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54 Berliner Gespräche
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»Wenn diese Republike den Zimt so weitermacht ...«
Gespräch mit Kurt Tucholsky zum Thema Berlin und die Weimarer Republik Herr Tucholsky, die »Berlinische Monatsschrift« hat sich an der Schwelle zum 21. Jahrhundert dazu entschlossen, mit prominenten Zeitzeugen über Berlin im 20. Jahrhundert zu plaudern. Und zu Berlin haben Sie trotz Ihrer lebenslangen Verschnupfung - das ist politisch und physisch gemeint - sicher etwas zu sagen. Sie, aufmüpfiger Publizist, satirischer Autor und sensibler Texter der ersten Jahrzehnte des im doppelten Sinne abgedrehten Säkulums, geliebt und gehasst, verehrt und vertrieben gehören zu jenen sensiblen und zugleich coolen Zeitgenossen, deren Statements wir unter keinen Umständen außen vor lassen wollen.
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Entschuldigen Sie, Theobald Tiger! Ich bin heute nicht gut drauf, es fällt mir schwer, den richtigen Sound zu finden!
Außerdem: Innere gesellschaftliche Prozesse, äußere Einflüsse und daraus resultierende menschliche Befindlichkeiten bleiben nun mal bei den Sprachgepflogenheiten nicht außen vor. Kurt Tucholsky: »Das Neudeutsch soll der Teufel holen! Und der wird sich schwer hüten: denn der Teufel ist ein Mann von Jahrhunderte altem Geschmack!«3) Verzeihung, Ignaz Wrobel! Aber lassen Sie uns auf unser Anliegen kommen: Für mich sind Sie einer der treffsichersten Insider -pardon, Zeitzeugen - der Weimarer Republik und ihrer Widerspiegelung in den hauptstädtischen Geschehnissen und Entwicklungen. Sie haben zumindest das erste Viertel des Jahrhunderts jener Jahre in Berlin nicht nur hautnah miterlebt, sondern auch sensibel und kritisch begleitet und in Ihren publizistischen Analysen und künstlerischen Bearbeitungen auf den Punkt gebracht!
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55 Berliner Gespräche
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unweit des großzügig angelegten Tiergartens und des eng gemauerten Moabiter Gerichts- und Verwahrungskomplexes.
Letztere Nachbarschaft schien für mich zum Omen zu werden, denn ich wurde Jurist. Den prudenten Beruf habe ich allerdings zu keiner Zeit ausgeübt. Ich agierte niemals im wallenden Talar vor den Schranken des Gerichts, hatte mich dort aber mehrmals als Angeklagter vorzuführen. Dass ich - mit einer Ausnahme - von den Weimarrepublikanischen Justizgremien von allen gegen mich erhobenen Vorwürfen freigesprochen werden musste, sei zwar meiner Ehrenrettung halber erwähnt, entkräftet aber nicht das zwischen der Obrigkeit, ihrer Rechtsprechung und mir bestehende gespaltene Verhältnis. Nun kann man aber doch nicht alle Juristen der Weimarer Republik in einen Topf werfen.
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Justitia, Trauerweib, du hast geschlafen,
wie stets, wenn wir vom Fleck gekommen sind. Wir pfeifen auf den Spruch und auf die Strafen! Reiß deine Binde ab! Du bist ja blind!5) Ich entwickelte mich jedenfalls zum radikalen Kritiker der Justiz, und das hatte sie auch verdient. Die »unpolitische« Mehrheit der Weimarer Richter entpuppte sich als konservativ, zum Teil monarchistisch- reaktionär. Die wenigsten Juristen verstanden sich als Diener einer aus der Niederlage im Ersten Weltkrieg hervorgegangenen kaiserlosen Republik.6) Und als Prozessbeobachter gewann ich überdies manchmal den Eindruck, dass »die kriminellen Triebe der bessergekleideten Stände in den Betätigungen von Staatsanwälten, Richtern und Zuchthausdirektoren ihren legalen Ablauf« fanden.7) Halten Sie diese Einschätzung nicht selbst für etwas bösartig?
