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Kurt Wernicke
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Attentat auf Friedrich Wilhelm IV.

König Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861, König von 1840-1858), der noch kurz nach den Barrikadenkämpfen vom 18./19. März 1848 bekundet hatte, er fühle sich nach dem Abzug des Militärs aus Berlin unter dem alleinigen Schutz der Berliner Bürger so sicher wie in Abrahams Schoß, nahm wenige Wochen später den Berlinern ihre Revolution so übel, daß er Potsdam zum ständigen Aufenthalt wählte. Nur noch selten suchte er das durch die Revolution beschmutzte Berlin auf - auch nicht nach der im Sommer 1849 deutlich gewordenen Niederlage der Revolution. Immerhin hatte er am 6. Februar 1850 im Weißen Saal des Berliner Schlosses, wenn auch widerwillig und in tiefster Seele verletzt, seinen Eid auf die preußische Verfassung abgelegt und damit unterstrichen, daß die Berliner Märzrevolution immerhin Preußen auf den Weg zum Verfassungsstaat gebracht hatte. Des Königs nächster Aufenthalt in der preußischen Metropole ging jedoch nicht mit einer seelischen Verletzung ab - sie brachte ihm auch eine körperliche Wunde ein.

     Als er nach wiederum nur knapp bemessenem Aufenthalt in der ungeliebten Hauptstadt am Mittag des 22. Mai 1850 auf dem Potsdamer Bahnhof den Perron betrat, um seinen Salonwagen zu besteigen, der ihn nach Potsdam zurückbringen sollte, trat ein Mann in Uniform auf ihn zu, zog eine Pistole und drückte auf den Monarchen ab. Instinktiv nahm der so Bedrohte seinen rechten Arm vor die Brust, und die Kugel, durch die Falten des Ärmels in ihrer Wirkung abgeschwächt, verursachte nur eine stark blutende Fleischwunde im Unterarm. Der sofort ins Schloß Charlottenburg transportierte König konnte schon am nächsten Tag sein Krankenlager wieder verlassen, trug aber den Arm über mehrere Wochen in der Schlinge.
     Das Attentat wurde sofort von den konservativen Ultras zu einer Verschwörung der Demokraten hochgespielt, und selbst die nur gemäßigt konservativen wie die rechtsliberalen Blätter verbreiteten sich darüber, daß in den demokratischen Vereinen Ansichten debattiert würden, die geradezu zum Königsmord anstifteten. So wurden dann auch in Berlin gleich dutzendweise Vertreter demokratischer und Arbeitervereine verhaftet sowie in der ersten Juni-Woche der Maschinenbauer- Verein, der Handwerkerverein und die Buchdruckergewerkschaft »Gutenbergbund« polizeilich geschlossen.
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Eine Verbindung mit dem Attentäter konnte allerdings nicht nachgewiesen werden.
     Der 29jährige, wegen Geistesverwirrung bereits invalidisierte ehemalige Garde- Feuerwerker Max Sefeloge war der klassische Einzeltäter. Am 29. März 1821 in Wetzlar als Sohn eines Kompanie- Feldschers geboren, hatte er seine Mutter früh verloren und war als Achtjähriger vom Vater ausgesetzt worden; 1832 ins Potsdamer Militärwaisenhaus aufgenommen, hatte er in den dreißiger Jahren eine handwerkliche Ausbildung genossen und war 18jährig zum Militär gekommen. Dort hatte er nach seiner Grundausbildung ein sehr gutes Zeugnis erlangt und war, damit empfohlen, als Längerdienender in Berlin in die Garde- Artillerie- Brigade eingetreten, wo er es bis zum Feuerwerker (eine Art Feldwebel) brachte. 1847 war er jedoch wegen Anzeichen von Größen- und Verfolgungswahn zweimal ins Lazarett eingewiesen worden. Den Straßenkampf am 18. März hatte er geistig überhaupt nicht aufgenommen. Wegen offenbarer Geistesschwäche schon im November 1848 als Halbinvalide eingestuft, war er nach einem dritten Lazarettaufenthalt im Oktober 1849 vom Militär entlassen worden, durfte aber in seiner Kaserne am Weidendamm 1-3 wohnen bleiben und wurde von seinen Kameraden miternährt.

Kaserne am Weidendamm, Neubau um 1900
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Niemand hatte Anstoß genommen, daß er seit Februar 1850 immer wieder Schießübungen mit einer Pistole veranstaltet hatte - man lächelte nur über seine Begründung: Er bereite sich darauf vor, Walfänger zu werden, da er in Preußen keine Lebensmöglichkeit mehr sah, wo man ihm seine hochgeborene Herkunft und seine Urheberschaft an millionenschweren Erfindungen bestreite! In seinem wirren Hirn machte er dafür den König persönlich verantwortlich.
     Da Sefeloge im Februar 1851 wegen offenbaren Wahnsinns ohne Gerichtsverhandlung in einer Irrenanstalt bei Halle an der Saale landete (wo er am 27. Januar 1859 starb), rankten sich schnell Spekulationen um ihn. So wurde gefragt, wie er denn ohne Erregung von Aufmerksamkeit seit dem 15. Mai Tag für Tag auf dem polizeilich kontrollierten Bahnsteig hatte patroullieren können - zumal er in seinem dicken Militärmantel leicht auffallen mußte. Mißtrauisch mußte auch machen, daß Sefeloge im Dezember 1847 ein persönliches Treffen mit dem damaligen Berliner Polizeipräsidenten Minutoli (1805-1860) gehabt hatte. Daher ist bis heute nicht ganz sicher, ob nicht etwa Ultrakonservative hinter dem Anschlag steckten, die lieber den strammen Soldaten Prinz Wilhelm (1797-1888) - den Bruder- Thronfolger - an der Spitze des Staates gesehen hätten als den als Weichling verachteten Friedrich Wilhelm IV.,
der ohnehin mit dem Makel behaftet war, am 19. und 22. März 1848 vor den Berliner Barrikadentoten sein Haupt entblößt zu haben.

Bildquelle: Archiv LBV

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 5/2000
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