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Heiko Schützler
10. Dezember 1928:
Die BVG wird gegründet

Am 10. Dezember 1928 wird im Handelsregister die neue Firma Berliner Verkehrs- Aktiengesellschaft eingetragen. Damit hat der lange Prozeß der Vereinigung der Berliner Nahverkehrsbetriebe seinen juristischen Abschluß gefunden. Nach der Gründung der Einheitsgemeinde Groß- Berlin wird schnell deutlich, dass der öffentliche Personennahverkehr in seiner bisherigen Organisationsform nicht mehr in der Lage ist, die gewachsenen Transportaufgaben zu bewältigen. Die historische Entwicklung hat dazu geführt, dass - abgesehen von der Stadt-, Ring- und Vorortbahn, die mittlerweile von der seit 1920 bestehenden Deutschen Reichsbahngesellschaft betrieben wird - drei voneinander unabhängige Verkehrsträger in der Stadt existieren: Die städtische Straßenbahn- Betriebs- GmbH, in der seit 1923 immerhin alle Berliner Straßenbahnunternehmen vereinigt sind, die 1868 gegründete Allgemeine Berliner Omnibus Actien- Gesellschaft, kurz Aboag, und die Gesellschaft für elektrische Hoch- und Untergrundbahnen, 1897 entstanden - die beiden letzteren Privatunternehmen. Zwischen den drei Gesellschaften gibt es weder im Hinblick auf die Fahrplan-, noch die Tarifgestaltung irgendeine Abstimmung.

Für die Großstadt Berlin mit ihrer riesigen Flächenausdehnung ist das ein unhaltbarer Zustand.

Der Interessengemeinschafts- Vertrag

Als 1926 Ernst Reuter (1889-1953) das Dezernat für Verkehr und Versorgungsbetriebe im Magistrat übernimmt, geht er diesen Missstand denn auch entschlossen an. Auf seine Initiative hin schließen die drei Gesellschaften mit Datum vom 9. März 1927 den so genannten »Interessengemeinschafts- Vertrag«. Vereinfacht wird das durch die städtischen Aufsichtsratsmitglieder, die unter Reuters Leitung in allen drei Gesellschaften identisch sind. Ziel des Vertrages ist die Vermeidung eines die Erträge gefährdenden Konkurrenzkampfes sowie die bessere Förderung und Ausnutzung der speziellen Vorzüge eines jeden Verkehrsmittels. Überschüsse sollen dem weiteren Ausbau der U-Bahn zugute kommen. Ab sofort gilt einheitlicher Tarif auf Basis des Einzelfahrscheines von 20 Pfennigen mit einer zeitlichen Gültigkeit von 1 1/2 Stunden. Der Vertrag wird abgeschlossen auf die Dauer von 10 Jahren bis zum 31. Januar 1937. So jedenfalls sind die Planungen. In der Realität zeigen sich jedoch alsbald die Probleme.
     Zwar freut der Einheitstarif die Fahrgäste, die sofort vom Um- und Übersteigen dann auch regen Gebrauch machen. Die daraus entstehenden Verkehrsverschiebungen wirken sich für die Unternehmen selbst jedoch weniger günstig aus.

