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Frank Eberhardt
Stadt aus Stein

Auf den Spuren von achthundert Jahren Werksteinbau in Berlins Mitte

»Berlin ist aus dem Kahn gebaut«, heißt es in der Literatur, die sich mit der Baugeschichte der Stadt beschäftigt. Doch was befand sich in den Kähnen? Aus welchem Material wurden die Kirchen, die Häuser, die Brücken und die Stadtmauer erbaut? - Natürlich aus Steinen, Kalk und Holz - wird jedermann sagen. Doch woher kamen all diese Baustoffe, die Steinfassaden der Häuser oder die Sockel von Denkmalen?
     Zuerst wurde für die allermeisten Bauten Holz verwendet. Es war reichlich vorhanden, auf dem Wasser leicht zu transportieren und gut zu bearbeiten. Bei zunehmender Bautätigkeit führte das dazu, dass vor allem die als Transportweg verwendete Spree vor dem Mühlendamm völlig von schwimmenden Baumstämmen verstopft war. Bereits 1715 erließ König Friedrich Wilhelm I. (1688-1740, König ab 1713) deshalb die Verordnung, »Den Spree Strohm vom Bau-Holtz und Carinen zu räumen«. Darin heißt es: »... die zur Aufsicht des Holtzes vor hiesige Dero Residentz Städte benannte Bediente dahin zu sehen haben sollen, damit das Holtz in Carinen, und ander

