126   Novitäten Neueröffnung KaDeWe  Nächstes Blatt
Hans Aschenbrenner
3. Juli 1950:
Das KaDeWe meldet sich zurück

Die Euphorie ist riesig, die Neugier groß, der Andrang kaum noch zu bremsen: Punkt 11 Uhr vormittags wird an diesem Montag das Kaufhaus des Westens, das »KaDeWuppdich«, wieder eröffnet.
     Vorerst noch in kleinem Rahmen, denn bis zu diesem Tage konnten erst Parterre und erstes Stockwerk in Stand gesetzt werden. Von 20 metallumrahmten Fenstern sinken die Vorhänge, die Türhüter öffnen die Pforten, Schutzpolizisten lösen die Absperrungskette auf. Auf der Brüstung des ersten Stockes verfolgen Verkäuferinnen, Abteilungsleiter, Pressevertreter und Polizeioffiziere das Schauspiel.
     Bereits am frühen Morgen waren der Bundesbevollmächtigte in Berlin, Dr. Heinrich Vockel (1892-1968), Bürgermeister Dr. Friedensburg (1886-1972) und Stadtrat Klingelhöfer (1888-1961) durch das Haus geführt worden. Sie nahmen an einem anschließenden Empfang im Schöneberger »Prälaten« teil, der für führende Vertreter der Wirtschaft und der Wirtschaftspresse gegeben wurde.

Wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht von der Eröffnung des KaDeWe verbreitet. Nun will man auch möglichst schnell hinein. Aber nur wenige Minuten dauert es, bis die Türen wegen Überfüllung wieder geschlossen werden müssen. Der Einlass kann nur noch schubweise erfolgen. Aus der Musikabteilung erklingt der neueste Schlager: »Berlin hat wieder seinen Tauentzien«. Im Krieg erlebte das KaDeWe seinen schwärzesten Tag am 24. November 1943, als ein amerikanischer Bomber in den Lichthof des Hauses stürzte, das daraufhin völlig ausbrannte. In diese Ruine, für die die meisten Berliner wahrscheinlich keinen Sechser mehr gegeben hätten, ist jetzt das Leben zurückgekehrt.
     Am Tag seiner Neueröffnung werden im KaDeWe 180 000 Kundinnen und Kunden registriert. Baugerüste zeigen an, dass in den noch nicht fertiggestellten Stockwerken die Bauhandwerker kräftig weitermachen. Zuerst ist natürlich das Dach in Stand gesetzt worden; jetzt weht die Hausflagge des KaDeWe von den Fahnenmasten, und ein Reklameballon lockt die Berliner an. Die Ecke des Hauses an der Passauer Straße ist zu einem Riesenschaufenster ausgebaut worden, in dem ein Berliner Bär in Zwei- Stockwerk- Größe mit Zylinderhut und Blumen in den Tatzen die Besucher begrüßt. Das Bärenmotiv wiederholt sich in allen anderen 19 Schaufenstern, und selbst im U-Bahnhof Wittenbergplatz wird mit dem Berliner Bären auf das Ereignis hingewiesen.
BlattanfangNächstes Blatt

   127   Novitäten Neueröffnung KaDeWe  Voriges BlattNächstes Blatt
Die Werbetrommel wird überhaupt kräftig gerührt; selbst in den Interzonenzügen und auf den Sitzen nach West-Berlin fliegender Flugzeuge liegen seit dem Morgen des 2. Juli bunte Prospekte, auf denen steht: »Was für New York Macy, für Paris Galerie Lafayette und für London Harrod's, das ist das KaDeWe für Berlin.«
     In der unmittelbaren Nachkriegszeit waren mitunter Stimmen zu hören, die davon ausgingen, dass die Zeit der großen Warenhäuser - Namen wie Rudolph Hertzog, Wertheim, Tietz und Karstadt hatten der Stadt nach der Jahrhundertwende den Ruf einer Warenhausmetropole verschafft - in Berlin vorüber sei. Es gab aber frühzeitig auch schon gegenteilige Stimmen, wie es z. B. der »Tagesspiegel« in einem Artikel am 7. Juli 1949 zum Ausdruck brachte. Darin hieß es: »Die meisten der alten Gebäude sind ganz oder zum Teil zerstört worden, die Eigentumsverhältnisse der Firmen waren häufig ungeklärt, und das geringe Warenangebot hemmte jede Initiative. Im Ostsektor ist nur eine Filiale der Firma Hertie im Privatbesitz geblieben, alle anderen Gesellschaften wurden >enteignet<. In Westberlin aber gibt es zur Zeit schon wieder mehr als dreißig mittlere und kleine Kaufhäuser, und auch in einer Gegend, wo sie früher nicht beheimatet waren, nahe dem Kurfürstendamm und am Zoo, werden sie jetzt gebaut.«
     Das KaDeWe ist das erste der kriegszerstörten Warenhäuser, dessen Neuerrichtung in Angriff genommen wurde.

