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Herbert Schwenk
»Wie funkelten die Banner ...«

Die Zweihundertjahrfeier des Königreiches Preußen in Berlin (1901)

Am 18. Januar 1901 wurde in Berlin jenes Tages gedacht, an dem vor zweihundert Jahren Preußen vom Herzogtum zum Königtum erhoben worden war. Zwar hatte sich Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg (1657-1713, Kfst. seit 1688) schon im Jahre 1700 bei einer Galatafel als »König in Preußen« (vor)feiern lassen, nachdem der Habsburger Hof im Preußischen Krontraktat vom 16. November 1700 die grundsätzliche Zustimmung Kaiser Leopolds I. (1640-1705, deutscher Kaiser seit 1658) zur Erhöhung des brandenburgischen Kurfürsten zum »König in Preußen« gegeben hatte. Die pompöse Königskrönung aber fand erst einige Wochen später in Königsberg statt. Mit 300 Fahrzeugen (darunter 250 Karossen) allein im ersten von vier Teilen eines gewaltigen Trosses, für den unterwegs 30000 Vorspannpferde »reqirirt« werden mußten, war der Kurfürst am 17. Dezember 1700 in Berlin aufgebrochen, um sich am 18. Januar 1701 die Königskrone aufzusetzen und zum König Friedrich I. in Preußen krönen zu lassen.

Zweihundert Jahre später sollte nun dieses Tages und Ereignisses gedacht werden. Die »Vossische Zeitung« schwelgte in enthusiastischen Tönen: Vom Memelstrom bis zum Wasgenwald, vom brandenden Meer bis zu den majestätischen Alpenhöhen, in deutschen Gauen und im fernen Ausland, wo immer preußische Herzen schlagen, wo immer das deutsche Vaterland geliebt wird, da ist heute ein Tag des Festes und patriotischer Freude.1) Es war die größte offizielle Jubelfeier im deutschen Kaiserreich und in Berlin seit dem 22. März 1897, als in einer prunkhaften dreitägigen »Centenarfeier« des hundertsten Geburtstages Kaiser Wilhelms I. (1797-1888, seit 1861 König von Preußen und seit 1871 Deutscher Kaiser) in Anwesenheit vieler auswärtiger Delegationen Allerhöchster und Höchster Fürstlichkeiten gedacht und das Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelm I. an der Schloßfreiheit enthüllt worden war (BM 3/1997).
     Äußerlich glichen sich die Bilder. Auch 1901 waren diverse Fürstlichkeiten aus europäischen und deutschen Landen angereist: aus Rußland wiederum Großfürst Wladimir, 53jähriger Onkel des Zaren Nikolaus II. (1868-1918, Zar seit 1894), in St. Petersburg als Feinschmecker und Zecher bekannt, aber auch später als Oberbefehlshaber des Petersburger Militärbezirks maßgeblich für das Gemetzel am Petersburger »Blutsonntag« im Januar 1905 verantwortlich;
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ferner aus Österreich der 37jährige Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand (1863-1914), der 13 Jahre später, am 28. Juni 1914, in Sarajewo ermordet werden sollte; dazu Herzöge aus Italien, England und Portugal, Prinz Christian aus Dänemark und Prinz Ferdinand aus Rumänien sowie Fürstlichkeiten aus Sachsen, Sachsen- Weimar, Sachsen- Altenburg, Bayern, Württemberg, Baden, Hessen, Mecklenburg- Schwerin und Anhalt. Hinzu kamen zuhauf auswärtige und deutsche »sonstige Vertretungen«. Und abermals hatte Berlin »reichen Festschmuck« angelegt: Alle öffentlichen Gebäude und viele Privathäuser »selbst in entlegenen Stadttheilen« prangten in Schwarz-Weiß oder Schwarz-Weiß- Rot, Botschaften und Gesandtschaften in ihren Landesfarben. Hauptverkehrsstraßen zierten Laubgewinde, Kränze und Bandschleifen, große Ladengeschäfte waren patriotisch dekoriert, Fuhrwerke und Omnibusse fuhren geschmückt durch die Stadt, und am Abend erstrahlte Berlin in einer festlichen Beleuchtung, wie sie die Stadt noch nie gesehen hatte. Die große Mehrheit, erklärte die »Vossische Zeitung«, habe sich trotz einiger Miesmacher ihre Feststimmung nicht trüben (lassen), und wie überall in Berlin (beweist) schon das Bild des Straßenlebens ein kräftiges Gefühl für die geschichtliche Entwickelung des Vaterlandes ... 2) Schon seit dem Morgen waren Neugierige auf den Beinen, allerdings weniger als erhofft, wofür das frische Wetter verantwortlich gemacht wurde. Der Unterricht in den Schulen war ausgefallen, die Schüler jedoch zu feierlichen Festakten in den Anstaltssälen gehalten worden, mit Andacht und Gesang dem Erinnerungstag zu entsprechen.
     Trotz der Ähnlichkeiten im äußeren Bild der Jubelfeiern von 1897 und 1901 waren Unterschiede in der inhaltlichen Gestaltung augenscheinlich. Stand 1897 Kaiser Wilhelm I. als überragende Gestalt einer Epoche, des Zeitalters Kaiser Wilhelms, im Zentrum, so hatte sich knapp vier Jahre später sein Enkel Wilhelm II. (1859-1941, König und Kaiser seit 1888) selbst auf diesen Sockel gestellt. Die Feiern zum zweihundertsten preußischen Kronjubiläum waren nun ganz auf Kaiser Wilhelm II. zugeschnitten, wobei sein Geburtstag am 27. Januar zusätzlichen Anlaß zur Feier gab. In einer Ode wurde das sinnfällig. Sie begann mit den Zeilen:
Wie funkelten die Banner / Im hellen Sonnenschein, /
Als Preußens erster König / Zog in die Hauptstadt ein