Bau-Holtz, nicht dergestalt ohne Unterscheid auf dem Strohm am Stralauer- Thore, in der grössesten Unordnung liegen bleibe, in welcher Absicht dann auch, und in Betracht, dass dieses Holtz nicht nur der Brücken Schaden zufüget, sondern auch den Cours des Strohms mercklich aufhält, und die Schiffart verhindert ...«1)
     Doch offensichtlich war bereits damals die Disziplin der Berliner nicht allzu groß, denn drei Jahre später musste der König die Verordnung wiederholen, »das Holtz aus der Spree zu schaffen«.2) Innerhalb sechs Wochen sollte alles Holz aus dem Strom aufs Land gebracht oder außerhalb des äußersten Baumes (des die Stadtgrenze bildenden Oberbzw. Unterbaumes, F. E.) an beiden Seiten des Stromes verwahrt werden. Nach dieser Frist sollte alles Holz weggenommen und der Garnison zur Feuerung angewiesen werden.
     Aus Holz wurden Wohnhäuser und Brücken, letztere sogar bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein, errichtet. Doch Holz ist im Hausbau feuergefährlich, und bei den Brückenpfeilern fault es. Für wichtige Bauvorhaben wurde deshalb schon frühzeitig haltbares Material benötigt.
     In der Umgebung Berlins waren das die Feldsteine, die auf den Äckern herumlagen und beim Pflügen störten. Der Geologe sagt dazu »Geschiebe«. Es sind mit dem Eis von Skandinavien herge»schobene«, sehr widerstandsfähige Gesteine unterschiedlichster Art und Herkunft.
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Alle weicheren Gesteine waren zerrieben worden, die harten Gesteine, oft sind es Granite, blieben beim Abschmelzen des Eises liegen.
     Ein weiteres, häufig verwendetes Berliner Baumaterial ist seit über 700 Jahren der Kalkstein von Rüdersdorf. Dieser stellt ein isoliertes Vorkommen von Muschelkalk dar. In Thüringen und Süddeutschland wird Muschelkalk häufig abgebaut. Das Rüdersdorfer Vorkommen ist ein graues, unscheinbares Gestein, dessen Vorteil der günstige Transport über die Spree ist. Heute wird im Rüdersdorfer Großtagebau der Kalkstein vor allem für die Zementproduktion gewonnen. Anfang Juli jeden Jahres findet dort das »Bergfest« (abgeleitet von Bergbau!) statt. Es ist für die vielen Zuschauer imponierend, wenn dann eine ganze Abbauwand auf einmal gesprengt wird.
     Das dritte - am meisten verwendete Baumaterial - ist der gebrannte Ziegelstein. Der Rohstoff Ton wurde ebenfalls schon frühzeitig westlich und südlich der Stadt gewonnen und dort verarbeitet. Hier soll über den Ziegel für die weitere Betrachtung - da er kein Naturstein im eigentlichen Sinne ist - einmal hinweggegangen werden, obwohl er schon früh eingesetzt wurde und auch Lücken im Feldsteinmauerwerk füllen musste.
Für die ersten festen Großbauten Berlins, die Nikolaikirche, die Marienkirche, das Kloster und die Stadtmauer, wurden nur märkischen Baustoffe verwendet. Selbst Jahrhunderte später entstand das erste »Neubauviertel«, der Friedrichswerder und auch die spätere Friedrichstadt, allein aus heimischem Material. Nur für repräsentative Bauten der Residenz verwendete man optisch wirkungsvollere, kostspieligere Materialien. Dafür bot sich vor allem Sandstein aus dem Elbsandsteingebirge an, der per Schiff über Elbe und Havel nach Berlin kam. So wurde sowohl beim ersten Bau des Schlosses (1492-1540), bei der barocken Neugestaltung (1699-1710), als auch beim Bau des Zeughauses (1695-1729) Elbsandstein in größerem Umfang verwendet, vor allem für den Sockelbereich, die Portale und die Skulpturen.
     Unter der Herrschaft Friedrichs II. (1712-1786, König ab 1740) erfolgte ein Wandel. Es gab zwar eine rege Bautätigkeit, doch die Einfuhr war stark eingeschränkt, um vor allem die preußische Wirtschaft zu fördern. Auch wegen der Gegnerschaft Sachsens im Siebenjährigen Krieg wurde Elbsandstein nicht mehr importiert. Sowohl Magdeburger Sandstein als auch der nach der Eroberung Schlesiens erreichbare gute schlesische Sandstein konnten als Ersatz verbaut werden.
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Doch sofort nach dem Tode Friedrichs II. wurde wieder kostengünstigerer Elbsandstein herangeholt, u. a. für das Brandenburger Tor (1788-1791).
     Ein grundlegender Wandel in der Steinbeschaffung setzte erst im 19. Jahrhundert ein. Er hing mit dem Ausbau der Verkehrswege zusammen, was den billigen Transport von Werksteinen über größere Entfernungen möglich machte. Dabei muss man immer beachten, dass die teuren Werksteine (d. h. vom Steinmetz bearbeitete Steine) stets sehr sparsam, nur zur Verblendung der Gebäude verwendet wurden und werden. Das eigentliche Konstruktionsmaterial waren fast immer Ziegelsteine, denen dann die Natursteinplatten vorgesetzt wurden. Heute ist es meist Beton, der mit Natursteinplatten verkleidet wird. Nur die Bauwerke des mittelalterlichen Berlins sind kompakt aus Natursteinen hergestellt worden, die Feldsteine sind teilweise behauen.
     Sehen wir uns einige herausragende Bauwerke der Stadtmitte auf die verwendeten Gesteine hin an:
     Die Marienkirche ist eines der ältesten Gebäude Berlins. Vor ihr befindet sich ein Kreuz. Es besteht aus Rüdersdorfer Muschelkalkstein. Am 16. August 1324 wurde der Probst Nikolaus von Bernau von empörten Berlinern erschlagen und auf dem nebenliegenden Neuen Markt verbrannt. Die Einwohner der Stadt wurden wegen des Mordes 23 Jahre lang mit dem päpstlichen Bann belegt und mussten an der Stelle, wo der Mord geschah, ein 3,5 Meter hohes Sühnekreuz aus Holz errichten.

