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Bald Kreuzhain oder Oberbaum?

Heike Naumann und Martin Düspohl zur Bildung des neuen Bezirks

Berlin verändert sein Gesicht und im nächsten Jahr auch seine Verwaltungsstruktur. Aus dreiundzwanzig Stadtbezirken werden zwölf. Nur Spandau, Neukölln und Reinickendorf bleiben unverändert erhalten. So sieht es das Gebietsreformgesetz vom 10.Juni 1998 vor. Was seit Gründung von Groß-Berlin im Jahre 1920 der Stadt eine »innere Ordnung« gab, erweitert nur durch die drei neuen Großsiedlungsbezirke Hohenschönhausen, Marzahn und Hellersdorf, ist nun bald perdu. Wir fragten Leiter von Heimatmuseen der Stadtbezirke, was diese Schnitte in die Berliner Seele bedeuten. Unsere Gesprächspartner: Heike Naumann (Heimatmuseum Friedrichshain) und Martin Düspohl (Kreuzberg Museum für Stadtentwicklung und Sozialgeschichte) aus dem künftigen innerstädtischen Großbezirk östlich des Regierungsbezirks.

Bekanntlich identifizieren sich die Berliner vor allem mit ihrem Kiez, erst in zweiter Linie mit dem Bezirk und der Stadt. Trotzdem gab es überall heftige Diskussionen um die Zusammenlegung der Stadtbezirke.

Wie war das in Friedrichshain und Kreuzberg?
     Martin Düspohl: In Kreuzberg hat die Zusammenlegung mit Friedrichshain zuerst einmal kein Mensch verstanden, hier wurde aus historischen Gründen stets für Mitte plädiert, immerhin haben wir Teile der alten Friedrichstadt und der Luisenstadt im Bezirk. Der »Kreuzberger Eigensinn« ließ vielfach hören, hier würde Armut und Elend aus wahlarithmetischen Gründen vereinigt. Schließlich sind die beiden Bezirke östlich des Regierungssitzes nicht nur die beiden kleinsten Berlins, sondern hier wohnen auch die Leute mit den geringsten Einkünften. Aber neben den Einsparungen im Haushalt Berlins, die man ja irgendwie einsehen muß, gibt es ja auch neue Herausforderungen des Kennenlernens. Immerhin gehören ja beide Bezirke zum alten Mietskasernengürtel, die Entwicklung der Areale, wo einst die alten Befestigungen, die Akzisemauer und ihre Stadttore standen, auch Bau und später teilweiser Niedergang der Bahnhöfe weisen interessante Parallelen auf. Besonders spannend sind die Unterschiede im Wiederaufbau nach den Zerstörungen und bei der anschließenden Stadtsanierung, nach 1950. Sie beschreiben ja wie nirgendwo sonst auf engstem Raum die sich wandelnden Konzepte und Entwicklungen zweier Welten, und heute hat Friedrichshain einiges von der alten Avantgardefunktion unseres Stadtbezirks übernommen.
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     Heike Naumann: Was bisher nie zusammengehörte, wird nun zusammengefügt. Dafür spricht wohl vor allem das Ziel des Senats, durch die Straffung der Verwaltung Geld einzusparen. Natürlich gibt es Gemeinsames, etwa daß beide Bezirke jeweils vor achtzig Jahren ebenfalls einigermaßen künstlich aus verschiedenen Teilen Berlins und vorstädtischer Viertel zusammengefügt wurden. Die derzeitigen Strukturen sind total unterschiedlich, wir haben in der Mehrheit eine sehr seßhafte Bevölkerung, die manchmal ein bißchen ängstlich auf das ihr nach wie vor eher fremde multikulturelle Treiben auf der anderen Seite der Spree blickt. Es gibt Ängste vor Kriminalität und Gewalt. Am kräftigsten verändert sich die Gegend rund um die Simon-Dach- Straße, dort siedeln sich jetzt viele junge Leute an, eine neue bunte Mischung. Mitte, Lichtenberg oder auch Prenzlauer Berg sind uns aus ähnlichen Traditionen natürlich näher, da wurden ja auch die verschiedensten Vereinigungsvarianten vordem diskutiert. Mit Kreuzberg verbinden uns von den knapp sechzehn Kilometer Stadtbezirksgrenze gerade einmal unsere gut 2100 Strommeter Spree am einst sehr betriebsamen aber doch nicht frei zugänglichen Osthafengelände und der ebenfalls zu Friedrichshain gehörende einzige direkte Übergang Oberbaumbrücke. Die wunderschön restaurierte Brücke ist mit ihren beiden neogotisch- märkischen
 
Tortürmen, der Linie U 1, dem Bogengang für Spaziergänger, Radwegen und natürlich den Autospuren ein wunderschönes Symbol des neuen Bezirks.
Museumsleiterin Heike Naumann am Märchenbrunnen, Volkspark Friedrichshain.
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Was hat Ihr Bezirk in diesem Jahrhundert für die Entwicklung der Stadt bedeutet, welche Traditionen sind mit ihm verbunden?
     Heike Naumann: Friedrichshain im Berliner Osten war immer das Berlin der kleinen Leute– Arbeitern, Angestellten und kleinen Beamten. Die Mieten waren im Verhältnis zu den geringen Einkommen hoch, die Wohnverhältnisse schlecht. In den zwanziger Jahren war das kriminelle Milieu mit Ringvereinen und Prostituierten rund um den Schlesischen Bahnhof berlinweit berüchtigt.

