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Hans-Heinrich Müller
Zuckerspendender Ahorn im Berliner Tiergarten

In Europa gab es bis zur Entdeckung des Rübenzuckers durch Andreas Sigismund Marggraf (1709-1782) im Jahre 1747 und der Begründung der Rübenzuckerindustrie durch Franz Carl Achard (1753-1821) Ende des 18. Jahrhunderts nur Rohrzucker. Nachdem das Zuckerrohr, von Indien kommend, über Persien, die Küstengebiete Nordafrikas und über Südspanien seinen Weg mit den spanischen Seefahrern nach den westindischen Inseln und Mittelamerika genommen und in Europa sich Rohrzuckerraffinerien entwickelt hatten, wurde Zucker hier nicht nur zu medizinischen Zwekken, sondern auch als Genussmittel verwendet.
     War der Zucker auch schon im 16. und 17. Jahrhundert weit verbreitet, so konnte er doch kein allgemeines Nahrungs- und Genussmittel werden, da er auf Grund hoher Transportkosten und Zölle so teuer war, dass er nur die Tafeln der Reichen zierte oder als Medikament Verwendung fand. Dazu kam das wirtschaftlich gefährliche Zuckermonopol Englands.

Zucker war eine Kostbarkeit und um 1800 dürfte der Verbrauch im kontinentalen Europa weniger als ein Kilo pro Kopf und Jahr betragen haben. Das einfache Volk begnügte sich von jeher mit Bienenhonig, eingedicktem Birnensaft oder Sirup aus süßen Früchten und Säften wildwachsender Pflanzen.
     Als am 23. April 1791 auf San Domingo, dem heutigen Haiti, einer französischen Kolonie und der größten Zuckerinsel der damaligen Zeit, ein Sklavenaufstand ausbrach, in deren Folge 1130 Zuckerrohrplantagen und Zuckermühlen zerstört wurden, bewirkte er eine enorme Hausse auf dem Zuckermarkt. Der Ausfall des bedeutendsten Zuckerproduzenten der Welt und der danach einsetzende englisch-französische Krieg steigerten die Preise ins Uferlose. In Preußen stieg der Zuckerpreis um die Hälfte. Kostete ein Pfund Zucker 1788 noch 8 Groschen, so hatte man 1792 bereits 12 Groschen zu bezahlen.

Chemiker und Pharmazeuten auf der Suche nach Zucker

Sklavenaufstand, Verknappung und Verteuerung des Rohrzuckers bewegten nun eine ganze Reihe von Chemikern, Apothekern, Pharmazeuten, Ärzten und Technologen in den verschiedensten Ländern Europas, die die unterschiedlichsten einheimischen Pflanzen auf Zuckergehalt oder süße Pflanzensäfte untersuchten.

