60   Porträt Ernst Krause  Nächstes Blatt
Dietrich Nummert
Schreiben für die Wahrheit

Ernst Krause, alias Carus Sterne (1839-1903)

Vor 125 Jahren wohnte in der Alten Schönhauser Straße 51 ein Mann, der lebte einen »Enthusiasmus, der uns zwingt, das Gute zu üben, das Schöne zu bewundern, das Erhabene zu verehren und der verborgenen Wahrheit nachzuspüren.«1) Er hatte sich in das Adressbuch als Carus Sterne eintragen lassen. Davor wie danach jedoch findet sich kein Carus Sterne, aber ein »Krause, E., Schriftsteller«. Sind beide eine Person? Ja, denn Krause schrieb unter Pseudonym. Zwar soll er mit dem nom de guerre unzufrieden gewesen sein, unter ihm aber wurde er »weltberühmt«2).
     Krause hatte es, bevor er sich in Berlin anmeldete, umhergetrieben. Er wuchs in der Neumark auf. Am 22. November 1839 war er in Zielenzig als zweites von fünf Kindern geboren worden. Vater Ernst Friedrich schaffte den Lebensunterhalt mit Dampfmühle und Wollkämmerei, Mutter Eleonore kümmerte sich um die Familie.
     Die Schulzeit Ernst Krauses verlief fast wie die anderer Kinder. Schon der Knabe bewies enorme Auffassungsgabe, »ausgezeichnetes Gedächtnis«3).


Ernst Krause, gezeichnet von Wulf Beil

»Nach genossener Vorbildung in der Elementarschule...«4) drückte er die Bank in der Meseritzer Realschule, die Professor Hermann Löw leitete, blendender Pädagoge und Insektenkundler. Sein Unterricht und die Exkursionen des Oberlehrers Kade gefielen Krause. Beide weckten des Jungen Faszinatition an Botanik, Biologie und Chemie.
     Trotzdem nahmen die Eltern den Jungen nach einem Jahr in der Sekunda von der Schule. Zwang sie die finanzielle Lage?
     Krause jedenfalls begann eine Lehre in der Apotheke des Herrn W. Bockshammer in der Baderstraße.5)

BlattanfangNächstes Blatt

   61   Porträt Ernst Krause  Voriges BlattNächstes Blatt
Da er als Kind Ausdauer geübt hatte, bekam ihm die Lehre. Die Apothekerprüfung bestand er mit Bravour. Danach »conditionierte«6) er einige Jahre in seiner Heimatstadt, bis Preußens Gloria seiner als Einjährig- Freiwilliger verlangte. Im Garnisonslazarett von Küstrin diente er als Pharmazeut. Getreu seinem Charakter nutzte er auch hier jede Gelegenheit, Wissenslücken zu schließen.
     Obwohl geübt in selbständigem Lernen, war sich Krause bewusst, wie wichtig für ihn ein systematisches Studium sei. Folglich ging er nach Berlin, um »die für mein Fach wichtigen Vorlesungen der berühmtesten Lehrer der Physik, Chemie und Botanik an hiesiger Universität«7) zu hören. Sie hatten Berlin zum »Weltzentrum der exakten Wissenschaften« gemacht: Der Physiker Gustav Magnus (1802-1870), die Mineralogen Eilhard Mitscherlich (1794-1863) und Gustav Rose (1798-1873), die Botaniker Otto Berg und Alexander Braun (1805-1877). Letzteren beiden verdankte er viel, sie vermittelten ihm, wie er schrieb, »unvergessliche Anregungen.« Nach einem Jahr intensiven Studiums bestand Krause 1863 das Staatsexamen, wie er vermerkt, mit »vorzüglich gut«8).
     Da er für seinen Lebensunterhalt sorgen musste, nahm er für ein Jahr eine Stelle als Apotheker in Düsseldorf, danach für drei Jahre in Berlin an.
Er erhielt, wie wir uns denken können, gute Zeugnisse. Gleichfalls trifft unsere Ahnung zu, dass Pillendrehen und Pulvermischen bei einem Mann wie ihm nur eine Seite des Daseins war. Die wichtigere - er verarbeitete sein Wissen in populären Schriften, wurde zu einem Vorkämpfer der Lehre Darwins.
     Im Jahre 1862 war »Die Wahrsagung aus den Bewegungen lebloser Körper unter dem Einfluss der menschlichen Hand (Daktylomantie)« erschienen, ein Jahr später kam »Die Naturgeschichte der Gespenster« heraus, 1866 »Die botanische Systematik in ihrem Verhältnis zur Morphologie«, eine Arbeit, in welcher er »mit großer Keckheit, zu der Alexander Braun bedenklich das weiße Haupt schüttelte«9), die Darwinsche Entwicklungslehre auf das Pflanzenreich übertrug. Zeitungen und Journale gewannen Krause als Autor, denn er besaß das Talent, komplizierte Wissenschaftsthemen gemeinverständlich darzulegen.
     »Gartenlaube«,»Gegenwart«, »Prometheus«, »Unsere Zeit« und »Über Land und Meer«, die Leipziger »Illustrierte Zeitung« und die »Tägliche Rundschau«, auch »Meyers Lexikon« druckten Artikel von Krause. Über viele Jahre, »mehr als ein Menschenalter«10) stand die »Vossische Zeitung« in enger Beziehung zu ihm.
BlattanfangNächstes Blatt