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56 Berliner Gespräche
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Was ich in jener Zeit empfand, habe ich in meinem polemischen Gedicht »Der Alldeutsche« darzustellen versucht:
Einen Adler ohne Krone
Doch ob man im deutschen Walde
Herr Dr. Tucholsky, lassen Sie uns einige Jahre zurückspulen. Sie sind 1915 als Armierungssoldat eingezogen worden und haben es über den Stabsschreiber bis zum Kommissar bei der Feldpolizei gebracht. Wie verträgt sich das mit ihrem späteren kompromisslosen Pazifismus? Ihre Formulierung »Soldaten sind Mörder« und die daraus potentiell resultierenden Verhaltensweisen sind bis in die jüngste Zeit Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzung, und sie beschäftigen auch die Gerichte. Der Chemnitzer Studenten- Pfarrer Vogel, der während des Kosovo- Krieges die Soldaten dazu aufrief, sich von der Truppe zu entfernen, ist angeklagt, dann aber vom Amtsgericht Tiergarten freigesprochen worden ... |
Kurt Tucholsky: Ein solches Urteil läßt hoffen - noch dazu in einer Zeit, in der mein oft aus dem Zusammenhang zitiertes »Soldaten sind Mörder« auch auf Soldatinnen ausgedehnt werden müsste. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, war mir das zu erwartende Abschlachten von Menschen und Völkern gefühlsmäßig zuwider. Umso erschütterter war ich, als sich statt der Vernunft eine allgemeine »patriotische Besoffenheit« ausbreitete. Die Städte hallten wider »vom Toben bedauernswerter Irrer, die auszogen, die Welt zu erobern und höchstens Brüsseler Spitzen, ein paar gestohlene Schweine und die Syphilis heimbrachten«.10) Selbst geachtete Literaten schlossen sich zu meinem Entsetzen diesem Rummel an.
Die letzte und unumstößliche pazifistische Firmung erhielt ich, als ich als Schreibstubenhengst mit der Erschießung von Spionen zu tun bekam. »Die Menschheit hackt sich durch Fleisch und Blut einen Weg der >Idee< durch lebendige Menschen«, schrieb ich damals nieder. »In den Fibeln liest sich das nachher recht hübsch, man darf nur nicht dabeisein.«11) Ich kam zwar durch meine Drückebergerei ganz gut über den Krieg, aber unmittelbar danach eröffnete ich mit dem Artikel »Offizier und Mann« die Militaria- Serie in der »Weltbühne« und glossierte im »Ulk«, der Wochenbeilage des »Berliner Tageblatts«, verschrobene Offiziere und verschlafene Bürger. |
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57 Berliner Gespräche
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Und ich wollte, ich hätte mit meinem 1919 im »Ulk« erschienenen Gedicht »Krieg dem Kriege« nicht Recht behalten:
Und nach abermals zwanzig Jahren
Im Oktober 1919 war ich eines der Gründungsmitglieder des »Friedensbundes der Kriegsteilnehmer«, auf dessen öffentlichen Veranstaltungen ich auch als Redner auftrat. »Das ganze Dorf war auf den Beinen«, schrieb ich sarkastisch in mein »Sudelbuch«, »nur der Invalide, der den Orden kriegte, auf einem.«12)
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58 Berliner Gespräche
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Nun schienen ja nach der Kapitulation, dem Versailler Frieden, der Novemberrevolution, dem Ende der Monarchie und der Ausrufung der Weimarer Republik die Weichen in ein anderes Deutschland gestellt.
Kurt Tucholsky: Sie schienen gestellt, zumal mit dem internationalen Projekt des Völkerbundes die Illusion erweckt wurde, Weltkriege könnten sich nicht wiederholen. Und die Sozialdemokratie, jahrzehntelang in der Opposition zum Kaiserreich, war in die Regierungsverantwortung gekommen. Aber - Gesetzmäßigkeit oder Ironie der Geschichte? - es geschah in Deutschland nicht zum ersten und letzten Mal, dass ehemalige Obrigkeitsgegner recht gut zu Machthabern mutierten. Immerhin, Herr Panther, entstand eine Republik ...
