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Heinrich Lange
Rettung der »Titanic der prussischen Archäologie«?

Vorgeschichtliche Sammlung und Fundarchiv des Königsberger Prussia- Museums heute in Kaliningrad, Olsztyn und Berlin

Ende Dezember 1999 kam aus Kaliningrad, dem früheren Königsberg, die als Sensation gefeierte Nachricht, in einem Fort der Stadt habe man 15 000 archäologische Objekte aus dem ehemaligen Prussia- Museum im Königsberger Schloss entdeckt. Die Kaliningrader und Moskauer Archäologen Anatolij A. Walujew, Konstantin N. Skworzow und Wladimir I. Kulakow schrieben in einer populären russischen Zeitschrift, das »prussische Atlantis« sei nicht untergegangen: »Vor den Augen unserer erstaunten Zeitgenossen ersteht so die verloren geglaubte Exposition des Prussia- Museums wie jener sagenhafte Vogel Phönix« aus der Asche (vgl. Tolkemita, Mitteilungen I, 2000, S. 24 ff.). Awenir P. Owsjanow, Vorsitzender der Kommission für die Suche nach verschollenen Kulturschätzen beim Wissenschaftlichen Denkmalpflegezentrum (NPZ), sprach

Presseberichten zufolge von der Hebung der »gesunkenen Titanic der prussischen Archäologie«, von einer »kulturhistorischen Sensation von europäischer Bedeutung« und von der »Erfüllung seines Lebenswerkes«. Der 68jährige pensionierte Oberst der Festungspioniere und Lehrer an der Pionierschule, schon lange auf der Suche nach dem Bernsteinzimmer, scheint eine bemerkenswerte Wandlung durchgemacht zu haben. Seinem Buch »In den Ruinen des alten Schlosses« von 1998 lässt sich entnehmen, dass er sich zu der von Breschnew befohlenen Sprengung der Schlossruine in Königsberg 1967/68 freiwillig gemeldet hat.
     Bei dem 1997 vom Militär geräumten Fort III handelt es sich um das ehemalige Königsberger Außenfort 3 bei Quednau, das 1894 den Namen des 99-Tage- Kaisers Friedrich III. (1831-1888; Kaiser 1888) erhielt.
     Es liegt am Nordrand der Stadt an markanter Stelle auf dem Quednauer Berg an der Fernverkehrsstraße nach Cranz (Selenogradsk) an der Ostsee. Es ist eines der zwölf Außenforts, die in den siebziger bis achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts errichtet wurden und Königsberg zur größten unter den deutschen Gürtelfestungen machte. Die Bauzeit des Forts verraten noch heute die eingemeißelten Jahreszahlen auf dem Schlussstein des Bogens des Haupttores, das man über die Grabenbrücke erreicht: »1874/79«.
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Ehemaliges Fort »Friedrich III.« in Kaliningrad
Die Entstehungszeit belegen zudem die Pläne des Forts im Geheimen Staatsarchiv Berlin aus dem ehemaligen Heeresarchiv in Potsdam: der Entwurf des Forts vom 20. November 1873 und der Belegungsplan von 1879.

Inventarbücher in Kaliningrad

Die Entdeckung der vor- und frühgeschichtlichen Objekte des Prussia- Museums im Fort Quednau im November 1999 kam eigentlich nicht überraschend. Schon seit zwei Jahren tauchten bei Antiquitätenhändlern

und in Privatbesitz Stücke auf, darunter einige mit Inventarnummer. Letztere Exemplare konnten, da die Katalogbzw. Inventarbücher, wie man im Westen erst seit der Öffnung des Kaliningrader Gebiets 1991 weiß, den Krieg überdauert haben, als Exponate des Prussia- Museums identifiziert werden.
     Einen entscheidenden Impuls erhielt die Suche nach dem Herkunftsort der Objekte durch die Tatsache, dass im Oktober letzten Jahres einem Antiquitätengeschäft in Kaliningrad ein halb gefüllter Kartoffelsack mit über 3 000 Stücken, meist Fragmenten, angeboten wurde.
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Bronzene Bügelfibeln des 5. bis 7. Jahrhunderts aus dem Fort III, Gebietsmuseum für Geschichte und Kunst, Kaliningrad
Durch die daraufhin von den Behörden und dem Museum intensivierten Nachforschungen konnte Fort III als Ort der Raubgrabungen ausgemacht werden. Wenn auch die aus der Zeit der militärischen Nachkriegsnutzung des Forts herrührenden Abfallschichten in einem Teil der Kasematten bereits durchwühlt waren, kamen beim Durchsieben mehrerer Tonnen Sand- und Erdmaterial noch tausende von ganzen und fragmentierten Objekten zutage. Die Untersuchungen vom 23. November bis 8. Dezember 1999 unter der Oberleitung von Owsjanow sollen an verschiedenen Stellen des Forts noch etwa 15 000 Einheiten erbracht haben.