Kaisertreppenhaus im Berliner Dom mit der Verteilung der Naturwerksteine
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1726 wurde das kleine Steinkreuz am Fuß des Turmes vor dem Hauptportal aufgestellt. Es stammt möglicherweise vom alten Marienkirchhof.
     Das Baumaterial der Kirche selbst widerspiegelt ihre Entstehungszeit. Die Vorhalle mit Turm wurde ab 1418 errichtet. Der untere Teil besteht aus behauenen Geschieben, der deutlich sichtbar abgesetzte hellere obere Teil des gemauerten Turmes aus Rüdersdorfer Kalkstein. Auch der Fernsehturm nebenan besteht aus Kalkstein, hier aber in industriell verwandelter Form - als Beton.
     Nur wenige Schritte entfernt lenkt der Neptunbrunnen die Blicke auf sich. 1888 schenkte die Stadt Berlin den vom Bildhauer Reinhold Begas (1831-1911) entworfenen Brunnen dem Kaiser Wilhelm II. (1859-1941, Kaiser 1888-1918). Der ursprüngliche Standort war der damalige Schloßplatz in der Verlängerung der Breiten Straße. Im Zweiten Weltkrieg ist er stark beschädigt und nach dem Krieg demontiert worden. Später wurde das Brunnenbecken aus ukrainischem Granit neu hergestellt. Seit 1969 steht der restaurierte Brunnen an seinem heutigen Platz zwischen Marienkirche und Rathaus.
     Das 1861 bis 1870 im Stil der Neorenaissance errichtete Berliner Rathaus ist ein Beispiel für die Kombination von traditionellen norddeutschen Klinkern und Werksteinen. Der Sockel ist mit hellem Lausitzer Granodiorit (einer Abart von Granit) verkleidet. Die Einfassungen der Fenster bestehen aus Elbsandstein, die Reliefs und Ornamente aus Terrakotten - rotem, gebranntem Ton.
Werksteine sind dafür reichlich im Inneren des Hauses verbaut worden, so im Wappensaal und der Vorhalle, aber auch in den Garderobenräumen. Insgesamt wurden 20 verschiedene Arten Naturstein im Roten Rathaus verwendet.
     Für Interessenten sei auf das im Quellenverzeichnis genannte Buch »Naturwerksteine in Architektur und Baugeschichte von Berlin« verwiesen, das eine ausführliche Beschreibung dieses und vieler weiterer Bauten zwischen Marienkirche und Siegessäule gibt.
     Die Verwendung von Naturwerksteinen bei einem relativ modernen Gebäude zeigt das ehemalige Staatsratsgebäude der DDR, derzeitig Sitz des Bundeskanzlers. Es wurde 1961 bis 1964 errichtet. Das den Bau prägende Portal aus dem zerstörten Stadtschloss besteht aus Elbsandstein. Der Sockel des Gebäudes ist mit dunkelgrüngrauem Oberlausitzer Lamporphyr (ein Ganggestein, das in einen Granitkomplex eingedrungen ist) verblendet, die hellen Quer- und Längsstreifen bestehen wie das Portal aus Elbsandstein. Die roten, senkrechten Gliederungselemente der Außenwand sind Quarzporphyrplatten aus Löbejün (bei Halle). Auch im Inneren des Gebäudes sind vielfältige Steine verwendet worden, überwiegend aus Brüchen des Gebietes der DDR. Nur untergeordnete Partien sind aus Ungarn bezogen wurden.
     Hinter der Schleusenbrücke steht rechterhand der Bärenbrunnen. Er wurde 1928 erstmalig aufgestellt und nach Kriegszerstörung 1958 neu geschaffen.
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Für die Bären wie die Brunneneinfassung wurde ziegelroter Rochlitzer Porphyr verwendet. Ein klassisches Beispiel für die Verwendung von Naturstein ist die Granitschale vor dem Alten Museum. König Friedrich Wilhelm III. (1770-1840, König 1797-1840) erteilte Christian Gottlieb Cantian (1794-1866) den Auftrag, eine Schale von 5,10 Meter Durchmesser herzustellen. Sie sollte größer werden als die berühmte Schale aus Neros Goldenem Haus, die sich heute im Vatikan befindet. Als Ausgangsgestein wählte Cantian einen Findling in den Rauenschen Bergen bei Fürstenwalde. 1827 begann die Spaltung des Steins, an der bis zu 100 Arbeiter beteiligt waren. Dabei stellte Cantian fest, dass die Schale sogar einen Durchmesser von 6,10 Metern erhalten könne. Damit war die ursprünglich vorgesehene Aufstellung in der Rotunde des Alten Museums nicht mehr möglich. Im November 1828 traf der Transport mit einem speziell gebauten Schiff in Berlin ein. Zum Schleifen der Schale war eine eigene Schleiferei errichtet worden. Diese Arbeit dauerte bis 1831. Erst 1834 erfolgte die Aufstellung an dem Ort, an dem sie heute wieder steht. (Ab 1934 stand die Schale nördlich des Doms, da Hitler den Lustgarten als Aufmarschplatz umgestalten ließ und die Schale an ihrem zentralen Standort dort störte. 1981 wurde sie an ihren historischen Platz rückversetzt.) Die Herkunft des Gesteins, eines Granits, war lange Zeit umstritten. Noch Goethe erklärte: »Mir mache man aber nicht weis, dass die in den Oderbrüchen liegenden Gesteine, dass der Markgrafenstein bei Fürstenwalde weit hergekommen sei; an Ort und Stelle sind sie liegengeblieben, als Reste großer, in sich selbst zerfallender Felsmassen.«3) 1925 endlich ergab eine genauere Untersuchung, dass der Granitblock aus Schweden stammt. Der Sockel für die Schale besteht aus grauem Lausitzer Granodiorit.