und endete:
Ein Hoch dem jungen Kaiser,/ Der es so wohl gemeint, /
Der manche schwere Bürde / Auf seinem Haupt vereint, /
Dem Vater seines Volkes, / Der lange lebe noch,/
Dem thatenkräft'gen Herrscher/ Ein dreifach donnernd Hoch!3)

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Berliner Studenten in der Kaiserzeit

In Prosa drückte das die »Vossische Zeitung« so aus: Zwei Jahrhunderte! Welche Entwickelung hat nicht in diesem Zeitraum der deutsche Staat erfahren, welche Wandlungen durchgemacht! ... Zwei Jahrhunderte Königreich, drei Jahrzehnte Kaiserthum: das Deutsche Reich, ehedem zersplittert und zerrissen, steht heute mächtig und angesehen da...4)

Die 200jährige Geschichte des Königtums Preußen erschien als Vorgeschichte der imperialen Politik Wilhelms II., die Königskrönung von 1701 als Meilenstein beim Aufstieg Deutschlands als Weltmacht. Sinn der Weltpolitik Kaiser Wilhelms II. sei es, so beschreibt es Hohenzollern- Historiker Otto Hintze (1861-1940), dieselbe Stellung und Geltung, die wir uns in dem alten europäischen Staatensystem seit den Zeiten des Großen Kurfürsten und Friedrichs des Großen errungen hatten, auch in dem weiteren Kreise des neuen Weltstaatensystems zu behaupten.5) In einer Kabinettsordre an das preußische Heer erklärte der Kaiser 1901: Ich gedenke heute, bei der Feier des zweihundertsten Jahrestages der Annahme der preußischen Königswürde, vor Allem meiner Armee. Der König und die Armee gehören in Preußen unzertrennlich zusammen. Dieser enge persönliche Zusammenhang zwischen mir und jedem einzelnen meiner Offiziere und Soldaten beruht auf 200 Jahre alter Tradition.6)
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In diesem Sinne gestalteten sich die Jubiläumsfeiern im ganzen Land. Es gab unzählige Paraden, Aufmärsche, Festakte, Gottesdienste und Versammlungen von Institutionen aller Art. Besonders die Krönungsstadt Königsberg, die Wiege des preußischen Königtums, prangte im Festschmuck. Es fanden mehrere Feierlichkeiten statt, darunter ein militärischer Festgottesdienst in der Schloßkirche und ein Festkommers (feierliches Trinkgelage) der Studentenschaft der Albertus-Universität, von dem eine Drahtung an den Kaiser erging, mit dem Gelübde unwandelbarer Liebe und Treue, huldigend an den Stufen des Thrones, der hier erstand. Aus Köln wurde vermeldet, daß dort ein solches nationales Fest seit Jahren nicht mehr gefeiert worden ist. Aus dem Ausland wurden preußenfreundliche Reaktionen auf das Jubiläum mit Genugtuung registriert, besonders aus Wien, Budapest, Den Haag und London.
     Im Zentrum der Zweihundertjahrfeier aber stand Berlin. Und selbstredend bildete hier eine militärische Feier den Auftakt, zwar unter Ausschluß der Öffentlichkeit am Vormittag des Jubiläumstages im Lichthof des Zeughauses, dafür in Anwesenheit des Kaisers in großer Generalsuniform und mit Feldmarschallstab, der Kaiserin, Prinzen und Prinzessinnen nebst Gefolge, mit allem höfischen Pomp und militärischen Zeremoniell.