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Die letzten Kämpfer wurden in der Frankfurter Allee überwältigt, nachdem ein Vermittlungsvorschlag des konservativliberalen Lichtenberger Oberbürgermeisters Ziethen von Noske brüsk zurückgewiesen worden war. Ein aus Freikorpsoffizieren gebildetes Standgericht verhängte Todesstrafen, und unmittelbar danach wurden die Verurteilten an der alten Friedhofsmauer in der Nähe des Lichtenberger Rathauses erschossen. Ich habe dieses erschütternde Ereignis übrigens in meinem Text »Der Mann am Schlagzeug« verarbeitet.13) Die nachfolgende Entwicklung brachte ich auf folgende Formel: »Deutschland ist eine anatomische Merkwürdigkeit. Es schreibt mit der Linken und tut mit der Rechten.«14)
Das klingt ja fast so, Herr Hauser, als lägen die Wurzeln für das Scheitern der Weimarer Republik bereits in ihren Anfängen!
Wenn diese Republike
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59 Berliner Gespräche
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Leider hat der Prophet Tucholsky damit Recht behalten!
Und Ihre Geburtsstadt Berlin, damals Haupt-, danach Reichshaupt- und heute Bundeshauptstadt, stand stets im Brennpunkt der politischen Bewegungen und der sozialen Auseinandersetzungen. Kurt Tucholsky: Wo, wenn nicht in einer Hauptstadt, werden die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklungsprozesse wie in einem Brennglas konzentriert! Und jede Hauptstadt schmückt sich mit dem, was sie für besonders bemerkenswert, historisch und positiv hält. Ob ihr das allerdings immer zum Ruhme gereicht, mag dahingestellt sein. »Denn noch niemals haben Menschen aus der Geschichte gelernt, und sie werden es auch in Zukunft nicht tun. Hic Rhodus!«16) Da ist er wieder, der streitbare Theobald Tiger und der verzagte Pessimist Kaspar Hauser in Symbiose!
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auf einem hohen Sockel das respektable Hinterteil der vergoldeten Else, und auch die eiligsten Autos steuern nach wie vor brav um das Monument herum. Nun ist die Säule aber doch das stolze Symbol des preußisch- deutschen Sieges über Frankreich 1870/71, und auch im Zeitalter des Zusammenwachsens Europas, wofür ich mich übrigens schon immer engagiert habe, scheint das niemanden zu stören. Da sind wir also wieder bei dem Postament, auf das Berlin seine Siege hievt.
Sie haben als Chefredakteur des »Ulk«, als Feuilletonist des »Berliner Tageblattes«, als Redakteur der »Berliner Volkszeitung« und als unermüdlicher Schreiber für die »Weltbühne« mit dem alten und dem neuen Feind abgerechnet und weder das Offizierskorps noch die alten Beamten, weder die politische Justiz noch das reaktionäre Bürgertum und die in die Regierungsverantwortung geratenen SPD- Funktionäre geschont. Würden Sie auch heutzutage kräftig vom Leder ziehen?
Herr Tucholsky, Sie sind geborener Berliner, aber über eine Hassliebe zu Ihrer Stadt sind Sie nicht hinausgekommen ...
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60 Berliner Gespräche
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Und was mein Verhältnis zu den Berlinern angeht: »Der Berliner hat keine Zeit. Der Berliner ist meist aus Posen oder Breslau und hat keine Zeit. Er hat immer etwas vor, er telefoniert und verabredet sich, kommt abgehetzt zu einer Verabredung und etwas zu spät - und hat sehr viel zu tun. In dieser Stadt wird nicht gearbeitet - hier wird geschuftet. (Auch das Vergnügen ist hier eine Arbeit, zu der man sich vorher in die Hände spuckt, und von dem man etwas haben will.) Der Berliner ist nicht fleißig, er ist immer aufgezogen. Er hat leider ganz vergessen, wozu wir eigentlich auf der Welt sind.«20)
In Paris, wohin ich 1924 als Korrespondent der »Weltbühne« und der »Vossischen Zeitung« übersiedelte, habe ich mich wohler gefühlt. Hier bin ich Mensch.
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Quellen:
Das »Gespräch« führte Wolfgang Helfritsch Bildquelle: LBV |
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/2000
www.berlinische-monatsschrift.de