182   Geschichte und Geschichten »Adlerschild« des Reiches  Nächstes Blatt
Wolfgang Steguweit
Der »Adlerschild des Deutschen Reiches«1)

Der Weimarer Republik war ein Konflikt in die Wiege gelegt worden, der seine Auswirkungen auch in den Bereichen Kunst und staatliche Repräsentation offenbarte. Gefordert war der entschiedene Bruch mit dem Pomp und der obrigkeitsstaatlichen Zurschaustellung der herrschenden Persönlichkeiten des Kaiserreiches; aber gleichermaßen notwendig war eine neue Identifizierung mit dem republikanischen Staat und seinen höchsten Repräsentanten in der Öffentlichkeit sowie eine symbolische Integrationskraft im föderalen System.
     Die Weimarer Verfassung von 1919 hatte tragbare Orden und Auszeichnungen des deutschen Staates und die Annahme solcher Ehrungen aus der Hand ausländischer Regierungen abgeschafft. Im Zweiten Hauptteil »Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen« wurde in Artikel 109 formuliert: »Orden und Ehrenzeichen dürfen vom Staat nicht verliehen werden. Kein Deutscher darf von einer ausländischen Regierung Titel oder Orden annehmen.«2)
     Im Sommer 1922, dreieinhalb Jahre nach der Novemberrevolution, wurden erste öffentliche

Zeichen einer neuen, republikanischen Symbolwirkung gesetzt. Reichspräsident Ebert hatte am 11. August das »Lied der Deutschen« von Hoffmann von Fallersleben zur Nationalhymne erklärt.
     Am 15. November verlieh der Präsident erstmals den so genannten Adlerschild an Gerhart Hauptmann (1862-1946) zu dessen 60. Geburtstag. Der 15. November 1922 wurde damit zum Tag der Stiftung dieser nicht tragbaren, höchsten Auszeichnung des Reiches, also eines verfassungskonformen Äquivalentes außerordentlicher staatlicher Ehrengeschenke der Weimarer Republik. Diese Ehrengabe verlieh der Reichspräsident mit einem Handschreiben an verdienstvolle Persönlichkeiten auf den Gebieten der Kunst und Kultur, der Geistes- und Naturwissenschaften, aber auch der Wirtschaft, die in der Regel das 70. oder 75. Lebensjahr erreicht hatten.
     Der Adlerschild selbst war eine 108 mm große bronzene Gußmedaille, montiert auf einem Bronzesockel und rückseitig mit Zweckinschrift versehen. Die Inschrift wurde auf die geehrte Persönlichkeit individuell zugeschnitten.
     Reichskunstwart Edwin Redslob (1884-1973), dessen nach der Revolution im Jahre 1920 neu geschaffenes Amt maßgeblich an der Schaffung dieser Medaille beteiligt war, hatte in einer Presseerklärung die neue Form der Auszeichnung und die neue Gestaltung des Reichsadlers der Öffentlichkeit vorgestellt:
BlattanfangNächstes Blatt

   183   Geschichte und Geschichten »Adlerschild« des Reiches  Voriges BlattNächstes Blatt
»Die Schaffung einer Ehrenmedaille des Reichspräsidenten ... bot einen willkommenen Anlass, das bisher Erreichte in feinerer Abstimmung nun einmal in größerem Maßstab und in edlem Metall zur Ausführung zu bringen. Der Fortschritt gegenüber dem Münzadler ist ohne weiteres deutlich: die Vereinfachung des Adlerbildes der Vorderseite hinsichtlich der Formgebung des Gefieders, die straffere Zusammenfassung von Rumpf, Hals und Kopf des Tieres konnte die Geschlossenheit des Ganzen bedeutend steigern. Auch die Ausführung in einem kräftigen Relief bedeutet für die Medaille eine wertvolle Bereicherung, die sich naturgemäß nicht ohne weiteres auf Münzen wird übertragen lassen, weil hier der Reliefhöhe durch technische Forderungen sehr enge Grenzen gezogen sind ...«3) Redslob hatte den in München tätigen Bildhauermedailleur Josef Wackerle mit der Gestaltung der Medaille beauftragt. Wackerle war im Jahre 1921 aus einem Münzwettbewerb des Finanzministeriums als Sieger hervorgegangen, seine Formgebung des Reichsadlers wurde zum Vorbild für zahlreiche Münz- und Medaillengestaltungen in der Weimarer Republik. Der Adler Wackerles war nachdrücklich gewürdigt worden:
     »In dem an einen gotischen Spitzbogen erinnernden Zusammenschlus der Schwingen und in der gestrafften und schlanken Anordnung des Ganzen, welche die aufsteigenden Linien betonen, ist ein Sinnbild geschaffen, das nicht nur ein Wappentier abbildet, sondern darüber hinaus den Reichsgedanken selbst zum Ausdruck bringt.«4)
     Der Adlerschild war in der Weimarer Republik insgesamt 19mal vergeben worden. Vorschlagsrecht an das über die Vergabe zu entscheidende Innenministerium hatte Reichskunstwart Redslob; die Auszeichnung und die Anfertigung der einzelnen Medaillen wurden in seinem Büro im Auftrag des Reichspräsidenten vorbereitet.
BlattanfangNächstes Blatt