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Vor allem wirtschaftlich bestehen schwerwiegende Mängel. Die Finanzierung der Hochbahngesellschaft aus den Überschüssen - so wird bald klar - funktioniert nicht. Jede Gesellschaft verwendet ihre Einnahmen vorrangig für sich selbst. Die finanzrechtliche Lage erschwert eine Gewinnübertragung ohnehin. Eine einheitliche Finanzpolitik nach den Weisungen des Aufsichtsrates ist unter diesen Bedingungen nicht machbar. Gerade eine solche aber ist nötig, um die dringende Erweiterung des U-Bahnnetzes bewerkstelligen zu können.
     Das zweite Problem sind die Steuern. Die Straßenbahn- Betriebs- GmbH ist als voll städtisches Unternehmen zwar weitgehend von der Steuerpflicht befreit, Hochbahngesellschaft und Aboag, deren Aktienkapital sich zum Teil noch bei privaten Aktionären befindet, müssen jedoch hohe Beträge für die Kapitalertrag- und Vermögensteuer aufwenden. Bei der Hochbahngesellschaft sind die Belastungen noch gestiegen, seit sie 1926 durch Vertrag vom 10. Juli die städtischen Schnellbahnen, also die Nord-Süd- Linien, die Wilmersdorfer und die Schöneberger U-Bahn, übernommen hat. Die Besteuerung nach dem Vermögen lastet um so schwerer auf dem Unternehmen, als es, wie Reuter feststellt, in der Natur einer Untergrundbahnunternehmung liegt, dass einer relativ hohen Kapitalinvestition ein nur geringer jährlicher Umsatz gegenübersteht.
Hier taucht denn auch erstmalig der Gedanke auf, die Art der Unternehmen zu verändern; sie entweder von Besitzgesellschaften in gemeinnützige Gesellschaften umzuwandeln, oder aber sie zu liquidieren und ein völlig neues Konzept zu verwirklichen.
     Das also ist die Situation, wie sie sich 1927 darstellt. Im November jenen Jahres stimmt daher der Aufsichtsrat der Verkehrsunternehmen Reuters Antrag auf Vereinheitlichung der Berliner Verkehrsträger grundsätzlich zu. Zunächst ist es notwendig, die rechtlichen Grundlagen für ein solches Projekt zu klären. Der gemäß § 5 des Interessengemeinschafts- Vertrages bestehende Gemeinschaftsausschuss beauftragt zwei Rechtsanwälte mit einem Gutachten über die rechtlichen Möglichkeiten, insbesondere unter Berücksichtigung der steuerlichen Folgen. Als Ziel steht dabei ab Anfang 1928 die Bildung einer »Berliner Verkehrs- Aktiengesellschaft« als Betriebsgesellschaft.
     Das erste Gutachten wird am 17. März 1928 vorgelegt. Es stellt folgenden Sachbestand fest: Die Hochbahngesellschaft ist eine Besitz- und Betriebsgesellschaft mit Aktienkapital in Höhe von 175 244 000 RM, wovon 144 244 000 RM eingezahlt sind. Rund 97 Millionen befinden sich im Besitz der Stadt, rund 6 Millionen bei freien Aktionären.
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Der Rest der Aktien ist bei der Deutschen Treuhandgesellschaft hinterlegt, die Rechte dieser Aktien werden von den Inhabern der für die an der Börse eingeführten Zertifikate auf Grund eines zwischen der Hochbahngesellschaft und der Stadt abgeschlossenen Vertrages ausgeübt.
     Die Hochbahngesellschaft ist zudem gebunden durch die Bedingungen der Hochbahn- Amerika- Anleihe von 1926, für die auch die Stadt Berlin Verpflichtungen übernommen hat. Die Anleihe umfasst 15 Millionen Dollar mit einer Laufzeit von 30 Jahren. Sie ist gesichert durch eine Hypothek auf die Bahneinheit der U-Bahn in Form von 6,5-prozentigen Goldschuldverschreibungen der Hochbahn sowie durch einen Treuhändervertrag.
     Bei der Aboag handelt es sich um eine Besitz- und Betriebsgesellschaft mit einem Aktienkapital von 8,4 Millionen Reichsmark, davon etwa eine Million bei freien Aktionären. Die übrigen Aktien halten zu Teilen die Stadt und die Hochbahngesellschaft.
     Eine reine Betriebsgesellschaft ist die Straßenbahn- Betriebs- GmbH, deren 10 Millionen Reichsmark an Stammkapital ebenso wie der gesamte Fundus der Straßenbahn ausschließlich der Stadt gehören.
     Daraus wird ein Plan entwickelt, der eine neue Aktiengesellschaft vorsieht, die den Betrieb übernimmt. Bei der Aboag wäre es möglich, diese zu liquidieren und ihren Fundus an die Stadt zu veräußern. Bei der Hochbahngesellschaft müsste das Vermögen an eine neue Städtische AG übertragen werden, da sie nach dem Amerika- Anleihe- Vertrag als privatkapitalistische Gesellschaft zu erhalten ist.