25 000 Objekte und Fragmente

Die Gesamtzahl ist nach Wiederaufnahme

Obgleich die Funde dem Inhaber »Maxim« für seinen Handel nicht geeignet erschienen, kaufte er sie, da er ihre historische Bedeutung erkannte, für die bescheidene Summe von 1 000 Rubeln und übergab sie dem Museum für Geschichte und Kunst des Kaliningrader Gebietes (Kaliningradskij oblastnoj historikochudoschestwennij musej) in der wiederaufgebauten früheren Stadthalle am Schloßteich. der Grabungen von drei Wochen Dauer im Mai und Juni 2000, so Grabungsleiter Anatolij Walujew, auf etwa 25 000 Stücke angewachsen. Dabei erwies sich zuletzt der zu sowjetischer Zeit aus Kasematten in den trockenen Wallgraben abgekippte Schutt als fundreich. Erstmals sollen hier auch verschollene Funde aus der Epoche des skandinavischen Einflusses (9. - 11. Jahrhundert) aufgetaucht sein.
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Allerdings gibt Archäologe Walujew vom Gebietsmuseum und Leiter der Kaliningrader Abteilung der Baltischen Archäologischen Expedition (BAE) am Institut für Archäologie der Akademie der Wissenschaften in Moskau zu bedenken, dass sich aufgrund des zumeist fragmentarischen Erhaltungszustandes der Funde derzeit schwer sagen lasse, um wie viele frühere Sammlungsstücke es sich tatsächlich handelt. Er vermutet zudem, dass die besten Stücke bereits von den Raubgräbern geborgen und verkauft wurden.
     Das Prussia- Museum und die am 19. November 1844 in Erinnerung an das 300- jährige Jubelfest der Königsberger Albertus- Universität gegründete Altertumsgesellschaft Prussia, auf deren Sammeln und Forschen das Museum zurückging, haben ihren Namen von dem westbaltischen Stamm der heidnischen Prussen (oder Prußen). Das Siedlungsgebiet der Prussen zwischen unterer Weichsel und Memel wurde im 13. Jahrhundert von den Rittern des Deutschen Ordens, die 1225 vom polnischen Herzog von Masowien zum Heidenkampf gegen die Prussen herbeigerufen wurden und vom Kaiser und Papst zur Landnahme legitimiert waren, unterworfen und christianisiert. Von den durch die Kriegshandlungen dezimierten oder vertriebenen, größtenteils aber sich der neu ansiedelnden deutschen Bevölkerung assimilierenden Prussen übernahmen die neuen Landesherren den Namen für den Deutschordensstaat Preußen mit dem
von Venedig auf die Marienburg verlegten Sitz des Hochmeisters. Aus dem östlichen Landesteil erwuchs 1525 das Herzogtum Preußen und 1701 das Königreich Preußen, dessen Landesname dann allmählich auf den brandenburgisch- preußischen Gesamtstaat Preußen überging. Der Gründer der Altertumsgesellschaft Prussia war Ernst August Hagen (1797-1880), der erste ordentliche Professor für Kunstgeschichte in Preußen (Einrichtung des Lehrstuhls 1830). Wie die Rheinische Altertumsgesellschaft sich im Westen Preußens der Erforschung der römischen, keltischen und germanischen Vergangenheit widmete, wollte die Prussia im Osten die Spuren der Prussen und ihrer Vorgänger sichern.

Das neue Prussia-Museum

Walujew, der eigentlich Restaurator gelernt hat, gräbt schon seit der Perestrojka erfolgreich nach archäologischen Hinterlassenschaften der Vorzeit, der Wikinger und Prussen im Oblast Kaliningrad, dem früheren nördlichen Ostpreußen. 1993 gründete die »Historisch- kulturelle Vereinigung Wiedergeburt«, ein Kreis geschichtsbewusster junger Russen und Russinnen, die die Vergangenheit ihres Gebietes als Teil ihrer eigenen Identität begreifen - ein Kapitel im »Buch der Geschichte Europas - unserem gemeinsamen Haus« - das »Historisch- archäologische Prussia- Museum«.

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Sie nannten das Museum, dessen Direktor Walujew wurde und das im Kulturhaus der Offiziere in der Kirowstraße, dem früheren Gebäude der Mädchengewerbeschule in der Beethovenstraße, untergebracht war, bewusst nach dem 1945 untergegangenen Prussia- Museum im Königsberger Schloss. Aus der alten Prussia- Sammlung stammte denn auch ein Teil der Exponate des Museums, das keinen offiziellen bzw. nur einen halboffiziellen Status besaß. Es arbeitete jedoch mit dem Moskauer Archäologen Wladimir Kulakow, dem Leiter der Baltischen Archäologischen Expedition und der Baltischen Sammlungen am Institut für Archäologie der Akademie der Wissenschaften, zusammen und beteiligte sich schon im Jahr der Gründung an der 1993 im Ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg gezeigten Ausstellung »Archäologische Entdeckungen in Ostpreußen« - eine »deutsch- litauisch- russisch- polnische Gemeinschaftsausstellung«, wie Museumsdirektor Ronny Kabus in dem von ihm 1997 herausgegebenen Katalog »Ostpreußen: Landschaft - Geschichte - Kultur im Ostpreußischen Landesmuseum Lüneburg« mit offensichtlichem Stolz anmerkt. Die im Katalog beschriebene landesgeschichtliche Dauerausstellungsabteilung »Vor- und frühgeschichtliche Spuren im Land der Prußen« war, so Kabus, ohne die Leihgaben des neuen Prussia- Museums und die wissenschaftliche Unterstützung von Wladimir Kulakow nicht möglich. Im Katalog müsste allerdings als Leihgeber bereits das Museum für Geschichte und Kunst in Kaliningrad genannt sein, da das Prussia- Museum 1995 in dieses staatliche Gebietsmuseum integriert wurde und seinen Namen verlor.

