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Klaus Duntze
Die Gärten der Könige

Im kommenden Jahr wird in Potsdam die Bundesgartenschau 2001 stattfinden. Der Boden, auf dem das alles geschieht, ist keine grüne Wiese. Das Bornstedter Feld, das Kerngebiet der BUGA, jahrhundertelang Truppenübungs- und Exerzierplatz, ist kontaminiert von den Lasten der Vergangenheit, von den Übungen für Kriege, den Aufbrüchen zu Feldzügen, die nur Unheil gebracht haben für Stadt und Land und Welt. Und die Rückkehr des Krieges in das eigene Land, die eigene Stadt. Gespenster gehen da um, die Gespenster der Geschundenen, der Befehlenden - Gespenster aber kann man nicht verdrängen, Gespenster kommen nur zur Ruhe, wenn sie erlöst werden. Können die Menschen, die dort planen, bauen und schließlich da wohnen werden, diesen Ort annehmen, ohne sich seiner Vergangenheit zu stellen, mit den Geistern zu reden, die Gespenster zu erlösen durch eine neue bauliche Gestalt, die aus einem neuen Geist erwächst? Wie wird die Antwort darauf aussehen, daß das Bornstedter Feld den Zusammenhang und die Verbindung zwischen Ruinenberg und Pfingstberg blockierte und die Vollendung des Lennéschen Arkadiens verhinderte?

Oder wollen die Bauherrn der einzelnen Stadt-Teile auf dem Bornstedter Feld auch »Arkadien« vermarkten wie Banken und Bauträger das Glienicker Horn?

Der Garten Eden - ewiger Wunschtraum der Menschheit

Das Bornstedter Feld ist Teil der Potsdamer Kulturlandschaft, jener einzigartigen Verbindung zwischen Natur und Kultur, gewachsener und vom Menschen veredelter Landschaft, Werk jahrhundertelanger Kultivierungsarbeit. Die Gärtner, die sie angelegt haben, aber eben auch ihre Auftraggeber, die absoluten Herren, wollten ihre Visionen einer geordneten und versöhnten Welt in der Landschaft um ihre Schlösser in Potsdam und Berlin verwirklicht sehen. Der Stadthistoriker Rave schreibt dazu: »Einem ewigen Wunschtraum der Menschheit, sich die Erde als Garten Eden, als Paradies, als die elysischen Gefilde zu denken ... Der Traum vom Lande als einem großen Garten, wo Felder und Forsten, Weiden und Wiesen, Wälder und Äcker ihren Platz und Sinn im Ganzen haben würden ...«1) Es sind die Verse am Anfang der Bibel, aus dem 1. Buch Mose, die zu allen Zeiten in diesem Traum aufleuchten: »Und Gott der Herr pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte.

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Und Gott ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen ... Und es ging von Eden aus ein Strom, den Garten zu bewässern ... Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, daß er ihn bebaute und bewahrte ...«2)
     Neben diesem biblischen Bild vom Einvernehmen von Gott, Mensch und Natur gewann seit der Renaissance das klassische Paradies, Arkadien, seine prägende Kraft, gespeist aus den näher liegenden antiken Landschaften Italiens und Griechenlands. Aber die Sehnsucht war - und ist - die gleiche: die Versöhnung von Mensch und Natur unter dem Wohlgefallen Gottes und aller Götter, hergestellt durch Kultivierung und »Peuplierung« der wüsten oder durch Kriege devastierten Landschaften.