Laut Gutachten führt dies zu rund 5 Millionen RM Steuerersparnis, würde aber die Zersplitterung des Vermögens belassen. Mit einer Betriebs- und Besitzgesellschaft dagegen entstünde Vermögensmasse, die Kreditbedürfnissen genügen würde. So wird ein zweites Gutachten in Auftrag gegeben, welches am 1. Juni 1928 vorliegt.
     Es besagt, zunächst die »Berliner Verkehrs- Aktiengesellschaft« mit einem Kapital von 300 Millionen RM zu schaffen, was als so genannte Sachgründung geschehen soll, wobei 5 Gründer Aktien übernehmen müssen. Hinsichtlich der Befreiung von der Körperschaftssteuer muss es sich um einen Versorgungsbetrieb handeln, dessen Erträge ausschließlich Körperschaften des öffentlichen Rechtes zufließen. Dazu müssen sich alle Aktien bei der Stadt befinden, weshalb die Gründer gleich beim Abschluss des notariellen Gründungsvertrages ihre Aktienrechte an sie abzutreten haben.
     Als nächstes sind Betriebe und Vermögen auf die neue Gesellschaft zu übertragen. Dies kann nicht unmittelbar erfolgen, weil sonst eine Abgeltung durch Aktien notwendig wäre. Um zu vermeiden, dass Aktien in privaten Besitz gelangen, muss die Stadt zwischengeschaltet werden, die ohnehin alleiniger Aktienbesitzer werden soll.
     Für die Straßenbahn- Betriebs- GmbH heißt das, dass die Stadt den Betrieb sowie den Fundus als Sacheinlagen gegen Gewährung von Aktien in die neue Verkehrs-AG einbringt. Weil alle Geschäftsanteile der Stadt gehören, gelangen auch alle neuen Aktien an die Stadt. Da laut Satzung die Straßenbahn- Betriebs- GmbH ihren Betrieb nicht veräußern darf, muss sie vor der Einbringung liquidiert werden.
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Anders liegt der Fall bei der Aboag. Eine direkte Übertragung des Vermögens ist nicht möglich, da man so privaten Aktionären neue Aktien gewähren müsste. Die Aboag ist also zunächst ebenfalls zu liquidieren, erst dann kann ihr Vermögen übertragen und eingebracht werden.
     Gleiches gilt für die Hochbahngesellschaft, wobei hier der Treuhändervertrag samt Hypothek und Schuldverschreibungen einzuhalten und zu erfüllen ist.
     Am 19. September 1928 unterbreitet der Magistrat die Vorlage Nr. 755/1928 für eine Verkehrs- Aktiengesellschaft als Betriebs- und Besitzgesellschaft (Aktienkapital 400 Millionen Reichsmark) der Stadtverordnetenversammlung. Am 13. November 1928 wird in der 35. Sitzung dann der Beschluss gefasst. Alle Parteien bekennen sich dazu.
     Am 30. November 1928 versammeln sich in der Straßenbahnverwaltung am Leipziger Platz die vier Prokuristen der Berliner Straßenbahn- Betriebs- GmbH Friedrich Lademann, Max Stielow, Karl Meyer und Paul Bandte sowie der Buchhaltungschef Alfred Falk und gründen in Gegenwart des Notars Rechtsanwalt Bruno Hülsen die »Berliner Vorbereitungs- Aktiengesellschaft für Verkehrsvereinheitlichung«.
Das Aktienkapital beträgt 50000 RM, wovon jedes der Gründungsmitglieder 10000 RM übernimmt. Als Aufsichtsrat wählen die fünf Herren Stadtrat Ernst Reuter, Stadtbaurat Leonhard Adler und den Stadtverordneten Hermann Amberg. Als einzige Vorstandsmitglieder werden Direktor Ernst Lüdke von der Straßenbahn- Betriebs- GmbH und Oberbaurat Hermann Zangemeister von der Hochbahngesellschaft berufen. Am 4. Dezember erfolgt der Eintrag ins Handelsregister.
     Die Gründer treten ihre Aktien sofort an die Stadt ab, die dadurch alleiniges Entscheidungsrecht besitzt.
     Am 8. Dezember findet, wieder am Leipziger Platz und in Gegenwart von Notar Hülsen, die nach der Gründung erste und einzige Sitzung einer Generalversammlung der Vorbereitungs- AG statt. Anwesend sind der gesamte Vorstand, also Lüdke und Zangemeister, sowie der gesamte Aufsichtsrat: Reuter, Adler und Amberg. Als Aktionärsvertreter ist der Stadtverordnete Schalldach zugegen, den eine Magistratsvollmacht berechtigt, das Stimmrecht für das gesamte Aktienkapital wahrzunehmen.