Tüllenbeil mit Inventarnummer

Walujew, nun leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung »Prussische Geschichte«, und seine Kollegin Olga W. Chorschewskaja stellten in ihrem Arbeitszimmer im Kellergeschoss des Museums die in zwei Schächtelchen verstauten Funde eines Arbeitstages im Juni vor: 15 bis 20 kleine Stücke und Fragmente, darunter eine steinzeitliche Pfeilspitze aus Feuerstein, Bruchstücke von bronzenen Fibeln der Völkerwanderungszeit und eine Silbermünze von Georg Wilhelm, dem Vater des Großen Kurfürsten. Ein Teil der Funde aus dem Fort wurde bereits in Kaliningrad und Moskau erfasst, restauriert und fotografiert, so verzierte Bügelfibeln mit rechteckiger Kopfplatte und halbrunder Fußplatte mit Tierkopfende und eine Armbrustsprossenfibel aus dem 5. bis 7. Jahrhundert sowie Gürtelschließen und -beschläge. Um ein besonderes Fundstück handelt es sich bei dem Tüllenbeil aus der Bronzezeit, an dem der Rest eines Etiketts hängt und an dessen Schneide noch deutlich die Inventarnummer und der Fundort zu lesen sind: »V.159.7846 Wonditten (Pr. Eylau)«.

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Dass in das Fort »Friedrich III.« bei Quednau Bestände des Prussia- Museums ausgelagert wurden, sollen die russischen Wissenschaftler offensichtlich konkret erst seit der Perestrojka von polnischen Fachkollegen erfahren haben. Im März 1995 schrieb Chefermittler Owsjanow im Königsberger Express, der einzigen deutschsprachigen Zeitung in Kaliningrad, dass Wolfgang La Baume (1885-1971), Direktor des Landesamtes für Vorgeschichte in Königsberg, 1959 seinem Warschauer Kollegen Jerzy Antoniewicz mitgeteilt habe: »Silberne Gegenstände aus dem Preußischen Museum wurden zusammen mit zahlreichen anderen Antiquitäten, darunter die berühmten Bronzen, Anfang Januar 1945 im Fort Quednau untergebracht.« Kunsthändler »Maxim« meint, über die Prussia- Schätze im Fort hätte zumindest das Militär schon Ende der 40er/Anfang der 50er Jahre Bescheid gewusst, denn ein deutscher Soldat, der am Transport ins Quednauer Fort beteiligt war, soll nach dem Krieg einen Brief darüber geschrieben haben, der sich heute im Kaliningrader Gebietsarchiv befindet.

Funde im Fort bereits 1945/46

Auch berichtete Owsjanow, schon Ende der 60er Jahre hätten Militärangehörige die Suchkommission, der er seit 1978 angehört, über Funde im Fort informiert. So soll 1967 L. E. Titow mitgeteilt haben:


Tüllenbeil aus der Bronzezeit mit Inventarnummer und Fundort, gefunden im Fort III, Museum Kaliningrad

»Bald nach dem Krieg leitete ich die Enttrümmerung der Fortkasematten in Quednau. Dabei wurden von den Soldaten Splitter von Bernsteinerzeugnissen, Tierfiguren aus Silber und Bronze, keramische Becher, Vasen und deren Scherben gefunden.« Und W. A. Iwanow aus Lipezk erinnerte sich 1970: »1946 leistete ich den Wehrdienst in Kaliningrad.

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Unser Truppenteil befand sich neben dem Fort in Quednau. In unserer Freizeit wanderten wir häufig durch die unterirdischen Gänge des Forts und fanden dabei alte Münzen, Lanzenspitzen, Steine mit Museumsetiketten, Abdrücke alter Tiere auf Steinen u. ä.« Am aufschlussreichsten ist der Bericht von I. I. Altschakow von 1968: »Einmal erkundete ich zusammen mit meinen Kameraden die unterirdischen Gänge von Quednau, indem wir uns den Weg mit einer kleinen Laterne beleuchteten. Als wir eine Lücke sahen, stiegen wir hinunter und landeten in einem isolierten Zimmer, ungefähr 3 x 5 Meter groß, in dem Kisten unterschiedlicher Größe aufeinander lagerten. Als wir eine von ihnen aufdeckten, wurden wir ziemlich enttäuscht. Außer irgendwelchen Steinen, Elfenbeingegenständen und Erzeugnissen aus Bronze und Kupfer, die uns nicht gefielen, entdeckten wir nichts. Nebenan standen auch Denkmäler aus gelbem Metall.«
     »Natürlich wurden die damals aufgefundenen Wertgegenstände«, so Owsjanow, »teils entwendet, teils vernichtet.« Obgleich nach den von ihm gesammelten und zum Teil in abweichenden Versionen verbreiteten Berichten 1945/46 bedeutendere Funde gemacht wurden als 1999/2000, wertete Oberst Owsjanow diese vor fünf Jahren als »belanglose Dinge« (Königsberger Express 3, 1995, S. 21).
Wie seine Worte »dabei erhebt sich die Frage, ob das Fort vielleicht das Wichtigste bis jetzt in sich birgt ...« zeigen, hoffte er noch auf den ganz großen Fund, womöglich das Bernsteinzimmer, über das er auch schon ein Buch geschrieben hat.

