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Wolfgang Helfritsch
6. Februar 1926:
Im Sportpalast:
»Original Böser Buben Ball«

Der Architekt Oskar Kaufmann (1873-1956) hatte 1925 den Sportpalast umgebaut und in Zusammenarbeit mit dem Maler Hans Oehme (1890-1955) und anderen Künstlern die große Halle an der Potsdamer Straße in eine neue Berliner Sehenswürdigkeit verwandelt, wie damals die Presse schrieb. Rund um die neue Eisarena entstand ein festlicher Raum, dominiert von geschwungenen Linien und von Farben, die in wunderbaren Gelbtönen bis zu Variationen des Rot reichen.
     Damals entstand jenes besondere Fluidum des Hauses, das ihm trotz seiner riesigen Ausmaße eine erstaunliche Intimität verlieh. Kein Wunder, dass nun hier die großen Feste gefeiert wurden, die »Hofbälle bei Zille« von 1926 bis 1929, der Ball der Internationalen Artistenloge, die »Nacht des Lachens«. Es war die Zeit der großen Ballfeste in Berlin, die Zeit vor dem großen Wirtschaftskrach und dem, was dann folgte. Es war der Tanz auf dem Vulkan.

Jede Vereinigung, die etwas auf sich hielt, feierte damals ihren Ball, die größten gab es im Sportpalast. In diese Reihe gehört auch der »Original Kinderbahll der Bösen Buben«, dessen Erlös der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger für Not leidende Künstler zugute kam. Wilhelm Buschs (1832-1908) allbekannte Max-und-Moritz- Bildgeschichte lieferte das Motiv für einen ausgelassenen Faschingsball, zu dem das Publikum in hellen Scharen strömte.
     Der Sportpalast erlebte in den 63 Jahren seines Bestehens viele Sensationen und Höhepunkte, aber auch kleine und ganz große Katastrophen. Insofern war er ein getreulicher Spiegel der Entwicklung Berlins.
     In der Potsdamer Straße inmitten eines belebten Wohn- und Geschäftsgebiets gelegen, war das Haus als Groß- und Mehrzwecksporthalle in zentraler Lage zwischen der Berliner Mitte und den südlichen und südwestlichen Stadtgebieten errichtet worden. Der Sportpalast bot das passende Fluidum für große und traditionelle Sportwettkämpfe, eignete sich für spektakuläre Musikdarbietungen und ließ sich für politische Propagandaveranstaltungen ge- und mißbrauchen. In seinen Mauern entfachten die Nazis die Hysterie zum Anschluß Österreichs an Deutschland und zum Beginn des »totalen Krieges«.
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Die technischen Voraussetzungen für Wintersportveranstaltungen zu jeder Jahreszeit hatte Carl v. Linde (1842-1934) bereits 1877 mit der Erfindung des künstlichen Eises erbracht, und Berlin war stolz auf die mit einer Ausdehnung von 2300 Quadratmetern größte überdachte Eissportanlage der Welt. 84 Flammenbogenlampen, 6000 Metallfadenlampen und 30000 Illuminationslampen bestrahlten die weite Fläche.
     Am 17. Oktober 1910 wurde der Sportpalast als »Hohenzollern- Eispalast« mit der Revue »Ferien am Nordpol« eröffnet.
     Trotz der mit viel Pomp und Reklame vorgenommenen Einweihung konnten sich die Berliner lange nicht für den kalten Sport erwärmen und der Palast wechselte aus wirtschaftlichen Gründen mehrmals den Besitzer. Erst Anfang der dreißiger Jahre gelang der Durchbruch. Er resultierte aus dem wachsenden Interesse für die Deutschen Eishockeymeister- Meisterschaften, die der Berliner Schlittschuhklub bis 1933 sechsmal gewann, aus der Begeisterung für den im doppelten Sinne schlagfertigen Spieler »Justav« Jänecke, dem die Arbeitslosen aus den Hinterhöfen von Mitte ebenso huldigten wie die »feinen Pinkels« vom Kudamm, und aus der Sympathie für das »Häseken«, die Berliner Eiskönigin Sonja Henie (1912-1969), die 1926 im Hause debütierte.