   184   Geschichte und Geschichten »Adlerschild« des Reiches  Voriges BlattNächstes Blatt
Zu diesen Tätigkeiten gehörten die Auswahl der Künstler für die Gestaltung der jeweiligen individuellen Schriftseite und die Beauftragung für die Gießerei.
     Gegossen wurden die Adlerschilde in der Berliner Bildgießerei Hermann Noack (Friedenau), die auch heute noch besteht und nach dem Zweiten Weltkrieg unter anderem durch die Wiederherstellung von Teilen der Quadriga auf dem Brandenburger Tor und des Kantdenkmals in Kaliningrad (ehemals Königsberg) ihre Qualität nachweisen konnte. Der Entwurf der Schriftseite war zumeist dem Berliner Grafiker und Schriftgestalter Karl-Tobias Schwab übertragen worden.
     Der Verbleib der meisten Adlerschilde - mit Ausnahme zu Gerhart Hauptmann und Friedrich Schmidt-Ott - konnte nicht ermittelt werden. Vermutlich ist ein Großteil seit Kriegsende verschollen. So ist der Adolf von Harnack im Jahre 1926 verliehene Schild nach Vermutung der Familie im Bombenhagel auf Berlin mit Teilen des Nachlasses vernichtet worden, auch Nachforschungen zu Max Liebermann blieben erfolglos.
Verzeichnis der Ausgezeichneten (in chronologischer Folge):
1.Gerhart Hauptmann, 15. November 1922, 60. Geburtstag, Text:
DEM DICHTER UND SEHER / IN DESSEN WERK / DIE SEELE / DES DEUTSCHEN VOLKES / ZUM LICHTE RANG
2.Paul Wagner, 7. März 1923, 80. Geburtstag, Text:
DEM / BAHNBRECHENDEN / ERFINDER / DEM FÖRDERER / DER DEUTSCHEN / BODENKULTUR
3.Emil Warburg, 9. März 1926, 80. Geburtstag
DEM BEGRÜNDER DER DEUTSCHEN EXPERIMENTALPHYSIK
4.Adolf von Harnack, 7. Mai 1926, 75. Geburtstag, Text:
DEM TRÄGER DEUTSCHER BILDUNG
5.Max Liebermann, 20. Juli 1927, 80. Geburtstag, Text:
DEM MEISTER
6.Max Planck, 23. April 1928, 70. Geburtstag, Text:
DEM GROSSEN DEUTSCHEN PHYSIKER
BlattanfangNächstes Blatt

