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Kurt Laser
... und dann kam Otto Normalverbraucher

Der Nachkriegsfilm in der deutschen Hauptstadt

Als Kind habe ich den DEFA-Film »Irgendwo in Berlin« gesehen. Er hat mich damals so beeindruckt, dass ich noch lange einige Szenen bildhaft vor mir hatte: Der Junge, der, um seinen Mut zu beweisen, eine Ruinenwand erklimmt und sinnlos in den Tod stürzt. Sein verzweifelter Freund, der den Schmerz durch gemeinsame Arbeit mit anderen Jugendlichen im Wiederaufbau der kaputten Stadt zu überwinden beginnt.
     Als ich jetzt einige damalige Filmkritiken las, musste ich feststellen, dass die Wirkung des Films offensichtlich nicht so bedeutend war, wie ich das erlebt hatte.
     Der bekannte Berliner Kritiker Friedrich Luft (1911-1990) schreibt in seiner Rezension im »Tagesspiegel« am 20. Dezember 1946: »So werden die Kinder, wenn sie den Film sehen sollten, ihren Spaß doch nur an den knallenden Effekten des Kriegspielens haben. Auf mein sicheres Wort.« Dies sichere Wort galt für mich nicht.
     Friedrich Luft kritisiert aber - sicher zu Recht: »Voll guten Willens verhedderte man sich wieder in der Angst, ja nichts auszulassen, was Zeitnähe beweisen könnte.«

Er zählt dann auf, was alles noch in den Streifen hineingepresst wurde: ein volles Heimkehrerschicksal, die wartende einsame Frau, Schwarzmarkt, Hehlerei und die Kripo, der florierende Tingeltangel, ein Dieb mit Hokuspokusallüren, ein aufbaufreudiger Tischler, ein sinnierender Maler. Luft kommt zum Fazit: »Hätte man sich nur an das Thema gehalten, ... hätte man sich nur auf die prächtigen Steppkes beschränkt, der Film hätte sich sehen lassen könnten.« Er bescheinigt dem Regisseur Gerhard Lamprecht (1897-1974), dieser habe mit dem Kinderfilm »Emil und die Detektive« (1931) einst schon bewiesen, wie glücklich er im Umgang mit spielenden Jungen ist. »Schade«, meint Luft, »der dritte Versuch der DEFA zerflatterte.«
     In diese Richtung zielen auch andere zeitgenössische Kommentare. Die Filmgeschichtsschreibung beurteilt ihn ebenfalls nicht sonderlich positiv, hält ihm bloß zugute, dass er ja zum Leben sagt.
     Dieser dritte DEFA-Film »Irgendwo in Berlin« hat im Dezember 1946 Premiere. Doch bereits am 28. April 1945 - in Berlin toben noch die Kämpfe - erteilt der sowjetische Stadtkommandant Generaloberst Bersarin mit seinem Befehl Nr. 1 die Erlaubnis zur Wiedereröffnung von Kinos und Theatern. Von den ehemals 400 Kinos Berlins haben bis zum 17. Mai 1945 30 bereits wieder geöffnet. Gezeigt werden sowjetische und amerikanische Filme, aber auch alte deutsche Unterhaltungsfilme.
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In Reinickendorf wird Kindern ein amerikanischer Film mit Trick- und Naturaufnahmen geboten, in Köpenick ein sowjetischer Märchenfilm. Am 23. Mai, um 16.00 Uhr, startet das Babylon in Mitte mit dem sowjetischen Film »Die Kinder des Kapitän Grant«. Artistische Darbietungen leiten die Vorstellung ein. Eine lange Schlange steht zwei Tage später vor dem Kino Rio im Berliner Norden. Die Wartenden wollen den sowjetischen Film »Die reiche Braut« sehen.
     Das Filmtheater Kurfürstendamm ist zu diesem Zeitpunkt noch der musikalischen Revue »Klingende Sterne« vorbehalten. Das ebenfalls am Kurfürstendamm gelegene Marmorhaus zeigt zunächst auch eine Revue. »Heitere Klänge aus Tonfilm und Operette« erfreuen die Zuschauer. Ab 10. Juni 1945 werden aber wieder täglich um 15.30 und um 18.00 Uhr Filme vorgeführt. Vor der Abendvorstellung läuft eine Bühnenschau, wie sie auch in vielen anderen Kinos nicht fehlen darf.