Der Feldpostbrief Nr. 09846

Dass im Fort das bedeutendste Museumsgut ausgelagert wurde, geht aus einem Feldpostbrief von La Baume, dem Direktor des Königsberger Landesamtes für Vorgeschichte, vom 23. März 1945 aus der bereits eingeschlossenen, zur Festung erklärten Stadt hervor. In diesem zweiseitigen, maschinenschriftlichen Dokument im Archiv des Museums für Vor- und Frühgeschichte in Berlin heißt es unter anderem: »Ein zweiter großer Teil der Sammlung (Studiensammlung und Auswahl aus der Schausammlung) lagert in dem alten Fort bei Quednau nördlich von Königsberg; es sind 34 Kisten und einige Schaukästen (sämtliche Bronzen der Bronzezeit und frühen Eisenzeit, die meisten Gold- und Silberschmucksachen, sowie das Inventar mehrerer Gräberfelder). Dorthin waren diese Sachen wegen Luftgefahr gebracht worden. Bei Zuspitzung der Lage an der Ostfront konnte nicht mehr an den Abtransport dieser Kisten gedacht werden.

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Ich habe mich am 24. 2. 1945 davon überzeugt, dass diese Altertümer seitens der Kommandantur des Forts Quednau an ihrer Stelle in dem vorzüglich gesicherten Bunker belassen worden sind und unberührt waren. Die Kommandantur hat durch Schreiben vom 20. 2. 1945 schriftlich bestätigt, dass das in Quednau lagernde Museumsgut weiterhin an seinem Platz belassen werden kann. Ein Verzeichnis liegt in der Garage meiner Wohnung.«
     In diesem »Bunker« müssen die Prussia- Schätze an den nach La Baumes Brief folgenden fünfzehn Tagen bis zur Aufgabe des Forts am 7. April 1945 beim Sturm der Roten Armee auf Königsberg (6.-9. April) - nur zwei Tage vor der Kapitulation am 9./10. April 1945 - verblieben sein. Die 367. Infanterie- Division unter Generalleutnant Haehnle, die erst Ende Januar 1945 nach Königsberg verlegt wurde, zog sich befehlsgemäß am 8. April auf den inneren Befestigungsring zurück. Per Knopfdruck lässt sich im Kaliningrader Gebietsmuseum für Geschichte und Kunst an einem Modell des »Sturms auf Königsberg« mit Lichtsignalen die Einnahme des Forts ermitteln: Es ist der 9. April 1945, als der letzte Befehlshaber des Festungsbereichs Königsberg, General Otto Lasch (1893-1971), die Kapitulation einleiten musste. Über den Verbleib des »Verzeichnisses« des ins Fort ausgelagerten Museumsgutes in der Garage der Wohnung von La Baume, die sich in der Lawsker Allee 41 in Königsberg (-Amalienau) befand, scheint nichts bekannt.
Eine viertel Million Sammlungsstücke

Die »Vorgeschichtliche Abteilung« des Prussia- Museums, seit 1924 im Südflügel des Schlosses und 1925 nach der Übernahme durch die Provinzialverwaltung und Einrichtung des Landesamtes für Vorgeschichte offiziell »Landeskundliches Provinzial- Museum« genannt, soll fast eine viertel Million Objekte umfasst haben. Alfred Rohde (geb. 1892), der 1945 an Typhus im Königsberger Seuchenlazarett in der Yorckstraße verstorbene Direktor der Städtischen Kunstsammlungen im Schloss, bemerkte in dem noch 1942 von der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten in Berlin in fünfter erweiterter Auflage herausgegebenen Führer »Das Schloß in Königsberg (Pr.) und seine Sammlungen«: »Die Schausammlung, die nur eine Auswahl aus dem sehr reichen Fundstoff an ostpreußischen Altertümern aus Gräbern, Siedlungsstellen und Hortfunden (Verwahrfunden) enthält, bietet einen Überblick über die ostpreußische Vorgeschichte von der Steinzeit bis zur spätheidnischen Zeit.« Einen »Kurzen Führer durch das Prussia- Museum« gab 1935 der Prähistoriker Wilhelm Gaerte (1890-1958), der letzte, von 1925 bis 1945 amtierende Direktor des Prussia- Museums und zugleich Vorsitzende der Altertumsgesellschaft Prussia, heraus.
     Zu den Attraktionen der Schausammlung gehörten Wikingerfunde des 9. - 11. Jahrhunderts aus dem Hügelgräberfeld