 

Das Bornstedter Feld im Jahre 1867

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»Das gantze Eyland muß ein Paradies werden!« (Moritz von Anhalt- Dessau an den Großen Kurfürsten über die Insel Potsdam) Dabei sind die Parks und Gärten noch einmal eine kunstvollkünstliche Verdichtung dieses Traumes, die aber nie den Bezug zur lebensspendenden Funktion des Gartens verlieren: Neben Flora steht Pomona am Eingang zu Sanssouci. Diese Schöpfungen, ihre Programme und Grundrisse zielen auf inneres Einvernehmen von Himmel und Erde in der Seele und dem Bewußtsein der Menschen, die sich in diesen Gärten ergehen und finden: Freimaurerisches findet sich in Schloß und Park Charlottenhof, Rosenkreuzerisches im Neuen Garten, Christlich- Antikes im Marly-Garten von Sanssouci. Selbst die Anlage der römischen Ruinen auf dem Berg gegenüber der Residenz des aufklärerischen Geistes atmet das Programm einer neuen Freiheit gegenüber überkommener Unmündigkeit - vorweggenommener Kant: »Sapere aude!« (Wage deinen Verstand zu gebrauchen!) Bei alledem ist das preußische Paradies nüchtern und pragmatisch; der Übergang vom Blumenzum Nutzgarten ist fließend; die Terrassen von Sanssouci bedienen die Tafel des Königs, seinen Küchengarten nannte Friedrich II. sein »Marly«. Aber Potsdam mit seiner sehr eigenen Geschichte und Tradition ist exemplarisch für die preußische Spannung von Militanz und Paradiesessehnsucht. Als Schlüssel zu diesem Phänomen soll der Dichter dienen, der in seinem Leben und Werk vielleicht der preußischste war: Heinrich von Kleist (1777-1811). Im Jahre seines Todes vollendete er das Schauspiel »Prinz Friedrich von Homburg«, seinen ganz persönlichen Traum von Preußen. Die Geschichte ist bekannt, sie rankt um den entscheidenden Sieg gegen die Schweden: die Schlacht bei Fehrbellin.

Das Kriegsgesetz und die lieblichen Gefühle

Der Prinz von Homburg, Führer der brandenburgischen Reiterei, war, versunken in seinen Traum von Ruhm und Liebe, bei der Befehlsausgabe geistesabwesend, verfehlt die Parole, gewinnt die Schlacht auf eigene Rechnung, verfällt als Sieger wegen seiner Insubordination dem Kriegsrecht, begegnet auf seinem Bittgang zur Kurfürstin seinem offenen Grab und der Realität des Todes. Natalie, die er zu lieben glaubt, geht für ihn zum Kurfürsten, bittet um sein Leben und widerspricht der Sorge des Herrschers vor Disziplinlosigkeit und Willkür mit den Worten, die der Schlüssel für Preußens Ambivalenz und Widerspruch sein mögen:

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»Das Kriegsgesetz, ich weiß es wohl, soll herrschen. Jedoch die lieblichen Gefühle auch!« Der Kurfürst überläßt dem Prinzen die Entscheidung. Aber Homburg hat zu sich selbst gefunden, er will nicht als Würdeloser leben und weist die Fürsprache der Offiziere zurück. Doch nicht die Kugel erwartet ihn: Die Binde wird ihm von den Augen genommen, Natalie setzt ihm den Kranz aufs Haupt, hängt ihm die Ehrenkette um den Hals, drückt seine Hand an ihr Herz. Der Prinz fällt in Ohnmacht. Heilrufe und Kanonendonner wecken ihn. Kottwitz, seinen Rittmeister, fragt er: »Nein, sagt, ist es ein Traum?« Und Kottwitz, die alte Kriegsgurgel, antwortet: »Ein Traum, was sonst?«
     Die Versöhnung von Kriegsgesetz und den lieblichen Gefühlen - das ist er, der preußische Traum. Nicht nur Kleist hat ihn geträumt, er durchzieht die brandenburg- preußische Geschichte seit der Zeit des Großen Kurfürsten (1620-1688, Kurfürst ab 1640) - als Gegenpol zur Militarisierung dieses Staates und seiner Gesellschaft. Als Antwort auf das Ausgeliefertsein des Landes an die Greuel des Dreißigjährigen Krieges hat Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg, diese Entwicklung mit der Bildung eines stehenden Heeres in die Wege geleitet, bei Friedrich Wilhelm I. (1688-1740, König ab 1713), dem Soldatenkönig, und bei seinem Sohn (1712-1786, König ab 1740), den man Friedrich den Großen nennt, erreicht sie ihren Höhepunkt.
Offene Grenzen, politische wie geographische Mittellage, Anerkennung als eigenständiges Staatsgebilde durch die umgebenden Nachbarn und die europäischen Großmächte - die Geschichte ist bekannt, die Preise auch, die Preußen für die Fortschritte auf diesem Weg gezahlt hat, bis zu seiner Verformung ins wilhelminische Kaiserreich und zu seiner Auflösung durch das Alliierte Kontrollratsgesetz vom 25. Februar 1947.
     Und doch wäre es unzutreffend, dieses Preußen nur militaristisch zu nennen, »eine Armee mit einem Staate dran«, wie das Zeitgenossen Friedrichs II. taten. Denn da war noch das andere, die lieblichen Gefühle, die sich ebenso sinnenfällig zum Ausdruck brachten wie das Gesetz des Heeres und des Krieges. Schon der Große Kurfürst, der die Grundlagen für die Militärmacht Preußen schuf, legte im Mustergut Bornstedt einen Lustgarten an und stellte seine Meliorisierung der Insel Potsdam unter die Devise: »Das gantze Eyland muß ein Paradies werden!« Das ist und blieb mehr als die Verbesserung der ökonomischen Erträge aus des Heiligen Römischen Reiches Streusandbüchse. Das ist der Traum von der anderen Seite der Medaille, den der Soldatenkönig mit seiner holländischen Idylle, Friedrich II. mit seinem Sanssouci, die Nachfolger jeder anders weitergeträumt haben: nicht Krieg und Blut, nicht Zwiespalt und Haß, sondern Versöhnung der Menschen untereinander und mit der Natur.
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Als der Prinz von Homburg, scheinbar zum Tode geführt, sich im Garten seines Traumes wiederfindet, erblühen ihm Blumen, Levkojen und Nelken spenden ihren Duft: »Es scheint, ein Mädchen hat sie hier gepflanzt.« Sie stehen für das andere Zuhause, das er erträumt, dem er sich im Tode nahe glaubt und das so wunderbar als Leben sich ihm öffnet. Ein Traum, was sonst, das versöhnte Leben. Die Gärten in Preußen, Arkadien in der Mark, da hat der Traum seine Gestalt gewonnen, fühlbar, begehbar, zu sehen und zu riechen. Arkadien - der Traum einer versöhnten Welt

Arkadien - in diesem Zauberwort faßt sich der Traum von der Landschaft, in der Mensch und Natur sich versöhnt finden. Ein Phantasieland, doch real genug, um ganze Epochen herauszufordern, ihm Realität zu verleihen. Seit Vergil (70 v. Ch.-19 v. Chr.), dem römischen Dichter, Traumland des ursprünglichen Einverständnisses von Mensch, Tier und Landschaft; die arkadischen Hirten singen, lieben und tanzen, die Natur gibt sich ihnen freiwillig, nicht vergewaltigt und ausgebeutet.


Vieles erinnert an den Garten Eden, das biblische Paradies, macht deutlich, daß allen Völkern und Kulturen der Traum von einer versöhnten Welt zu eigen war und ist. Als in der Renaissance das klassische Altertum wiederentdeckt wurde, geriet Arkadien, das Hirtenland, zur Chiffre und