     Als am 21. Mai 1945 die feierliche Gründungsversammlung des Magistrats von Berlin stattfindet, spricht auch Heinz Rühmann (1902-1994). Die »Berliner Zeitung« bescheinigt ihm, er habe als einer der ersten, wenn nicht als erster bekannter Berliner Künstler sofort seine Person und sein Können vorbehaltlos für die Aufgabe des Wiederaufbaus zur Verfügung gestellt. Er könne der Stadtverwaltung als Filmfachmann von großem Nutzen sein.
Rühmann verspricht unter stürmischem Beifall, dass er und »alle volksverbundenen Künstler freudiger und schwerer arbeiten würden als je zuvor, um den am Wiederaufbau Schaffenden die Freude und Entspannung, die sie brauchen, mit den Mitteln der Kunst zu bieten ... Diese Aufgabe ist um so schöner für mich«, schloss Rühmann, »als jetzt die Kunst befreit sein wird von allen Schikanen und Fesseln, unter denen sie bis vor wenigen Tagen litt.«
     In seinem Buch »Das war's« erinnert sich Rühmann, dass in den ersten Monaten alles gut anzulaufen schien. Schon im Mai 1945 kommen die ersten Sowjetoffiziere zu ihm, um mit ihm über den Aufbau des neuen deutschen Films zu sprechen. Vor allem fragen sie nach der Adresse von Paul Wegener (1874-1948), für den sie sich brennend interessieren und von dem sie alles im Einzelnen wissen wollen. Wegener wird dann auch Vorsitzender eines Ausschusses, dem auch Rühmann angehört, der die Voraussetzungen für den Wiederaufbau der deutschen Filmindustrie schaffen soll.
     »Doch bevor wir richtig zu arbeiten beginnen konnten, wurde der Ausschuss aufgelöst, und es begann die Zeit der Viermächte- Besatzung, der Fragebogen und Untersuchungskommissionen«, schreibt Rühmann weiter. Ein deutscher Entnazifizierungs- Ausschuß bestätigt ihm dann kurze Zeit später, dass er weder in der NSDAP noch in einer ihrer Nebenorganisationen gewesen ist und auch in keinem Tendenzfilm mitgewirkt habe.
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Er bekommt eine Arbeitserlaubnis, gründet 1947 in Hannover eine eigene Produktionsfirma, die fünf Jahre später allerdings Konkurs anmeldet.
     Ende Juni 1945 spielen bereits wieder 127 Berliner Kinos, die täglich rund 100 000 Besucher zählen. Am 21. Juli 1945 findet im Marmorhaus die Premiere des sowjetischen Dokumentarfilms »Berlin« statt. Die Aufnahmen haben Frontkameraleute der sowjetischen Armeegruppe 1. Belorussische Front aufgenommen. Es ist der Bericht von der letzten entscheidenden Schlacht der Roten Armee gegen das faschistische Deutschland, die Einnahme Berlins und die bedingungslose Kapitulation. »Besonders eindrucksvoll sind Überblendungen«, schreibt die »Deutsche Volkszeitung«, »die uns bei einzelnen Szenen in frühere Jahre oder selbst nur frühere Monate der Hitlerwehrmacht zurückversetzen, die uns Hände von Männern, Frauen und Kindern zeigen, die sich heute nach dem Brot der Roten Armee ausstrecken, die sich noch wenige Wochen oder Monate vorher ausstreckten, um ihren >Führer< zu bejubeln.« Der Film läuft danach in etwa 40 Berliner Filmtheatern.
     Ausländische Filme laufen in Originalfassung. So schildert ein Leser der »Berliner Zeitung« am 24. Mai 1945, dass er im Südwesten der Stadt seinen ersten »Russenfilm« nach Kriegsschluss gesehen hat: »Professor Mamlock«.

Filmplakat (1946) von »Irgendwo in Berlin«, des dritten Defa-Spielfilms

 
Wahrscheinlich weiß er nicht, daß der Autor dieses 1938 in der Sowjetunion gedrehten Films der deutsche Kommunist, Arzt und Schriftsteller Friedrich Wolf (1888-1953) ist.

