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Bernhard Meyer
14 von 16 Ehrungen mit Berlin verbunden

Nobelpreisträger der Jahre zwischen 1919 und 1932

Verlauf und Folgen deutscher Politik in der ersten Republik spiegeln sich im Leben und Wirken der mit dem Nobelpreis Geehrten deutlich wider. Die allgemeine Ablehnung der Versailler Verträge durch deutsche Intellektuelle fand in der faschistischen Bewegung wohl ihren exponiertesten Ausdruck, deren frühzeitiger Befürworter und Förderer der 1919 ausgezeichnete Johannes Stark (1874-1957) wurde. Der Nobelpreisträger von 1920 Walter Nernst (1864-1941) hingegen hatte im Sog der Rapallo- Verträge von 1922 keine Vorbehalte, einem wissenschaftsfördernden Zug der Zeit folgend, 1926 die Ehrenmitgliedschaft der Akademie der Wissenschaften der UdSSR anzunehmen. Den sich enorm verstärkenden Antisemitismus der Weimarer Republik verspürte kein anderer Berliner Nobelpreisträger so deutlich wie Albert Einstein (1879-1955). Unter Amtsverlust durch die Faschisten litten die Nobelpreisträger Gustav Hertz (1887-1975), James Franck (1882-1964) und Otto Fritz Meyerhof (1884-1951).

Franck, Einstein und Meyerhof sowie der Literaturnobelpreisträger Thomas Mann (1875-1955) wurden ins Exil getrieben.
     Mit Berlin sind 14 von den insgesamt 16 an deutsche Wissenschaftler und Künstler verliehenen Nobelpreisen verbunden. Ihre Verbundenheit oder Berührungen mit der deutschen Hauptstadt waren allerdings von unterschiedlicher Intensität: Geburt oder Tod in der Stadt, Schulbesuch, Studium, Assistentenzeit, Promotion oder Habilitation und Berufung auf Lehrstühle oder Ämter. Einige der Geehrten hatten nur vor, andere erst nach der Verleihung mehr oder weniger enge Kontakte zu Spreeathen. In einigen Fällen ebnete der Preis den Weg auf den ersten Lehrstuhl im Deutschland der Weimarer Republik oder als Direktor eines Kaiser-Wilhelm- Instituts (KWI). Berlin partizipierte also auf unterschiedliche Weise an der Ehre und dem Ruhm von Nobelpreisträgern, deren Würdigung durch die Stockholmer und Osloer Nobelkomitees in Wissenschaft und Literatur den höchsten Gipfel bedeutete. Aber in Berlin forschten und lehrten weiterhin eine Reihe von Nobelpreisträgern, deren Auszeichnung vor der Ausrufung der Weimarer Republik erfolgte, wie Max Planck (1858-1947), Fritz Haber (1868-1934), Max von Laue (1879-1960). Ferner bot die Stadt Raum und Umfeld für das Wirken von Persönlichkeiten wie den Hirnforscher Oskar Vogt (1870-1959) und den Arzt und Schriftsteller Alfred Döblin (1878-1957), die 1922 bzw. 1929 den Nobelpreiskomitees als Kandidaten vorlagen.
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Schließlich erbrachten in jenem Zeitabschnitt jüngere Wissenschaftler in Berlin Leistungen, die erst Jahrzehnte später zur Verleihung des Nobelpreises führten. Zu ihnen gehörten der Mediziner Werner Forßmann (1904-1979), der 1929 an der Charité im Selbstversuch die Herzkatheterisierung erfolgreich durchführte und erst 1956 dafür den Preis erhielt. Ebenso trifft dies für den Nobelpreisträger Walter Bothe (1891-1957) zu, der in den 20er Jahren Untersuchungen über die Gültigkeit des Energieersatzes bei elementaren Strahlungsvorgängen vorlegte, den Preis jedoch erst 1954 überreicht bekam. In Berlin lebten in den 20er Jahren bereits Geehrte, für den Preis vorgeschlagene Kandidaten, in diesem Zeitraum Ausgezeichnete und potentielle Preisträger in einer Anzahl wie in keiner anderen Stadt der Welt. Es waren 14 Persönlichkeiten.