   185   Geschichte und Geschichten »Adlerschild« des Reiches  Voriges BlattNächstes Blatt
7.Hans Delbrück, 11. November 1928, 80. Geburtstag, Text:
DEM GROSSEN DEUTSCHEN GESCHICHTSFORSCHER
8.Ulrich von Wilamowitz-Möllendorff, 22. Dezember 1928, 80. Geburtstag, Text:
DEM GROSSEN GELEHRTEN / UND KÜNDER KLASSISCHER BILDUNG
9.Wilhelm Kahl, 17. Juni 1929, 80. Geburtstag, Text:
DEM HÜTER UND GESTALTER DES RECHTS
10.Lujo Brentano, 18. Dezember 1929, 85. Geburtstag, Text:
DEM GROSSEN WIRTSCHAFTSLEHRER UND FÖRDERER DEUTSCHER SOZIALPOLITIK
11.Oskar von Miller, 7. Mai 1930, 75. Geburtstag, Text:
DEM SCHÖPFER DES DEUTSCHEN MUSEUMS
12.Friedrich Schmidt-Ott, 4. Juni 1930, 70. Geburtstag, Text:
DEM GROSSEN FÖRDERER / DER DEUTSCHEN WISSENSCHAFT
13.Theodor Lewald, 18. August 1930, 70. Geburtstag, Text:
DEM VERDIENSTVOLLEN REICHSBEAMTEN / DEM FÜHRER DES DEUTSCHEN SPORTS
14.Georg Dehio, 22. November 1930, 80. Geburtstag, Text:
DEM LEHRER UND GESCHICHTSSCHREIBER / DER DEUTSCHEN KUNST
15.Robert Bosch, 23. September 1931, 70. Geburtstag, Text:
DEM MANNE / RASTLOSER / ARBEIT UND / TÄTIGEN / ERFINDUNGSGEISTES
16.Walter Simons, 24. September 1931, 70. Geburtstag, Text:
DEM HOHEN RICHTER / DEM FÖRDERER / DES VÖLKERRECHTS
17.Carl Duisberg, 25. September 1931, 70. Geburtstag, Text:
DEM VERDIENSTVOLLEN FÖRDERER DEUTSCHER WIRTSCHAFT
18.Max Sering, 18. Januar 1932, 75. Geburtstag, Text:
DEM FÜHRER DER AGRARWISSENSCHAFT /DEM KÜNDER UND FÖRDERER DEUTSCHEN BAUERNTUMS
19.Ernst Brandes, 70. Geburtstag, 11. März 1932, Text:
DEM FÜHRER DER / DEUTSCHEN LAND- / WIRTSCHAFT; DEM / HÜTER DER HEIMAT- / SCHOLLE

Interessanterweise wurde der von Reichspräsident Ebert 1922 eingeführte nichttragbare »Adlerschild des Deutschen Reiches« auch im Dritten Reich weiter verliehen. Nach 1934 wurde die Adlerform Wackerles allerdings durch einen »zeitgemäßen« Hoheitsadler ersetzt. Größe der Medaille und Sockel blieb dagegen unverändert.
     Die Bezeichnung wurde in »Der Führer und Reichskanzler«, ab 1940 nur noch »Der Führer«, abgewandelt.
BlattanfangNächstes Blatt

   186   Geschichte und Geschichten »Adlerschild« des Reiches  Voriges BlattNächstes Blatt
Im Dritten Reich wurden bis 1944 insgesamt 38 Adlerschilde verliehen. Aus dieser Zeit konnte zwar kein vollständiges Exemplar nachgewiesen werden, jedoch haben sich in der Bildgießerei Noack die Zinnmodelle der Schriftseiten erhalten.
     Die Gesamtzahl aller von 1922 bis 1944 verliehenen Adlerschilde beträgt somit 57.
     Folgenden Personen wurde der Adlerschild von 1933 bis 1944 verliehen:
Eduard Schwartz: DEM GROSSEN ALTERTUMSFORSCHER, 22. August 1933
Friedrich von Müller: DEM GROSSEN KLINIKER, 17. September 1933
Werner Körte: DEM HERVORRAGENDEN CHIRURGEN, 21. Oktober 1933
Wilhelm Dörpfeld: DEM ALTMEISTER DER FORSCHUNG ANTIKER BAUKUNST, 26. Dezember 1933
Hermann Stehr: DEM DEUTSCHEN DICHTER, 16. Februar 1934
Hugo Hergesell: DEM VERDIENTEN ERFORSCHER DER LUFTSCHICHTEN, DEM FÖRDERER DER DEUTSCHEN LUFTFAHRT, 29. Mai 1934
Richard Strauss: DEM SCHÖPFER UND MEISTER DEUTSCHER MUSIK, 11. Juni 1934
Adolf Schmidt: DEM VERDIENSTVOLLEN FÖRDERER UND GELEHRTEN, 23. Juli 1934
Julius Friedrich Lehmann: DEM VERDIENTEN KÄMPFER FÜR DAS DEUTSCHE VOLKSTUM, 28. November 1934
Heinrich Finke: DEM / VERDIENTEN DEUTSCHEN / GESCHICHTSFORSCHER, 13. Juni 1935
Ludwig Aschoff: DEM VERDIENTEN / DEUTSCHEN FORSCHER / U. LEHRER AUF DEM GEBIET / DER GESUNDHEITS- / WISSENSCHAFT, 10. Januar 1936
Gustav Tammann: DEM ALTMEISTER / DER DEUTSCHEN / METALLURGIE, 20. April 1936
Ludolf von Krehl: DEM VERDIENSTVOLLEN / FORSCHER UND ARZT, 25. Juni 1936
Erich Marcks: DEM VERDIENTEN / DEUTSCHEN GESCHICHTSSCHREIBER, 17. November 1936
August Bier: DEM HOCHVERDIENTEN / DEUTSCHEN CHIRURGEN, 24. November 1936
Wladimir Peter Köppen: DEM ALTMEISTER / DER DEUTSCHEN / METEOROLOGIE, 28. März 1937
Emil Kirdorf: DEM GROSSEN / DEUTSCHEN / WIRTSCHAFTS- / FÜHRER, 8. April 1937
Adolf Bartels: DEM DEUTSCHEN / VORKÄMPFER FÜR / VÖLKISCHE / KULTURERNEUERUNG, 1. Mai 1937
Bernhard Nocht: DEM VERDIENSTVOLLEN / FORSCHER UND ARZT, 4. November 1937
Alexander Koenig: DEM VERDIENSTVOLLEN / FORSCHER UND ZOOLOGEN, 20. Februar 1938
BlattanfangNächstes Blatt