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Der Leser schreibt, dass er zu Beginn feststellen musste, dass die Tonübertragung nur russische Worte brachte. Bald begriff er aber die Handlung bestens, und so ging es auch den meisten Besuchern. Besonders eingeprägt hat sich ihm die Wiedersehensszene des jüdischen Arztes mit seinem Sohn. Abschließend wünscht er sich, bald wieder eine Vorführung zu besuchen, vielleicht auch ausländische Filme mit deutschem Ton sehen und hören zu können.
     Immerhin wird Ende Juni 1945 angekündigt, dass der »Illustrierte Filmkurier« mit Genehmigung und im Auftrag von Sojusintorgkino wieder in denVereinigten Verlagsgesellschaften Franke & Co KG erscheinen wird, reichbebildert, mit ausführlichen Inhaltsangaben der sowjetischen Filme und den Namen der Mitwirkenden.
     Am 18. Juni 1945 wird in der »Berliner Zeitung« inseriert, dass sich erfahrene Sprecher für Nachsynchronisationen sofort bei der Tobis-Film in den Jofa- Ateliers in Johannisthal melden sollen. Frühere Mitarbeiter der Tobis waren bereits in den ersten Maitagen darangegangen, ihren schwer beschädigten Betrieb wieder aufzubauen. Erst am 29. Mai 1945 erhalten sie vom Treptower Bürgermeister dazu den offiziellen Auftrag. Da sind die Ateliers 3 und 11 schon wieder betriebsbereit. Aufträge kommen von der sowjetischen Verleihfirma Sojusintorgkino. Der erste Film, der in deutscher Sprache gezeigt werden soll, ist »Iwan der Schreckliche« (Iwan Grosny, 1945) von Sergej Eisenstein (1898-1948).
Im Juli beendet die Tobis unter der Regie von Wolfgang Staudte (1906-1984), von dem auch die Textfassung stammt, die Synchronisationsarbeiten für diesen Film. Am 10. August 1945 hat er Premiere in den Filmtheatern Friedrichshain und Marmorhaus. Im Oktober 1945 erhält die Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung von der SMAD den offiziellen Auftrag, mit den vorbereitenden Arbeiten für eine deutsch- sowjetischen Filmproduktionsfirma zu beginnen. Diese Aufgabe übernimmt ein Filmaktiv, das sich im gleichen Monat gebildet hatte und unter der Aufsicht der Zentralverwaltung arbeitete. Zu ihm gehören Adolf Fischer (1900-1984), Carl Haacker (1890-1945), Hans Klering (1906-1988), Alfred Lindemann (1902-1979), Kurt Maetzig (geb. 1911) und Willy Schiller (1899-1972). Alle fünf verfügen über Erfahrung auf dem Gebiet des Films und gehören der KPD an. Carl Haacker kommt im Dezember 1945 bei einem Verkehrsunfall ums Leben.
     Am 6. Februar 1946 legt das Filmaktiv Pläne für elf Spielfilme vor. Die Filme, die dann tatsächlich als erste hergestellt werden - »Die Mörder sind unter uns«, »Freies Land«, ein Film über die Bodenreform, und »Irgendwo in Berlin« -, sind nicht dabei.
     Am 18. Februar 1946, noch vor der Gründung der Filmgesellschaft, stellt Kurt Maetzig die erste Wochenschau »Der Augenzeuge« vor. Unter dem Motto »Sie sehen selbst, Sie hören selbst - urteilen Sie selbst« erscheint sie zunächst ein-, dann zweimal monatlich und ab Sommer 46 wöchentlich.
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Maetzig produziert noch 1946 die Kurzdokumentarfilme »Berlin im Aufbau«, »Einheit« (über die Vereinigung von KPD und SPD) und »1. Mai 1946«.