     Noch Jahre nach seiner Eröffnung stand das repräsentative Haus auf wackligen Füßen, und das eisbegeisterte Publikum allein hätte
den Palast in seiner Teenager- Phase kaum aus den roten Zahlen gebracht, wenn ihm nicht der Boxsport sowie die gerade in Mode gekommenen, seit 1909 zunächst am Zoo ausgetragenen Sechstagerennen zu weiteren, stabileren Standbeinen verholfen hätten.
     Nach dem Einbau einer klappernden Holzbahn sorgten die Pedalritter ab März 1911 für eine einmalige, brodelnde Atmosphäre. Der Einstieg wurde durch den Sieg Walter Rütts gekrönt, der sich in die Phalanx der geachtetsten hauptstädtischen Rennfahrer hochgetreten hatte.
     Außer Rütt und Moran jagten in der Potsdamer Straße die Gebrüder Bauer, Kohl und Huschke um das Oval. (vgl. BM 4/1994, S. 26)
     Bei den Faustwettbewerben, die vor allem nach dem Ersten Weltkrieg zum Profil der Sportstätte gehörten, avancierten »König« Richard Naujoks, der blonde Frauenschwarm Hans Breitensträter und Max Schmeling zu Publikumslieblingen.
     Zu den Sechstagerennen strömten in den zwanziger Jahren mehr Besucher aus allen Gesellschaftsschichten.
     Das Timbre, das die >six days< im Hause Potsdamer Str. 72 verströmten, war jedoch durch nichts zu ersetzen und wurde zu einem Symbol der »Goldenen Zwanziger«.
     1922 war das Haus während der Saison täglich in drei Acht-Stunden- Schichten ausverkauft, und nach sechs Tagen konnten 126 000 Berliner von sich behaupten, dabeigewesen zu sein.
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Ballatmosphäre im Sportpalast, hier in einem Foto von der »Nacht des Lachens« veranstaltet am 21. Januar 1928 vom Kabarett der Komiker
Sie verabschiedeten sich vom Alltag, tauchten in einen Brodel aus Lärm, Schweiß, Hitze, Alkoholdunst und Bockwurstgerüche, ereiferten sich mehr oder weniger fachkundig, feuerten ihre Idole hysterisch an, brüllten sich heiser, schluckten Unmengen von Gerstensaft und erschöpften sich kaum weniger als die Aktiven. Dazwischen stolzierten attraktive Damen, deren Interesse häufig weniger der Sportart galt als der Chance, im Trubel der Ereignisse neue Beziehungen anzubahnen. So entstand jene Atmosphäre, die in den siebziger und achtziger Jahren bestenfalls noch auf der Winterbahn in der »Werner-Seelenbinder- Halle« ihre Entsprechung fand.
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Kein geringerer als Egon Erwin Kisch (1885-1948), als »rasender Reporter« nicht selten auch im Berliner Sport»milljöh« unterwegs, schilderte das »Martyrium« der Aktiven, deren 13 Paar Beine ununterbrochen auf das Pedal drückten, deren 13 Rükken sich verkrampft nach vorn bogen und deren 13 Köpfe stereotyp einmal nach links und einmal nach rechts nickten. Auf Kisch, den der Radsport besonders faszinierte, wird im übrigen auch der Slogan »Husch-Husch- Huschke« zurückgeführt.
     Da hatte doch der Kapellmeister Gustav Gottschalk 1923 eine zündende Idee: Er spielte den Walzer »Wiener Praterleben« von Siegfried Translateur, »peppte«, wie er selbst betonte, »das Gefidel auf« - und hob den Sportpalast- Walzer aus der Taufe, ohne den die Sechstagerennen fortan nicht auskamen. Otto Kermbach, auch nach dem Kriege im wiedererstandenen Palast musikalische Begleitfigur der Radsportfeste, tat gut daran, an dieser Tradition festzuhalten - noch dazu, als er in »Krücke« einen Pfeifer per excellence an seiner Seite wußte.