Großes Bildinserat von August Hajduk aus der Gründerzeit des KaDeWe

 
Mit der Gewissheit seines Wiederaufbaus erhöhten sich die Grundstückspreise in der bis dahin noch fast leblosen Tauentzienstraße, in der wie auch am Wittenbergplatz noch viele Häuser in Schutt und Asche lagen und die Schwarzhändler ihren Geschäften nachgingen.

BlattanfangNächstes Blatt

   128   Novitäten Neueröffnung KaDeWe  Voriges BlattNächstes Blatt
     Dem Publikum, das an diesem 3. Juli 1950 erwartungsvoll gestimmt ins KaDeWe strömt, macht das nichts aus. Im großen Lichthof, den sie nach nur wenigen Schritten durch den gewohnten Eingang in der Tauentzienstraße erreichen, ist alles an Stoffen aufgestapelt, was ein Warenhaus führen muss.
     Die Frauen seien, man möge den Ausdruck entschuldigen, wie Raubtiere über die Ladentische hergefallen, berichteten Augenzeugen Tags darauf. In diesem Stofflager müssen Verkäuferinnen und Verkäufer, um nicht erdrückt zu werden, auf die Schränke steigen und von dort oben herab verkaufen. Manche Preise sind bemerkenswert: Stoffe gibt es von 98 Pfennig pro Meter aufwärts, bedruckten Waschbattist von 1,25 DM an. In anderen Abteilungen erhält man Oberhemden ab 5,90 DM, fünf Stück Lavendelseife zu 1,65 DM, Aktentaschen aus Leder ab 8,50 DM und hübsche Batistkleider ab 9,75 DM. Von Taschentüchern für 10 Pfennig, Handtüchern für 80 Pfennig bis zu Kindersachen, auch Teppichen, ja sogar dem Paddelboot reicht das Angebot. In knapp zwei Stunden gehen 300 vergoldete Kettenarmbänder, das Stück für 1,90 DM, über den Ladentisch. »Die Hertie- Gruppe, die das KaDeWe besitzt«, so war am 4. Juli 1950 im »Telegraf« nachzulesen, »konnte mit Hilfe der westdeutschen Lieferanten immerhin ein Warenlager von 3 Millionen Mark finanzieren. Der Aufbau des KaDeWe wurde mit ERP- Mitteln in Höhe von 1,8 Millionen finanziert.«
     500 männliche und weibliche Angestellte, unter ihnen nicht wenige aus der einstigen Stammbelegschaft, bilden das Personal des neuerrichteten KaDeWe. Sie rotieren auf einer Verkaufsfläche von 10 000 Quadratmetern und waren schon seit Tagen damit beschäftigt, die Regale, Schränke und Verkaufstische mit Waren zu füllen. Zwei breite Freitreppen führen von der Erdgeschosshalle in die erste Etage, wo eine Lebensmittelabteilung vorerst ihr Domizil haben wird, in früheren Zeiten ein Magnet für die Besucher. Dieser Bereich ist schwarz gekachelt, wozu die weißen Verkaufsmöbel und Kittel des Personals in Kontrast stehen. Fett und Würstchen sind am Eröffnungstag besonders gefragt. Meergrün ist die Fischabteilung gehalten; der Fischverkaufsraum hat einen Extrazugang von der Ansbacher Straße und ist abgetrennt vom übrigen Lebensmittelverkauf. In Tonnen liegen eingesalzene Heringe übereinander, in wassergefüllten Becken schwimmen Aale, Forellen, Zander. Eine ganz besondere Attraktion bildet der große Erfrischungsraum im ersten Stock, der wieder, wie einst, »Silberterrasse« heißt.
     Das unübersehbare Interesse am wiedereröffneten KaDeWe ist Indiz dafür, dass es nicht so leicht aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt werden konnte.
     Zum ersten Mal hatte das »Kaufhaus des Westens« am 27. März 1907 seine Tore geöffnet.
BlattanfangNächstes Blatt

