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Horst Wagner
31. August 1928:
Premiere der Dreigroschenoper

»Kaum heimgekehrt, bewundert man als Provinzler das Theater von Berlin: Mit Brecht.« Mit diesen Worten begann kein geringerer als Alfred Kerr (1867-1948) im »Berliner Tageblatt« seine Rezension der Uraufführung der Dreigroschenoper am 31. August 1928 im Theater am Schiffbauerdamm. »Wie das alles klappt. Wie Erich Engel, Einrichter des Abends, das etwas lange Stück (bis halbe zwölf) zu kirren weiß. Wie fast andauernd Unterhaltendes vorfällt.« Brecht fahre mit diesem Stück »in seinen modernen Bestrebungen« fort. In diesem »Gegenwartsdrama« das nach einem »Erfolgsstück von 1728« geschrieben sei, kämen dessen »lyrisch- gesangliche Eignungen vorteilhaft hinzu«. Kerr hebt besonders auch das Spiel von Harald Paulsen als Macheath (»ein junger Mann mit fast weiblich- bezaubernden Grundzügen«) und des aus Dresden stammenden Erich Ponto als Peachum (»diese Kraft hat in Berlin zu bleiben«) hervor. »Brecht, Jazz, Volkstexte, von Weill durchtrieben gesetzt. Inhalt von 1728. Kleidung von vielleicht 1880.« Das Ganze weise in die Zukunft.


Plakatentwurf von Caspar Neher zur Premiere

 
»Wollen Sie, so haben wir ein neues Drama oder einen angenehmen Zwischenfall.«
     Als nicht nur angenehmen Zwischenfall sahen einige von Kerrs Kritikerkollegen das Stück und seine Premiere. Während G. F. von der »Vossischen Zeitung« Brecht zu seinem Erfolg gratulierte, Rosa Palettis Spiel als »alkoholischen Trostes bedürftige Bettlerfürstin« Frau Peachum und Roma Bahns Temperament als »Räuberbraut ohne Vorurteile« Polly hervorhob und meinte:

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»Gestern blitzte alles von Wagemut, Temperament, Angriffslaune, ohne dass die Seiten des Parteibuches knisternd umgeblättert wurden«, machte Franz Servaes im »Berliner Lokal- Anzeiger« aus seiner eher konservativen Parteilichkeit kein Hehl. Zwar sei es »das gute Recht des Satirikers, die herrschende Gesellschaft und deren Auswüchse und Untaten zu verspotten«. Aber es gäbe »eine Grenze, die nicht überschritten werden darf. Wenn zum wiederholten Male die Bibel hergenommen wird, um als eine Art Grundbuch für Heuchler behandelt zu werden, ... so werden damit Gefühle verletzt, die unter allen Umständen Respekt für sich beanspruchen dürfen.« Das Ganze sei ein »satirisch- sentimentaler, romantisch- kaltschnäuziger Kuddelmuddel«. Die »Neue Preußische Zeitung« sprach gar von »literarischer Leichenschändung«, während die kommunistische »Rote Fahne« fand, dass die von Brecht und Weill beabsichtigte Attacke auf das bürgerliche Publikum nicht geglückt sei, denn »dem Publikum ist sehr wohl dabei«.
     Auf den Stoff zur »Dreigroschenoper« war bekanntlich Brechts Mitarbeiterin und Geliebte Elisabeth Hauptmann (1897-1973) gestoßen. Sie hatte 1926 Presseberichte über den anhaltenden Theatererfolg der wiederentdeckten »Beggar's Opera« von John Gay (1685-1732) gelesen, die seit 1920 in London und anderen englischen Städten wiederaufgeführt wurde.
Sie übersetzte darauf den Text aus dem Jahre 1728 und Brecht zeigte sich am Stoff interessiert. Von März bis Mai 1928, erarbeiteten beide gemeinsam eine erste Textfassung, die zunächst unter dem Titel »Die Ludenoper« als Bühnenmanuskript erschien. Im Juni und Juli arbeiten dann Brecht und Elisabeth Hauptmann an der französischen Riviera gemeinsam mit Kurt Weill (1900-1950) und dessen Frau Lotte Lenya (1898-1981) an einer neuen Fassung und nennen das Stück nun nach einem Vorschlag von Lion Feuchtwanger »Die Dreigroschenoper«.
     Nach dem stürmischen Erfolg der Premiere vom 31. August 1928 wird das Stück bereits im Januar 1929 an 19 deutschen Theatern sowie in Wien, Prag und Budapest gespielt. 1933 wird »Die Dreigroschenoper« von den Nazis verboten. Ihre erste Wiederaufführung in Berlin nach dem Krieg erlebt sie schon im August 1945 am Hebel- Theater. 1949 spielen die Münchener Kammerspiele eine von Brecht veränderte Fassung mit Hans Albers (1891-1960) als Macheath. Ins Theater am Schiffbauerdamm ist die Dreigroschenoper allerdings erst nach Brechts Tod 1956 zurückgekehrt. Unlängst wurde sie auch im Deutschen Theater mit großem Erfolg gespielt.
Horst Wagner

Bildquelle: Archiv LBV

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 8/2000
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