     »Krücke«, der Invalide Reinhold Habisch, war ein Überbleibsel aus der Eissport- Ära, ein Gönner und Verehrer von »Häseken« Henie. Ehemals selbst Radsportler und Aktiver vom Treptower »Nudeltopp«, war er 1905 unter eine »Elektrische« geraten, was ihn zeitlebens zum passiven Sportanhänger verurteilte.
Diese Rolle spielte er vom »Heuboden« des Hauses aus jedoch mit Vehemenz, und so beliebt seine Begleitpfiffe zum Palastwalzer auch waren, so gefürchtet waren auch seine derbhumorigen und unüberhörbaren Zwischenrufe (»Du, pump mir mal Dein' Kopp, ick will meine Schwiejermutter erschrecken«).
     Er war es auch, der Max Schmeling eine große Karriere vorausgesagt hatte, und aus Dankbarkeit richtete ihm Maxe später in der Kommandantenstraße einen Zigarrenladen ein.
     Als Habisch im Januar 1959 seinen 70. beging, gaben sich die Gratulanten in seiner Kreuzberger Wohnung Falckensteinstraße 13 die Klinke in die Hand.
     Schon in den zwanziger und dreißiger Jahren hatten die größeren Parteien das Haus als geeignetes Forum für politische Massenveranstaltungen entdeckt. Sozialdemokraten, Kommunisten und Nazis verbuchten den überfüllten Palast gleichermaßen als Erfolg ihrer Programme und Strategien.
     Die wohl unheilvollste Stunde schlug dem Hause am 18. Februar 1943, als Hitlers Propagandaminister Goebbels vor der ausgewählten »Volksgemeinschaft« die Zustimmung für den »Totalen Krieg« einforderte - und auch erhielt.
     Am 22. November 1943 erstmals durch Fliegerbomben beschädigt, fiel der Sportpalast Ende Januar 1944 in Schutt und Asche.
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Bereits Ende 1945 wurde der traditionelle Bau provisorisch instandgesetzt, und am 19. und 20. Januar 1946 gastierte das »Internationale Eisballett« zugunsten der Aktion »Rettet die Kinder«.
     Am 6. Oktober 1951 wurde, obwohl dem Palast noch das Dach fehlte, Richtfest gefeiert, und am 4. April 1953 erlebten Bewohner aus allen vier Sektoren die Wiedereröffnung der nunmehr überdachten Sportstätte anläßlich des 60jährigen Jubiläums des Berliner Schlittschuhklubs.
     Obgleich der Sportpalast auch wieder für Großveranstaltungen unterschiedlichster Art verwendet wurde - seine großen Zeiten waren jedoch vorbei.
     Am 26. Oktober 1958 brachte der Rockmusiker Bill Haley sein zahlreich erschienenes Publikum zur Raserei. Das Ergebnis bestand in der zu Kleinholz verwandelten Inneneinrichtung und in der Zerstörung wertvoller Flügel.
     Als der Sportpalast Ende der sechziger Jahre als Großveranstaltungshalle überzählig wurde und man ihm dazu noch Baufälligkeit attestierte, war das Ende des Hauses besiegelt.
     Trotz der in Erklärungen und durch Unterschriftensammlungen dokumentierten Proteste der Berliner fanden im März/April 1973 die letzten Vorstellungen statt. Die »Abschlußparty« vom 31. März beschloß eine 63- jährige, von Höhen und Tiefen begleitete Lebensgeschichte, und am 13. November 1973 schließlich schlugen endgültig die Abrißbirnen zu.
Am Standort eines der traditionellsten und langjährigsten Filetstücke des Berliner Sportlebens befinden sich jetzt steril wirkende Wohnbauten, so die »Wohnmaschine« in der Pallasstraße, zur Erinnerung an den einstigen Sportpalast von den Berlinern jetzt zynisch »Sozialpalast« genannt.

Bildquelle:
Arena der Leidenschaften

Literatur:
Arena der Leidenschaften
Der Berliner Sportpalast und seine Veranstaltungen 1910-1973, Herausgeber Alfons Arenhövel, Berlin 1990

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 2/2001
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