Johannes Stark wollte eine »deutsche Physik«

Den ersten Nobelpreis nach Gründung der Weimarer Republik erhielt der Physiker Johannes Stark für seine Entdeckung des Dopplereffektes bei Kanalstrahlen (»Stark- Dopplereffekt«) im Jahre 1905. Gleich nach der Machtübernahme der Faschisten berief man ihn zum Präsidenten der Physikalisch- Technischen Reichsanstalt (PTR) in Berlin, ein Posten, den er schon 1920 vergeblich angestrebt hatte.

Max von Laue, Nobelpreisträger 1914, berichtete später, dass Stark gegen das Votum der Fachexperten von den Faschisten in dieses einflussreiche Amt gehievt wurde. Stark machte sich wie sein Nobelpreiskollege von 1905, Philipp Lenard (1862-1947), faschistische Ideen zu Eigen und äußerte sich scharf antisemitisch gegen Albert Einstein (1879-1955). Heftig attackierte er die Relativitätstheorie und ließ nichts unversucht, schon in der Weimarer Zeit eine »deutsche Physik« zu begründen. Als Anerkennung übertrug man ihm 1934 noch zusätzlich die Direktion der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der Nachfolgerin der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft. So konnten die Faschisten beruhigt davon ausgehen, mit ihrem Anhänger Stark die wichtigsten Positionen in jenen Gremien zuverlässig besetzt zu haben, in denen der Kontakt zu erfahrenen und weltberühmten Forschern am unmittelbarsten gegeben war.
     Ganz im Gegensatz zu Stark stand das wissenschaftliche und gesellschaftliche Leben von Albert Einstein, der 1921 den Nobelpreis für Physik erhielt. Als er 1914 nach Berlin kam, lag seine vor allem gewürdigte Leistung (Entdeckung des photoelektrischen Effekts) schon sieben Jahre zurück. Vorwürfe, seine Physik sei »undeutsch« und »jüdisch«, versetzten ihn in Spannung und trieben ihn in eine ungewollte, misstrauische Distanz zu den Herrschaftskonstellationen der Weimarer Republik.
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Seine weltoffene Lebensauffassung - für die neuen Verhältnisse in der Sowjetunion empfand er Sympathie - riefen konservative Kreise verstärkt auf den Plan. Schon die Atmosphäre von Weimar versetzte Einstein in tiefe Sorge. Seine 1933 angetretene Emigration bedeutete für das Berliner Wissenschaftsleben einen herben Verlust.
     Undramatischer hingegen die Berlinbeziehungen von Werner Heisenberg (1901-1976), der 1932 den Physik- Nobelpreis erhielt und erst aufgrund dessen 1942 an das Kaiser-Wilhelm- Institut für Physik und gleichzeitig an die Berliner Universität berufen wurde.