     Als letztes Objekt des kleinen Rundgangs soll der Berliner Dom besucht werden. Für die Gestaltung der Fassaden des 1894 bis 1905 errichteten Gebäudes wurde ausschließlich schlesischer Sandstein verwendet, Sockel und Treppenanlagen bestehen aus Granit. Im Inneren kann man eine Vielzahl weiterer Gesteine sehen. So wurde im Altarraum viel Marmor verwendet, während in der Predigtkirche Kalkstein vorherrscht. Auch das Kaisertreppenhaus des Doms ist mit Kalkstein unterschiedlicher Herkunftsorte geschmückt.
     Einen guten Überblick über Naturwerksteine gibt die Sammlung der ehemaligen Preußischen Geologischen Landesanstalt, die heute als Leihbestand des Naturkundemuseums in der Wilhelmstraße in Spandau (nach Voranmeldung) zu besichtigen ist.
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Hier gibt es auch ein Verzeichnis mit detaillierten Informationen über mehr als hundert Gesteinsarten: wo die Vorkommen zu finden sind, wie die Gesteine bearbeitet werden können und wie beständig sie gegen Verwitterung sind. Für Restauratoren, Architekten und Bauherren ist diese Sammlung eine wichtige Informationsquelle.
     Nicht zu vergessen sind neben Gebäuden auch die befestigten Verkehrsflächen. Während Straßenpflaster aus Geschieben (»Katzenköpfe«) heute im Stadtzentrum nur noch selten zu sehen sind (und oft unter Asphalt verborgen wurden), hat das Kleinpflaster für Fußwege heute noch eine wichtige Funktion. Von der Straße durch die aus hartem Granit bestehenden Bordkanten getrennt, wurden in der Mitte des Bürgersteigs häufig rechteckige Granitplatten verlegt, die seitlich von kleinen, hellgrauen Steinen aus Bernburger Rogenkalk gesäumt werden, einem Gestein der Muschelkalkformation. Oftmals wurden früher beim Pflastern regelrechte Motive gestaltet. Heute werden als Kleinpflaster hellbis dunkelgraue Granite aus Schlesien, aber auch aus Portugal und Spanien verwendet. Die deutschen Steinbrüche unterlagen im Preiskampf. Es ist aber erfreulich, dass die öde Betonierung oder gar Asphaltierung von Fußwegen wieder vom Kleinpflaster zurückgedrängt wird.
     Man kann die Spur der Steine in der Stadt nicht verlassen, ohne einen Blick in den U- Bahnhof Märkisches Museum geworfen zu haben. An seinen Tunnelwänden sind um 1987 historische Stadtgrundrisse aus acht Jahrhunderten als moderne Steingestaltungen angebracht worden.
Dazu wurden die in der jeweiligen Zeit häufigsten mineralischen Baustoffe verwendet. Das sind für den ersten Zeitschnitt (um 1237) grob zugehauene Feldsteine, für den zweiten (um 1680) gebrannte Ziegelsteine. Im dritten Grundriß (um 1810) werden durch unterschiedliche, oberflächengeschliffene Gesteine die Flächen der alten Stadtteile dargestellt, Beispiel für den zunehmenden Einsatz solcher Naturwerksteine. Berlin um die Jahrhundertwende 1900 wird durch Bernburger Kleinpflaster charakterisiert. Spaltklinker in unterschiedlichen Formen und Farben zeigt das zerstörte Berlin um 1945. Das letzte Bild, Ost-Berlin um 1987, läßt Großplattenbauten nebst Betonmauern und -straßen erahnen.4)

Quellen:
1 Geheimes Staatsarchiv: Corpus constit. Marchicarum, 6. Teil, 2. Abt., S. 157/158, No. LXXXIX
2 Ebenda, S. 189/190, No. CX
3 Schroeder, Johannes H. (Hrsg.): Naturwerksteine in Architektur und Baugeschichte von Berlin.
Nr. 6 der Reihe »Führer zur Geologie von Berlin und Brandenburg«, Berlin 1999, S. 98
4 Eberhardt, Frank: Ein Museum unter der Erde. Der U- Bahnhof Märkisches Museum. In Berlinische Monatsschrift, 3. Jg., 2/1994, S. 34 ff.

Bildquelle:
J. H. Schroeder: Naturwerksteine in Architektur und Baugeschichte von Berlin, S. 92

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 1/2001
www.berlinische-monatsschrift.de