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Dieter Weigert
Präludium auf dem Schloßplatz

Kontroversen und Ausstellungen 1946-1948

Das Berliner Schloss lag bei Kriegsende 1945 wie viele historische Gebäude der Reichshauptstadt in Trümmern. Die Nordwestecke am Lustgarten und an der Schlossfreiheit war am wenigsten vom Brand nach dem Bombardement am 3. Februar 1945 erfasst worden, sodass das darin befindliche Schlossmuseum weiterbestehen konnte, wenn auch auf engsten Raum zusammengedrängt. Auch Abschnitte des Schlossplatzflügels mit dem Staatsratssaal sowie Räume des Querbaues hatten den Krieg überstanden.
     In der Ruinenstadt Berlin kam den Diskussionen um das Berliner Schloss in der unmittelbaren Nachkriegszeit eine besondere Bedeutung zu. In ihnen bahnten sich spätere Entscheidungen und Ereignisse an. Diese Debatten belegen das geringe Engagement der Mehrheit der Magistratsmitglieder, der Bürgermeister, Stadträte und Abgeordneten, die zumeist der KPD und später der SED angehörten, für den Erhalt und die Sicherung schwer beschädigter Baudenkmäler Brandenburg- Preußens.

Der Architekt Prof. Hans Scharoun (1893-1972), Stadtrat für Bauwesen im durch die sowjetische Kommandantur eingesetzten Magistrat, setzte sich mit der ganzen Kraft seines persönlichen Prestiges und seiner Amtsvollmachten für die Sicherung der Schlossruine ein - mit der eindeutigen Zielstellung, später in Abhängigkeit von der finanziellen Situation und den Kapazitäten des Bauwesens an einen Wiederaufbau gehen zu können.

Die Rettung des Weißen Saales

Die Protokolle der Sitzungen des ersten Nachkriegsmagistrats beweisen, dass die Auseinandersetzungen um die Weiterexistenz des Schlosses schon im Juli 1945 begonnen hatten. Die Frontlinien verliefen klar und überschaubar: Scharoun auf der einen, die KPD- Mehrheit im Magistrat (führend darunter Arthur Pieck (1899-1970), Otto Winzer (1902-1975) und Karl Maron (1903-1975) sowie der parteilose Finanzstadtrat Edmund Noortwyk (1890-1954) auf der anderen Seite.
     Das Thema der drei zerstörten Berliner Schlösser stand am 23. Juli erstmals auf der Tagesordnung. Scharoun begründete eine Vorlage, die bezweckte, das Berliner Schloss, das Schloss Charlottenburg und das Schloss auf der Pfaueninsel vor dem völligen Verfall zu schützen. Vier Beamte der staatlichen Behörde würden für eine gewisse Zeit zu übernehmen sein.