Ähnlich gestaltete sich auch das Spektakel am Mittag im Rittersaal des Schlosses, als in Anwesenheit hoher Militärs, Hof- und Staatsbeamter in Galatracht, fürstlicher und prinzlicher Ritter die vom Kaiser verfügte Versammlung der kapitelfähigen Ritter des hohen Ordens vom Schwarzen Adler zur Aufnahme einiger neu damit belehnten Mitglieder und zur Abhaltung eines Kapitels stattfand. Den Schwarzen Adler-Orden hatte Friedrich III./I. am Vorabend seiner Königskrönung 1701 gestiftet. Unter schmetternden Trompeten und Fanfaren erschien Seine Majestät diesmal mit Helm auf dem Haupt, schritt, vom Scharlachmantel umwallt, zu seinem Thron und investirte mehrere neue Ritter, darunter den Kronprinzen. Schon am 15. Januar war dem Kaiser eine Stiftung überreicht worden, die von den Mitgliedern der preußischen Kriegervereine zur Zweihunderjahrfeier des Königreiches Preußen aufgebracht und dazu bestimmt war, würdigen und bedürftigen Kriegstheilnehmern und deren Hinterbliebenen eine Unterstützung zu gewähren.
     Hinzu kamen viele weitere Festakte und Huldigungen in Berlin. Die Königliche Akademie der Künste beging eine Doppelfeier des preußischen Kronjubiläums und des Geburtstages des Kaisers im Saal der Singakademie, auf der der Direktor des Königlichen Hohenzollernmuseums, Paul Seidel, die Festansprache hielt.
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Beim Festakt der Akademischen Hochschule für die bildenden Künste zum Kronjubiläum hielt Hofmaler (u. a. »Kaiserproklamation Versailles 71«) Anton von Werner die Festrede. Im Königlichen Opernhaus und Königlichen Schauspielhaus fanden auf Allerhöchsten Befehl Festvorstellungen zur Zweihundertjahrfeier statt, bei denen ueber sämmtliche Plätze Allerhöchst verfügt worden war. Die Berliner Studentenschaft beteiligte sich an der Feier mit einer aus Dutzenden geschmückten Wagen bestehenden patriotischen Huldigungsfahrt. Die Finanzkommission der Korporation der Kaufmannschaft stiftete eine Zuwendung von 50000 Mark zur Erinnerung an die 200jährige Jubelfeier der Errichtung des preußischen Königsreichs.
     Zwar fielen die Beförderungen in der Armee anläßlich des preußischen Kronjubiläums nicht so zahlreich aus, als man hätte erwarten können, allein die Zahl der Standeserhöhungen, Ordensverleihungen und sonstigen Auszeichnungen sei »sehr erheblich« gewesen. So erhielten 32 Personen den erblichen Adel, darunter 17 Offiziere. Drei Personen wurden ins Preußische Herrenhaus mit erblichem Recht auf Sitz und Stimme berufen. 3772 Personen wurden mit Orden und Ehrenzeichen bedacht, so zahlreich wie nie zuvor (im Jahr zuvor waren es »nur« 2514); dabei wurde der »Rothe Adlerorden« allein 1 821mal und der »Hohenzollernsche Hausorden« 55mal verliehen.
Hinzu kamen »Gnadengeschenke«, zum Beispiel für den Provinzialverband der vaterländischen Frauenvereine zu Königsberg in (Ost-) Preußen (10000 M), das Diakonissen- Mutterhaus zu Danzig (60000 M) und den Gemeindekirchenrat der Friedenskirche zu Potsdam (10000 M).
     Mehr noch als die dekorativen Jubelfeiern lassen Wort und Bild einiger Veranstaltungen die verfolgten Absichten erkennen. Was der Kaiser schon zu seinem 36. Geburtstag am 27. Januar 1895 angeregt hatte, nämlich überlebensgroße marmorne Standbilder in der Siegesallee im Tiergarten aufzustellen, wurde perfektioniert: die bildliche Darstellung der brandenburgisch- preußischen Geschichte in künstlerischer Form, die eine an Personen festgemachte Sicht auf die Geschichte der Herrschaft der Askanier, Wittelsbacher, Luxemburger und Hohenzollern in der Mark Brandenburg beinhaltet. Vom 22. März 1898 bis 18. Dezember 1901, also über die Zweihundertjahrfeier hinaus, waren in regelmäßigen Abständen und in Anwesenheit des Kaisers 32 Standbilder (darunter eine Doppelgruppe) und 64 Büsten des »marmornen Geschichtsbuchs« in der Siegesallee enthüllt worden, die von 26 Bildhauern unter Leitung von Reinhold Begas (1831-1911) geschaffen worden waren (BM 1/1995). Vom gleichen Kaliber war eine Ausstellung von Bildnissen brandenburgisch- preußischer Herrscher seit dem 15.Jahrhundert, die im Kupferstichkabinett der Königlichen Museen organisiert worden war.
