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Erich Nickel
24. Oktober 1920:
Die Gründung der Deutschen Hochschule für Politik

Als vor nunmehr fast achtzig Jahren die Deutsche Hochschule für Politik (DHfP) gegründet wurde, sah es um die politische Stabilität der seit 1919 bestehenden Weimarer Republik keineswegs gut aus. Kurze Zeit vor der DHfP- Gründung, im März 1920, war der rechtsradikale Putsch zum Sturz der Republik und zur Aufrichtung eines militärdiktatorischen Regimes unter Wolfgang Kapp und General Walther Freiherr von Lüttwitz infolge eines Generalstreiks breiter Schichten der arbeitenden Bevölkerung gescheitert.
     Dennoch blieben die antirepublikanischen Gefahren auf Dauer nicht gebannt. Der verlorene Krieg, der Zusammenbruch des Kaiserreiches, die politische, diplomatische und wirtschaftliche Isolierung sowie die Auswirkungen der harten Bedingungen des Versailler Friedensdiktats von 1919 erzeugten anhaltend labile politische, wirtschaftliche und soziale Verhältnisse in Deutschland. In dieser Situation blühten vor allem in intellektuellen Kreisen unterschiedliche Formen des Rechtsradikalismus im präfaschistischen, »völkischen« Sinne auf.

Die Vertreter des liberalen Gründerkreises der DHfP, die im Kaiserreich und auch noch 1918 selbst mehrheitlich lange Zeit hindurch (ganz in der Tradition des nationalen und sozialen Liberalismus Friedrich Naumanns) außenpolitisch Positionen eines mitteleuropäischen Kultur- und Wirtschafts- Imperialismus einnahmen, waren nunmehr überwiegend auch wesentliche Begründer des Weimarer Staatswesens und seiner Verfassung.
     Zu ihnen gehörten u. a. die Historiker Friedrich Meinecke und Hans Delbrück, der Jurist Walter Simons - bei der Gründung der DHfP Reichsaußenminister und später Präsident des Reichsgerichts -, die bekannte Sozialtheoretikerin Gertrud Bäumer und schließlich die aus der liberalen Publizistik und dem Unternehmertum Südwestdeutschlands stammenden Kreise um Ernst Jaeckh, Theodor Heuß und Robert Bosch. Sie hatten innenpolitisch schon immer, vor allem auf dem Gebiet der Volksbildung im weitesten Sinne, eine bemerkenswerte soziale Offenheit gezeigt. Auch war ihnen jede Form des Antisemitismus fremd. Viele von ihnen traten dem Berliner Demokratischen Klub bei, dem vielfach auch jüdische Kaufleute und Bankiers angehörten und in dem die Anhänger der Deutschen Demokratischen Partei für die Unterstützung der neuen Republik warben.
     In den ersten Jahren der Tätigkeit der DHfP bestanden ihre Gründer darauf, dass jedes als Dozent verpflichtete Kollegiumsmitglied ein schriftliches Bekenntnis zur Republik zu leisten hatte.
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In den späteren Jahren wurde dies allerdings nachlässiger gehandhabt. Überhaupt widerspiegelte sich in der Geschichte der DHfP bis zu einem gewissen Grade das Schicksal der Republik, wobei allerdings trotz einiger deutlicher Widersprüche zwischen dem Konzept und dem praktischen Verhalten der Verantwortlichen der Hochschule anerkannt werden muss, dass die DHfP sich zu einer bedeutenden demokratiewissenschaftlichen Lehrinstitution entwickelt hatte, die wegen ihrer zunehmenden wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit sowohl im Inland als auch im Ausland Aufmerksamkeit erlangte.
     Sie leistete einen bemerkenswerten Beitrag zur Förderung politischen Wissens, zur Herstellung internationaler wissenschaftlicher Kontakte und zur Vorbereitung der späteren Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund.
     Die DHfP wurde als ein völlig neuartiger Hochschultyp gegründet, der in dieser Form erst in der Weimarer Republik möglich wurde, obwohl ernstzunehmende Persönlichkeiten schon während des Kaiserreiches Denkschriften über die Notwendigkeit zur Errichtung einer entsprechenden Hochschule außerhalb traditioneller Universitätsinstitutionen verfasst hatten. Der Grund hierfür war darin zu suchen, dass die Eigenart der politischen Konstruktion des Kaiserreichs die Rechte des Reichstages begrenzt
und die politische Entfaltung der Parteien sowie die politische Betätigung der Beamtenschaft, insbesondere des diplomatischen Dienstes, gebremst hatte. Die Gründer der DHfP stellten deshalb besonders die Notwendigkeit der Heranbildung politisch gut gebildeter, parlamentarisch- demokratisch orientierter Führungspersönlichkeiten heraus, die es ihrer Meinung nach im Deutschland der frühen Weimarer Republik, in den Parteien und Gewerkschaften nur im geringen Maße gab.
     Die Ausbildung an der Hochschule sollte auf verschiedenen Bildungsvoraussetzungen fußen und parallel auf verschiedenen Ebenen zu verschiedenen Zielen führen. Eine Hochschulreife war zunächst für die Studenten, die aus unterschiedlichen sozialen Schichten kamen, nicht zwingend notwendig.
     Erst ab Mitte der zwanziger Jahre gab es nach Bewältigung verschiedener Studienhürden die Möglichkeit des Erwerbs eines Abschlussdiploms, das staatlich anerkannt wurde. Daneben wurden in Zusammenarbeit mit der Regierung jahrelang Kurse für die Attachés des Auswärtigen Amtes abgehalten. Anfang der dreißiger Jahre wurde schließlich auch eine Forschungsabteilung innerhalb der DHfP gegründet, in die in der Regel allerdings nur Personen aufgenommen wurden, die bereits einen Universitätsabschluss vorweisen konnten. Doch von der Gründung bis zur »Akademisierung« der DHfP war es 1920 noch ein weiter Weg.
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Theodor Heuss (1884-1963)

