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171 Geschichte und Geschichten
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Dorothea Körner
Käthe Kollwitz und die Preußische Akademie der Künste Als Käthe Kollwitz am 24. Januar 1919 als erste Frau nach über einhundert Jahren in die Preußische Akademie der Künste gewählt wurde, stand diese gerade vor einem Neubeginn. Erstmals wurden auch Mitglieder der Berliner Secession - Käthe Kollwitz gehörte zu deren prominentesten Vertretern1) - in die Preußische Akademie aufgenommen. Am 7. März 1919 bestätigte das preußische Kultusministerium die Zuwahl von zehn Malern, sieben Bildhauern, drei Graphikern und drei Architekten, darunter von Ernst Barlach, Lovis Corinth, Willy Jaeckel, Georg Kolbe, Käthe Kollwitz, Wilhelm Lehmbruck und Hans Purrmann. Käthe Kollwitz nahm die Wahl »mit Freude und Dank an«, wie sie an den Präsidenten der Akademie, Ludwig Manzel (1858-1936), schrieb.2) Am 31. Januar 1919 hatte sie noch im Tagebuch notiert: »Höre von Klimsch und Gaul, daß ich in die Akademie der Künste gewählt bin. Große Ehre, aber ein bißchen peinlich für mich. Die Akademie gehört doch zu den etwas verzopften Instituten, die beiseite gebracht werden sollten.«3) Gaul zeigte sich über diese Einschätzung empört | und versicherte ihr, das unter dem Kaiser machtlose und unselbständige Institut habe jetzt »seine Selbständigkeit« erhalten und werde »wieder Leben kriegen«. Ähnliche Vorbehalte hegte Käthe Kollwitz gegenüber dem Professorentitel, der ihr als Leiterin der Graphikklasse verliehen werden sollte. Nach der Revolution erschien ihr dieser Titel - wie alle übrigen - antiquiert. Sie bat daher die zuständige Akademie- Leitung, ihr den »Professor« zu erlassen. Durch Verzug der Post - Käthe Kollwitz befand sich im Urlaub in Oberbayern - erreichte ihre Intervention nicht rechtzeitig den Adressaten. In einem Brief an den Ständigen Sekretär der Akademie, Professor Amersdorffer, vom 21.März 1919, resignierte sie: »Freilich wäre es mir lieber gewesen, wenn diese Zufälligkeiten von Postverspätungen nicht mitgespielt hätten und ich weiterhin titellos durchs Leben gegangen wäre.« Um der Sache aber keine übermäßige Bedeutung beizumessen, ergab sie sich in ihr »Schicksal«. Mit Wirkung vom 31. Juli 1919 durfte sie als erste Frau den Professorentitel tragen. Das Berliner Tageblatt vom 9. September 1919 kommentierte ironisch: »Eine Ehre für den Titel! Das preußische Kultusministerium hat Käthe Kollwitz, die Berliner Meisterin der Radierung, die wahrlich keiner Titel-Ehrung bedarf, zum Professor ernannt.« Ein Jahr später wurde Liebermann, mit dem Käthe Kollwitz in der Secession bereits eng zusammengearbeitet hatte, zum Präsidenten der Akademie gewählt. |
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Während seiner zwölfjährigen Amtszeit verlieh er der Preußischen Akademie der Künste einen Glanz, von dem sie heute noch zehrt.