     Am 17. Mai 1946 wird dann in der großen Halle des Althoff- Ateliers in Babelsberg feierlich die Lizenz zur Herstellung von Filmen aller Art an die Deutsche Film AG, kurz DEFA genannt, übergeben. Mitglieder des Filmaktivs übernehmen Leitungsfunktionen in der neuen Gesellschaft. Alfred Lindemann ist nun Produktionschef und für die Gesamtleitung zuständig, die künstlerische Leitung liegt in den Händen von Hans Klering, Willy Schiller ist Chefarchitekt, Kurt Maetzig leitet die Wochenschauproduktion und arbeitet als Regisseur.
     Für den Filmverleih ist in der ersten Zeit Sojusintorgkino (später: Sovexport) zuständig. Die DEFA, zunächst eine Gesellschaft mit sowjetischer Beteiligung, wird 1952 in das Eigentum der DDR überführt.
     Am 10. Oktober 1945 kommt der Regisseur Wolfgang Staudte (1906-1984) zu Herbert Volkmann (1901-1983), dem Leiter der Unterabteilung Literatur und Kunst der Zentralverwaltung für Volksbildung, zu der auch der Bereich Film gehört. Er legt ihm ein Drehbuch mit dem Titel »Der Mann, den ich töten werde« vor. Bei den zuständigen Besatzungsoffizieren im britischen, amerikanischen und französischen Sektor von Berlin war er erfolglos geblieben.
Staudte erinnerte sich später: »Peter van Eyck war bei den Amerikanern verantwortlicher Film-Offizier und hat mir in einem gebrochenen Deutsch, dafür aber in einer ungeheuer gutsitzenden Uniform erzählt, daß in den nächsten zwanzig Jahren für uns Deutsche an Filmen gar nicht zu denken sei ... Nur der russische Kulturoffizier war an meinem Projekt interessiert... Ich erinnere mich noch genau, eines Nachts wurde ich zu dem Offizier in die Jägerstraße bestellt. Es gab keinen Strom, und wir verhandelten bei Kerzenlicht. Er gratulierte mir und kannte jede Stelle des Drehbuches auswendig.«1)
     Der Film erzählt vor dem Hintergrund der Berliner Ruinenlandschaft die Geschichte eines jungen Arztes, der bei der Wehrmacht Zeuge von Kriegsverbrechen wird. Als er nach Kriegsende in dem neureichen Fabrikanten seinen Bataillonskommandeur wiedererkennt, der unschuldige Menschen ermorden ließ, will er ihn erschießen, wird jedoch durch eine junge Antifaschistin, gespielt von Hildegard Knef (geb. 1925), davon abgehalten. Er tötet diesen Mann nicht - so hatte es ursprünglich in Staudtes Drehbuch gestanden - sondern überlässt ihn der Justiz.
     Die Premiere des Films mit dem endgültigen Titel »Die Mörder sind unter uns« findet am 15. Oktober 1946 in der Spielstätte der Deutschen Staatsoper im ehemaligen »Admiralspalast«, dem späteren Metropoltheater, statt.
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Durch seine hervorragende künstlerische Gestaltung setzt der Film hohe Maßstäbe für die Entwicklung des neuen Filmschaffens. Der erste DEFA-Film ist ein Klassiker der Filmgeschichte.
     In West-Berlin knüpft Arthur Brauner (geb. 1918) Kontakte zu früheren Mitarbeitern der Terra- Filmkunst. Er gründet am 16. September 1946 die Central Cinema Comp. Film GmbH (CCC-Film). Schon vorher hat er sich finanziell beteiligt an der ersten Westberliner Filmproduktion, dem Streifen »Sag die Wahrheit«, den die Studio 45 Film GmbH im Oktober und November 1946 dreht. Das erste deutsche Filmlustspiel der Nachkriegszeit hat im Dezember 1946 in der Film-Bühne Wien am Kurfürstendamm Premiere. Es ist ein UFA-Stoff aus dem letzten Kriegsjahr mit Gustav Fröhlich (1902-1987) in der Hauptrolle. Der Film kommt bei der Kritik schlecht weg, ist aber an der Kinokasse ein voller Erfolg. Arthur Brauner übernimmt gleich Besetzung und Stab dieses Films für seine erste eigene CCC- Produktion, die musikalische Filmkomödie »Herzkönig« (1947).