Die in Frage kommenden Institutionen der etablierten deutschen Universitäten verhielten sich - mit Ausnahme einiger Neugründungen - der DHfP gegenüber im Hinblick auf mögliche Kooperationen eher zurückhaltend oder distanziert. Auch die Mehrheit der organisierten Studentenschaft zeigte sich, zumindest in den ersten Nachkriegsjahren, von ihrer rechtskonservativen, die Republik und damit auch die DHfP ablehnenden Seite.

Zu den Ausnahmen gehörten Einrichtungen der liberalen Frankfurter und der Hamburger Universität. Ein anderes Bild ergab allerdings die Dozentenschaft der DHfP, die ein weitreichendes wissenschaftliches Spektrum von namhaften Universitätslehrern auswies, das im Laufe der Zeit häufig wechselte. Darüber hinaus gehörten viele Politiker, ehemalige Reichskanzler, Reichs- und Staatsminister zu den Lehrern, die sich nach 1918 in unterschiedlichster Weise im Sinne der Republik profiliert hatten (um nur einige Namen zu nennen: Gertrud Bäumer, Carl Heinrich Becker, Rudolf Breitscheid, Arnold Brecht, Hans Delbrück, Bill Drews, Karl Haushofer, Hermann Heller, Theodor Heuss, Rudolf Hilferding, Hermann Luther, Ernst Niekisch, Hajo Holborn, Ernst Jaeckh, Eckart Kehr, Hermann Pünder, Walther Rathenau, Walter Simons, Veit Valentin).
     Einen besonderen Förderer fand die DHfP schon vor ihrer Gründung in dem angesehenen Orientalisten Carl Heinrich Becker, der als Staatssekretär bzw. Minister im preußischen Kultusministerium als einer der Gestalter der Weimarer Universitätspolitik angesehen werden muss. Ihm gelang - zumindest in Preußen - die Förderung und der Aufbau der Pädagogischen Hochschulen sowie die Gleichstellung der Berliner Technischen Hochschule mit der Berliner Universität.
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Die DHfP wurde als private Hochschule, als eingetragener Verein gegründet, der privat unterhalten und vom preußischen Staat bzw. vom Deutschen Reich nur in Maßen unterstützt wurde. Trotz mancher Schwierigkeiten, die sich im Laufe der Zeit in finanzieller Hinsicht herausstellten, war dies von den Gründern so gewollt.
     Obwohl sie später, wie zu sehen war, viele Minister und hohe Beamte der Republik als Lehrbeauftragte werben konnten, sollte die DHfP weitgehend unabhängig bleiben. Carl Heinrich Becker sorgte dafür, dass der preußische Staat der DHfP die Unterrichtsräume in der Schinkelschen Bauakademie am Schinkelplatz im Zentrum Berlins kostenlos zum Gebrauch überließ. Carl Heinrich Becker unternahm es auch, dem Fach Soziologie offiziell an den althergebrachten Universitäten Eingang zu verschaffen. Das Fach galt ihm zunächst als Form der »synthetischen Wissenschaft«, die allmählich zum ordentlichen Lehrfach angehoben werden konnte. Für die künftige Politikwissenschaft (damals häufiger noch als »Demokratiewissenschaft« bezeichnet) entwickelte er verschiedene Gedankenmodelle, die über das damalige Hochschulwesen und die etablierten Fakultäten hinausgriffen. Im Hinblick auf die zu gründende Hochschule meinte er, dass man auf diesem Gebiet noch zu lernen habe. Sie sollte sich außerhalb der üblichen Hochschulen entwickeln und ihr müsste die »Pflege aller politischen Wissensgebiete übertragen werden,