 
Die Rousseauinsel im Schloßpark Wörlitz, Zeichnung von G. M. Kraus, 1785

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zum verlockenden Symbol natürlichen, versöhnten Lebens, herbeigesehnt vor allem in Zeiten der Kriege, der Zerstörungen, der Seuchen, Verwüstungen und Entvölkerungen, mit denen Europa sich selbst heimsuchte: »Endlich blüht die Aloe / Endlich trägt der Palmbaum Früchte / Endlich schwindet Furcht und Weh / Endlich wird der Schmerz zunichte / Endlich sieht man Freudental, endlich, endlich kommt einmal.«3)
     Nach der Zeit des Dreißigjährigen Krieges gewinnt Arkadien Konturen in der Rekultivierung der europäischen Landschaften; der Allgemeine Landfriede gab die politische Basis ab für die Hoffnung auf eine bessere Welt als die von Machtstreben und Glaubenskämpfen zerrissene. Das pädagogische Gartenreich des Leopold von Anhalt- Dessau mit der Parklandschaft Wörlitz als Herzstück, aber auch Pücklers (1785-1871) Muskau und Branitz als Arbeitsbeschaffungsprogramme für verarmte Untertanen, bis hin zum Verschönerungsplan Lennés (1789-1866) für die Insel Potsdam, sogar noch die großen Siedlungsprojekte der 20er Jahre, all diese konkreten Utopien waren gespeist von Rousseaus Visionen einer neugewonnenen »Natürlichkeit« und beseelt von der Sehnsucht nach dem versöhnten Leben der Menschen untereinander, mit der Natur.
     Doch Utopien scheitern. Sie scheitern an Machtverhältnissen, sozialen Spannungen,

»Et in Arcadia ego« Francesco Guercino, 1621/23

 
an Geldmangel, an der innewohnenden Diktatur des Idealen, das in der Wirklichkeit keinen Rückhalt findet und sie so gegen sich aufbringt, sie scheitern an der Zeit, die über so viele Modelle hinweggeht, ihnen den Boden entzieht - wer kann sich heute noch eine Meierei im Park als rentablen Wirtschaftsbetrieb vorstellen? Schon bei Vergil taucht ein Zug im Wesen von Arkadien auf, der sich in Bildern des Barock widerspiegelt: Hirten in arkadischer Landschaft an einem Sarg und Totenschädel vor der Inschrift »Et in Arcadia ego« - auch ich in Arkadien. Et in Arcadia ego, das sagt der Tod: Auch ich bin in Arkadien.

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Arkadien ist vergänglich, auch seine Hirten müssen sterben, Kleists Traum vom preußischen Arkadien endete in den Schüssen am Ufer des Kleinen Wannsees, das Paradies ist kein Schlaraffenland, das einen zeitlos birgt, wenn man sich einmal hineingefressen hat. Arkadien, wo es aus der Sehnsucht in die Realität will, ist allenfalls Paradies auf Zeit - ein Traum, was sonst?

Potsdam - Stadt der Kasernen und der Parks

Ein Traum, der Gestalt annehmen will. »Der Herzog in Dessau hat aus seinem Land einen großen Garten gemacht«, schreibt Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861, König von 1840-1858) an Lenné, »dazu ist mein Land zu groß. Aber aus der Umgebung von Berlin und Potsdam könnte ich nach und nach einen Garten machen, ich kann vielleicht noch zwanzig Jahre leben, in einem solchen Zeitraum kann man schon etwas vor sich bringen. Entwerfen Sie mir einen Plan.« So wird Arkadien in Brandenburg- Preußen zum Anderland inmitten des militärgeprägten Staates und seiner Gesellschaft, gleichsam eine zweite Dimension, die die erste durchsetzt und in ihr immer wieder aufleuchtet, am intensivsten in und um Potsdam, der Garnison- und Parkstadt. In seiner Geschichte manifestiert sich die Spannung zwischen dem militärischen Geist und seiner Tradition in der Vielzahl der Kasernen und anderen militärischen

