157 Geschichte und Geschichten | Käthe Kollwitz und die Akademie |
Dorothea Körner
»Man schweigt in sich hinein« Käthe Kollwitz und die Preußische Akademie der Künste 1933-1945 Mit ihrem 65. Geburtstag - am 8. Juli 1932 - lief auch die Anstellung von Käthe Kollwitz (1867-1945) bei der Akademie der Künste als Vorsteherin eines Meisterateliers für Graphik aus (vgl. BM, Heft 6, S. 171). Da sie an der Lehrtätigkeit hing und auf die Bezahlung angewiesen war, hatte sie den Akademiepräsidenten, Max Liebermann, bereits 1931 gebeten, ihr auf kommissarischer Basis die Stelle zu erhalten. In einem Brief vom 28. Februar 1931 an Liebermann schrieb sie: »... möchte mir gestatten, darauf hinzuweisen, daß die im Frühjahr stattfindenden Landtagswahlen wohl einen scharfen Ruck nach rechts ergeben werden, was für meine weitere kommissarische Anstellung sehr ungünstig wäre. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie möglichst frühzeitig meine weitere Anstellung befürworten wollten.« Der preußische Kultusminister - von 1930 bis 1932 war dies Adolf Grimme (1889-1963) - schloß daraufhin mit Käthe Kollwitz einen »Privatdienstvertrag«. Am 1. Juni 1932 hielt sie im Tagebuch1) fest: |
»Inzwischen hab ich auch Nachricht bekommen, daß meine Anstellung auf ein Jahr verlängert wird«, und fuhr fort, »Senatssitzung der drei Akademiesektionen.«2) Liebermann läßt sich nicht mehr aufstellen, von Schillings3) wird gewählt, der Vizepräsident ist Poelzig.«4)
Die Aufgeschlossenheit der preußischen Kultusminister5) für die notwendige Modernisierung der Akademie hatte sich schon bei früheren Anlässen gezeigt. Um die Künste in der Akademie umfassend zu repräsentieren, schuf das Ministerium 1926 die Sektion Dichtkunst (später Dichtung), aus der die völkisch gesinnten Schriftsteller 1931 austraten. Daraufhin wurden Heinrich Mann (1871-1950) zum Sektions- Vorsitzenden und Ricarda Huch (1864-1947) zu dessen Stellvertreterin gewählt. An dem konservativen Flügel der Akademie war auch Max Liebermann gescheitert. Jahrelang hatte er sich bemüht, junge, avantgardistische bildende Künstler in die Akademie aufzunehmen, aber es war ihm nicht gelungen, die nötige Zweidrittelmehrheit zustande zu bringen. So hatte er schließlich den Kultusminister gebeten, neue Akademiemitglieder zu berufen. Adolf Grimme kooptierte 1931 unter anderen Otto Dix (1891-1969), Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938), Emil Nolde (1867-1956) und Rudolf Belling (1886-1972) in die Akademie. Als 1931 auch die Bildhauerin René Sintenis (1888-1965) Akademiemitglied wurde, gehörten der Institution nunmehr - mit Käthe Kollwitz und Ricarda Huch - drei Frauen an. |
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Käthe Kollwitz hatte sich nach dem Tod ihres Sohnes Peter 1914 geschworen, ihm und den vielen gefallenen jungen Kriegsfreiwilligen ein Denkmal zu setzen. Es sollte zunächst auf den Höhen von Schildhorn im Grunewald stehen, später konzipierte sie es für den Soldatenfriedhof von Roggefelde bei Dixmuiden (Belgien), wo ihr Sohn begraben lag. Seit 1915 arbeitete sie - mit Unterbrechungen - an den lebensgroßen Figuren trauernder Eltern. 1931 waren »Vater« und »Mutter« - beide knieend, mit den Gesichtern des Ehepaars Kollwitz - in Gips vollendet, bis Juni 1932 wurden sie durch zwei Steinmetze in belgischen Granit übertragen.