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Weißer Saal, Nordwestecke, Zustand 1945
Die Kosten der Überwinterung der Gebäude seien gering.1)
     Scharoun erlitt in dieser Sitzung eine Niederlage; er konnte sich nicht gegen die KPD- Majorität durchsetzen. Nur mit Bitternis liest man heute Arthur Piecks Gründe für die
Nichtbewilligung der geringen Kosten in Höhe von einigen Tausend Mark: »Nur wirkliche Kunstwerke verdienen Bergung und Sicherstellung ... Die Schlösser enthalten keineswegs nur Gegenstände von Wert, sondern auch viel Kunstkitsch.
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Niemand hat heute ein Interesse an Machwerken, die nur Ausdruck des hohenzollernschen Imperialismus sind.«2) Ähnlich argumentierten die Stadträte Edmund Noortwyck (»Es kann nicht die Aufgabe des Magistrats sein, die Erinnerung an die Zeit der Hohenzollern zu konservieren«) und Paul Schwenk (1880-1960). Auch ein zweiter Vorstoß Scharouns am 20. August 1945, diesmal noch konkreter gefasst, scheiterte. In dieser Sitzung fühlte sich Scharoun durch Stadtrat Noortwycks Argumentation provoziert und reagierte erregt. Das Protokoll der Sitzung vermerkt: »Noortwyck denkt an die ungeheuerliche Not im kommenden Winter. Alle Mittel müssten eingesetzt werden, um diese Not zu mildern. Zudem ist ein großer Teil der deutschen Kultur durch die Schuld der Naziverbrecher untergegangen. Die vordringlichste Aufgabe ist, die Menschen, die aus der schauerlichen Katastrophe des Krieges gekommen sind, am Leben zu erhalten.
     Scharoun erklärt mit steigendem Nachdruck, man lebe nicht nur von materiellen Dingen. Der Aufwand sei im Vergleich zum Wert dessen, was hier gerettet werde, wahrhaft gering. Eigentlich könne es niemand verantworten, Kunstschätze, die heute noch rettbar sind, aber nach einem halben Jahr nicht mehr zu retten sein werden, untergehen zu lassen.«3)
Der dritte Versuch endlich gelang. Hans Scharoun erwies sich im Taktischen als lernfähig, er konnte Oberbürgermeister Dr. Werner dazu gewinnen, sich selbst von der baulichen Situation im Schloß zu überzeugen und Scharouns Vorschlag in der Sitzung des Magistrats vom 1. Oktober 1945 persönlich vorzutragen. Das Protokoll vermerkt: »Dr. Werner begründet kurz den Antrag der Abteilung für Bau und Wohnungswesen. Es handelt sich um die Durchführung von Baumaßnahmen zur Schaffung besonders gesicherter Räume mit einem Kostenaufwand bis zu 45 000 RM zur Unterbringung geborgener Kunstgegenstände. Der Redner hat sich an Ort und Stelle einen Eindruck über die Verhältnisse verschafft und bittet, dem Antrag zuzustimmen.«4)
     Der Widerstand war nunmehr gebrochen, Oberbürgermeister Dr. Werner konnte sich erlauben, offen für den Erhalt des Baudenkmals Schloss einzutreten: »Dr. Werner macht geltend, man werde den in Ordnung gebrachten Weißen Saal sehr gut für Versammlungszwecke usw. verwenden können. Außerdem diene der Raum zur Unterbringung wertvoller Kunstschätze. Es gilt, die Reste des Werkes Andreas Schlüters, des größten Architekten Berlins, vor dem Verderben zu bewahren. Die Nachwelt werde dem Magistrat dafür Dank wissen.«5)
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Weißer Saal, Zustand nach der Wiederherstellung 1946 (1950 gesprengt)
Stadtrat Hans Scharoun war sich darüber im Klaren, dass nunmehr der angenommene Beschluss auf eine solide Grundlage gestellt werden musste. Also wurden durch seine Abteilung Nutzungskonzepte für den Weißen Saal und angrenzende Räume des Nordostflügels des Schlosses entwickelt, die über das Ziel der Wiederherstellung und Sicherung der Bausubstanz hinausgingen. Die Debatte in der Magistratssitzung vom 29. Mai 1946 über Scharouns Bericht zu den vorangegangenen Arbeiten belegt die Taktik des Baustadtrats. Nach seiner Darstellung seien 35 000 RM verbaut worden, es müssten noch 20 000 RM für den Abschluss der Ausbauarbeiten im Weißen Saal bereitgestellt werden, um den Saal für Ausstellungszwecke nutzbar machen zu können.
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Die SED- Majorität durchschaute die Taktik Scharouns; Stadtrat Schwenk »erinnert daran, daß er seinerzeit bei der Vorlage für die Arbeiten im Berliner Schloss schon Bedenken dagegen geäußert habe, in eine solche Ruine noch Geld hineinzustecken. Damals handelte es sich aber nur darum, künstlerisch wertvolle Dinge gegen Witterungseinflüsse zu schützen, während die jetzigen Arbeiten darauf hinausliefen, einen Raum für Ausstellungszwecke herzurichten. Die Mittel würden somit für einen ganz anderen Zweck verwandt, als der Magistrat früher beschlossen habe. Gegen ein solches Vorgehen müsse Einspruch erhoben werden.« 6)
     Letztendlich musste sich die Majorität der Initiative Scharouns fügen, der laut Protokoll darauf hinwies, »daß die Arbeiten im Berliner Schloss darauf abgestellt waren, zwei Geschosse mit erhalten gebliebenen Sammlungen zu schützen, und daß bei diesen Wiederherstellungsarbeiten gewissermaßen zufällig noch der Weiße Saal als Ausstellungsraum gewonnen wurde.« Bürgermeister Maron (SED), Erster Stellvertreter des Oberbürgermeisters, räumte offen die Niederlage ein: »Maron meint, daß der Magistrat zum Teil selbst die Schuld an dieser Sachlage trage, da er seinerzeit den Beschluss gefasst habe, bei den Wiederherstellungsarbeiten im Schloss auch den Weißen Saal wieder herzurichten, um einen Raum für repräsentative Veranstaltungen zu haben.
Jetzt bleibt angesichts dessen, daß die Arbeiten schon so weit vorgeschritten sind, nichts weiter übrig, als den angefangenen Ausbau fertigzustellen, nur müsse streng darauf gesehen werden, so wenig Material wie möglich zu verwenden. Man solle aber aus dieser Sache die Lehre ziehen, bei weiteren Objekten vorher genau zu überlegen, ob sie wirklich lebensnotwendig seien.« Damit war der Weiße Saal als repräsentativer Ausstellungsraum gewonnen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sich Maron Monate später zusammen mit Scharoun in den Zeitungen als politischer Vater jener Ausstellung präsentierte, deren Räume im Schloss ihm der Baustadtrat entrungen hatte und dass er im Ausstellungskatalog Formulierungen fand, die der Sprache des parteilosen bürgerlichen Stadtrats mehr entsprochen hätten.