Robert Bosch (1861-1942)

und zwar ohne Berücksichtigung der Parteirichtung«. Diesen neuen, an der politischen Praxis orientierten Hochschultyp, nannte er eine Art Versuchsanstalt, die die DHfP auf vielen Gebieten ja zwangsläufig gewesen ist.
     Ein Umstand beförderte die Hochschulgründung insofern, als ihre besonders profilierten Gründungsmitglieder der Deutschen Demokratischen Partei angehörten, die sich in der verfassunggebenden Nationalversammlung mit der Mehrheits- SPD und dem Zentrum zur so genannten Weimarer Koalition verbanden.

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Neben Friedrich Naumann, der (außerhalb des Parlaments) von dem bedeutenden Soziologen Max Weber unterstützt wurde - beide starben noch vor der Eröffnung der DHfP -, gehörten dazu u. a. Hugo Preuß - als Schöpfer des ersten Entwurfs der Reichsverfassung von 1919, Walter Simons und Gertrud Bäumer. In den Listen des Gründungskuratoriums und des Vorstands waren viele der weiter oben genannten Namen zu finden. Einige von ihnen, wie Walter Simons , Ernst Jaeckh, Friedrich Naumann und Max Weber, waren Mitglieder der deutschen Delegation bei den Versailler Vertragsverhandlungen.
     Bei allen Emotionen, die in Deutschland das Vertragsergebnis schließlich hervorrief, ließen sich die späteren Gründer der DHfP nicht von ihrem einmal gefassten Konzept abbringen, den Demokratiegedanken und demokratische Bildung zu verbreiten und außenpolitisch die Isolierung Deutschlands im Geiste des Völkerbundes und der Völkerversöhnung allmählich aufzulösen.
     Wenn man die politikwissenschaftlichen Bestrebungen und Möglichkeiten der DHfP auch nicht überschätzen sollte, so spielte ihr Konzept doch insofern eine Rolle, als es zur gleichen Zeit der Form nach ähnliche Intentionen in den sich formierenden präfaschistisch- völkischen Kreisen gab, deren Aktivitäten wie oben angedeutet wurden.
Finanziell gestützt durch Kreise der rheinisch- westfälischen Schwerindustrie (vertreten durch den ehemaligen Krupp- Direktor Alfred Hugenberg) und unter Einbeziehung talentierter rechtskonservativer Wissenschaftler (z. B. Martin Spahns und Max Hildebert Boehms) versuchten sogenannte »revolutionäre Junge« unter den Rechtskonservativen unter Führung Heinrich von Gleichens und Möller van den Brucks (bekannt geworden mit seinem Buch »Das Dritte Reich«), die Gründung einer verfassungsorientierten Politischen Hochschule zu verhindern. Beide hatten sich im März 1920 den Kapp- Putschisten zur Verfügung gestellt. Heinrich von Gleichen intervenierte kurz vor der Gründung der DHfP noch einmal bei Carl Heinrich Becker, der Ernst Jaeckh und Theodor Heuss zu diesem im übrigen ergebnislosen Gespräch Ende August 1920 hinzuzog.
     Entscheidend für die weitere Entwicklung war die Auffassung Beckers, dass es sich bei der DHfP um »politische Bildung in formaler und stofflicher Hinsicht« handele, die sich objektiv »gegen Gesinnungsbildung bei Gleichen« richte.