Kurz vor ihrem 65. Geburtstag stellte die Künstlerin die Steinfiguren in der Vorhalle der Nationalgalerie aus, die Originale (Gipsfiguren) im Kronprinzenpalais. (Sie hatte es nicht gewagt, die Steinfiguren vor der Neuen Wache aufzustellen aus Angst, sie könnten von Nazis beschädigt werden.) Unsicher und erwartungsvoll sah sie der Reaktion der Öffentlichkeit und besonders der Bildhauer auf ihr vielleicht persönlichstes Werk entgegen. Die Wirkung war groß. »Viele Menschen haben sie gesehn und haben einen starken Eindruck gehabt«, notierte sie am 15. Juni 1932 im Tagebuch, und setzte fort: »Etwas kränkt oder ärgert mich ... Die kommunistischen Blätter schweigen. Eine kleine Notiz soll neulich die Rote Fahne gebracht haben: man vermisse die Anti-Kriegs- Geste. |
Es ist dumm - es ist hanebüchen dumm - aber den Schaden habe ich doch, denn die breiten Arbeitermassen kommen nun nicht hin. Wäre Otto Nagel hier6) - der hätte das nicht gelitten!« Im Juli 1932 reiste das Ehepaar Kollwitz nach Dixmuiden, um die Aufstellung der Figuren auf dem Friedhof von Roggefelde zu beaufsichtigen.7) Käthe Kollwitz hatte diese Arbeit, die sie 17 Jahre lang als ihre Lebensaufgabe angesehen hatte, gerade noch vor Beginn der Naziherrschaft fertig stellen können.
Das politische Geschehen Anfang der 30er Jahre wurde von der Künstlerin sehr aufmerksam registriert. Im Dezember 1930 notierte sie im Tagebuch: »Langsam heranschleichende böse Reaktion auf allen Gebieten. Verbot des Remarque- Films. Es wird eine schwere Zeit kommen, oder es ist eine schwere Zeit. Arbeitslosigkeit in allen Erdteilen.« Zu Ostern 1932 schrieb sie noch besorgter: »Dann die unsagbar schwere Not. Die Not. Das Heruntersinken der Menschen in dunkle Not. Die politisch widerwärtige Verhetzung.« Die Künstlerin, die über Jahre in der Deutschen Liga für Menschenrechte8) mitarbeitete, protestierte auch gegen Unrecht in der Sowjetunion. 1930 engagierte sie sich mit anderen linken Künstlern und Wissenschaftlern für die russische Sozialrevolutionärin Maria Alexandrowna Spiridinowa, die nach fünfjähriger Verbannung erneut in Moskau inhaftiert worden war. |
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Käthe Kollwitz mußte deshalb von sowjetischer Seite Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen. Im Oktober 1930 wandte sie sich an Albert Einstein mit der Frage, wie er sich hinsichtlich eines geplanten Protestes gegen die Erschießung von 48 Personen und die Verhaftung weiterer Wissenschaftler in der Sowjetunion verhalte. Mit 83 anderen Vertretern aus Kunst und Wissenschaft unterschrieben beide diesen Protest. Ob Käthe Kollwitz - wie viele andere - ihre Unterschrift später mit einer Entschuldigung gegenüber der UdSSR zurückgezogen hat, ist nicht bekannt.