   62   Porträt Ernst Krause  Voriges BlattNächstes Blatt
1870/71 diente er als Feld-Stabs- Apotheker beim Generalstab des XI. Armee- Korps und wurde im Herbst 1871 entlassen, nachdem er »durch Verleihung des Eisernen Kreuzes 2 ter Klasse in Anerkennung meiner treuen Erfüllung der Berufspflichten erfreut worden war.«11)
     Die folgenden Jahrzehnte in Berlin waren ausgefüllt mit Arbeit. Er wollte promovieren, die Ideen für Aufsatz- oder Buchtitel auf ihre Machbarkeit prüfen, für sie recherchieren. Er wollte eine eigene Zeitschrift gründen, deren Programm dem neuen Geist verpflichtet war. Er wollte Mitherausgeber, Autoren suchen. Anfang März 1874 sandte er Lebenslauf (in Deutsch und Latein), Zeugnisse, Diplom und den Antrag, mit der Schrift »Die botanische Systematik in ihrem Verhältnis zur Morphologie« promovieren zu dürfen, an die Universität in Rostock.

 

Faksimilie des Ermächtigungsschreibens des Großherzogs von Mecklenburg für Krauses Promotionsverfahren an den Dekan der philosophischen Fakultät der Universität Rostock

BlattanfangNächstes Blatt

   63   Porträt Ernst Krause  Voriges BlattNächstes Blatt
Am 18. März ermächtigte der Großherzog von Mecklenburg- Schwerin, Friedrich Franz von Gottes Gnaden, den Dekan der philosophischen Fakultät »die gedachte Promotion in Unserem Namen vorzunehmen, indem Wir euch zugleich zu diesem Zwecke das officium procancellariatus hierdurch in Gnaden übertragen.«12)
     Dr. phil. Ernst Krause machte nun ernst mit eigenem Journal. Der Titel: »Kosmos... in Verbindung mit Charles Darwin und Ernst Haeckel... herausgegeben von Dr. Otto Caspari (Heidelberg) Prof. Dr. Gustav Jäger (Stuttgart) Dr. Ernst Krause (Carus Sterne) (Berlin).« Das »erste Organ für den wissenschaftlichen Darwinismus«13), hervorragend redigiert, mit streitbaren, populären Aufsätzen war erschienen. Allein eine willkürliche Liste nur der Überschriften von Krauses Artikeln belegt Ideenreichtum wie Breite seiner Themen.
     Im ersten Kosmos- Heft erschien der Aufsatz »Die neuesten Ausgaben des Romans von der Urweisheit des Menschen- Geschlechts«. Krause erinnert an das Paradies, als »die Thiere zahm und giftlos, die Menschen ohne Sünde und Krankheit in göttlicher Faulheit... dahin lebten.«14) Gebührt ihm nicht allein für das Bild von der »göttlichen Faulheit« ein denk´ mal? In loser Folge schrieb Krause Artikel um Artikel: Die Ablösung der Menschenopfer; Über den Gebrauch von Pfeilgiften im vorgeschichtlichen Europa; Erasmus Darwin, der Großvater und Vorkämpfer Charles Darwins; Lord Monboddo und sein Buch über den Ursprung der Sprache;
Über Faust- Stimmung; Skizzen aus der Entwicklungsgeschichte der Entwicklungsgeschichte; Die Entwicklung des Hirschgeweihs in der Vorzeit; Der Mond und die Geologie.