Als Käthe Kollwitz (1867-1945) Akademiemitglied wurde, war sie 52 Jahre alt. Erschienen waren ihre großen graphischen Zyklen »Die Weber« (1898) und »Bauernkrieg« (1908). Als Frau eines Kassenarztes im Berliner Arbeiterbezirk Prenzlauer Berg kannte sie den Existenzkampf des Berliner Proletariats sehr genau und stellte die vielen stillen und lauten Tragödien des Großstadtlebens in aller Härte dar. Mit den Idealen der 48er Revolution aufgewachsen, mit der SPD eng verbunden, meldete sie sich 1918 auch öffentlich politisch zu Wort. Der Dichter Richard Dehmel (1863-1920) hatte dazu aufgerufen, noch einmal alle zivilen und militärischen Kräfte zu mobilisieren, um Deutschlands Sieg zu erzwingen. Käthe Kollwitz antwortete ihm daraufhin im »Vorwärts« vom 28. Oktober 1918 (von der »Vossischen Zeitung« übernommen): »Es ist genug gestorben! Keiner darf mehr fallen! Ich berufe mich gegen Richard Dehmel auf einen Größeren, welcher sagte: ,Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden`, gegen neue sinnlose Opfer.« Die Künstlerin, die 1914 ihren 18jährigen Sohn Peter verloren hatte, wußte, wovon sie sprach. Sie litt zeitlebens unter diesem, wie sie einmal schrieb, »größten Verlust ihres Lebens«. | Gegen Ende des Krieges wuchs die Autorität von Käthe Kollwitz. Sie selbst gestand, in den Revolutionswirren politisch oft unsicher gewesen zu sein. »Ich komm in den Ruf, ein weises politisches Verständnis zu haben und stümpere mir doch mühselig meine Meinung zusammen, spreche meist nach was der Karl [ihr Mann, D. K.] sagt«, klagte sie im Tagebuch am 16. November 1918. Auch ihrem Sohn Hans schrieb sie am 3. November irritiert: »In die Regierungssozialisten ist hier kein so festes Vertrauen und vor der Regierung Haase Ledebour Liebknecht habe ich einstweilen wenigstens Angst. Ich glaube das sind die richtigen Männer um Rußlands Zustände nach Deutschland zu bringen.«4) Gefühlsmäßig und von ihrem Temperament her mit den Zielen der Kommunisten sympathisierend, stimmte sie verstandesmäßig für die Mehrheit der Sozialdemokratie, auch wenn ihr diese zu lasch und zaudernd erschien. »Hätte die Regierung dieses Vierteljahr absoluter Macht im Sinne des Sozialismus benutzt, so wäre es nicht zum Spartakus- Putsch gekommen und hätten die Unabhängigen sich nicht nochmalig und nun wohl endgültig losgemacht von der Mehrheit«, resümierte sie am 30. Januar 1919. Die Wirklichkeit der Revolution enttäuschte sie. Käthe Kollwitz wünschte sich einen Sozialismus, »der die Menschen leben läßt«. |
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Als Künstlerin wollte sie das »Leiden der Menschen, das nie ein Ende nimmt, das jetzt bergegroß ist«, aussprechen (Tagebuch vom 5.Januar 1920). So repräsentierte sie in den 20er Jahren so etwas wie ein öffentliches Gewissen. Sie war »für Deutschland, was ein Victor Hugo oder Emile Zola für Frankreich waren«, urteilt ihre Biographin Catherine Krahmer.5)
Angeregt von Barlach, fand Käthe Kollwitz nach dem Krieg zum Holzschnitt, einer Technik, in der sie die apokalyptische Stimmung der Zeit darstellen konnte. Die erste Arbeit, die als Holzschnitt ausgeführt wurde, war das Gedenkblatt für Karl Liebknecht (1919), den sie auf Bitten seiner Frau Sophie im Leichenschauhaus gezeichnet hatte. Es folgten der Holzschnitt- Zyklus »Krieg« (1923), den ihr die Stadt Berlin 1924 für 500 Mark abkaufte, und der Zyklus »Proletariat« (1926). In den 20er Jahren entstanden auch ihre bekannten Plakate gegen Hunger und Krieg. »Ich bin nun doch in die kommunistische Russenhilfe gefangen. Wenn ich nur wirklich etwas helfen könnte, vielleicht mit einem Plakat. Ich würde es so gern tun«, schrieb sie am 23. August 1921 ihrem Sohn Hans. Im Auftrag der Internationalen Arbeiterhilfe schuf sie das Plakat »Helft Rußland« zur Überwindung einer Hungerkatastrophe im Wolgagebiet. »Wien stirbt! Rettet seine Kinder!« entstand 1920 und »Deutschlands Kinder hungern« 1924 für die Internationale Hungerhilfe. In ihrem Tagebuch notierte Käthe Kollwitz Ende November 1923: | »Hunger, Hunger überall. Auf den Straßen schwärmen die Arbeitslosen ... Hans und Ottilie [Sohn und Schwiegertochter, D. K.] sprechen vom Auswandern.« Auch der politische Rückblick auf das Jahr 1925 war noch düster: »Ich weiß ja übergenug von all dem Elend, von den täglichen Selbstmorden, manchmal 15 an einem Tag in Berlin, von der schweren, drückenden wirtschaftlichen Lage. Aber das Glücks- und Dankbarkeitsgefühl für das Gute überwog ...