»Berlin plant - Erster Bericht«

Aus einem Zeitungsbericht jener Tage: »Durch das einzige erhaltene Treppenhaus des Berliner Stadtschlosses steigen wir die breiten Stufen zum Weißen Saal empor. Gespenstig wirkt der glänzende Stein gegen die geschwärzten Brandmauern, die wir eben durchschritten haben. Ein paar Kurfürsten stehen noch leicht beschädigt und vereinsamt in ihren Marmornischen.

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Blick in die Ausstellung »Berlin plant«, August 1946
Über den Saal selbst, dessen schwer mitgenommene Wände voll verblichenen Prunks vergeblich die Vergangenheit zu beschwören suchen, gähnt ein notdürftig mit Brettern abgedichteter Dachstuhl. Berlin, wie es war ...«7)
     Am 22. August 1946 konnte im Weißen Saal die Schau »Berlin plant - Erster Bericht«, in der u. a. der sogenannte »Kollektivplan« zum Wiederaufbau Berlins vorgestellt wurde, eröffnet werden.
     Gleichzeitig mit der Ausstellung im Weißen Saal wurde am 22. August 1946 im »Haus der
Schweiz« Friedrichstraße/ Ecke Unter den Linden die Ausstellung »Berlin im Aufbau« eröffnet, die Aufbauleistungen der einzelnen Bezirke vorstellte. Diesem Teil des Ausstellungsprojektes Scharouns war schon von Januar bis März 1946im Zeughaus eine Industrie- und Gewerbeausstellung unter dem Titel »Berlin baut auf« vorangegangen.
     Die Reihe der Planungsausstellungen des Jahres 1946 wurde am 16. Dezember 1946 in Hermsdorf abgeschlossen, wo der Strukturplan des Architekten Georg Heyer für ein Neues Berlin präsentiert wurde.8)
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Die Ausstellung im Schloss ragte wegen ihres umfassenden Anspruchs aus den verschiedenen Aktivitäten des Jahres heraus; sie zielte auf das Ganze, auf eine Vision des neuen Berlins, wenn auch die politischen und sozialen Zwänge und die materiellen Engpässe nur Andeutungen dieser Absicht Scharouns durchschimmern ließen.
     Es spricht für die Qualität der Tätigkeit Scharouns und seines Verständnisses von Öffentlichkeit, dass er trotz des Termindrucks einen künstlerischen Wettbewerb für die Gestaltung des Ausstellungsplakats ausschreiben läßt, aus dem der Berliner Grafiker Hans Leistikow (1892-1962) als Sieger hervorging. Leistikow war 1933 in Deutschland geblieben und gehörte zu jenen Künstlern, sich 1945 dem demokratischen Neuaufbau sofort zur Verfügung stellten.9)
     Die Ausstellung symbolisierte für die Berliner Öffentlichkeit den Übergang von der Phase des Wegräumens der Trümmer und des Aufräumens zur schöpferischen Phase des Wiederaufbaus, wie es Oberbürgermeister Dr. Werner in seiner Eröffnungsrede ausdrückte.

