus der Liste der Patentanwälte gestrichen. Zum Glück war ihr Mann als »Vierteljude« davon nicht betroffen. Aber Vorsicht war geboten. Den Briefkopf der Praxis, in der seine Frau intern weiter mitarbeiten konnte, veränderte er schrittweise, auch zur Abgrenzung gegen mögliche Verwechselung mit Juristen dieses Namens. Die Praxis firmierte zunächst unter Herzfeld-Wuesthoff, später nur Wuesthoff, dem Mädchennamen der arischen Großmutter väterlicherseits. In der Kanzlei von Franz Wuesthoff arbeitete übrigens von 1940-1945 die seit 1923 promovierte Physikerin Clara von Simson (1897-1983), die 1933 ihre Stellung als Assistentin am Physikalisch-Chemischen Institut der Universität verloren hatte.
     Inseln im Meer der kollektiven Verbrechen, die Leid und Ungerechtigkeit zum Los von Millionen unschuldiger Menschen machten, sind äußerst rar. Über konkrete Umstände, die im Umgang mit Lakaien der Diktatur zum Ausnahmefall gediehen, wurde streng geschwiegen.

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So blieb die Witwe des weitbekannten Stadtbaumeisters von der brutalen Judenverfolgung verschont. Marie Hoffmann brauchte den diffamierenden Judenstern nicht zu tragen und nahm an der normalen Zuteilung der Lebensmittelkarten teil. Gab es hier, politisch wirksam, dank der Berufsbeziehungen des Schwiegersohnes anwaltliche Signale aus den USA? Trug die Zugehörigkeit zu einer christlichen Religionsgemeinschaft etwas bei? Konnte ihr Sohn, Lutz Hoffmann, der - obwohl »Halbjude« - höherer Generalstabsoffizier bei der Luftwaffe war, bevor er im Einsatz über Italien das Leben verlor, zur Abschirmung der gefährdeten Mutter beitragen? Fragen, die für Außenstehende unaufklärbar bleiben.

Eintritt für dauerhaften Frieden

Nach dem Krieg wurde in München die gemeinsame Praxis wieder aufgenommen und die Sozietät WUESTHOFF & WUESTHOFF durch partnerschaftliche Beitritte von Patent- und Rechtsanwälten erweitert. Freda Wuesthoff, alias Herzfeld-Hoffmann, entfaltete eine rege Vortrags- und Aufklärungsarbeit. Als Physikerin wandte sie sich gegen das Gefahrenpotential der Atomwaffen mit einem »Arbeitsprogramm für den dauernden Frieden« und gründete hierzu einen Freundeskreis von Frauen, dem u. a. Marie-Elisabeth Lüders, Clara von Simson, Elli Heuss-Knapp, Gertrud Bäumer, Agnes von Zahn-Harnack angehörten.

Für die Schulen entwickelte sie ein Konzept zum Friedensunterricht. Für die Verwirklichung ihrer Idee hat sie buchstäblich bis zum letzten Atemzug gekämpft.
     Sie starb 1956 überraschend in München nach einem tragischen Unfall. Auf dem altehrwürdigen Friedhof der Dorfkirche zu Bogenhausen hat sie die letzte Ruhe gefunden.
     Der verwitwete Franz Wuesthoff alias Herzfeld überlebte seine Frau um 36 Jahre. Die Partner der Sozietät in München widmeten ihrem Senior in der Traueranzeige den bezeichnenden Nachruf: »Er war uns in seiner Offenheit, Gradlinigkeit und Güte, seinem anwaltlichen Wissen und Weitblick, seiner Beharrlichkeit und Strenge und in seiner Weisheit ein Vorbild«. Er starb am 23. September 1992. Sein Grab befindet sich in München-Bogenhausen.
     Der nach dem Ende der Naziherrschaft begründete Wohnsitz in München hatte übrigens den Kontakt mit Berlin nicht behindert. Onkel Franz und Tante Freda waren im Verlagshaus Dr. Albert Bartens der Fachzeitschrift »Zuckerindustrie« im Villenviertel von Nikolassee, Lückhoffstraße 16, gern gesehene Gäste ihrer Nichte Hildegard Bruhns geb. Bartens (1911-1999), die 1951 vom Evakuierungsort Füssen im Allgäu nach Berlin zum Wiederaufbau des Familienbetriebes zurückgekehrt war.
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Aktiv in der Frauenbewegung

Auf politischer Ebene besuchte Freda Wuesthoff in der Berliner Frauenbewegung die seit 1912 promovierte Staatswissenschaftlerin Marie-Elisabeth Lüders (1878-1966) und die Physikerin Clara von Simson, Kanzlei-Mitarbeiterin der Kriegsjahre. Sie war Mitglied im »Berliner Frauenbund 1945« und inzwischen Vorsitzende der »Kommission für Friedensfragen«, setzte sich für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ein und für die Gleichberechtigung der Frau. Clara von Simson engagierte sich beruflich und politisch. Als Oberingenieurin für Physikalische Chemie an der Technischen Universität Berlin habilitierte sie sich 1951, wurde 1952 Privatdozentin und im gleichen Jahr Direktorin des »Lette-Vereins«, für dessen technische Abteilung im »Lette-Haus« sie die Anerkennung als »Technische Fachschule« erwirkte. Als FDP-Mitglied (seit 1948) vertrat sie ihre Partei von 1963 bis 1971 im Berliner Abgeordnetenhaus in den Ausschüssen für Wissenschaft und Kunst und für Schulwesen und wurde mehrfach geehrt, so u. a. als Ehrensenatorin der TU Berlin (1966) und »Stadtälteste von Berlin« (1973). An ihre enge Zusammenarbeit mit Freda Wuesthoff erinnert vor allem ein Vortrag im Studentenhaus am Steinplatz in Charlottenburg. Freda Wuesthoff sprach hier zum Thema »Atomenergie und Frieden«.

Literatur:
     Günter Berthold, Freda Wuesthoff, Eine Faszination, Freiburg/Breisgau 1982, 3. Auflage 1984
     Annemarie Mommsen, geb. Hoffmann (Schwester von Freda Wuesthoff), Private Mitteilungen vom 11. November 1986, Erläuternde Hinweise und Berichtigungen zu den Ausführungen von G. Berthold, die Franz Wuesthoff komplett redigiert habe
     Hubert Olbrich, »Die erste Patentanwältin Deutschlands kam aus dem Institut für Zuckerindustrie Berlin«, in: Schriften aus dem Zucker-Museum, Band 28/1991, S. 198-202; Nachtrag: Band 29A/1992, S. 52
     Hubert Olbrich, »Gedenkstein Carl Wentzel-Teutschenthal (1876-1944)« in: Schriften aus dem Zucker-Museum Band 30/1993, S. 43-45
     Dietlinde Peters, »Frauen an der Technischen Universität Berlin«, in: Von der Bauakademie zur Technischen Universität Berlin, Geschichte und Zukunft: 1799-1999. (Ausstellung vom 3. 12. 1999 - 30. 1. 2000 aus Anlass des 200. Gründungstages der Bauakademie und des Jubiläums 100 Jahre Promotionsrecht der Technischen Hochschulen) Berlin 2000, S. 518-527.
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 4/2001
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