   129   Novitäten Neueröffnung KaDeWe  Voriges BlattArtikelanfang
In Auftrag gegeben von Kommerzienrat Adolf Jandorf (1870-1932), vom Architekten Johann Emil Schaudt (1874-1957) entworfen, wollte man mit dem Namen »Kaufhaus« vor allem an die großen Kaufhäuser im Bezirk Mitte (z. B. Tietz, Wertheim) anknüpfen. Damals waren Schöneberg wie auch Charlottenburg noch selbstständige Städte. Anfangs hatte man als Standort für das Kaufhaus im aufstrebenden Westen sogar den Nollendorfplatz im Blick, entschied sich dann aber dazu, als gute Geschäftsleute die Stadtentwicklung vorausahnend und zugleich beeinflussend, noch ein Stück weiter westwärts vorzurücken.
     In der Tat strahlte das 1906/1907, also in kurzer Zeit, erbaute »Kaufhaus des Westens« alsbald auf seine Umgebung aus. Schluss war es mit der Tauentzienstraße als einer ruhigen Wohnallee, die sich, wie auch der Wittenbergplatz, zur Einkaufsgegend wandelte. Das KaDeWe selbst hat dann alsbald seinen Vorgängern in der City, Unter den Linden und in der Leipziger Straße, erfolgreich Konkurrenz gemacht. Dazu trug gewiss auch bei, dass es Leistungen im Angebot hatte, an die anderenorts noch nicht gedacht worden war: einen Tee- und Lesesalon und Erfrischungsraum, eine Bank, ein Photoatelier, einen Maßsalon für feine Damengarderobe. Es bestand aus Erdgeschoss und vier Etagen, hatte eine Gesamtfläche von 26 400 Quadratmetern und zählte 2 400 Mitarbeiter. 1927 wurde das KaDeWe in den Hertie- Konzern (der Name geht auf Hermann Tietz, einen Warenhaus- Pionier, zurück) eingegliedert.
1929 bis 1931 wurde ein umfassendes Erweiterungsprojekt verwirklicht, das man, obwohl inzwischen 22 Jahre ins Land gegangen waren, dem Architekten des alten Hauses anvertraute. Nach Abschluss dieser Arbeiten umfasste das KaDeWe Erdgeschoss und sechs Stockwerke mit einer Gesamtfläche von 40 000 Quadratmetern.
     Die KaDeWe- Neueröffnung am 3. Juli 1950 war nur ein erster Schritt. 1956 wurde mit der Inbetriebnahme des »Schlemmerparadieses« in der sechsten Etage der Wiederaufbau des Vorzeigekaufhauses abgeschlossen. In dieser an sich kargen Zeit entwickelte sich das KaDeWe zu einem Schaufenster des westdeutschen Wirtschaftswunders. Noch zweimal ist es dann erweitert bzw. modernisiert worden: in den Jahren 1976 bis 1978 und von 1991 bis 1996. Die Verkaufsfläche erhöhte sich auf nun 60 000 Quadratmeter. Bereits 1994, der letzte Umbau war also noch im Gange, wurde das KaDeWe von der Karstadt AG übernommen. Heute beschäftigt das Haus mit der alten Hansekogge im Emblem und dem Image, eines der größten Kaufhäuser Europas (oder das größte gar) zu sein, circa 2400 Mitarbeiter, bietet rund 380 000 verschiedene Artikel an und hat im Schnitt 80 000 Kunden je Einkaufstag.

Bildquelle: Archiv Autor

BlattanfangArtikelanfang

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/2001
www.berlinische-monatsschrift.de