»Rückkehr der Arche Noah«

Nun war der Weiße Saal und die notdürftig reparierte Nordostecke des Schlosses der Berliner Öffentlichkeit präsentiert und von ihr angenommen worden. Der Weg durch das Eosanderportal über die eiligst instandgesetzten Treppen und durch die

abgedichteten und abgehängten Flure war eine Art erstes Wiedersehen mit dem Inneren des Schlosses und eine Wiedergewinnung der Zugänge, die den Berlinern von ihren Besuchen der Museen im ehemaligen brandenburgisch- preußischen Schloss in den zwanziger und dreißiger Jahren in Erinnerung geblieben waren.
     Die zweite Ausstellung vom Herbst 1946 stellte in mehrfacher Hinsicht eine Steigerung dar - sie war das Geschenk einer Siegermacht an die deutsche Bevölkerung, und sie versuchte, die europäische Sicht in die Trümmerstadt Berlin zu bringen.
     Der »Tagesspiegel« in seiner Ausgabe vom 23. Oktober 1946 brachte es auf den Punkt: »Die Eröffnung der Ausstellung moderner französischer Malerei im Weißen Saal des Berliner Schlosses bedeutete mehr als ein Ereignis in unserem kulturellen Neubeginn. Denn es ergab sich hier nicht nur die Möglichkeit eines Überblicks über das Heute in der Malerei Frankreichs, sondern dieses Ereignis war als ein Friedensschluß der Kulturwelt aufzufassen, die Rückkehr der Arche Noah mit dem Wertvollsten, was am Leben geblieben nach der Sintflut der Vergangenheit.«
     Die Kulturabteilung der französischen Militärverwaltung im Kontrollrat hatte schon im Sommer 1946 in ihrer Zone (Kurhaus Baden- Baden) und in Berlin zwei Kunstausstellungen präsentiert, die eine große Resonanz in der deutschen Bevölkerung hatten.
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Als ein erster Versuch in Berlin war die Ausstellung »Zeitgenössische französische Grafik« im Gebäude Schlüterstraße 45 vom 20. Juli bis zum 15. August 1946 zu betrachten. Etwa 250 Arbeiten von über sechzig lebenden Künstlern Frankreichs wurden vorgestellt, ergänzt durch etwa 30 Blätter »Souvenirs de déportation« des Belforter Zeichners Léon Delarbre (geb. 30. Oktober 1889), die in einem Buch über die Konzentrationslager Buchenwald, Auschwitz und Dora publiziert wurden.
     In Baden- Baden war im September 1946 mit großem Erfolg die Ausstellung »Die moderne französische Malerei« vorgestellt worden. Sie zeigte etwa 130 Gemälde aus den führenden Galerien Frankreichs - vom Impressionismus bis in die Gegenwart. Es war diese Ausstellung, die im Weißen Saal des Berliner Schlosses im Oktober d. J. präsentiert wurde. Nicht nur die Qualität der ausgewählten Kunstwerke, auch die Tatsache, dass der führende französische Kunstkritiker und Chefkonservator des Pariser Museums für Moderne Kunst Jean Cassou (1897-1986), die Einführung in den Ausstellungskatalog verfasst hatte, beeindruckte die deutsche Öffentlichkeit.
     Nach französischen Schätzungen hatte diese Ausstellung trotz ihrer kurzen Dauer von nur 15 Tagen allein über 25 000 Besucher.
     Der französische Historiker Bernard Genton hat rückblickend die kulturpolitische Initiativen der Besatzungsmacht Frankreich als

Katalogtitel der Ausstellung »Moderne Französische Malerei« mit Abbildung der »Bierkellnerin« von Claude Monet

konkurrenzlos und herausragend auch gegenüber den anderen drei Mächten charakterisiert.10) Es war doch mehr als eine politische Geste, dass gerade die Kulturnation Frankreich in einem »schwer beschädigten kaiserlichen Schloss mit großem Pomp«11) den Deutschen Meisterwerke der europäischen und Weltkultur präsentierte.

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Der Maler Karl Hofer (1878-1955), Vizepräsident des Kulturbundes und Direktor der Hochschule für Bildende Kunst, drückte in seiner Begrüßungsrede die tiefe Dankbarkeit aus, die er als Deutscher gegenüber der französischen Nation für diese Geste der Versöhnung empfand

»Schule des Sehens«

Zu den wegweisenden Entscheidungen des ersten Nachkriegsmagistrats in der Kulturpolitik muss man aus heutiger Sicht die Bestellung von Geheimrat Dr. Ludwig Justi (1876-1957) zum Generaldirektor der Berliner Museen vom 17. August 1946 zählen.12) Justi stand für den Weltruf der Berliner Museen, für die gewollte Kontinuität des ersten Nachkriegsmagistrats zu humanistischen Tendenzen der Kulturpolitik der Weimarer Republik.
     Stadtrat Otto Winzer (SED), (1902-1975) hatte diese Personalentscheidung vorbereitet und begründet. Geheimrat Justi sei zwar schon 72 Jahre alt, aber noch äußerst lebendig und tatkräftig, sagt das Protokoll. Justi berichtete über den Zustand der Reste der Berliner Sammlungen, entwickelte seine Vorstellungen über die ersten Schritte. »Heute ist der ehemals reiche Bestand der Museen durch die Kriegsereignisse mit ihren Zerstörungen und Verlagerungen äußerst verringert.