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Dabei konnten, so die »Vossische Zeitung«, das kulturhistorische, künstlerische und das rein historische Interesse zu gleicher Zeit befriedigt werden.7)
     Ihr Interesse am preußischen Jubiläum bekundeten auch zahlreiche Vereine, Gesellschaften und Institutionen. Während Reichstag und Abgeordnetenhaus das Ereignis nur protokollarisch vermerkten (am 17. Januar hatten sich beide Häuser auf die Entgegennahme des Dankes des Kaisers für die Glückwünsche beschränkt), gingen andere gründlicher bei der Ausleuchtung des Ereignisses zu Werke. So hielt die Juristische Gesellschaft eine Gedenksitzung ab, in der ausführlich über die Stellung der Gerichtsherren und der richterlichen Militärjustizbeamten sowie über die Gestaltung der Rechtsmittel im Militär- Strafprozeß nachgedacht wurde. Ebenso hielt es die »Deutsche Juristen-Zeitung« für angebracht, der Bedeutung des 18. Januar 1701 für die Rechtsgeschichte Preußens nachzuspüren. Intensiv widmete sich der »Verein für die Geschichte Berlins« dem Geschehen der Königskrönung von 1701. Der Verein hatte ein wichtiges Zeitdokument jener Tage, den Augenzeugenbericht des Königlichen Ceremonienmeisters Johann von Besser, als illustrierte Festschrift neu herausgegeben8) und dem Kaiser überreicht. In einer öffentlichen Sitzung am 12. Januar 1901 referierte Rektor Waldemar Bonell, gestützt auf den Bericht von J. Besser, über Details der Vorgänge in Berlin vor und nach der Königskrönung 1701 in Königsberg.
     Auch die größten Jubelfeiern gehen einmal zu Ende. Jedenfalls konnte die »Vossische Zeitung« schon in ihrer Abend-Ausgabe vom 19. Januar 1901 berichten: Der Kaiser unternahm heute morgen den gewohnten Spaziergang im Thiergarten und hatte danach im Auswärtigen Amt eine Besprechung mit dem Reichskanzler Grafen v. Bülow ...9)
Quellen und Anmerkungen:
1 Vossische Zeitung, 1901, Nr. 29 v. 18. Januar, Morgen-Ausgabe, S. 1
2 Ebenda, 1901, Nr. 30 v. 18. Januar, Abend-Ausgabe, S. 1
3 Verfasser der Ode war P. Liebnitz, der sie »ausdrucksvoll« auf einer Feier des Vereins für die Geschichte Berlins am 28. Januar 1901 zu Gehör brachte. (Nach Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, Nr. 3/1901, S. 35)
4 Vossische Zeitung, 1901, Nr. 29 v. 18. Januar, Morgen-Ausgabe, S. 1
5 Otto Hintze: Die Hohenzollern und ihr Werk. Fünfhundert Jahre vaterländischer Geschichte, Berlin 1915, S. 679
6 Nach Vossische Zeitung, 1901, Nr. 30 v. 18. Januar, Abend-Ausgabe, S. 1
7 Vossische Zeitung, 1901, Nr. 28 v. 17. Januar, Abend-Ausgabe, S. 1
8 Neudruck der Preußischen Krönungsgeschichte 1702 von Johann Besser, hrsg. von dem Verein für die Geschichte Berlins, Berlin 1901
9 Vossische Zeitung, 1901, Nr. 32 v. 19. Januar, Abend-Ausgabe, S. 2

Bildquelle: Michael Bienert/ Erhard Senf, Berlin wird Metropole, be.bra verlag berlin.brandenburg 2000

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 4/2000
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