James Franck
1925 wurden erstmalig zwei mit Berlin verbundene Physiker gemeinsam mit dem Nobelpreis für die Entdeckung der beim Zusammenstoß von Elektronen und Atomen herrschenden Gesetze geehrt: James Franck und Gustav Hertz. Die gemeinsame Assistentenzeit bei Max Planck am Physikalischen Institut in Berlin führte die beiden Physiker zusammen, die 1913 das berühmt gewordene »Franck-Hertz- Experiment« über die Bewegungen im Quecksilberdampf durchführten. Während Franck 1920 Ordinarius in Göttingen wurde und 1933 aus Protest gegen die Entlassung jüdischer Kollegen sein Ordinariat niederlegte und in die USA emigrierte, wurde Hertz 1917 Privatdozent und 1927 an die Technische Hochschule Berlin verpflichtet. Wegen seiner jüdischen Herkunft verlor er 1935 die Hochschulstelle, konnte aber als Leiter einer Forschungsabteilung der Siemens AG weiter arbeiten. Wie andere deutsche Physiker auch, wurde Hertz von 1945 bis 1954 im Rahmen der Reparationsbestimmungen zur Forschung in der Sowjetunion verpflichtet. Danach entschloß er sich, seinen Wohnsitz in der DDR zu nehmen, wurde mit wichtigen Ämtern betraut und starb hochdekoriert 1975 in Ost-Berlin. Gustav Hertz war somit der einzige Nobelpreisträger der Vorkriegszeit, der sich nach der deutschen Zweistaatlichkeit für die DDR entschied.
     Sechs Nobelpreise für Chemie gingen in der Weimarer Republik an Wissenschaftler, die mit Berlin verbunden waren. Bis auf Walter Nernst war diese Verbindung nur kurzzeitig.
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Heinrich Otto Wieland (1877-1957), der 1927 den Ruf zur Ehrung nach Stockholm erhielt, studierte u. a. in Berlin und war 1917/18 am KWI für Chemie in Dahlem; Adolf Otto Windaus (1876-1959), Chemiker und Arzt, wurde in Berlin geboren und studierte hier Medizin, ehe er in Freiburg noch die Chemie folgen ließ; Hans Fischer (1881-1945), Preisträger von 1930, absolvierte seine Assistentenzeit beim Nobelpreisträger des Jahres 1902 Emil Fischer (1852-1919) in Berlin; Friedrich Bergius (1884-1949) und Carl Bosch (1874-1940) erhielten 1931 gemeinsam den Preis, verbrachten aber nur wenige Assistenten- bzw. Studienjahre in Berlin. Bosch übernahm für die Jahre 1937 bis 1940 die Präsidentschaft der Kaiser-Wilhelm- Gesellschaft (KWG). Er repräsentierte in einer Person den Chemieindustriellen und den Wissenschaftler, wie es ihn danach wohl nicht mehr gegeben hat.

Walter Nernst, der »Meister der Thermodynamik«

Anders dagegen war der Chemiker mit ausgeprägten wissenschaftspolitischen Bestrebungen Walter Nernst mit Berlin verbunden. Der »Meister der Thermodynamik« studierte u. a. in Berlin und ließ sich 1905 nach wenigen Zwischenstationen hier nieder.

Als Pionier der physikalischen Chemie gelang ihm die Formulierung des III. Hauptsatzes der Thermodynamik, wofür er 1920 mit dem Nobelpreis geehrt wurde. In engstem wissenschaftlichen Kontakt mit Planck und Einstein leitete er von 1922 bis 1924 die PTR als Direktor, nachdem er von 1921/22 Rektor der Universität war. In den Jahren davor gehörte er zu den eifrigsten Verfechtern der Gründung einer »Chemischen Reichsanstalt« (CRA) mit ähnlichen Strukturen wie die KWG, wozu es allerdings nicht gekommen ist. Im Rahmen der gut entwickelten deutsch- sowjetischen Wissenschaftsbeziehungen nahm er 1926 die Berufung zum Ehrenmitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR an. 1934 wurde er emeritiert.
     Zu den weniger bekannten Nobelpreisträgern zählt der Mediziner Otto Fritz Meyerhof, der 1922 für biochemische Arbeiten gewürdigt wurde. Er wuchs in Berlin auf, studierte u. a. an der hiesigen Universität und betrieb von 1924 bis 1928 im KWI an der Seite von Otto Heinrich Warburg (1883-1970) zellphysiologische Forschungen, ehe er dann das KWI für Biologie in Heidelberg übernahm. Aufgrund der rassistischen Gesetze der deutschen Faschisten endete für den Juden Meyerhof 1938 die Forschertätigkeit in Heidelberg, die er in den USA fortsetzen konnte.
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Als Biochemiker und Physiologe deckte er den Zusammenhang zwischen Sauerstoffverbrauch und Milchsäurestoffwechsel bei der Muskelarbeit auf. Ähnlich gelagert war die Forschungsarbeit des Physiologen Warburg, der 1931 den Nobelpreis für die Entdeckung des Atmungsferments als Grundlage der Zellatmung erhielt. In Berlin studierte er ab 1906 Chemie, in Heidelberg ab 1911 Medizin. 1918 übernahm er das KWI für Biologie in Berlin, dem 1931 ein zellphysiologisches Institut angegliedert wurde, welches Warburg bis zu seiner Emeritierung 1951 in West-Berlin leitete. Seine erfolgreiche Arbeit führte 1944 zu einer zweiten, jedoch nicht erfolgreichen Kandidatur für den Nobelpreis.
     Von den beiden Friedensnobelpreisträgern war nur Gustav Stresemann (1878-1929) durch Geburt und Tod sowie sein politisches Wirken engstens mit Berlin verbunden. Seine Auszeichnung sollte die deutsch- französische Aussöhnung nach dem Ersten Weltkrieg als Zeichen der Völkerverständigung im Rahmen der Sicherheitsvereinbarungen von Locarno 1925 symbolisieren. Außenminister Stresemann erhielt den Preis 1926 gemeinsam mit seinem französischen Amtskollegen Aristide Briand (1862-1932). Nach dem Krieg entwickelte Stresemann einen ausgeprägten Sinn für einen realistischen Interessenausgleich, während er zuvor annexionistische Kriegsziele und den U-Boot- Krieg unterstützte und zuletzt einem Siegfrieden das Wort redete.