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In Preußen untersuchte der Technologe Sigismund Friedrich Hermbstaedt (1760-1833) »Türkischen Weizen« (Mais), »Russischen Bärenklau«, Weinmost, weiße und schwarze Birken, Wasser- und Runkelrüben, Mohrrüben, Pastinaken und andere Pflanzen auf Zuckergehalt, konnte aber nur geringe Ausbeuten erzielen, die von schlechter Qualität waren und hohe Kosten verursachten. Dagegen versprach er sich große »wohlfeile« Vorteile vom Ahornzucker, der außerdem noch den Vorzug verdiene, »dass aus seinen Rückständen ein dem westindischen Rum beinahe gleichkommender Branntwein und Essig erzielt werden kann«.
     Die Gewinnung von Ahornzucker war schon seit langem bekannt. Ahornzuckergewinnung erfolgte vor allem in den Vereinigten Staaten und Kanada, vor allem den Indianern soll die süßende Eigenschaft des Ahornsaftes schon seit jeher bekannt gewesen sein. In Preußen griff zuerst der Forstrat Friedrich August Ludwig von Burgsdorf (1747-1801), Forstwirt und Forstbotaniker und bekannt für seine Aufforstung großen Stils, Mitglied der preußischen Akademie der Wissenschaften, die Idee von der Ahornzuckergewinnung auf, um dem Staat drei Millionen Taler, die jährlich für den Zucker in das Ausland gingen, zu ersparen. Er empfahl dem Staatsminister Karl August von Struensee (1735-1804), zuständig für das Akzise-, Zoll-, Kommerzial- und Fabrikenwesen, aus dem Ahornsafte Zucker herzustellen und Versuche anstellen zu lassen.
Er hat wohl auch Hermbstaedt mit diesem Gedanken vertraut gemacht.
     Minister Struensee nahm die Anregung dankend auf und wandte sich an verschiedene Gutsbesitzer, ob Ahornbäume vorhanden seien und sie geneigt wären, Versuche zur Ahornzuckergewinnung anzustellen. Manche der Angesprochenen zeigten sich zwar entgegenkommend, aber die Versuche verliefen ergebnislos. Inzwischen hatte man auch im Berliner Tiergarten zahlreiche Ahornbäume entdeckt, zwar keinen Zuckerahorn, sondern Spitzahorn und den Gemeinen Ahorn. Hermbstaedt unternahm zusammen mit einem Forstreferendar Scholtz im Winter 1796/97 seinen ersten Zapfversuch am Gemeinen Ahorn, der jedoch keinen Saft lieferte.

28 Lot Zucker vom Ahorn aus dem Tiergarten

An anderen Bäumen konnte man schon günstigere, aber noch keinesfalls zufriedenstellende Versuche vornehmen. Im Frühjahr zeigten dann aber die Abzapfungen an den Ahornbäumen im Berliner Tiergarten erheblich bessere Ergebnisse, sodass man sogar so viel Saft erhielt, um ihn der Berliner Zuckersiederei der Gebrüder Schickler & Co. übergeben zu können. Der gewonnene Rohzucker von 28 Lot (409 g) erwies sich als gut und dem Rohrzucker durchaus gleichwertig, und man gab sich den größten Hoffnungen hin.

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Minister Struensee war mit dem ersten Versuch im Berliner Tiergarten sehr zufrieden und regte weitere Versuche an. Es wurden dann nochmals 42 Ahornbäume angebohrt, und aus dem gewonnenen Saft von 625 1/8 Quart (716 l) wurden 20 Pfund und 130 g Zucker erzeugt. Die Berliner Ergebnisse zusammen mit denen in Rheinsberg und in Harbke (Magdeburger Börde), waren also erfolgversprechend, und Minister Struensee berichtete dem König, Friedrich Wilhelm III. (1770-1840), am 3. März 1797: »... es ist sehr zu wünschen, dass die Sache reussieren möge, weil wir alsdann Hoffnung haben, in Zukunft einen beträchtlichen Teil des Geldes im Lande zu behalten, welches anjetz für den rohen Zucker aus dem Lande geht.« Der König schickte dem Minister am nächsten Tag eine höchst wohlwollende Kabinettsorder, die die allerhöchste Zufriedenheit mit dem tatkräftigen Vorgehen des Ministers zum Ausdruck brachte.
     Nachdem dann die Raffinierung einen einwandfreien Zucker hergestellt hatte, ließ Struensee dem König eine Zuckerprobe überreichen, und der König bedankte sich am 21. September 1797 für diese Zuckerprobe und ließ erkennen, dass er die Ahornkultur befördern wolle. Die dem Minister Struensee untergeordnete Technische Deputation unterbreitete dann einen Plan, in dem sie unter Zugrundelegung des preußischen Zuckerbedarfs von 6 Millionen Pfund 5 Millionen Ahornbäume für erforderlich hielt.
Für die notwendigen Anpflanzungen sollten 3 125 Pfund Samen benötigt werden. Die für den gesamten Anbau erforderliche Fläche wurde mit 28 000 Morgen angegeben. Jedes Pfund ließe 1 600 Bäume erwarten. Man könnte jedoch dieses Quantum nicht auf einmal beziehen; es würde vielmehr genügen, jährlich 300 Pfund Samen aus Amerika kommen zu lassen. Die erforderliche Anbaufläche würde eine interessierte Landwirtschaft, das heißt größere Gutsherrschaften, schon beschaffen. Man sollte die Bäume in Wäldern ziehen, etwa je 100 Stämme beieinander.