Eine wichtige Aufgabe neben der Wiedergewinnung verstreuter Kunstgegenstände ist, das Vorhandene dem Volke nahe zu bringen. Dies kann einmal geschehen durch Einrichtung einer Schausammlung, getrennt von der Studiensammlung. Die Schausammlung müsste öfter wechseln. Zum anderen könnte es geschehen durch die leihweise Hergabe von besonderen Sammlungen, die auch immer wechseln müssten, und ihre Aufstellung in öffentlichen Gebäuden, vor allem in kleinen Kunsthallen in den einzelnen Bezirken, namentlich den Außenbezirken. Durch solche kleinen örtlichen Sammlungen wird die Bevölkerung angeregt, sich mit künstlerischen Dingen zu beschäftigen und den künstlerischen Wert der Gegenstände zu erleben, sodass ihnen diese Kunst ein Teil ihres geistigen Daseins wird.«13)
     Einen ersten Schritt zur Realisierung seines Konzepts zeigte Justi in der von ihm persönlich vorbereiteten Ausstellung »Wiedersehen mit Museumsgut«, die am 21. Dezember eröffnet werden konnte.
     98 Kunstwerke aus den stark reduzierten Beständen aller Abteilungen der einst großen und bedeutenden Sammlungen der Berliner Museen hatte Justi ausgewählt und im Weißen Saal, in drei Räumen unter dem Weißen Saal im Treppenhaus und in der davor liegenden Halle präsentiert.
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Riesige materielle und technische Schwierigkeiten waren zu überwinden, die Museumsmitarbeiter mussten für diese Ausstellung und ihren optimistischen Anspruch besonders motiviert werden, hatten sie doch gerade erst den Schock des Abtransports bedeutender Kunstwerke in die Sowjetunion durchlebt.
     Im Katalog formulierte Justi sein Konzept der Ausstellung: »Gezeigt wird Einzelnes aus den Beständen fast aller Abteilungen: der ägyptischen, vorderasiatischen und islamischen, der PapyrusSammlung, den Museen für Vor- und Frühgeschichte, für deutsche Volkskunde, für Völkerkunde, der Gemäldegalerie, der Sammlung von Bildwerken, des Kupferstichkabinetts, des Schlossmuseums und der Nationalgalerie ... es gilt dies Wenige genau und aufgeschlossenen Sinnes zu betrachten, bei jedem einzelnen Stück zu verweilen. Vor einem Kunstwerk, so hat Schopenhauer und ihm folgend Anselm Feuerbach gesagt, sollst du warten, bis es zu dir spricht.« Die von Ludwig Justi kreierte »Schule des Sehens« fand in ungünstigen und großenteils dunklen Räumen statt, überdies in trüber Jahreszeit.
     Es war versucht worden, gerade durch die Ungunst der Raumbildung und Belichtung besondere Wirkungen zu erzielen; auch die Wahl der Wandfarben, an der Oskar Moll (1875-1947) mitwirkte, trug dazu bei. Der letzte Teil der Ausstellung, die im Treppenhaus mit drei holzgeschnitzten buddhistischen Tempelwächtern begann, führte durch die
ältere deutsche Kunst und endete im Raum mit Werken des Impressionismus und der »Entarteten Kunst« - ein besonderes Anliegen Justis, der sich bis zu seiner Entlassung durch das NS-Regime mit großem persönlichem Engagement für den Aufbau einer Sammlung moderner Kunst in seinem Verantwortungsbereich als Direktor der Nationalgalerie eingesetzt hatte.
     Wenige Kunstwerke, die der systematischen Vernichtung von »Entarteter Kunst« entgangen waren, konnten ausgestellt werden: »Die Kniende« von Wilhelm Lehmbruck (1881-1919) sowie Exponate von Ludwig Kirchner (1880-1938), Otto Müller (1874-1930), Max Pechstein (1881-1955), Erich Heckel (1883-1970), Ernst Barlach (1870-1938) und Max Beckmann (1884-1950).