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in der Kaup bei Wiskiauten, Kreis Samland, unweit von Cranz: Waffen, Geräte, Trachtzubehör und Schmuck sowie Reiter- und Pferdeausrüstung. Oder auch die Bewaffnung und Ausrüstung aus Gräbern der Prussen, die ihren fürstlichen Kriegern ihre aufgezäumten Pferde mit ins Jenseits gaben, so vielfach nachgewiesen im Gräberfeld Dollkeim, Kreis Samland.
     Die im Erdgeschoss des Südflügels in Raum 1-6 präsentierte Schausammlung war, wie La Baume bezeugt, »bei dem Brande des Schlosses am 30. August 1944 (Luftangriff) fast unberührt geblieben; nur ein Schauschrank jüngere Steinzeit - Kugelflaschenkultur, ein Schaukasten Steinzeit - Trichterbecherkultur und ein Grabfund der römischen Kaiserzeit aus dem Samland (Reitergrab mit Zaumzeug) sind verbrannt.« Das Schloss war bei dem englischen Luftangriff in der Nacht vom 29. zum 30. August in der Tat bis auf das Erdgeschoss des Südflügels mit der vorgeschichtlichen Schausammlung des Prussia- Museums ausgebrannt. Es waren die Unterkellerungen des Südflügels aus dem 16. Jahrhundert, dessen zum Teil von Granitpfeilern gestützte Gewölbe dem Bombardement standgehalten hatten. »Die zuletzt im 1. Stock des Prussia- Museums aufgestellte Sonderausstellung: Das Pferd in der Vorgeschichte Ostpreußens« war hingegen, so La Baume, »bei dem Brande am 30. 8. 1944 verloren gegangen, darunter auch einige Originale der vorgeschichtlichen Sammlung.«
»Durch das Landesamt wurde«, so der Direktor weiter, »die Schausammlung so weit gesäubert und geordnet, dass im Frühjahr 1945 die Wiedereröffnung ... hätte stattfinden können, wenn nicht im Januar 1945 die russische Front sehr schnell bis Königsberg vorgedrungen wäre. Ich habe nach der Einschließung der Festung Königsberg die Schausammlung beständig überwacht ... Um für die Sicherung der Schausammlung (die übrigens durch Herausnahme der wichtigsten Stücke reduziert worden war [eben der Exponate, die ins Fort Quednau ausgelagert wurden!, Anm. des Verf.] ) das Menschenmögliche zu tun, habe ich im März 1945 sämtliche Fenster und eine Außentür (ehemaligen Eingang) vollständig zumauern lassen.«
     Von diesen offensichtlich bis zur Kapitulation der Stadt am 9. April 1945 im Schloss verbliebenen Beständen der Schausammlung wurden nach dem Krieg Teile geborgen. Wie jüngst Walujew, Skworzow und Kulakow mitteilten, »gelang es Prof. A. W. Briusow, einem Bruder des bekannten Poeten, aus den Ruinen ... auch archäologische Exponate« zu retten. »Ein Teil davon verblieb in dem für Russland neuen Gebietszentrum Kaliningrad. Weitere mehr als 90 Einheiten ... kaufte 1950 das damalige Kaliningrader Heimatmuseum von den >Suchern< A. J. Maximow und B. F. Neumark« - von Arsenij W. Maksimow, dem Kaliningrader Architekten.
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Und noch 1967/68, vor der Schleifung des Schlosses, »fand der Museumsangestellte W. N. Strokin in den Ruinen des Schlosses Reste von Kisten mit Exponaten und Inventurlisten, die zusammen mit Soldaten der deutschen Wehrmacht ... jahrzehntelang unter den Trümmern der eingestürzten Wände des Museums gelegen hatten.« (vgl. Tolkemita, a. a. O.)

Alte Exponate im Gebietsmuseum

Zumindest ein Teil der in der Schlossruine gefundenen Ausstellungsstücke, deren genaue Anzahl bisher nicht bekannt ist, befindet sich heute im Kaliningrader Gebietsmuseum. In der archäologischen Abteilung im Erdgeschoss überrascht neben hunderten von Neufunden aus den von der Baltischen Archäologischen Expedition durchgeführten Grabungen des letzten Jahrzehnts die Präsentation von über 150 Exponaten aus der zur Gänze verloren geglaubten Schausammlung des ehemaligen Prussia- Museums. Sie sind als Altbestände aus dem Schloss gekennzeichnet: fünf Vitrinen mit insbesondere Schmuck und Trachtzubehör aus Bronze, Kupfer und Silber des 2. bis 13. Jahrhunderts. Mitglieder der in Westdeutschland wiedergegründeten bzw. gegründeten Vereine »Prussia, Gesellschaft für Heimatkunde Ost- und Westpreußens e. V.« (1972, Duisburg, Vorsitzender: Günter Brilla), der »Prusa« (1980, Oberursel/ Taunus, Vorsitzender:


Silbervergoldete Bügelfibel, 6. Jahrhundert, aus der Ruine des Königsberger Schlosses, Museum Kaliningrad

 
Reinhard Grunenberg; ab November 2000 in Berlin) und »Tolkemita e. V., Internationale Vereinigung der Prußen und Prußenfreunde« (1980, Dieburg, Vorsitzender: Gerhard Lepa) waren dem Museum bei der Übersetzung der Erklärungstexte zu den Exponaten ins Deutsche und der Beschaffung von Fachliteratur aus der Vorkriegszeit behilflich.