     Die Jahre nach der Reichsgründung, als qualmende Schlote in Berlin den Aufschwung der Industrie an den Himmel schrieben, im Morgendämmer ganze Heere von Arbeitern in die Fabriken trotteten und im Abendlicht erst heimkehrten, als im Zentrum der Stadt Tempel für Musen und Behörden, neue Verkehrsanlagen über und unter der Erde entstanden, hatte auch Krause, diese »starke, scharf umgrenzte Persönlichkeit« seine Zeit und den »größten Geisteskampf seines Lebens«15) unmittelbar vor sich. Ernst Haeckel hatte 1868 mit der Schrift »Natürliche Schöpfungsgeschichte« eine Lanze für den Darwinismus gebrochen. Davon angeregt bat der Leiter des Vereins für die deutsche Literatur Krause, ob er nicht eine noch volkstümlichere Schöpfungsgeschichte schreiben wolle. Die Bitte traf einen vorbereiteten Kopf. Er machte sich ans Werk, das zum Meisterwerk geriet. Die knappe, klare Darstellung beeindruckte »unzählige Leser, mit dem ganzen packenden Reiz der Neuheit, schlug das Büchlein durch wie wenige seiner Zeit«.16) Bei solch positivem Echo war die Reaktion des Klerus aller Konfessionen angesagt. Und Krause, »eine der edelsten, lautersten Gestalten...«, diese »durch und durch ästhetische Natur« (Bölsche) geriet zum Ziel von Angriffen.
BlattanfangNächstes Blatt

   64   Porträt Ernst Krause  Voriges BlattNächstes Blatt
Im Preußischen Abgeordnetenhaus beherrschte zwischen 1872 und 1879 der »Kulturkampf« manche Sitzung. Der Begriff, von Rudolf Virchow (1821-1902) geprägt, benannte den Streit des Staates in Gestalt von Bismarck (1815-1898) und Minister Falk17) (1827-1900) auf der einen und dem Zentrum18) als Vertreter der Papstkirche auf der anderen Seite. Besonders taten sich die Abgeordneten Windhorst19) (1812-1891) und Freiherr von Hammerstein20) (1838-1904) hervor. Am 15. Januar 1879 wetterte Letzterer gegen die Aufklärung. Habe doch »in der That der Oberlehrer Müller aus dem Buche des Carus Sterne... vorlesen lassen und zwar Stellen, in welchen das Christenthum als ein von Priestern erfundenes Hirngespinst, die Dreieinigkeit als Vielgötterei ... bezeichnet wird«21).
     Während der Fortsetzung der Debatte am 17. und 19. Januar 1879 erwies sich, dass Hammerstein und Windhorst zwar etwas läuten gehört hatten, aber nicht wussten, wo die Glocken hängen. Alles löste sich in Luft auf. Lehrer Müller (1829-1853) war wie Krause nur vorgeschoben worden, obwohl der Pädagoge kein Unbekannter war.22) Krause und seinem Buch »Werden und Vergehen« brachte die Debatte zwar noch mehr Ansehen, da er aber »Ungerechtigkeiten schwerer als andere« ertrug, schwand »sein ursprünglich frisches Gemüt«.23)
Im Jahre 1877 war er städtischer Hektik an den Stadtrand in die Friedenstraße 10 mit Blick auf den Friedrichshain entflohen, 1883 nahm er eine Wohnung im Nachbarhaus und 1895 eine in der Nummer 15. Nach wie schrieb er Artikel, Aufsätze, Essays, größere Arbeiten, so u. a.: »Wie wir Bilder ansehen«, »Wie Bilder uns anschauen«, »Über den Farbensinn der Naturvölker«, »Plaudereien aus dem Paradiese«, »Geschichte der biologischen Wissenschaften im 19. Jahrhundert«. Sein immenses Wissen führte ihn aber auch auf Holzwege, etwa wenn er »Die nordische Herkunft der Trojasage« zu belegen suchte. Aber er wusste längst: Kenntnisse haben vorläufigen Charakter. Trotzdem müssen wir - ohne absolutes Wissen! - tun. Also handelte er und - irrte.
     Nach dreißig in Berlin verlebten arbeitsreichen Jahren zog Ernst Krause nach Eberswalde. Dort beendete am 24. August 1903 ein Herzschlag sein Leben. Drei Tage danach nahm ihn die Erde des Wald- Friedhofs auf.