Vor der Reichstagswahl am 31. Juli 1932, bei der die NSDAP stärkste Partei wurde,9) prangte an allen Berliner Litfaßsäulen ein Plakat mit dem »Dringenden Appell«, »alle Kräfte zusammenzufassen, die in der Ablehnung des Faschismus einig sind«. Diesen Appell von Sozialdemokraten, Sozialisten und Pazifisten - insbesondere dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund - hatten 33 Personen unterzeichnet, darunter Käthe und Karl Kollwitz. Am 14. Februar 1933, zwei Wochen nach der Machtergreifung Hitlers, rief das gleiche Plakat die Öffentlichkeit auf, bei den Wahlen am 5. März 1933 die letzte Chance gegen Hitler zu nutzen und gemeinsame Listen bzw. Listenverbindungen von SPD und KPD durchzusetzen.10)Unterschrieben hatten diesmal nur 15 Personen,11) darunter Heinrich Mann und das Ehepaar Kollwitz. |
Karl und Käthe Kollwitz im Sommer 1935, Karlstein bei Bad Reichenhall |
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Die beiden Mitglieder müßten deshalb aus dem Kreis der Akademie ausscheiden.«13) Noch am gleichen Tag sprach von Schillings mit Käthe Kollwitz und legte ihr nahe, aus der Akademie auszutreten, da sie deren Existenz gefährde, woraufhin die Künstlerin dies auch tat. An ihre Freundin seit gemeinsamen Münchener Studientagen, Beate Bonus-Jeep, schrieb sie: »Der Akademieleitung war es furchtbar unangenehm. Vierzehn Jahre (genau die vierzehn von Hitler als böse gestempelten) habe ich mit den Leuten friedlich zusammengearbeitet. Jetzt muß mich die Akademieleitung bitten, freiwillig auszutreten. Wäre es nicht zu dieser Lösung gekommen, hätte man gedroht, die ganze Akademie auffliegen zu lassen. Natürlich tat ich es ...«14)
Von Schillings rief noch am gleichen Abend eine außerordentliche und vertrauliche Sitzung der Gesamtakademie ein und legte die Situation dar. »Der Präsident teilte weiter mit, daß Frau Kollwitz in Erkenntnis des Unrichtigen ihres Verhaltens heute bereits ihren Autritt aus der Akademie erklärt hat. Es handle sich somit nur noch um den Fall Heinrich Mann, der als Vorsitzender der Abteilung für Dichtung eine besondere Stellung in der Akademie einnimmt«, heißt es im Sitzungsprotokoll.15) Von Schillings stellte die Akademiemitglieder vor die Alternative, entweder Heinrich Mann gehe oder er. Als auf Anfrage bekannt wurde, daß Heinrich Mann weder geladen, noch von dem Vorfall unterrichtet worden sei, wurde er telephonisch herbeigerufen und die Sitzung unterbrochen. | In einem vertraulichen Gespräch mit dem Präsidenten und dem Sekretär der Sektion Dichtung, Oskar Loerke (1884-1941), erklärte auch Heinrich Mann seinen Austritt. Als die Sitzung des Plenums wieder aufgenommen wurde, kritisierte Alfred Döblin (1978-1957), daß Heinrich Mann nicht Gelegenheit erhalten habe, vor ihnen allen Stellung zu beziehen, und Stadtbaurat Martin Wagner (1885-1957) erklärte, die beiden Akademiemitglieder hätten im Rahmen der Verfassung gehandelt. Das Plenum der Akademie und nicht der Präsident hätte über ihr Verbleiben entscheiden sollen. Als von Schillings sich damit rechtfertigte, daß beide Mitglieder gegen »das Taktgefühl« verstoßen hätten, erklärte auch Wagner seinen Austritt und verließ die Sitzung. Gottfried Benn (1886-1956) bestätigte dem Präsidenten, richtig gehandelt zu haben, und Hans Poelzig dankte ihm dafür, daß die Versammlung nicht über den Ausschluß abstimmen mußte. Am 17. Februar 1933 solidarisierte sich Alfred Paquet (1881-1944) in einem Brief an die Akademie mit Heinrich Mann. Und am 23. Februar 1933 fragte Ernst Barlach schriftlich bei von Schillings an, ob die Akademiemitgliedschaft nunmehr mit einer politischen Überzeugung verbunden sei,16) was der Präsident in seiner Antwort - die Sachlage verharmlosend - verneinte. Im März 1933 traten Paquet, Thomas Mann und Döblin aus der Akademie aus, im April Ricarda Huch, im Mai Liebermann, Mebes, Dix und Schmidt-Rottluff. Im Juli 1937 verließen auch Barlach, Kirchner, Weiss und Mies van der Rohe die seit 1933 »arisierte« Institution. |
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Von dem Austritt Heinrich Manns und Käthe Kollwitz` aus der Akademie berichteten die Zeitungen ausführlich. Während die rechte Presse das Ausscheiden Heinrich Manns als eines »undeutschen« Schriftstellers begrüßte, waren die Sympathien für Käthe Kollwitz als Künstlerin einhellig. Die »Frankfurter Zeitung« würdigte auch ihre politische Haltung: »Diese Künstlerin ist heute sechsundsechzig Jahre alt. Sie hat mit einer Unbedingtheit, die nur die edle Absicht vermitteln kann, eine einzige Sache immer wieder gezeichnet: das Proletariat. So ist sie eine unbequeme Künstlerin gewesen; lag ein neues Blatt von ihr vor, so herrschte in dem offiziellen Deutschland vor dem Kriege Schweigen - wie nach einem Unglücksfall. Käthe Kollwitz hat nie eine größere Ehrung erfahren als durch jene goldene Medaille,17) die ihr |
Sie beschlossen - auch ihres Alters wegen - in Berlin zu bleiben. Ihr Schicksal wurde die innere Emigration. Käthe Kollwitz durfte - gemäß ihrem Vertrag - noch bis zum Herbst 1933 das Akademie- Atelier und ihre Schüler behalten, dann zog sie in die Ateliergemeinschaft Klosterstraße um, wo sie bis 1940 in der Nachbarschaft junger Künstler an ihren Plastiken arbeitete, während die Graphiken wieder in der Wohnung in der Weißenburger Straße 25 19) entstanden.
Durch ein Urteil der Kassenärztlichen Vereinigung in Berlin verlor der 70jährige Karl Kollwitz am 1. August 1933 wegen »kommunistischer Tätigkeit« alle Kassenpatienten, was einem wirtschaftlichen Ruin gleichkam. | ||||||
auf Wunsch Wilhelms II. abgesprochen wurde. Jetzt muß sie die Preußische Akademie verlassen, weil sie geglaubt hat, sie dürfe sich nicht von ihren Freunden in der organisierten deutschen Arbeiterschaft trennen.«18) Während Heinrich Mann am 21. Februar 1933 Deutschland für immer verließ, erwog das Ehepaar Kollwitz noch die Emigration. Ende März fuhren Karl und Käthe Kollwitz für zwei Wochen nach Marienbad, wo sie sich mit Freunden trafen und sich über ihre Zukunft klar zu werden versuchten. |
Relief für das Grab Levy, 1938 |
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Als Mitbegründer des Sozialdemokratischen Ärztebundes und einstiger Stadtverordneter der SPD, vor allem aber als unermüdlicher Arzt seiner Patienten hatte er sich in Berlin einen Namen gemacht. Da Karl Kollwitz gegen das Verbot protestierte, wurde es im Oktober 1933 aufgehoben.