Einrichtungen und auf der anderen Seite dem Geist der Versöhnung von Natur und Menschenwerk, wie er in der Vielzahl der Parks und Gärten mit ihren Schlössern, Belvederen, Orangerien, Portalen und Obelisken sich ausformt. Stehen die einen, die Kasernen, für das Kriegsgesetz, stehen die anderen, die Schlösser und Gärten, für die lieblichen Gefühle, für den Frieden, der aus der Versöhnung kommt. Und es ist schwer zu sagen, ob die Schlösser und Gärten im Schatten der Kasernen liegen oder die Kasernen im Schatten der Parks und ihrer Gebäude.
     Und dieses Ineinander, diese gegenseitige Durchdringung ist wesentlich für das preußische Arkadien - nicht der Hortus conclusus zum Rückzug aus der sozialen und politischen Realität, sondern eben die andere Seite, das, was sein könnte und sollte, die wohnliche Welt, wenigstens hier und da aus dem Sand und aus dem Sumpf gebracht. Die Parks und Gärten in Preußen waren schon früh für die Bürger offen und zugänglich; von Fürsten angelegt, galt das Arkadien doch allen, dem ganzen Land, wenn das Land nicht schon Arkadien sein konnte.
     Seit Rousseau (1712-1778), im Grunde schon seit Vergil ist Arkadien aber auch soziale Utopie: Arkadien wurde immer wieder dort gesucht, wo die Welt noch in Ordnung schien, wo der »edle Wilde« noch mit der Natur im Reinen war, auf den Almen der Schweiz, deren Häuser wir in den Landschaftsgärten treffen -
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F. K. Schinkel, Charlottenhof, Römische Bäder
nach Glienicke gelangt man vom Schweizerhaus in Moorlake über die Teufelsbrücke in den Alpen nach dem gelobten Land Italien, das fürs deutsche Gemüt dem Zauberland Arkadien am nächsten zu liegen schien. Aber auch Siam, Tahiti - die Borkenhäuser auf der Pfaueninsel und anderswo, das tahitische Zimmer im weißen Schloß, die vielen Chinoiserien, das Teehaus in Sanssouci, auch Amerika, die »neue Welt«, vor allem aber die Inseln, die Rousseau- Inseln, die Robinson- Inseln, die Pfaueninsel, die vom Kaninchenwerder und alchemistischen Labor zur Liebesinsel aufblühte -, im Grunde ist jeder Park und Garten eine Insel in der Welt, die er zu sich selbst bringen möchte. Nur soll die Gartenwelt eine gerechte Welt sein, natürlich auch in der Ordnung der Menschen untereinander: Versöhnung mit der Natur träumt sich nicht aus der Welt hinaus, sondern in sie hinein. In der Französischen Revolution wurde Arkadien politisch, die Natur zum Ort der Erziehung zu reiner, weil natürlicher Menschlichkeit. Im preußischen Berlin führte die Linie zu den großen Bürgeranlagen vom Friedrichshain und Treptower Park, zum Humboldthain, dem Schillerpark und den Rehbergen - Arkadien hat sich emanzipiert zum Volkspark. Aber das ist ein anderes Kapitel im Traum vom blühenden Sand, heute weitergeträumt von Aussteigern, Grün- Alternativen und in den Kibbuzim. Eine jede Zeit hat ihr Arkadien.
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Die Gärten der Könige - in den folgenden Heften der »Berlinischen Monatsschrift« sollen die Herrscher vorgestellt werden, die in der Kultivierung und »Peuplierung« der Insel Potsdam dem Traum von Eden und Arkadien nachhingen und ihre Friedensarbeit der Herstellung von Paradiesen widmeten. Alle diese Herrscher, so kriegerisch sie im einzelnen waren, träumten ihren Traum von einem lebens- und liebenswerten Stück Erde, ein Traum, den sie um so intensiver träumten, je mehr sie in Gewalt und Krieg verstrickt waren - der Zwiespalt, den Natalie gegenüber dem Kurfürsten aufzeigt, lag in ihnen selbst, die damals das Sagen über das Land und seine Menschen hatten. Und so lange diese Spannung wahrgenommen und ausgehalten wurde, so lange sie nicht in Weltflucht einerseits und reines Machtgehabe andererseits aufgehoben wurde, so lange war auch diese Stadt Potsdam lebendig als Stadt und Gemeinwesen, war der Widerspruch der beiden Manifestationen die unaufhörlich pulsierende Unruhe in dem Getriebe ihres Lebens.