   187   Geschichte und Geschichten »Adlerschild« des Reiches  Voriges BlattArtikelanfang
Adalbert Czerny: DEM ALTMEISTER / DER DEUTSCHEN / KINDERHEILKUNDE, 25. März 1938
Robert von Ostertag: DEM VERDIENSTVOLLEN / FORSCHER / AUF DEM GEBIETE / DER TIERÄRZTLICHEN / WISSENSCHAFT, 20. April 1939
Friedrich Karl Kleine: DEM VERDIENSTVOLLEN / FORSCHER UND / TROPENARZT, 14. Mai 1939
Albert Pietzsch: DEM FÜHRER / UND FÖRDERER / DER DEUTSCHEN / WIRTSCHAFT, 28. Juni 1939
Heinrich Sohnrey: DEM HÜTER / UND PFLEGER / EINES GESUNDEN / BAUERNTUMS, 19. Juni 1939
Julius Dorpmüller: DEM ERNEUERER / DES DEUTSCHEN / VERKEHRSWESENS, 24. Juli 1939
Arthur Kampf: DEM DEUTSCHEN / MALER, 28. September 1939
Karl Muck: DEM GROSSEN / DIRIGENTEN, 22. Oktober 1939
Gustav Krupp von Bohlen und Halbach: DEM DEUTSCHEN / WIRTSCHAFTSFÜHRER, 7. August 1940
Paul Kehr: DEM HERVORRAGENDEN / ERFORSCHER DER / MITTELALTERLICHEN GESCHICHTE, 28. Dezember 1940
Heinrich Schnee: DEM DEUTSCHEN / KOLONIAL- / PIONIER, 4. Februar 1941
Albert Brackmann: DEM VERDIENTEN / ERFORSCHER / DEUTSCHER / GESCHICHTE, 24. Juni 1941
Gustav Bauer: DEM GROSSEN / DEUTSCHEN SCHIFFS/ MASCHINENBAUER, 1. Oktober 1944
Hermann Röchling: DEM PIONIER DES / EISENHÜTTENWESENS / DEM VORKÄMPFER / DER SAAR, 12. November 1942
Alfred Hugenberg: DEM BAHNBRECHER / DES DEUTSCHEN FILMS, 3. März 1943
Ernst Rüdin: DEM BAHNBRECHER / DER MENSCHLICHEN / ERBPFLEGE, 19. April 1944
Paul Schultze-Naumburg: DEM DEUTSCHEN / BAUMEISTER, 10. Juni 1944

Quellen:
1Der Beitrag entspricht mit geringfügigen Veränderungen einer demnächst in Druck gehenden Monographie des Verfassers zu einer Ausstellung des Münzkabinetts der Staatlichen Museen zu Berlin unter dem Titel »Die Medaille und Gedenkmünze des 20. Jahrhunderts in Deutschland«.
2Horst Hildebrandt (Hrg.), Die deutschen Verfassungen des 19. und 20. Jahrhunderts, Paderborn 1992, S. 96
3Zitiert nach Bundesarchiv Berlin, Bestand Reichskunstwart R32, 290, Bl. 20
4Edwin Redslob, Die künstlerische Formgebung des Reichs, Berlin o.J., Veröffentlichung des Kunstarchivs, Nr. 21, S. 16

Bildquelle: Staatliche Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Münzkabinett

BlattanfangArtikelanfang

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/2000
www.berlinische-monatsschrift.de