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Hier sei des am 28. Februar 2000 in Südtirol im Alter von 78 Jahren unverschuldet verunglückten Hobbyarchäologen Hans-Dietrich Rimat gedacht, der mit weiteren interessierten Laien an den russischen Ausgrabungen der letzten Jahre im Kaliningrader Gebiet teilnahm oder diese besuchte und bisher als einziger aus Deutschland darüber in Schriften der Vereine, im Königsberger Bürgerbrief und im Ostpreußenblatt berichtete.
     Zwei Schautafeln über den Vitrinen illustrieren die bis 1945 genau einhundert Jahre währende Geschichte der Altertumsgesellschaft Prussia und die von ihr herausgegebenen Organe: die gleichnamige Zeitschrift und die Sitzungsberichte. Hier erscheint auch das Porträt von Adalbert Bezzenberger (1851-1922), dem aus Göttingen an die Königsberger Universität berufenen Professor für Sanskrit, der hier zum eigentlichen Begründer der baltischen Linguistik wurde. Seit 1891 war er Landesarchäologe und Vorsitzender der Prussia. Zum 50- jährigen Jubiläum der Prussia 1894, zu dem Bezzenberger den Festvortrag hielt, brachten »15 renommierte Gesellschaften und eine Vielzahl hervorragender Persönlichkeiten des In- und Auslandes« »ihre Glückwünsche« dar. Ein »Netz von Korrespondierenden und Ehrenmitgliedern« überzog »ganz Europa von Stockholm, St. Petersburg und dem Baltikum bis Rom, von Paris bis Krakau und Warschau bis Odessa.
Ein lebhafter Austausch der Veröffentlichungen fand statt mit rund hundert Gesellschaften und Bibliotheken.« (Günter und Renate Brilla, Ein freundlicher Kastellan, in: Das Ostpreußenblatt, Folge 35, 2. September 2000, S. 12)
     In einer Vitrine liegt zudem der von der neuen Prussia herausgegebene Katalog »Sammlung Prussia. Archiv und Bibliothek - eine bibliographische Dokumentation mit dem Schwerpunkt Ostpreußen« (Prussia- Schriftenreihe Werk 14, Zweite Auflage, Duisburg 1999). Es ist ein Geschenk der 1972 in Nachfolge der Prussia auf Initiative des Oberschulrates Erich Grimoni (1908-1974) mit sieben gleichgesinnten Ostpreußen in Düsseldorf wiedergegründeten Prussia, die ihren Sitz in Duisburg hat, der Patenstadt Königsbergs, in der sich auch das Museum Stadt Königsberg mit der Exponaten- Sammlung der Gesellschaft befindet. Nach der in den Katalog aufgenommenen Satzung hat sich der eingetragene Verein unter dem seit 1987 amtierenden Präsidenten, dem Medizinprofessor Günter Brilla, im Sinne der alten Prussia die Aufgabe gestellt, »die Bedeutung und die kulturellen Leistungen Altpreußens als Bestandteil der Kultur Ostdeutschlands der Öffentlichkeit zu vermitteln, sie sichtbar zu machen und zu pflegen; Dokumente, Gegenstände und sonstige Unterlagen aus dem Bereich Altpreußens zu sammeln, zu archivieren, nachzuweisen und nutzbar zu machen.«
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Eigene archäologische Sammlungsbestände besitzt die neue Prussia allerdings nicht.

»Jene Kostbarkeiten unseres Kontinents«

Über die Zahl der im Gebietsmuseum magazinierten Altbestände kann nur spekuliert werden. Ein erstes Zwischenergebnis der im Moskauer Institut für Archäologie erfassten, restaurierten und fotografierten Prussia- Objekte vor allem aus dem Fort und aus der Ruine des Schlosses liegt mit Mitteilung vom 8. Januar 2000 vor: »Insgesamt wurden«, so Walujew, Skworzow und Kulakow, »2053 ganze und bruchstückhafte Gegenstände aus der Kollektion des Prussia- Museums der Identifizierung unterzogen. 8,2 % dieser Artefakte konnten bestimmt werden.« »Diese für die Wissenschaft unseres Landes bisher einmalig durchgeführte Identifikation erlaubte es«, so die russischen Archäologen weiter, »der Gemeinschaft der Weltkultur jene Kostbarkeiten der Geschichte unseres Kontinents zurückzugeben, die als ewig in den Flammen des Weltkrieges verloren gegolten hatten.« (Tolkemita, a. a. O.) Die Zuweisung dieser 137 Exemplare an das Prussia- Museum war auch durch die in Kaliningrad erhaltenen und zeitweise nach Moskau ausgeliehenen Katalog- bzw. Inventarbücher möglich. In diesen Büchern konnten zahlreiche Stücke, die noch Inventarnummern trugen, aufgefunden werden. Möglicherweise sind diese Archivalien,

die zum Teil durch Brand beschädigt sind, mit jenen »Inventurlisten« identisch, die 1967/68 der Museumsangestellte Strokin in den Ruinen des Schlosses gefunden hat. Die Inventarbücher in Kaliningrad stellen somit einen wichtigen Schlüssel für die Rekonstruktion und Erforschung der Prussia- Sammlung dar. Ein Teil der Funde aus dem Fort fand bzw. erkannte man zudem in den zahlreichen Publikationen der Vorkriegszeit wieder, so in den Museumskatalogen, dessen erster mit zahlreichen Abbildungen 1906 erschien.
     Nach den angeführten Quellen und Recherchen vor Ort ist die Angabe von Wilfried Menghin, Direktor des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte, im Vorwort zu Woiciech Nowakowskis Monographie »Die Funde der römischen Kaiserzeit und der Völkerwanderungszeit in Masuren« (Berlin 1998), dass über »den Verbleib der reichen Schausammlung« »nichts bekannt« sei, überholt. Bei all den bisher in dem großen Ausstellungssaal des Kaliningrader Gebietsmuseums in zwei Dutzend Vitrinen präsentierten etwa 2 000 kleinen und großen archäologischen Objekten von der Steinzeit bis zum hohen Mittelalter - die nicht unbedeutenden Magazinbestände im Museumskeller nicht mitgerechnet - muss sich der Berliner Museumschef nicht so sehr sorgen, »einen ganzen Landstrich ohne seine Vorgeschichte zu lassen«. (vgl. Der Tagesspiegel, 22. August 2000, S. 28)
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Auslagerungen 1943-1945

Das nicht im Königsberger Schloss ausgestellte Material, die wissenschaftlichen Zwecken dienende Studiensammlung, wurde nicht im Schloss, sondern im Landesamt für Vorgeschichte, Hintertragheim 31, aufbewahrt.
     Diese magazinierten Bestände sowie das umfangreiche Archiv- und Bibliotheksgut wurden, wie La Baume festhielt, zum großen Teil bereits »1943 nach Rastenburg- Carlshof gebracht ... Hiervon ist bei weitem das meiste im Dezember 1944 und im Januar 1945 nach Vorpommern geschafft worden«.
     Der Inhalt einer der beiden Waggons »lagert in Schloss Brook bei Demmin«. Der Inhalt des anderen »konnte infolge Transportschwierigkeiten nicht nach Brook gebracht werden; diese Sachen wurden in einem leer stehenden Barbierladen in der Hauptstraße in Demmin untergebracht ... In Carlshof geblieben sind die großen Schränke, ein kleiner Teil der Schubladen, etwa 500 Stück Keramik (Auswahl), die durch Zusammenstürzen des Regales ... größtenteils schwer gelitten hatte, sowie schließlich die nach Carlshof gebrachten Bücher und Zeitschriftenserien der Prussia- Bücherei ... In Brook lagern auch das gesamte Fundarchiv, die Ausgrabungspläne, die Negativsammlung u. a. m.« (etwa die Korrespondenz).