Walther Hermann Nernst

 
Stresemann gehörte zu den markantesten politischen Persönlichkeiten der Weimarer Republik, der seine Ziele im Rahmen der Deutschen Volkspartei (DVP), die er 1918 mitgründete und deren Vorsitzender er war, verfolgte. Dazu gehören vor allem die finanziellen Auswirkungen des Versailler Friedensvertrages, die er durch den Dawes-Plan für die deutsche Wirtschaft erträglicher gestalten konnte.

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Nur zwei deutsche Nobelpreisträger der Weimarer Zeit haben keine nennenswerte Beziehung zu Berlin in ihrer Vita: Der Friedensnobelpreisträger von 1927, Ludwig Quidde (1858-1941) und der Literaturnobelpreisträger von 1929, Thomas Mann, die beide in jenen Jahren vorwiegend in Süddeutschland ansässig waren.
     Eine solch große Anzahl von Nobelpreisträgern innerhalb von 14 Jahrgängen hat Deutschland und damit auch Berlin später nie wieder erreichen können. Alle Nobelpreisträger (bis auf Gustav Stresemann) haben das Ende der Weimarer Republik, den deutschen Faschismus und den Beginn des Zweiten Weltkrieges erlebt. Diese politischen Ereignisse wirkten sich auf ihr Leben und ihre Forschungsbedingungen sehr unterschiedlich, vorwiegend jedoch behindernd aus. In einigen Fällen mussten die Forschungen abrupt beendet werden. Die Mehrzahl der Preisträger erlebte Berlin in den 20er Jahren, von denen Ilja Ehrenburg (1891-1967) 1922 behauptete: »In Europa gibt es nur eine zeitgemäße Stadt - es ist Berlin.« (Briefe aus dem Café, Leipzig 1982, S. 46) Im Hochschulleben änderten das Ende der Monarchie und die Novemberrevolution nichts. Die kurz vor dem Weltkrieg gegründeten KWI entfalteten sich nach Beschränkungen erst richtig in den Weimarer Jahren.
Die Republik ließ Namen, Satzung und Struktur unangetastet. Durch die Bildung von Groß-Berlin 1920 kamen die TH Charlottenburg und das Dahlemer KWI in die Oberhoheit des Magistrats.
     Unter den Geehrten befand sich keine Frau, was nicht sonderlich verwundern kann, da für sie die Habilitation erst 1920 gesetzlich geregelt wurde.
     Berlin konnte seinen Status als Stadt hervorragender Wissenschaftsleistungen behaupten, zumal einige der zuvor Ausgezeichneten weiterhin hier forschten und lehrten. Andere Große der Wissenschaft wie Lise Meitner (1878-1968) und Otto Hahn (1879-1968) erbrachten in der wissenschaftlichen Welt anerkannte Leistungen.

Bildquelle: Archiv LBV

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/2000
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