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Kurt Wernicke
Hundesteuer für Trottoirs

Als am 19. September 1830 mehrere tausend durch Polizeiwillkür gegen Schneidergesellen aufgebrachte Berliner im Zuge der dreitägigen »Schneiderrevolution« auf dem Schloßplatz lautstark Proteste gegen mißliebige Zustände skandierten, brachte die Forderung nach der Zerstörung der Maschinen in England eine tiefe Verunsicherung - vornehmlich im traditionellen Textilien herstellenden, verarbeitenden und veredelnden Berliner Gewerbe - zur Sprache, die sich aus den schnellen sozialen Umbrüchen der Industriellen Revolution ergab. Die an zweiter Stelle stehende Forderung an die Obrigkeit bezog sich dagegen auf eine spezifisch lokale Angelegenheit, die in Berlin seit einigen Wochen Furore machte: »Weg mit der Hundesteuer!« war da zu hören. Hinter diesem Ruf standen zwar nicht ganz so viele Betroffene wie im von Angst vor der industriellen Konkurrenz ergriffenen Berliner Textilsektor (deren Zahl ging in die Zehntausende), aber einige tausend Berliner hatten doch im Juli erstmals Geld einzuzahlen gehabt für das Vergnügen, sich Hundebesitzer nennen zu dürfen.