Bestände in Olsztyn (Allenstein)

Die in Carlshof bei Rastenburg im südlichen Ostpreußen verbliebenen Funde der Studiensammlung wurden nach dem Krieg in einer Kirche der Irrenanstalt von Carlshof (Karolewo) aufgefunden und in das Museum für Ermland und Masuren (Muzeum Warmii i Mazur) in Allenstein (Olsztyn) verbracht. La Baumes Angabe über die umfangreiche Keramik wird durch Nowakowski in seiner Monographie von 1998, wonach es sich bei diesem Teil der alten Bestände des Prussia- Museums um »vor allem Keramik« handelt, bestätigt. Nach Auskunft von Miroslaw J. Hoffmann vom Institut für Archäologie der Universität Warschau enthielten die »über 20 Kisten« in Carlshof »hauptsächlich neolithische Keramik- und Feuersteinfunde und Keramik und Metalle aus der Römischen Kaiserzeit«, und werden im Museumsmagazin in der Burg Allenstein »etwa 1100 verschiedene Exemplare aus dem Prussia- Museum« und verschiedene Archivalien (Grabungsdokumentationen, Zettelkataloge) aufbewahrt.

Studiensammlung und Fundarchiv in Berlin

Der größte, nach Vorpommern ausgelagerte Teil der Studiensammlung und das Fundarchiv konnten 1949 durch die Bemühungen von Wilhelm Unverzagt (1892-1971) von der Akademie der Wissenschaften in Ost-Berlin dorthin überführt werden.

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Doch waren die Bestände im Gutshaus Broock 1945/46 zum Teil geplündert und zerstört worden. Der Demminer Kaufmann Lothar Diemer hat sich durch die Sicherstellung der Reste im Depot seiner Firma im April 1946 große Verdienste erworben. Im August 1949 wurden 125 Kisten treuhänderisch der Akademie übergeben. Im Keller des Gebäudes (ehemaliges Preußisches Herrenhaus) in der Leipziger Straße, dem Zentralinstitut für Alte Geschichte und Archäologie (ZIAGA) mit dem Bereich Ur- und Frühgeschichte, wurden die Kisten dann über 40 Jahre abgestellt. In der DDR war bekanntlich jegliche Erinnerung an den deutschen Osten und eine Beschäftigung damit ein absolutes Tabuthema.
     Mit der Wiedervereinigung erfolgte 1990/91 die Übergabe an das 1963 bei den Staatlichen Museen zu Berlin/DDR neu geschaffene Museum für Ur- und Frühgeschichte und die Zwischenlagerung im Dachgeschoss des Alten Museums. 1976 waren dem Museum für Ur- und Frühgeschichte bereits ca. 200 Objekte des Museums in Demmin als »Schenkung« übertragen worden. 1992, im Zuge der Umstrukturierung der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, gingen die Bestände, die sich im Besitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz befinden, schließlich zur Aufbewahrung an das seit 1960 im Schloss Charlottenburg untergebrachte Museum für Vor- und Frühgeschichte.
Im Januar 1994 erfolgte schließlich noch die Übergabe von Restbeständen - ein halbes Hundert Kartons - aus dem Zentraldepot in Ludwigslust des Archäologischen Landesmuseums Mecklenburg- Vorpommern in Schwerin. Im Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte wurden und werden seit 1993 die Funde, die sich größtenteils in einem beklagenswerten, in Teilen nicht mehr rettbaren Zustand befanden, erfasst und restauriert, und das Fundarchiv - Karteikarten, Negativsammlung (Glasplatten), Notizbücher, Grabungsdokumentationen, Korrespondenz usw. - gesichtet und archiviert. Die umfangreichen Archivalien werden seit Juni 2000 in zwei vom Arbeitsamt Berlin geförderten Maßnahmen von einem Archäologen und einem Historiker aufgearbeitet. Bisher sind aber nur wenige Funde der Studiensammlung ausgestellt, und zwar seit 1994 als Leihgaben im Ostpreußischen Landesmuseum Lüneburg.
     Noch hat man nicht in Kaliningrad oder Moskau zwecks Kopien der Katalog- bzw. Inventarbücher, die für die wissenschaftliche Bearbeitung auch der Berliner Prussia- Bestände notwendig sind, angefragt. Da man russischerseits natürlich am Fundarchiv in Berlin sehr interessiert ist, das für die Rekonstruktion der in Kaliningrad verbliebenen Teile sowohl der Schauals auch der Studiensammlung unumgänglich ist, böte sich hier ein am ehesten realisierbares Tauschgeschäft in Form von Duplikaten an.
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Jedenfalls trifft es nicht ganz zu, dass allein der Museumschef in Berlin »mit dem Fundarchiv den Schlüssel zur gesamten Sammlung des Prussia- Museums in der Hand hält« (vgl. Der Tagesspiegel, 22. August 2000, S. 28).