     Edwin Redslob (1884-1973), in den zwanziger und dreißiger Jahren bis zu seiner Entfernung durch die Nazis »Reichskunstwart« und nach dem Krieg Mitherausgeber des »Tagesspiegel«, resümierte in seinem Bericht vom 21. Dezember 1946: »Infolgedessen erscheint die Auseinandersetzung mit der neueren Kunst, die Justi einst in der Nationalgalerie gepflegt hat, als der Teil der Schau, bei dem man sich am ehesten denken kann, wie und von wo aus das Berliner Museumswesen nach Verlust fast aller seiner Schätze wieder aufgebaut werden könnte.«14)
     Den Rundgang durch die Ausstellung beschloss die Gegenüberstellung der kolossalen Büste einer ägyptischen Königin mit dem Selbstporträt Erich Heckels.
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Nach über einem Jahr Pause ein neuer, ein letzter Versuch im Weißen Saal. Das Jahr 1948 begann auf politischer Ebene mit Spannungen; bis zur Spaltung der Stadt, der Spaltung Deutschlands blieben nur wenige Monate.
     Am 18. März 1848 war der Saal zum vierten Mal Ort einer Ausstellung, nun zur 100. Wiederkehr der demokratischen Märzrevolution in Berlin. SPD- Stadtrat Walter May, (1900-1953), fasste in seiner Rede die zwiespältigen Gefühle jener Tage in die Worte: »In einer Situation, in der man in- und außerhalb unserer Grenzen an der Fähigkeit und Urwüchsigkeit unseres demokratischen Denkens zweifelt, gestatte man uns, die Idee Schwarz- Rot- Gold unserer Väter gleichsam als politische Legitimation vorzuweisen.«15)
     Ob sich die Produzenten der Ausstellung »Berlin 1848«, feierlich eröffnet am 17. März, in diesem Frühjahr 1948 der Tatsache bewusst waren, dass es sich um die letzte Ausstellung in den Räumen des Berliner Schlosses handelte, lässt sich heute nicht mehr ermitteln.
     Gleichzeitig stellte auch die Staatsbibliothek (damaliger Name: Öffentliche Wissenschaftliche Bibliothek) Unter den Linden Exponate aus unter dem Titel »1848. Eine Revolution und ihre Lehren« vor. Der Magistrat seinerseits hatte zum Jubiläum den im Sommer 1945 wieder eingesetzten Stadtarchivar Dr. Ernst Kaeber (1882-1961, siehe BM 3/1992) beauftragt, die Publikation »Berlin 1848« vorzulegen. Auf die Ausstellung im Schloss wies vor dem Eosanderportal ein Denkmal für die Märzgefallenen hin, das aus Ziegelsteinen des Schlossgemäuers errichtet worden war. Der Weiße Saal bot eine Schau zeitgenössischer, zum Teil einmaliger Dokumente, umfangreiches Material aus den Beständen der Berliner Ratsbibliothek, das den Verlauf der Ereignisse in den Märztagen 1848 in Berlin schilderte und bildlich darstellte.
An den Wänden des Saales verwiesen Texte auf die Revolution, verfasst von Ernst Moritz Arndt, Ludwig Uhland, Wilhelm Weitling und von Rudolf Virchow.

Anmerkungen:
1 Berlin. Quellen und Dokumente 1945-1951, 1. Halbband, Berlin 1964, S. 482
2 Ebenda
3 Ebenda, S. 483
4 Ebenda, S. 484
5 Ebenda, S. 484
6 Ebenda, S. 485
7 »Berliner Zeitung«, 23. August 1946
8 Siehe Johann Friedrich Geist/Klaus Kürvers, Das Berliner Mietshaus 1945-1989, Bd. 3, München 1989, S. 180 ff
9 Ebenda, S. 180
10Bernard Genton, Les alliés et la culture: Berlin 1945-1949, Paris 1998, S. 162 ff.
11ebenda, S. 163f
12Berlin. Quellen und Dokumente 1945-1951, 1. Halbband, a. a. O., S. 486
13Ebenda
14»Tagesspiegel«, 21. Dezember 1946
15 »Telegraf«, 18. März 1948

Bildquelle: Repros LBV

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 12/2000
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