«, notierte sie Silvester 1925 im Tagebuch. Käthe und Karl Kollwitz hatten nach langem Zögern - auch aus finanziellen Gründen - im April 1925 an einer See- Erholungsreise über Spanien, Portugal, Madeira bis Teneriffa teilgenommen, die die Akademie der Künste geistig Arbeitenden angeboten hatte. Beglückt erlebte die Künstlerin die starke Resonanz der Öffentlichkeit auf ihre Arbeiten: »Ich für meinen Teil kann deutlich an mir spüren, wie sehr ich fortlaufende Achtungsbezeugungen der Umwelt brauche. Ein Versiegen meines Namens würde mich wohl sehr niederdrücken. Mein Seufzen und Stöhnen über die Lasten des Bekanntseins sind ein bißchen kokettes Gerede«, gestand sie sich im September 1925 ein. Für den Antikriegstag 1924 hatte der Internationale Gewerkschaftsbund in Amsterdam ein Plakat bei ihr bestellt: »Die Überlebenden. Krieg dem Kriege«, und für den Mitteldeutschen Jugendtag der sozialistischen Arbeiterbewegung in Leipzig hatte sie ihr wohl berühmtestes Plakat geschaffen: »Nie wieder Krieg!« (1924). |
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Käthe Kollwitz war jahrelang Jury- Mitglied der Secession und wurde auch als Akademiemitglied sofort in die Ausstellungskommission gewählt (bis 1925 und dann wieder 1930-1933), wo sie unter anderem mit Liebermann, Slevogt, Hofer, Klimsch und später auch Pechstein zusammenarbeitete. Nach dem Krieg entdeckte sie voller Freude, dass sie nunmehr auch zu den expressionistischen Werken der Jungen Zugang gefunden hatte. Am 31. März 1920 notierte sie im Tagebuch: »Sehr gute Beschickung [der Secession, D.K.]. Viele interessante und gute Sachen. In der Mehrzahl ultramodern. Aber meine Augen haben sich sehr gewöhnt, ich kann mit vielem mit, was ich früher gar nicht verstanden hätte.« Unter der Präsidentschaft von Max Liebermann veranstaltete die Akademie jährlich eine Frühjahrs- und eine Herbst- Ausstellung (Schwarz-Weiß- Ausstellung für Graphik), in denen auch die jungen oppositionellen Kräfte zum Zuge kamen. Die Namen der von der Ausstellungskommission eingeladenen Künstler lesen sich wie ein Katalog der heute hochgehandelten Avantgarde der 20er Jahre.
Zu ihrem 60. Geburtstag am 8. Juli 1927 gratulierten die Vertreter der kulturellen Institutionen und der Kulturpolitik. Im »Berliner Tageblatt« vom 9. Juli 1927 war nach einem Glückwunsch Gerhart Hauptmanns zu lesen: »Den sechzigsten Geburtstag von Käthe Kollwitz haben, in ihrem Atelier in der Weißenburger Straße, ihre Familie und ihre engsten Freunde still und im Sinne ihrer Kunst gefeiert. |
Max Liebermann überbrachte am Vormittag persönlich seine Glückwünsche und zugleich die Gratulation der Akademie der Künste, als deren Vertreter auch Professor Amersdorfer (!) der Künstlerin einen Besuch machte. [...] Diesen persönlich überbrachten Gratulationen reihen sich zahlreiche briefliche und telegraphische Glückwünsche an, die gestern Käthe Kollwitz übermittelt worden sind. Der Reichsinnenminister v. Kaudell, der preußische Kultusminister Dr. Becker, Oberbürgermeister Böß, der russische Botschafter Krestinski, Staatssekretär Schulz, der Reichskunstwart Dr. Redslob, der Intendant des Staatstheaters Leopold Jeßner, hatten Glückwunschschreiben gesandt, die Kunstakademien verschiedener Städte, der wirtschaftliche Verband bildender Künstler, der Frauenverband bildender Künstler und die Berliner Nationalgalerie hatten gleichfalls der Künstlerin ihre Gratulation zukommen lassen, und es war Käthe Kollwitz eine Ehrung eigener Art, daß sie an diesem Tage aus den Kreisen der arbeitenden Jugend viele Briefe empfing, die sich spontan zu ihrem Werk bekannten.«6)
Die Herbstausstellung der Akademie 1927 räumte Käthe eine eigene Exposition in zwei zentralen Räumen ein, die gute Kritiken erhielt. Im gleichen Jahr wurde - durch Vermittlung Otto Nagels - in Moskau und Leningrad eine Kollwitz- Ausstellung mit 60 Blättern der Künstlerin gezeigt. Bereits 1924 waren in der Ersten Deutschen Kunstausstellung in der Sowjetunion Arbeiten von ihr gezeigt worden. |
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Nun reisten Käthe und Karl Kollwitz auf Einladung der Organisation russischer Künstler nach Moskau und erlebten dort die Feierlichkeiten zum 10. Jahrestag der Oktoberrevolution mit. Das Ehepaar Kollwitz war von dem neuen Zuschnitt des Staates, dem Lebensgefühl der Menschen tief beeindruckt. »Heut sagten wir uns beide noch, daß dies hier zu dem Interessantesten gehört, was unser Leben uns geboten hat... Es ist auch nicht so sehr Rußland und seine Typen usw. was mich hier so in Atem hält, sondern das ganz Neue der politischen und sozialen Gestaltung eben die Sowjetrepublik«, schrieb Käthe Kollwitz aus Moskau an ihren Sohn Hans. Sie beneidete die Kommunisten »um dieses Fliegen, um die Glut ihres Glaubens«. Beschwingt und in Hochstimmung kehrte sie zurück.