Geheimdepot in Moskau?

Von den bis zur Sprengung des Schlosses im Jahre 1968 in der Ruine gefundenen Exponaten des Prussia- Museums verblieb, so Walujew und andere, »ein Teil in dem für Russland neuen Gebietszentrum Kaliningrad«. Wohin aber gelangte der andere Teil? Und wurden die 1945/46 im Fort Quednau entdeckten Prussia- Schätze tatsächlich alle von sowjetischen Soldaten gestohlen oder zerstört, wie Oberst Owsjanow 1995 schrieb? Sicher ist jedenfalls, dass nach dem Zeugnis von La Baume die »wichtigsten Stücke« der Schausammlung in das Fort ausgelagert wurden.
     Angesichts der Verbringung wertvollster Folianten der Königsberger Staats- und Universitätsbibliothek, darunter zweier Prachtbände der Silberbibliothek Herzog Albrechts aus der Schausammlung der Bibliothek im Nordflügel des Schlosses, oder der Marmorbüste der Herzogin Dorothea, der Gemahlin dieses letzten Hochmeisters und ersten Herzogs von Preußen, von ihrem Epitaph im Königsberger Dom in die russische Hauptstadt, muss die Frage erlaubt sein, ob in den Baltischen Sammlungen des Archäologischen Instituts der Akademie der Wissenschaften oder in dem vormaligen Geheimdepot des Puschkin- Museums,

wo sich die Büste der Herzogin noch heute befindet, Teile der Prussia- Sammlung verwahrt werden. Im Puschkinmusuem und in der Staatlichen Eremitage in St. Petersburg sollen sich übrigens, wie Direktor Menghin im Sommer 2000 wiederholt gegenüber der Presse äußerte, Funde aus dem vormaligen Staatlichen Museum für Vor- und Frühgeschichte in Berlin befinden - etwa ein Drittel der Vorkriegsbestände. Diese etwa 7 500 Objekte umfassendenden Sammlungsteile wurden nach Kriegsende als Kriegsbeute widerrechtlich (Haager Landkriegsordnung) aus Berlin in die Sowjetunion abtransportiert.
     Sollten solche Prussia- Schätze in den russischen Geheimdepots nicht existieren, so muß man leider feststellen, dass trotz der 1999-2000 im Fort III entdeckten Funde nicht davon die Rede sein kann, dass die »gesunkene Titanic der prussischen Archäologie« gehoben, der »Phönix des Prussia- Museums« aus der Asche gestiegen oder, wie Reinhard Krumm ob der enthusiastischen russischen Meldungen formulierte, »das Herzstück der deutschen Prussia- Sammlung« entdeckt worden sei. (vgl. Der Spiegel 4/2000, S. 136) Vielmehr gewinnt man eher den Eindruck, dass der Tresor der »gesunkenen Titanic der prussischen Archäologie« bereits von den Schatzsuchern geknackt worden ist. Von dem bei La Baume erwähnten, ins Fort ausgelagerten Museumsgut fehlen nicht nur »die meisten Gold- und Silberschmucksachen«, sondern auch der Großteil »der berühmten Bronzen«, nämlich »sämtliche Bronzen der Bronzezeit und frühen Eisenzeit«.
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Gerade für diese Epochen, so rühmte 1925 Richard Dethlefsen (1864-1944), der Provinzialkonservator von Ostpreußen, gehörte das Prussia- Museum zu den »ersten Museen der Welt überhaupt«.
     Das Kaliningrader Gebietsmuseum für Geschichte und Kunst unter der Leitung von Jelena I. Penkina hofft, die neuen Funde aus dem Fort nach ihrer Restaurierung und dem Kauf weiterer Vitrinen, für die noch die finanziellen Mittel fehlen, bald in einer Ausstellung vorstellen zu können. Man darf diese Prussia- Schau im »Preußenjahr 2001« mit großem Interesse erwarten. Es bleibt zu hoffen, dass die Erforschung der einst so bedeutenden

Kaliningrader Gebietsmuseum für Geschichte und Kunst
vorgeschichtlichen Prussia- Sammlung, von der heute Teile der Schausammlung, der Studiensammlung und des Archivs vor allem in Kaliningrad, Allenstein und Berlin erhalten sind, in Zusammenarbeit von russischen, polnischen und deutschen Wissenschaftlern erfolgen kann. Da Ostpreußen heute nicht nur zu Polen und Russland, sondern auch Litauen gehört, wäre die Einbeziehung auch dieses baltischen Landes, auf dessen Staatsgebiet viele einstige Fundorte des ehemaligen Memelgebietes liegen und dessen Funde im Königsberger Prussia- Museum ausgestellt waren, so Grabfunde des altpreußischen Stammes der Kuren, sehr wünschenswert. Zu einer solchen europäischen, ja internationalen Kooperation wäre jenseits aller Besitzansprüche und der Frage einer Zusammenführung der Bestände, zu deren Lösung die Politik gefordert ist, die Einrichtung einer deutsch- russisch- polnisch- litauischen wissenschaftlichen Kommission notwendig. Hierin scheint mir der eigentliche Schlüssel zur Hebung der noch verbliebenen Schätze der »gesunkenen Titanic der prussischen Archäologie« zu liegen.

Bildquellen:
Fotos von Beil und Fibelgruppe: Anatolij A. Walujew
Übrige Aufnahmen: Verfasser

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 10/2000
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