     Mit der DEFA steht Brauner in gutem Kontakt. Für seinen ersten Film bekommt er 2000 Meter Agfa- Filmmaterial aus Johannisthal, und im Sommer 1949 produziert er in Babelsberg »Man spielt nicht mit der Liebe« (Regie Hans Deppe, 1867-1969).
Das Berlin der ersten Nachkriegsjahre steht häufig im Mittelpunkt von Filmen, so auch bei der »Berliner Ballade« der Alf-Teichs- Produktion, einer bissigen Satire auf das Nachkriegsleben. Regie führt Robert A. Stemmle (1903-1974), Szenarist ist Günter Neumann (1913-1972). Hier startet Gert Fröbe (1913-1988) als magerer »Otto Normalverbraucher« seine Filmkarriere.
     Josef von Bakys (1902-1966) erhält 1947 die Lizenz für die Objectiv- Film GmbH und führt im gleichen Jahr Regie bei dem Film »... und über uns der Himmel«. Hans Albers (1892-1960) spielt in der Manier des »Hoppla, jetzt komm ich« einen Heimkehrer, der auf die schiefe Bahn gerät. Durch die Liebe einer Frau und seinen Sohn, dem eine Operation das Augenlicht rettet, findet er den Weg in ein normales Leben.
     Wesentlich anspruchsvoller ist der von Arthur Brauner 1948 in den Tempelhofer Ateliers und in der Mark Brandenburg produzierte Film »Morituri«. Er schildert das Schicksal von Juden, die aus einem KZ in Polen ausbrechen und sich einige Zeit in einem Wald in Erdhütten verstecken, bis der Zusammenbruch der deutschen Front ihnen die Rettung bringt. Für Friedrich Luft ist »Morituri« eine Art dokumentarischer Wiedergutmachung. »Hier liegt die Fixierung einer deutschen Handlung vor, die man ohne halbes oder schlechtes Gewissen auch im Ausland wird vorweisen können«, schreibt er am 28. September 1948 in der »Neuen Zeitung«.
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Der Film läuft im November 1948 nach Premieren in Venedig und Hamburg auch in Berlin an und wird ein eindeutiger finanzieller Misserfolg. Brauner, der bei diesem Film aus eigenen Erlebnissen schöpfen kann, schreibt in seinen Erinnerungen: »Niemand hatte Lust, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die einen nicht, weil sie kein blütenweißes Gewissen hatten. Die anderen nicht, weil sie froh waren, diese Vergangenheit endlich hinter sich zu haben«.2)
     Wesentlich erfolgreicher ist dagegen der antifaschistische DEFA-Film »Ehe im Schatten«, 1947 unter der Regie von Kurt Maetzig gedreht. Er behandelt das tragische Schicksal des Berliner Schauspielerehepaars Gottschalk, das wie ein großer Teil der bürgerlichen Intelligenz die nazistische Gefahr zunächst unterschätzt. Joachim Gottschalk lehnt es ab, sich von seiner jüdischen Frau scheiden zu lassen, und trotzt auch allen Korrumpierungsversuchen der Nazis. Seine Frau verzichtet auf die noch mögliche Flucht ins Ausland, weil sie Repressalien gegen ihren Mann fürchtet. Nach jahrelangem, sich ständig verstärkendem Druck scheidet das Künstlerehepaar gemeinsam aus dem Leben.
     Wegen der Bedeutung des Films »Ehe im Schatten« führt die DEFA Verhandlungen mit den vier Besatzungsmächten, um zu erreichen, dass er gleichzeitig in allen vier Sektoren Berlins uraufgeführt wird.
Die Verantwortlichen sagen zu, und so erlebt der Film am 3. Oktober 1947 im Filmtheater Friedrichshain (sowjetischer Sektor), im Filmtheater Cosima in Friedenau (amerikanischer Sektor), im Filmtheater Kurbel in Charlottenburg (britischer Sektor) und im Primus Palast am Gesundbrunnen (französischer Sektor) sein Uraufführung.
