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Horst Wagner
2. Oktober 1953: Berliner Kabarett »Die Distel« eröffnet »Hurra! Humor ist eingeplant«, so überschrieb die »Berliner Zeitung« am Freitag, dem 2. Oktober 1953, eine Meldung, die für den Abend um 19.30 Uhr die Eröffnung eines Kabaretts im Theatersaal des »Hauses der Presse«, Friedrichstraße 101, im notdürftig renovierten Vorderhaus des Admiralspalastes also, ankündigte. Sie bezog sich damit auf den Titel des Programms und auf das gleichnamige vom ersten »Distel«- Intendanten Erich Brehm (1910-1966) persönlich verfasste Eingangslied: »Hurra! Humor ist eingeplant! Im neuen Kurs wird gute Laune groß geschrieben ...«
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Deshalb hätten, wie die »Berliner Zeitung« in leicht ironischem Ton bemerkte, »die Kollegen eines Amtes - der Abteilung Kultur und Massenorganisationen beim Magistrat von Groß-Berlin - ... die zahllosen Anspielungen der Presse stillschweigend eingesteckt« und seien jetzt »der Bitte vieler Berliner nach einem volkstümlichen Kabarett« nachgekommen. So klang es denn in den »Taufversen« von Horst Heitzenröther:
»Viel hat Berlin von dir gesprochen. Nun bist als Wunschkind - lang versagt, von Bürokraten oft vertagt - du endlich aus dem Ei gekrochen ...« Um dem Ganzen »das richtige Gewicht zu verleihen«, trat beim Eingangslied, wie im Programmzettel vermerkt, »das gesamte Ensemble der Distel (elf Zentner) mit baupolizeilicher Genehmigung gleichzeitig auf die Bühne«. Dazu gehörten u. a. Gina Presgott (1924-1985), Hans Krause, Werner Lierck (1920-1985), Gustav Müller (1919-1980) und Robert Trösch (1911-1986). Joachim Gürtner hatte die Inszenierung besorgt. Unter den Textautoren waren so bekannte Leute wie Günter Kunert, Lothar Kusche, Jo Schulz, Karl Schnog (1897-1964) und Hansgeorg Stengel. Letzterer hatte für das Eröffnungsprogramm gedichtet: »Nun tritt >Die Distel< in das Rampenlicht! |
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Und trifft sie euch dabei mit ihren Scherzen - bedenkt: Die Distel blüht nur wenn sie sticht ...« Bei allem Mut der Autoren, das Stechen war eingeschränkt bzw. parteilich gelenkt.
Die Distelstiche richteten sich vor allem, wie es in der Rezension der ersten Vorstellung in der »Berliner Zeitung« hieß, gegen »die ganze Bonner und Schöneberger Sippschaft«. Freilich wurden auch »langweilige Referenten, Bürokraten, befehlsgewaltige Administratoren und sonstige unzeitgemäße Individuen kräftig durch den Kakao gezogen«. Die DDR- Obrigkeit und der Sozialismus als solcher aber blieben tabu, was wohl den »Tagesspiegel« zu der bissigen Bemerkung veranlasste: »Der Stadt- Sowjet hat ... von Amts wegen ein Kabarett gegründet. Dem Augenschein nach kann es sich nur um die Gattung Carthamus tinctorius - Färberdistel - handeln. Die streng riechenden Blüten wurden schon im Altertum zum Rotfärben gern benutzt.« Pressekritiken aus der anderen, der real- sozialistischen Richtung nahm übrigens Intendant Erich Brehm schon in der Eröffnungsvorstellung mit seiner »umstrittenen« Szene »Darf man über Kritiker lachen?« vorausschauend auf die Schippe. In diesem Sketsch bemerkt der eine Kritiker im Gespräch mit dem Schauspieler: »Ein paar Szenen liegen bestimmt schief.« Und der zweite Kritiker meint, der Hauptmangel des Programms liege darin, »dass zu viele Probleme nicht enthalten sind«. Zum Beispiel fehle »die Bedeutung des Zwischenfruchtanbaues bei der Aussaat von Wintergerste«. »Jedenfalls«, so die »Berliner Zeitung« am Schluss ihrer Rezension, »amüsierten sich die Zuschauer köstlich, und als sich nach ungewöhnlich langen Ovationen der Vorhang senkte, da summte wohl manch einer noch auf dem Nachhauseweg: |
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»Und die Frau von Parterre
hat de Leute erzählt, de Versorgung is schlecht, weil so vielet noch fehlt! Und denn koofte se Schlackwurst und Leberwurst auch, und denn fuhr sie nach Steglitz mit de Würschte um'n Bauch.« Mit dem neuen Programm waren neue Mitglieder zum Distel- Ensemble gekommen: Irmgard Düren, Hanna Donner und Werner Troegner sowie als »Tanzbildhauerin« Ruth Berghaus. 1958 gab es mit dem Schauspieler und Kabarettisten Hans Krause einen neuen Intendanten. Ihm folgten bis zur »Wende« von 1963 bis 1968 der Journalist Georg Honigmann und von 1968 bis 1989 der aus Wien in die DDR übergesiedelte Otto Stark. Sie und das ganze Ensemble hatten es wahrlich nicht leicht. Immer wieder stießen sie auf die Schranken der »Kritiker«, die nicht in erster Linie in den Zeitungsredaktionen, sondern in der Partei- und Staatsführung und dem ihr verpflichteten »Apparat« saßen. Das Programm stellte oft »eine Gratwanderung zwischen dem gerade noch Möglichen und dem schon Verbotenen dar«. So mussten das 28. Programm »Kleine Geschichten vom großen Muckefuck« (1965) und das 74. Programm, »Keine Müdigkeit vorschützen« (1980) auf Weisung des Magistrats abgesetzt werden.
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Karikatur: Rainer Hachfeld |
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/2001
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