Mit dem 1. Juli 1830 war tatsächlich eine neue Kommunalabgabe in das Berliner Alltagsleben eingetreten - die Hundesteuer.
     Angefangen hatte alles 1823 mit dem Bemühen des Weinrestaurants Lutter und Wegener in der Charlottenstraße an der Ecke Französische Straße, seinen Gästen beim Verlassen des Lokals festen Boden unter den manchmal schon unsicheren Füßen zu garantieren. Auf dem Bürgersteig vor dem Etablissement waren Granitplatten ausgelegt worden. Das hatte dem König derart imponiert, daß er 1825 vom Polizeipräsidenten anordnen ließ, in seiner Residenzstadt Berlin hätten die Hausbesitzer vor ihren Häusern die Bürgersteige in gleicher Weise auszustatten. Nun waren zwar die Hausbesitzer traditionell zur Säuberung der Straße vor ihrem Anwesen bis zur Straßenmitte verpflichtet, aber aus dem 1794 eingeführten Preußischen Allgemeinen Landrecht war keine juristische Verpflichtung zum Auslegen der vor dem Haus befindlichen Fußgängerpassage mit Granitplatten herauszulesen.
     Es gab also Gemurre von der Seite der Betroffenen, und die hatten auch ein Organ, das ihren Unmut zu formulieren vermochte - schließlich bestand die Stadtverordnetenversammlung aus Hausbesitzern! Also ging der Magistrat mit dem Gedanken um, den Hausbesitzern zwei Drittel ihrer Kosten zu erstatten und sich die dafür notwendigen
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Aufwendungen der Stadtkasse durch eine neue Steuer zu beschaffen. Mit der Klappe der Einführung einer Jahressteuer für Hunde wollte man gleich noch eine andere Fliege schlagen: Etwa 8000 Hunde sorgten in Berlin für Ärger über den Hundekot in den Straßen, und so sollte die Zahl der Hunde über eine fiskalische Maßnahme kontrolliert werden.
     Der Instanzenweg zur Genehmigung einer neuen Kommunalsteuer ging in Berlin über den Polizeipräsidenten zum Innenminister. Staatsminister Friedrich von Schuckmann (1755-1834) griff die Anregung des Berliner Magistrats nur zu gern auf, nahm ihr die spezifisch gedachte Beschränkung auf Berlin und erweiterte die neue Steuer zur Einnahmemöglichkeit aller Städte der preußischen Monarchie. Dem vom Innenministerium am 1. April 1829 vorgelegten Konzept einer Hundesteuer stimmte Friedrich Wilhelm III. (1770-1840, König ab 1797) schon vier Wochen später in einer Allerhöchsten Kabinettsorder (AKO) zu. Sie legte allerdings eine Obergrenze für die neue Steuer fest. Der Höchstsatz durfte drei Taler pro Jahr nicht überschreiten.
     Die Verwendung der Steuer durch die Kommunen wurde ebenfalls umrissen. Es hängt von dem Beschlusse der Kommunalbehörde ab, ob die Steuer zur Orts- Armenkasse fließen, oder auf Einrichtungen zum allgemeinen Nutzen der Gemeindeglieder verwendet werden soll. Die Strafen fließen jedenfalls zu den Orts- Armenkassen.1)
Damit hatten Magistrat und Stadtverordnete der preußischen Hauptstadt ihr vordergründiges Ziel erreicht: Sie durften die neue Steuer also auch »zum allgemeinen Nutzen » verwenden und konnten damit die Hausbesitzer zu zwei Dritteln von den Kosten der Befestigung des Trottoirs mittels Granitplatten befreien.
     Natürlich beschlossen die Berliner Stadtverordneten, den zulässigen Steuer- Höchstsatz in Ansatz zu bringen: drei Taler, die anteilig halbjährlich »praenumerando« (im Voraus) abzuführen waren. Ein »Reglement über die Erhebung der Hundesteuer in Berlin« lag rechtzeitig (die AKO hatte auf einer acht Wochen vorher zu erfolgenden Ankündigung bestanden) am 23. März 1830 vor, um schon für das zweite Halbjahr kassieren zu können. Es führte eine spezielle Hunde- Buchhalterei beim Magistrat ein, legte die aus Blech gefertigte jährliche Steuermarke am Halsband fest und spezifizierte, was man in Berlin unter dem Begriff Gebrauchshund zu verstehen habe, die laut der AKO vom 29. April 1829 steuerfrei sein sollten: Wachhunde (die aber tagsüber an der Kette zu liegen hatten!), Hüte- und Treibehunde (aber nur einen pro Gewerbetreibenden). Ferner die Zughunde solcher Personen, welche nicht die erforderliche Körperkraft zum Fortschaffen eines zum Betriebe ihres Gewerbes nötigen Karrens oder Handwagens haben und deren Vermögensverhältnisse nicht die Beschaffung geeigneter Transportmittel zulassen.2)
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Dagegen zeigte der Magistrat Mannesmut vor Adelskronen: Jagdhunde erkannte er für Berlin nicht als Gebrauchshunde an, da die Jagd hier nur zum Vergnügen getrieben3) würde!
     Wie zu erwarten war, verhallten die Proteste der Hundesteuergegner erfolglos - ja, im Oktober 1834 bewog Schuckmanns Nachfolger Gustav Adolph von Rochow (1792-1847) den König gar zu einer Allgemeinen Kabinettsorder, die die Einführung der Hundesteuer in Gemeinden zuließ, die nicht zum Stande der Städte gehören.4)
     Geld kam zweifellos ein. Die nach Abzug der Gebrauchshunde in Berlin zur Besteuerung verbleibenden 6000 Luxushunde (so der amtliche Begriff) brachten bei der ersten Halbjahres- Hebung 9000 Taler ein. Aber der erhoffte Nebeneffekt einer Verringerung der Zahl der die Bürgersteige vollkotenden Vierbeiner trat nur in Maßen ein, denn als man drei Jahrzehnte nach der Einführung der Hundesteuer in Berlin einen Vergleich anstellte, mußte der Magistrat bemerken, daß das zahlenmäßige Verhältnis zwischen städtischen Einwohnern und Luxushunden kaum entscheidende Veränderung erfahren hatte: War 1830 auf 41 Berliner ein Nicht- Gebrauchshund gekommen, so zeigte die Statistik für 1860 (11000 Hunde insgesamt, davon aber 3000 Gebrauchshunde), daß auf 62 Berliner ein Luxushund entfiel.
Daß sich die Relation zwischen Einwohnern und Luxushunden überhaupt etwas verbessert hatte, ging mit ziemlicher Sicherheit auf die seit 1830 enorm gewachsene Dichte in den Wohnquartieren der städtischen Unterschichten zurück, wo die räumliche Enge in der Wohnung kaum noch einen Hund als Familienmitglied zuließ.

Quellen:
1 Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Potsdam und der Stadt Berlin, Jg. 1829, Stück 23, S. 118
2 Reglement über die Erhebung der Hunde- Steuer in Berlin (Auflage 1847), S. 5 f.
3 Ebenda, S. 6
4 Allgemeine Kabinettsorder vom 18. Oktober 1834; Amtsblatt, Jg. 1834, Stück 48, S. 334 f.

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 5/2000
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