Am 31. März 1927 war Ernst Moritz Geyger als Leiter des Meisterateliers für Graphik in der Akademie ausgeschieden. Für die Berufung seines Nachfolgers hatte der Senat der Akademie dem preußischen Kultusministerium Vorschläge zu unterbreiten. In der Diskussion wurden zunächst Ludwig Dettmann, Otto H. Engel, Thomas Theodor Heine, Käthe Kollwitz, Ludwig Meid und Emil Orlik als mögliche Kandidaten genannt. Eine Abstimmung des Senats ergab, dass der Maler Dettmann, der selbst dem Senat angehörte, neun Stimmen erhielt, während für Orlik drei und für Käthe Kollwitz ein Senator votierten. | Das Kultusministerium unter Carl Heinrich Becker (1876-1933) reklamierte diese Vorschlagsliste und verlangte eine neue ohne Abstimmungsergebnis. Die am 23. März 1928 ein zweites Mal erstellte Liste nannte vier Kandidaten in folgender Reihenfolge: Kollwitz, Orlik, Dettmann, Pechstein. Am 21. April erhielt Käthe Kollwitz die Nachricht, dass das Ministerium sie mit Wirkung vom 1. April 1928 zur Vorsteherin eines Meisterateliers für Graphik ernannt hatte. »Gutes, großes Atelier, schönes Gehalt, aber freilich Lehrverpflichtung«, heißt es im Tagebuch. Mit ihrem künftigen Verdienst von monatlich 812,84 RM (einschließlich Zuschlägen) verband das Ehepaar die Hoffnung, dass Karl Kollwitz, der unter der beruflichen Überlastung litt, einen Teil seiner Patienten würde aufgeben können. »Karl ist wirklich der liebenswürdigste Mensch, den ich kenne. Sowas von Freude, kindlichster jungenhafter Freude. Das ist entzückend«, notierte Käthe Kollwitz im Tagebuch. Am 21. Mai 1928 wurde sie als erste Frau in das höchste Gremium der Akademie, in den Senat7, eingeführt. Im November wurde sie zudem in den Ausschuß für Verleihung von Auszeichnungen kooptiert. Nun standen ihr in der Kunsthochschule am Steinplatz zwei Ateliers - ein großes für Plastik und ein kleineres für Graphik - kostenlos zur Verfügung.8) Ihre Schüler arbeiteten an ihrer Seite. |
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Ein erstes Urteil über sie findet man im Tagebuch am 30. Dezember 1928: »Meine 3 Schüler: Am interessantesten die Elisabeth Voigt9). Dann Ruth Michaelis- Koser10), dann der junge Boese11. An seiner Stelle würde ich gern Karl Meffert hereinbringen.« - Die Arbeit mit den Meisterschülern hat Käthe Kollwitz große Freude bereitet.12)
Im Archiv der Akademie der Künste finden sich nur wenig Hinweise auf ihre Akademie- Tätigkeit außerhalb der Kommissionen. Bezeichnend ist, dass Max Liebermann sie 1929 bat, Erkundigungen über eine Künstlerinnen- Gruppe »Der Ring« einzuholen, die von der Akademie Zuschüsse für eine Ausstellung beantragt hatte. Käthe Kollwitz war also offensichtlich für »Frauen- Fragen« zuständig. Sie verurteilte aber jeden Lobbyismus für unbegabte Künstlerinnen, vielmehr trat sie für eine strenge Auswahl und eine den Männern gleichwertige künstlerische Ausbildung der jungen Mädchen ein. Als 1927 neue Akademie- Mitglieder zu wählen waren, nominierte sie die Bildhauerinnen Milly Steger und Tina Wentscher-Haim als Kandidatinnen (beide hatten wohl keine Chance, gewählt zu werden). Und bei der Senatorenwahl von 1932 war sie für Karl Walser (Zürich) und Ernst Barlach die Person ihres Vertrauens. Beide auswärtigen Akademie- Mitglieder bevollmächtigten sie - was allgemein üblich war - in Vertretung für sie ihre Stimmen abzugeben. |