     Die »Tägliche Rundschau« berichtet über die Premiere im Friedrichshain: »Das Publikum verharrte lange in schweigender Ergriffenheit, nachdem am Schluss in ein kahles, trostloses Friedhofsbild die Widmung des Werkes an den toten Schauspieler Joachim Gottschalk und alle seine Mitopfer eingeblendet war. Dann löste sich herzlicher, ehrlicher Beifall.« Zu den Publikumserfolgen der DEFA in dieser Zeit gehört auch der 1948 entstandene Film »Affäre Blum« mit Erich Engel (1891-1966) als Regisseur und Robert A. Stemmle als Drehbuchautor. Sie heben das Genre des Kriminalfalls auf ein hohes künstlerisches Niveau. Den historischen Stoff entnehmen sie einem in der Weimarer Republik geführten Prozess, in dem ein jüdischer Fabrikant verdächtigt wurde, seinen Buchhalter ermordet zu haben, der ihn wegen Steuerhinterziehung angezeigt hat. Der drohende Justizmord, zu dem die antisemitischen Richter durchaus fähig sind, wird durch einen ehrlichen Kriminalkommissar aus Berlin verhindert sowie durch das erwachende Verantwortungs- Bewusstsein der Geliebten des wirklichen Mörders, eines ehemaligen Freikorpsmannes.
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Der Film, der am 3. Dezember 1948 im Babylon uraufgeführt wird, zählt in zehn Tagen mehr als 30 000 Besucher.
     »Die >Affäre Blum< ist das deutsche Gegenstück zur französischen Dreyfus- Affäre«, schreibt der »Telegraph« am 5. Dezember 1948. »Ein Zeitfilm ohne jeden falschen Ton ... Er fand eine ungeteilte enthusiastische Aufnahme.« Der Filmkritiker der »Welt« hält ihn »für die geschlossenste und in ihrer Wirkung stärkste Leistung der deutschen Nachkriegsfilmproduktion«. Der »Nacht- Express« meint: »Gemessen an dem, was heute im Film geleistet wird, hat diese »Affäre Blum« berechtigte Aussicht, ein Welterfolg zu werden.«
     Die Vergangenheit spielt immer wieder bei der DEFA eine Rolle, so auch bei dem Film »Und wieder 48«, der am 5. November 1948 in Berlin Premiere hat. Zum 100. Jahrestag der Revolution werden noch einmal Barrikadenkämpfe inszeniert. Doch die Rahmenhandlung macht den aktuellen Bezug mit einem Plakat zur »Volksbefragung für Einheit und gerechten Frieden« deutlich. Dieses ruft auf: »Was 1848 unvollendet blieb, müssen wir vollenden«.
     1949 führt Wolfgang Staudte erneut Regie bei der DEFA. Der Film »Rotation« wird am 16. September 1949 im Babylon und im DEFA- Filmtheater Kastanienallee uraufgeführt. Er spielt im Berlin der Jahre von 1932 bis 1946 und ist die Geschichte des Druckereimaschinenmeisters Behnke, der versucht, sich und seine Familie aus der Politik herauszuhalten.
Da bittet ihn sein Schwager, eine Druckmaschine zu reparieren, auf der antifaschistische Flugblätter hergestellt werden. Er nimmt einige davon nach Hause mit. Hier entdeckt sie sein Sohn, ein fanatischer Hitlerjunge, der ihn denunziert. In der Schlussszene schließt der aus dem Zuchthaus befreite Arbeiter Behnke seinen aus der Gefangenschaft heimgekehrten Sohn in die Arme.
     Staudte hat nach eigener Aussage mit dem Film versucht zu zeigen, wie es zu der unfassbaren Katastrophe des Nazismus kommen konnte, um mitzuhelfen, dass die Zukunft nicht eine noch größere Katastrophe bringt. Zu viele seien schon wieder bereit, »den gleichen Weg, der Europa erschüttert hat, nochmals zu gehen«.
     »Ist die Entwicklung der Menschheit stets eine Wiederholung des Gleichen?«, fragt Herbert Ihering (1888-1977) in seiner Rezension in der »Berliner Zeitung« vom 18. September 1949. »Dagegen muss sich der Mensch wehren.«

Anmerkungen:
1 Zitiert nach: Ralf Schenk (Hrsg.), Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg, DEFA- Spielfilme 1946-1992, Berlin 1994, S. 12
2 «Atze« Brauner. Mich gibt's nur einmal. Rückblende eines Lebens, München/Berlin 1976, S. 75)

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 12/2000
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