     Potsdam war noch längst nicht zu Ende gebaut, als sich die Störung, ja der Zerbruch dieses spannungsvollen Gleichgewichts abzeichnete, als die militärische Macht nicht mehr allein zur Erhaltung des Landes eingesetzt, sondern gleichermaßen gegen die Bürger im Inneren wie zur Durchsetzung imperialer Ansprüche gegen andere Völker und Staaten aufgeboten wurde.
In der Perversion des »Geistes von Potsdam« durch wilhelminischen Nationalismus und faschistischen Nationalsozialismus, in der Beschlagnahme des Militärischen wie in dem Mißbrauch der Schlösser, Parks und Gärten als ästhetische Kulisse für völkisches Imponiergehabe und »Kraft durch Freude« wurde die brandenburg- preußische Überlieferung instrumentalisiert und um ihren Sinn und ihre Wirkung gebracht.
     Diese menschen- und geschichtsverachtende Perversion des Militärischen zum Imperialen endete folgerichtig in der Katastrophe, die es nahelegte, im »Geist von Potsdam« die Wurzel des faschistischen Übels zu sehen, dessen Spuren in den Herzen der Menschen ebenso zu tilgen waren wie im Stadtbild von Potsdam, der preußischen Urstadt. Aber die sozialistischen Flurbereiniger haben es sich zu leicht (und der Stadt zu schwer) gemacht, sie haben mit den Gebäuden, dem Schloß, der Garnisonkirche, dem Kanal und vielem anderen auch die Herausforderung getilgt, die den Steinen innewohnt. Und die Kasernen haben sie besetzt und belegt mit ihren Bataillonen der Macht, ebenso fraglos, ebenso spannungslos. Die Parks und Gärten aber wurden wiederum ästhetisiert; auch von ihnen sollten keine Fragen mehr ausgehen. Tradition, wo brauchbar, wurde zur Legitimation der eigenen Geschichtsdeutung benutzt - Tradition hatte zu gehorchen, nicht zu fragen.
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Auch dieser Zeit war keine Dauer bestimmt, aber ihre Spuren dauern und haben das Bild von Potsdam fast irreparabel beschädigt, dieses spannungsvolle Gleichgewicht zwischen Arkadien und Kaserne verdrängt. Aber die Fragen sind zurückgeblieben, Herausforderungen sind zu bestehen, denen die Menschen in dieser Stadt und die Verantwortlichen weitgehend hilf- und ratlos gegenüberstehen. Der Streit um Potsdams Zugehörigkeit zum Weltkulturerbe, die Auseinandersetzungen um das Bahnhofscenter, den Wiederaufbau des Schlosses, der Umgang mit dem Bornstedter Feld, der Alexandrowka, der Bebauung der Feldfluren von Bornim, Eiche und Golm, der Nuthe-Niederung - da ist mit Händen zu greifen, daß diese Stadt ihre Identität nicht wieder gefunden hat, nicht wieder finden kann, so lange sie sich dieser doppelteinen Überlieferung nicht stellt.
     Mag heute das Kriegsgesetz der Waffen und der Ideologien dem Kriegsgesetz des Geldes gewichen sein, die Spannung ist geblieben; sie als solche zu entdecken und sich ihr zu stellen, dazu fordert die Geschichte Potsdams heraus, und sie muß im Gemeinwesen Potsdam, in der baulichen und sozialen Gestalt der Stadt und ihrem Umfeld beantwortet werden. Es ist die spannende Frage, ob die Bundesgartenschau 2001 dieser Aufgabe gerecht werden wird.

Karte der Pirschheide nahe dem Neuen Palais mit Eintragung militärischer Manöver zur Zeit Friedrichs II.

 
Quellen:
1 Paul Ortwin Rave, Gärten der Goethezeit, Berlin 1981, S. 91 ff., zitiert in: Die Potsdamer Kulturlandschaft, Arbeitshefte des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege, Nr. 2/1993, S. 6
2 Buch Mose, Kapitel 2, Vers 8-15 (Auswahl)
3 Johann Christian Günther, Trostaria

Bildquellen: Archiv Autor

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 5/2000
www.berlinische-monatsschrift.de