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Schmalhans kocht trotzdem gut

Rezepte aus dem Nachkriegskochbuch

Not macht erfinderisch. Diese alte Weisheit galt erst recht nach 1945. Die Berliner Hausfrauen stellten ihren großen Einfallsreichtum unter Beweis, um mit dem wenigen, was die Lebensmittelkarten, der eigene Garten, die Hamsterfahrten aufs Land und der Schwarzmarkt boten, ihren Familien täglich etwas auf den Tisch zu bringen. Im Grunde setzten sie Küchenpraktiken fort, die sie sich während des Krieges angeeignet hatten. »Hauptgerichte ohne Fleisch« und »Brotaufstriche ohne Fett« hatte schon die NS- Frauenschaft propagiert. Dass man mit Sägemehl Brot strecken und mit Kartoffeln fast alle fehlenden Lebensmittel ersetzen konnte, war ein offenes Geheimnis. Der Satz »Am Kochtopf wird der Krieg gewonnen« galt im übertragenen Sinne auch für die Bewältigung der Nachkriegsnöte.
     Wo Schmalhans Küchenmeister war, wurde nichts weggeworfen:

»Verwerten Sie schon ihre Kartoffelschalen?
Die Schalen der rohen Kartoffeln werden, nachdem sie sehr sauber gewaschen und


Eines der beliebten Spar- Rezepthefte

 
geputzt sind, kurz übertrocknet, dann gekocht und nach Abkühlung durch den Fleischwolf gedreht. Diese Masse läßt sich sowohl für Kartoffelklöße, wie Bratlinge und Kartoffelkuchen gut verwenden.«1)

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Falsche Leberwurst und Eichelsuppe

Es gab Empfehlungen, erfrorene Kartoffeln langsam in kaltem Salzwasser auftauen zu lassen und dann ebenfalls zu Klößen, Suppen und dergleichen zu verwenden. Da die Rationen der Lebensmittelkarten weder vorn noch hinten reichten, griff man zu Ersatzstoffen, die der Handel oder Mutter Natur anboten. Eichelmehl galt nicht nur als Kaffee- Ersatz, wie das nachstehende Rezept zeigt:

»Dicke Eichelsuppe als Hauptgericht
(für 4 Personen)
5 g Fett erwärmen, darin 1 Esslöffel Mehl braun schwitzen. Mit Wasser aufkochen und 6 Eßl. Mehl, vorgequollen, einrühren, außerdem 7 Eßl. Eichelmehl trocken einrieseln, gut durchrühren u. aufkochen.
10 Minuten garquellen.«2)

Auf dem Speiseplan der Berliner Hausfrauen standen zumeist fleischlose Gerichte, dünne Wassersuppen und undefinierbare Brotaufstriche, die sämtlich mit dem Attribut »falsch« begannen: »Falsche Leberwurst«, »Falscher Honig (mit Bier)« oder das so beliebte:

»Falsches Schmalz ohne Öl
Kleingeschnittene Zwiebeln in ¼ Liter Wasser geben, zwei Eßlöffel Grieß hinzu und alles gut durchkochen lassen. Mit Salz, Pfeffer und Majoran abschmecken.«3)

Zu Ostern und Weihnachten gab es Sonderzuteilungen auf die Lebensmittelkarten. Dennoch empfand man zu diesen und zu familiären Feiertagen den Mangel an Lebensmitteln besonders schmerzlich. Die kluge Hausfrau verstand es immer wieder, »Leckereien« auf den Tisch zu bringen, wie die beiden folgenden Beispiele zeigen.

Mit Gerstenkaffee und gemahlenem Roggen

Als Hanna Lehmann im Frühjahr 1946 ihre Konfirmation in ganz kleinem Kreis zu Hause feierte, buk die 14- Jährige ihren ersten Kuchen:
     »Meine Freundin hatte mir ein Rezept geschrieben, der Kuchen sollte also so aussehen:
1 ½ Tassen Kaffeeschrot (Gerstenkaffee, echten hatten wir natürlich nicht)
2 Tassen flüssiger Gerstenkaffee
3 Tassen Mehl (dafür haben wir Roggenähren durch die Kaffeemühle gedreht)
2 Tassen Zucker (war ziemlich schwierig, den zu bekommen)
Backpulver
Rumaroma
Mandeln und Marzipan, je nach Geschmack.
     Meine Freundin hat noch dazugeschrieben:
     >Liebe Hanna! Recht gutes Gelingen wünsche ich Dir zu Deinem ersten Backversuch. Immer mutig ans Werk ... Ich backe diesen Kuchen stets selbständig.
Deine Gila.<

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Diesen Kuchen habe ich also zu meiner Konfirmation gebacken. Er hat mir unheimlich gut geschmeckt.«4)

Zum Weihnachtsessen ein Gläschen Alkolat

Und der Braten zur ersten Friedensweihnacht? Auch hierfür boten sich Lösungen an, wie Karl Lühning erzählte:
     »Wir hatten einen Freund, der auf einem Bauernhof lebte. ... Und kurz vor Weihnachten kam der wieder an und sagte, ich hab euch ein Karnickel mitgebracht. Er legte es hin und ging wieder. Wir hatten beinahe Tränen in den Augen. Ja, und nun gucken wir uns das Vieh an, und ich sag zu meiner Frau: Du, das ist eine Katze. Ja, sagt sie, ein Karnickel hat einen anderen Körperbau. Na ja, was meint ihr, mit welchem Appetit wir zu Weihnachten diese Katze gegessen haben! Und geschmeckt hat es wirklich praktisch wie Karnickel, ganz gut.«5)
     Wenn man dazu noch ein Gläschen Alkolat oder Wein aus Löwenzahn trinken konnte, fühlte man sich glücklich wie »zu Friedenszeiten«.
     Woher kamen die Rezepte? Während des oft stundenlangen Anstehens vor den Lebensmittelgeschäften hatten die Frauen Zeit, ihre Küchenerfahrungen auszutauschen. Vieles wussten Eltern und Großeltern von den »Kohlrübenwintern« des Ersten Weltkrieges zu berichten. Keine Tageszeitung verabsäumte es, im Lokalteil Koch- und Backrezepte abzudrucken.

Und schließlich gab es eine Vielzahl von Broschüren zu kaufen mit so verlockenden Titeln wie: »Umgewandeltes Roggenmehl - sättigend und schmackhaft«, »Gute Soßen und Brotaufstrich mit wenig Fett« oder »Ernte ohne Saat - Wildgemüse im Haushalt«. Andere Traktate gaben sich sachlich: »Zeitgemäße Sparrezepte für die Hausfrau« oder »Schmalhans kocht trotzdem gut«.

(Zusammengestellt von Gerhard Keiderling)

Quellen:
1 Zeitgemäße Sparrezepte für die Hausfrau, Berlin 1946
2 Erika Lüders, 10 Pfund Eicheln sind 7 Pfund Eichelmehl. Ein Eichelkochbuch, Berlin 1946, S. 10 f.
3 Rosemarie Köhler, Brennesselsuppe und Rosinenbomber. Das Berliner Notkochbuch.
Rezepte, Erfahrungen und Hintergründe 1945-1949, Berlin 1999, S. 75
4 Detlef R. Mittag/ Detlef Schade, Die amerikanische Kaltwelle. Geschichten vom Überleben in der Nachkriegszeit, Berlin (West) 1983, S. 146
5 Ebenda, S. 193

Bildquelle: LBV

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 12/2000
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