Aufschlußreich für Käthe Kollwitz` Engagement für Kollegen, aber auch für den souveränen Leitungsstil Max Liebermanns ist eine Episode vom Januar 1927. Da die Dokumente vermutlich unbekannt sind, sollen sie hier im vollen Wortlaut wiedergegeben werden. Käthe Kollwitz machte Liebermann in einem Brief vom 19. Januar 1927 darauf aufmerksam, dass Heinrich Vogelers Bilder im Speiseraum des »Barkenhof« (Worpswede) gefährdet seien. Sie schrieb:
»19. 1. 27
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Er verlangt Entfernung der Bilder und droht im Nichtbefolgungsfall mit Schließung des Heims. Die Fahrpreisermäßigung für den letzten Kindertransport ist bereits nicht bewilligt. Ich finde nun, ob man Kommunist ist oder nicht, dieses Vorgehen so unerhört, daß ihm widersprochen werden muß. Bereits sind eine ganze Reihe Proteste eingegangen, die natürlich nach ihren Unterschriften mehr oder weniger wirksam sind. Die Zumutung, daß aus politischen Gründen [...] die Arbeit eines Künstlers vernichtet werden soll (denn da es Wandmalereien sind, würde es sich um Abkratzen handeln) wäre, scheint mir, bedeutungsvoll genug, daß von Seiten der Künstler ein geschlossener Widerspruch erhoben wird. Ich werde am Freitag Ihre Meinung dazu hören. Verzeihen Sie, daß ich Sie mit all dem Material belaste. Aber Sie brauchen das, um Einblick zu haben.
In Verehrung Käthe Kollwitz« Daraufhin richtete der Ständige Sekretär der Akademie, Professor Dr. Alexander Amersdorffer, an Liebermann folgenden Brief: »21. 1. 27
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>Es gibt keine Gleichheit vor dem Gesetz, keine Unabhängigkeit der Richter!< usw., so mißbraucht er seine Kunst eben zur politischen Propaganda und zur Volksverhetzung. Besonders hohe künstlerische Werte sind in den Voglerschen (!) Bildern m.E. nicht zu schützen. - ich glaube auch nicht, daß Frau Kollwitz viel Zustimmung in der Akademie finden würde. Das Kultusministerium hat sich , wie ich höre, dieser Angelegenheit ganz fern gehalten, weil sie, als eine politische, in das Ressort des Innenministeriums gehört. Ich bitte Sie mir kurz Ihre Ansicht zu notieren, damit ich evtl. Frau Kollwitz Bescheid geben kann, falls Sie es nicht vorziehen, Frau Kollwitz direkt einige Zeilen zu schreiben.
Ihr sehr ergebener« [handschriftl. Kürzel:] »Am« Den Vorgang beschließt ein mit Bleistift geschriebener Zettel - offensichtlich von der Hand Liebermanns - mit folgendem Wortlaut: »21.1.27
Am oberen Rand des Zettels steht die ebenfalls handschriftliche Notiz: »Ich habe Frau Kollwitz in diesem Sinne beschieden«, dazu das Kürzel für Amersdoffer: »Am«. |
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Nach dem Ausscheiden Max Liebermanns 1932 aus der Akademie und der Machtergreifung der Nazis änderte sich der Geist der Preußischen Akademie der Künste grundlegend. Käthe Kollwitz sollte dies als eine der ersten schmerzlich erfahren. Doch solange die Weimarer Republik relativ intakt war, wurde die Künstlerin hoch geehrt. 1929 erhielt sie den von Friedrich Wilhelm IV. gestifteten Orden Pour le Mérite der Friedensklasse für Wissenschaft und Künste.
Quellen:
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/2000
www.berlinische-monatsschrift.de