Quellen und Anmerkungen
1 Ernst Krause, Werden und Vergehen. Eine Entwicklungsgeschichte des Naturganzen in gemeinverständlicher Fassung, 4., verbesserte und vermehrte Auflage, Berlin 1900

BlattanfangNächstes Blatt

   65   Porträt Ernst Krause  Voriges BlattArtikelanfang
2 Wilhelm Bölsche, Zur Erinnerung an Carus Sterne, Nachwort in: Werden und Vergehen, Berlin 1903
3 Viktor Hantzsch, Biografisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog. 8. Band
4 Ernst Krause, Curriculum vitae. Handgeschriebener Lebenslauf, Archiv Universität Rostock
5 Das Haus steht nach wie vor, es beherbergt immer noch eine Apotheke.
6 in einer Apotheke angestellt.
7 Ernst Krause, Curriculum vitae
8 Ernst Krause, Curriculum vitae
9 Wilhelm Bölsche, a. a. O. zitiert eine mündliche Äußerung Krauses
10Vossische Zeitung, 25. August 1903
11Ernst Krause, Curriculum vitae
12Promotionsurkunde Krause, Archiv Universität Rostock
13Vossische Zeitung, a. a. O.
14Ernst Krause, Die neuesten Ausgaben des Romans von der Urweisheit des Menschengeschlechts, In: Kosmos, Bd. 1, 1877
15Wilhelm Bölsche, a. a. O.
16Wilhelm Bölsche, a. a. O.
17Falk, seit 1872 Minister der Geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Er sollte »die Rechte des Staates der Kirche gegenüber wiederherzustellen, und zwar mit möglichst wenig Geräusch.« (Bismarck)
18Katholische politische Partei, nach ihren Sitzen im Parlament Zentrumspartei oder Zentrum genannt.
19Bismarck: »Mein Leben erhalten und verschönen zwei Dinge: meine Frau und Windthorst. Die eine ist für die Liebe da, der andere für den Haß.« Gespräch mit Sybel und von Tiedemann am 25. 1. 1875
20Rittergutsbesitzer, Führer des rechten Flügels der Deutschkonservativen Partei, 1881-1885 Chefredakteur »Neue Preußische Zeitung« (Kreuzzeitung), 1896 verurteilt wegen Betrug und Urkundenfälschung.
21Sitzungsberichte des Preußischen Abgeordnetenhauses, Bd. Januar 1879
22Dr. Hermann Müller, Studium Zoologie, Chemie, Geologie in Berlin u. Halle, Promotion 1855 in Jena. Im gleichen Jahr »Realschule erster Ordnung« Lippstadt. M. modernisierte den naturwissenschaftlichen Unterricht, schrieb 85 größere wissenschaftliche Arbeiten. Besprach wohl als erster deutscher Biologielehrer Darwins Entwicklungslehre. Zit. nach: Heiner Kresse, Der Lippstädter Fall..., Heimatkalender des Kreises Soest 1981
23Wilhelm Bölsche, a. a. O.

Bildquellen: Autor

BlattanfangArtikelanfang

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 2/2001
www.berlinische-monatsschrift.de