Ahornsamen auf französischen Kaperschiffen

Ein Haupthindernis war nur, dass man erst in frühestens 20 Jahren mit der ersten Nutzung rechnen konnte. Bis dahin konnten die derzeit hohen Zuckerpreise längst wieder gefallen sein, sodass sich die Saftgewinnung viel zu teuer stellen würde. Aber solche Erwägungen konnten das einmal rege gewordene Interesse nicht mehr dämpfen, und es fanden sich eine ganze Reihe von Gutsbesitzern, die zur Ahornanpflanzung auf eigene Kosten bereit waren. Die Beschaffung des Ahornsamens nahm Minister Struensee mit Zustimmung des Königs in Angriff. Er beauftragte die Preußische Seehandlung und verschiedene Kaufleute mit dem Kauf in Nordamerika.

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Doch die Beschaffung des Ahornsamens war voller Schwierigkeiten, wobei wohl die englische Konkurrenz Hindernisse in den Weg legte. Es kam nur ein ganz geringer Bruchteil des bestellten Samens an, und mancher bestellte Samen musste erst von französischen Kaperschiffen freigekauft werden. Die ausbleibenden Samenlieferungen und die Ungewissheit, dass die Ahornbäume erst unter günstigen Voraussetzungen in 25 bis 30 Jahren ertragreich sein würden, sowie die berühmte Eingabe Franz Carl Achards vom 11. Januar 1799 an Friedrich Wilhelm III., in der er die Vorteile der Zuckererzeugung aus Runkelrüben begründete - es war gewissermaßen die Geburtsurkunde der Rübenzuckerindustrie -, bekräftigten den Entschluss des Königs, sich gegen weitere Ahornzuckerversuche auszusprechen, und er teilte dem Minister Struensee am 19. März 1799 mit: Ohne Zweifel sei es wohl besser, den Zucker aus dem Safte des Ahorns zu gewinnen, »da die Zubereitungsart wohlfeiler als die aus Runkelrüben« sei, er halte es aber für ratsam, alle in Angriff genommenen Maßnahmen »auf ein Jahr lang auszusetzen, damit man erst sieht, wie weit es mit der Fabrikation des Zuckers aus Runkelrüben kommen wird«. Mit dieser Entscheidung wurde aber die Idee der Ahornzuckergewinnung endgültig zu Grabe getragen, und es begann der Aufstieg des Rübenzuckers, wenngleich sich Achard nach der Entscheidung des Königs gehässiger Angriffe der Anhänger des Ahornzuckers erwehren musste.
Quellen:
Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz zu Berlin-Dahlem, Gen. Dir., Techn. Dep., Tit. XIII, Nr. 1, vol. II.
Literatur:
Hermbstaedt, S. Fr., Über die Gewinnung des Ahornzuckers, in: Bulletin des Neuesten und Wissenswürdigsten aus der Naturwissenschaft, Bd. 7, 1811, S. 70 ff., Bd. 13, 1813, S. 351 ff.;
Stieda, Wilhelm, Franz Karl Achard und die Frühzeit der deutschen Zuckerindustrie, Leipzig 1928, S. 49 ff.;
Ulrich, K., Zuckergewinnung im Berliner Tiergarten, in: Die Deutsche Zukkerindustrie 55 (1930), S. 569 ff.;
Henrich, Karoly, Entwicklung und Perspektiven der Ahornzuckerwirtschaft. Zucker-Museum, Berlin 1992.
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 11/2000
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