Käthe Kollwitz konnte zunächst weiterhin ihre Arbeiten in den Akademieausstellungen zeigen. Da man sie in die Reichskammer der bildenden Künste aufgenommen hatte, durfte sie künstlerisch tätig sein. Als ihr Fritz Klimsch jedoch 1934 vertraulich mitteilte, man bemühe sich um ihre Wiederaufnahme in die Akademie, wehrte sie dies als »eine Sache ab, die sie ablehnen müßte«. An den Freund Fritz Bonus, der ebenfalls anonym in einem Aufsatz für ihr Verbleiben in der Akademie eingetreten war, schrieb sie: »Glaub mir, Bonus, wenn der Verfasser sagt, die Seelen von Unzähligen im Arbeiterstand glühten für mich, so hören sie sicher auf, das zu tun, wenn ich >ehrenvoll wieder anerkannt< werde. Ich will und muß bei den Gemaßregelten stehen. Die wirtschaftliche Schädigung, auf die Du hinweist, ist eine selbstverständliche Folge. Tausenden geht es ebenso. Darüber muß man nicht klagen.« Und 1938 schrieb sie an ihren Sohn Hans und die Schwiegertochter Ottilie: »Wißt Ihr, am Lebensende arm sein zu müssen ist erträglich. Wie viele unserer früheren Freunde, besonders der jüdischen, müssen das tragen.«20) |
Als Max Liebermann 1935 starb, gehörte Käthe Kollwitz zu den wenigen, die an der Beerdigung teilnahmen. Karl Scheffler (1869-1951) erinnert sich in seiner Autobiographie: »Wäre er (Liebermann, D. K.) einige Jahre früher gestorben, so hätte es am Pariser Platz im Haus der Akademie eine Leichenfeier größten Stils gegeben. Jetzt waren weder die Künstler, deren Vertreter er fast fünfzig Jahre lang gewesen war, noch die akademischen Korporationen anwesend. Keiner von den Würdenträgern, die in seiner Wohnung als Gäste ein- und ausgegangen waren, erwies ihm die letzte Ehre, kein Abgeordneter der Stadt Berlin, deren Ehrenbürger er gewesen war, kein Offizier sprach ein Wort des Dankes und des Abschieds. Von allen Künstlern, die er mittelbar und unmittelbar gefördert hatte, waren nur vier zur Trauerfeier erschienen. Es ziemt sich, ihre Namen zu nennen: Käthe Kollwitz, Hans Purrmann, Konrad von Kardorff und Klein-Diepold.«21)
Obwohl die Arbeiten von Käthe Kollwitz nicht in die Ausstellung »Entartete Kunst« einbezogen wurden, auch keines ihrer Werke von den Nazis vernichtet wurde, lehnten die neuen Machthaber ihre »kommunistische« Kunst natürlich ab. »Keine deutsche Mutter sieht so aus, wie Kollwitz sie gezeichnet hat«, schrieb der »Völkische Beobachter«. Ab 1936 traf Käthe Kollwitz auch ein unausgesprochenes Ausstellungsverbot. |
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Aus der Akademieausstellung von 1937 wurden ihre Arbeiten - die »Mutter« von Roggefelde und das Grabrelief für die eigene Familie - kurz vor der Eröffnung entfernt. »Auf meine Frage, wer noch entfernt ist, sagt Amersdorffer, Barlach sei noch entfernt worden«, notierte sie im Tagebuch. Auch ihre Gipsfiguren der trauernden Eltern, die zur Ständigen Ausstellung des Kronprinzenpalais` gehörten, fielen der Säuberung zum Opfer. Käthe Kollwitz, auf die Resonanz der Menschen angewiesen, litt unter der Isolierung. »... diese merkwürdige Stille bei Gelegenheit der Heraussetzung meiner Arbeit aus der Akademieausstellung und anschließend (dem) Kronprinzenpalais. Es hat mir fast niemand etwas dazu zu sagen. Ich dachte die Leute würden kommen, mindestens schreiben - nein. So etwas von Stille um mich. - Das muß alles erlebt werden!«, notierte sie im November 1936 im Tagebuch und fügte hinzu: »Man schweigt in sich hinein.« Im Juli 1936 hatte die sowjetische Zeitung »Iswestija« einen Artikel über Käthe Kollwitz veröffentlicht, der ihre finanzielle und künstlerische Situation in Nazideutschland - etwas tendenziös übertrieben - als katastrophal beschrieb. Der Artikel war so abgefaßt, als habe Käthe Kollwitz sich selbst so geäußert, was die Künstlerin in Gefahr brachte. Prompt erschien die Gestapo in der Weißenburger Straße und drohte im Wiederholungsfall mit KZ-Haft. Käthe Kollwitz, die den Wortlaut des Artikels erst durch die Gestapo kennenlernte, distanzierte sich davon. |