     Schalldach verweist zu seiner Legitimation zunächst auf die Höhe des Grundkapitales von 50000 RM und stellt fest, dass alle Aktien laut Aktienbuch der Stadt Berlin zustehen.
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Dann erklärt er eine Generalversammlung der Vorbereitungs- AG abhalten zu wollen. Da das gesamte Aktienkapital vertreten ist, sind die gesetzlichen Vorschriften für Generalversammlungen nicht bindend. Schalldach verzichtet ausdrücklich darauf. Als Tagesordnung bestimmt er erstens die Erhöhung des Grundkapitales, zweitens Satzungsänderungen und drittens Aufsichtsratswahlen.
     Für Punkt 1 liegt ein Antrag des Vorstandes vor, demzufolge das Grundkapital von 50000 RM um 399950000 RM auf 400000000 RM erhöht werden soll, und zwar durch 39 995 Stück neuer Aktien über je 10000 RM. Die Ausgabe soll zum Kurs von 100 Prozent erfolgen, sie werden der Stadt Berlin gegen folgende Einlagen überlassen:
1.Straßenbahn (Bahnkörper, Stromanlagen, Immobilien usw.) abzüglich Schulden:
254 112 856,00 RM
2.Aktien und Geschäftsanteile an Berliner Straßenbahn- Betriebs- GmbH, Aboag, Hochbahngesellschaft und weiterer:
53 587 144,00 RM
3.Städtische Obligationen:
92 250 000,00 RM
4.Aktien der alten Vorbereitungs- AG:
50 000,00 RM
Gesamtsumme:
400 000 000,00 RM
Zu diesem Antrag auf Kapitalerhöhung stellt der Aufsichtsrat fest, dass die Vorbereitungs- AG ihrem satzungsmäßigen Zweck entsprechend die erforderlichen Verhandlungen zur Vereinheitlichung der Berliner Verkehrsunternehmen in ihrer Hand geführt hat. Da durch die Einbringung seitens der Stadt die Kapitalerhöhung gedeckt ist, befürwortet der Aufsichtsrat die entsprechende Genehmigung, die daraufhin von der Generalversammlung einstimmig durch Zuruf zum Beschluss erhoben wird.
     Punkt 2 der Tagesordnung unterteilt sich in fünf Unterpunkte. Der Vorstand beantragt die zur Überführung der Vorbereitungsgesellschaft in die endgültige Verkehrs-AG notwendigen Satzungsänderungen, und zwar erstens die Umbenennung in »Berliner Verkehrs- Aktiengesellschaft« und zweitens die Neufassung des »Gegenstandes des Unternehmens«, welches nunmehr Erwerb, Bau und Betrieb der Straßenbahnen, Hoch- und Untergrundbahnen, Omnibusse und sonstiger Verkehrsmittel, die dem öffentlichen Verkehr in Berlin und Umgebung dienen, zur Aufgabe hat. Dritter Unterpunkt ist die Festsetzung des Grundkapitals auf 400 Millionen RM, eingeteilt in 40000 Aktien zu je 10000 RM. Unterpunkt vier betrifft den Aufsichtsrat, der auf mindestens 12 von der Generalversammlung zu wählende Mitglieder festgesetzt werden soll, von denen vier dem Magistrat und acht der Stadtverordneten- Versammlung angehören müssen.
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Fünftens sollen die vorstehend genannten Einbringungen der Stadt für die ihr zu überlassenden neuen Aktien im Betrage von 399950000 RM in die Satzung aufgenommen werden.
     Der Antrag wird einstimmig durch Zuruf angenommen, der Aufsichtsrat entsprechend Tagesordnungspunkt 3 erweitert, womit die Berliner Verkehrs- Aktiengesellschaft in ihrer endgültigen Form geschaffen ist.
     Am 10. Dezember wird die neue Firma ins Handelsregister eingetragen, tags darauf erfolgt der einheitliche Beschluss zur Liquidation der alten Gesellschaften. Eine Woche später werden sämtliche Genehmigungsurkunden zum Betrieb elektrischer Schnellbahnen von der Hochbahngesellschaft auf die neue Gesellschaft übertragen. Am 1. Januar 1929 übernimmt dann die Berliner Verkehrs- Aktiengesellschaft endgültig die drei alten Unternehmen. Um eine griffige Kurzbezeichnung zu haben, wird ein Logo entworfen, ein Berliner Bär im Wappenschild, gekrönt von jenen drei Buchstaben, die als Eigenname schnell Eingang in die Berliner Umgangssprache finden: BVG.
Quellen:

Schneider, W., Der Städtische Berliner Öffentliche Nahverkehr, Berlin: BVG 1985 Bd. 7, S. 189ff.; Bd. 8, S. 7ff., 23ff.

ders.: Der Berliner öffentliche Nahverkehr im Wandel der Zeiten , in: Amtsblatt der Reichshauptstadt, Sonderheft zur 700- Jahrfeier, Berlin 1937, S. 16ff.

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/2000
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