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Heinz Kühn
Fassadeninschriften als Zeitzeugen

Beim Betrachten alter Fotografien von Straßenszenen fallen die unzähligen Schilder und Inschriften an Gebäuden auf, mit denen Gewerbetreibende und Handwerker auf sich aufmerksam machten. Eine heute kaum vorstellbare Zahl von Dienstleistern war in den Wohngebieten nah am Kunden angesiedelt. Nicht nur die meist kleinen Läden an der Straßenfront, sondern auch die Keller und Hofgebäude beherbergten alle denkbaren Gewerbe, sodass jedes Quartier nicht nur seinen Bäcker und Fleischer, sondern auch den Schuster, Schlosser und viele andere Gewerke besaß.


Oderberger Straße 23


Ackerstraße 19

Die dichte Besiedlung der innerstädtischen Bereiche sicherte ihnen ihr Auskommen. Heute sind diese Zeugen einer vergangenen Gewerbekultur selten geworden. Vor allem die kleinen Geschäftslokale (Oderberger Straße 23) verschwinden allmählich aus dem Straßenbild, ebenso wirken den Älteren durchaus noch vertraute Bezeichnungen wie Destillation, Produktenhandlung oder Wettannahme heute schon leicht exotisch (Ackerstraße 19).
     Im Gegensatz zu der jetzigen, oft aufdringlichen Werbung erscheinen die meisten der alten Inschriften recht einfach, wie der schon arg verblasste, bescheidene Hinweis auf einen Schuhmacher in der Choriner Straße 22. Die noch teilweise lesbare Ankündigung, »Schuhmacherarbeiten werden sauber und billig ausgeführt«, klingt ehrlich und vertrauenswürdig.
     Hat die Vernachlässigung der alten Wohnquartiere auch manche alte Schrift überleben lassen, sind die wenigen noch vorhandenen oft schon bis zur Unkenntlichkeit verwittert.

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Die intensive Bausanierung der letzten zehn Jahre lässt ihre Zahl täglich weniger werden, vielfach sind sie hinter Gerüsten verborgen oder bereits vorher mit Graffiti übersprüht worden,


Choriner Straße 22

wie das Seifenhaus Gertrud Golz in der Metzer Straße 25 . Diese alten Zeitzeugen werden wohl bald endgültig aus dem Stadtbild verschwunden sein, zumal in den meisten Fällen auch kein Bezug mehr zum jeweiligen Gebäude besteht. Gleichwohl gibt es gute Beispiele


Bernauer Straße 25

der Erhaltung und Einbeziehung in die Fassadengestaltung, was manchem alten Haus gut zu Gesicht steht. So wurde z. B. im Hof Bernauer Straße 25 eine Wandstelle mit alten Inschriften beim Neuanstrich ausgespart und hält so die Erinnerung an einstige Firmen wach. Leider ist die interessante Fläche mit Mülltonnen verstellt.
     Der eine oder andere Fund regt dazu an, der Geschichte der betreffenden Firma nachzugehen und die Entwicklung des städtischen Kleingewerbes am Einzelfall lebendig zu machen. Denn nicht nur die alten Schilder verschwinden, auch die Zeitzeugen mit all ihren Geschichten und Erinnerungen werden immer weniger, nicht zuletzt infolge der sozialen Umschichtungen in den sanierten Gebieten in Mitte oder Prenzlauer Berg.

Fotos: H. Kühn

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 11/2000
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