Käthe Kollwitz, um 1937 |
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Von 1934 bis 1937 entstand die letzte lithographische Folge »Tod«, aber auch eine der schönsten Plastiken Käthe Kollwitz`: »Die Mutter mit Zwillingen« (begonnen 1924). In ihrer schweren, geschlossenen Form und den saftigen Rundungen kam diese Arbeit dem plastischen Ideal von Käthe Kollwitz am nächsten, die sich an Henri Laurens (1885-1954) orientierte. Die Künstlerin besaß jedoch nicht genügend Geld, um die Gruppe in Stein hauen zu lassen. Daraufhin schenkte ihr Leo von König 1 500 RM. Am 1. August 1936 schrieb er an sie: »Sehr verehrte gnädige Frau! Herr Immanuel hat mir gesagt, daß Sie gern eine Arbeit in Stein ausführen möchten, und daß leider das Geld nicht vorhanden sei. Ich möchte Sie nun herzlich bitten, diese Summe von mir nehmen zu wollen. Es ist mir eine besondere Freude, meiner großen Verehrung für Sie und ihr Werk auf diese Weise Ausdruck geben zu können. In der Hoffnung keine Fehlbitte getan zu haben, grüßt Sie in alter Verehrung Ihr aufrichtig ergebener Leo König.«
1937 stand Käthe Kollwitz der 70. Geburtstag bevor. Die Berliner Galerie Nierendorf wollte ihr im Februar eine Ausstellung mit zehn Plastiken (darunter die »Mutter mit Zwilligen«), zehn bis 20 Zeichnungen und ebensoviel Graphiken ausrichten, sagte aber im letzten Augenblick unter dem Druck der Nazi- Behörden ab. |
Auch die für den Sommer vorgesehene Ausstellung in der Buchhandlung Buchholz in der Leipziger Straße wurde verboten, so daß Käthe Kollwitz gezwungen war, ihre Arbeiten im eigenen Atelier in der Klosterstraße auszustellen. Im dänischen Odense kam eine Exposition mit ihrer Graphik zustande. Die für Dänemark erhoffte große Retrospektive ihres Gesamtwerks konnte jedoch nicht realisiert werden. Dennoch war das Echo zu ihrem Geburtstag über alle Erwartung groß. Glückwünsche kamen aus der Sowjetunion, China und den USA, insgesamt trafen etwa 150 Briefe und Telegramme ein. Ihrem Sohn Hans schrieb sie: »Unter den Telegrammen sind Hauptmann, Breker (Ehrenmal München), Schmidt-Rottluff, Fechters, Kolbe, Leo von König. Unter den Briefen ganz wundervolle »... ich bin ganz glücklich über den weiten und tiefen Wiederhall, den meine Lebensarbeit in Deutschland und auch außerhalb Deutschlands gefunden hat.«
Als Barlach im Oktober 1938 starb, reiste Käthe Kollwitz zur Trauerfeier nach Güstrow und zeichnete den Toten, wie er »ganz klein und mager«, »mit ganz zur Seite gesenktem Kopf - als ob er sich verbergen wolle«, im Sarg lag (Tagebucheintragung). 1940 starb ihr Mann, Karl Kollwitz, der bereits 1937 die Praxis aufgegeben hatte. Es wurde einsamer um die Künstlerin. Freude erlebte sie vor allem mit ihren Sohn Hans und dessen Familie. |
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1942 fiel auch der älteste Enkel Peter.
Auf Einladung einer jungen Kollegin war die Künstlerin vor den Berliner Bombenangriffen nach Nordhausen geflüchtet. Sie starb am 22. April 1945 auf Schloß Moritzburg bei Dresden. Käthe Kollwitz hat einmal so etwa wie die Bilanz ihres Leben formuliert: »Es sind mir drei Dinge wichtig in meinem Leben: daß ich Kinder gehabt habe, daß ich einen solchen treuen Lebenskameraden gehabt habe und meine Arbeit.« Die künstlerische Produktivität, die Erfahrung, eine künstlerische Aufgabe, die sie sich gestellt hatte, auch bewältigen zu können, empfand sie als ein Glücksgefühl, »das sich mit keinem vergleichen läßt.« Quellen und Anmerkungen:
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 9/2000
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