     Am 1. November 1920, wenige Tage nach der Eröffnung der DHfP, wurde unter der Leitung von Martin Spahn in Berlin- Spandau ein eigenes »Politisches Kolleg für nationalpolitische Schulungs- und Bildungsarbeit«,
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später »Nationalpolitische Hochschule«, gegründet.
     Mit den Veränderungen der politischen Konstellationen in der späten Weimarer Republik wurde die DHfP allerdings zu einzelnen personellen Konzessionen genötigt, die u. a. in der Übernahme von Dozenten aus dem inzwischen untergegangenen Politischen Kolleg in die DHfP bestanden.
     Bei der Eröffnung der DHfP am 24. Oktober 1920, an der der Reichspräsident, verschiedene Reichs- und Staatsminister und politische Vertreter republiknaher Parteien und Organisationen teilnahmen, betonte Ernst Jaeckh noch einmal die finanzielle Unabhängigkeit der DHfP sowie ihre Abgrenzung vom Links- und Rechtsextremismus.
     In diesem Sinne wurden die ersten 120 Studenten in die Vorlesungen und Seminare eingeführt. Zuerst begann die Hochschule als Abendschule mit vorwiegend nebenamtlich tätigen Honorardozenten, die »durch Erfahrung zu einem systematischen Lehrgang in fünf Studiengruppen ausgebaut wurde: 1. Allgemeine Politik, Politische Geschichte und Politische Soziologie; 2. Außenpolitik und Auslandskunde; 3. Innenpolitik, einschließlich Kulturpolitik und Pressewesen; 4. Rechtsgrundlagen der Politik; 5. Wirtschaftsgrundlagen der Politik.«
     In den folgenden Jahren vervielfachte sich die Zahl der Hörer, mit dem strukturellen Ausbau nahm auch die Zahl der festangestellten Dozenten sowie die der Lehrstühle zu.
Das Schicksal dieser »alten« Deutschen Hochschule für Politik ist bekannt. Die überwiegende Mehrzahl der Dozenten wurde 1933 in die Emigration getrieben, nur ein kleiner Teil begab sich in die Dienste des deutschen Faschismus, der die Hochschule zunächst dem Propagandaministerium unterstellte. Einige, wie Theodor Heuß, überlebten diese Periode durch den geistigen Rückzug in die »innere Emigration«.
     Später, 1937, wurde die Hochschule unmittelbare Reichsanstalt. Im Jahre 1940 ging sie in der neugegründeten »Auslandswissenschaftlichen« Fakultät der Berliner Universität auf, die ganz in den Vorstellungen des Dritten Reiches bis 1945 in die Schinkelsche Bauakademie einzog.

Literatur:
Eisfeld, Rainer: Ausgebürgert und doch angebräunt.
Deutsche Politikwissenschaft 1920-1945, Baden-Baden 1991
Missiroli, Antonio: Die Deutsche Hochschule für Politik, Sankt Augustin 1988
Nickel, Erich: Sozialer Liberalismus und Mitteleuropa. Zum Gründungskonzept der Deutschen Hochschule für Politik nach dem Ersten Weltkrieg in Berlin, Berlin (1998)

Bildquellen: Robert Bosch Stiftung GmbH; Archiv LBV

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/2000
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