Museumsleiter Martin Düspohl auf dem Kreuzberger Mehringplatz
In unserer vielbesuchten Ausstellung »Raub und Mord im Kiez« konnte man das sehr schön nachvollziehen. Für die Leute hier gab es wenig Kultur, ein Lichtblick war das Rose-Theater, 1877 als Ostend- Theater gegründet und 1906 von der Familie Rose übernommen. Hier wurde ein sehr beliebtes volkstümliches Theater gespielt, sogar der »Faust« kam auf die Bühne. Im ursprünglichen alten Ostbahnhof, der stand am Küstriner Platz, wurde das Varietetheater PLAZA mit 3000 Plätzen betrieben, das zeigte die Scala-Programme in einer billigeren Zweitfassung für den Osten. Die Kriegszerstörungen bedeuteten für beide Institutionen das Ende. Aus DDR-Zeiten ist die Musikschule Friedrichshain berühmt, aus der ja viele bekannte Pop-Musiker kommen, nicht nur die PUHDYS. In der alten Webschule wird heutzutage Textil-Design betrieben. Seit 1990 sind alle großen Industriebetriebe aus der Innenstadt verschwunden. Eine Entwicklung, die in anderen westeuropäischen Metropolen als natürliche Wanderung an den Stadtrand schon vor Jahrzehnten abgeschlossen wurde, uns aber mit einem Schlag traf. Immerhin gab es hier solche bedeutenden Betriebe wie die Knorr-Bremse, OSRAM/ NARVA, das Vergaser- und Filterwerk, Pinsch- Gasgeräte/ Fahrzeugausrüstungen,
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Böhmisches Brauhaus/ Weingroßkellerei, Schultheiß, Engelhardt, das Stralauer Glaswerk. Dazu kam viel, was mit Verkehr zu tun hatte; etwa das Reichsbahnausbesserungswerk (RAW), die Zentrale der Binnenschiffahrt, der Osthafen. Außerdem gab es und gibt es immer noch die für die ärmeren Stadtgegenden typische Hinterhofindustrie, sehr viele alte Gewerbehöfe.
     Nach den Zerstörungen der letzten Kriegstage (hier wurde um jedes Haus gekämpft) geriet die Große Frankfurter Allee ins Visier der Stadtplanung. Der Berliner Stadtarchitekt Hans Scharoun plante gleich nach 1945 eine Wohnstraße mit Laubenganghäusern, die am Südostende der Allee auch gebaut worden sind. Ab 1950 wurde daraus die Stalinallee, entworfen als einheitlich gebaute Repräsentations- Straße mit architektonischen Anleihen aus dem Berliner Klassizismus, erstes östliches Symbol für den Wiederaufbau in Deutschland. Hier wohnten von Anfang an größtenteils ganz normale kleine Leute in sehr komfortablen, auch jetzt noch vorbildlichen Wohnungen. Heutzutage befinden sich westlich und östlich der Warschauer Straße zwei völlig unterschiedliche Wohngebiete. Während in den nach 1945 entstandenen Häusern noch heute eine Mischbevölkerung mit hohem Rentneranteil typisch ist, wo der Professor neben der Putzfrau lebt, hat vor allem weiter im Osten in den alten und schlechteren Wohnquartieren längst eine Entmischung der bisherigen
Kiezbewohner begonnen. Leute mit sicheren Arbeitsplätzen zogen und ziehen weg, es etabliert sich eine buntscheckige Szene. Die Mainzer Straße war vor zehn Jahren der krasse Vorbote dieser typischen und wohl auch normalen Entwicklung.
     Martin Düspohl: Kreuzbergs Areal ist drei Jahrhunderte lang stets eine Zuzugsgegend gewesen. Hugenotten, Böhmen, jüdische und polnische Einwanderer siedelten einstens in der Cöllner Vorstadt. Das brachte viele neue Ideen und Fertigkeiten hierher. Die Bewohner waren in verschiedenen Handwerken und Gewerben, später Industrien, aktiv, woraus schon im 19. Jahrhundert die inzwischen so genannte Kreuzberger Mischung mit ihrer engen Durchdringung von Wohnen, Arbeiten, Handel und Vergnügen entstand. Aktuell haben wir 35 Prozent Ausländeranteil bei einer Bevölkerung von knapp 150 000 Einwohnern. Dazu kommen natürlich noch viele Bürger ausländischer Herkunft mit deutschem Paß. Kreuzberg ist multikulturell. Nachdem zuerst mehrheitlich Türken, Kurden und Jugoslawen zuzogen, sind das seit 1980/81 auch polnische Immigranten. Wir haben im Stadtbezirk den polnischen Sozialrat und die polnische Saisonarbeiterberatung. Die Kreuzberger fühlten sich immer als Berliner. 1920, zur Bezirksgründung, kam die Tempelhofer Vorstadt zu den beiden Berliner Vorstädten südliche Friedrichstadt und östliche Luisenstadt dazu. Erst ab Mitte der sechziger
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Jahre begann ein Kreuzberger Lokalpatriotismus, erst dann fühlte man sich als »was Besonderes«. Eigentlich wurde das vom Senat mit seinen Sanierungskonzepten in Gang gebracht: Vieles sollte damals komplett abgerissen und neugebaut werden, so wie das rund um den Mehringplatz nach der totalen Kriegszerstörung auch gelaufen war. Die Altmieter zogen aus, bekamen woanders bessere Wohnungen und die Investoren brauchten für die Zeit vor Abriß und künftigen Neubau die »Zielgruppe Zwischenmieter«, um die Häuser nicht leerstehen zu lassen. Das waren damals Studenten, westdeutsche Aussteiger und Wehrdienstflüchtlinge, die es nach Berlin zog, und Migranten, angeworbene ausländische Arbeitnehmer vor allem aus der Türkei und Jugoslawien, die die nach 1961 weggefallenen Ost- Arbeitskräfte ersetzten. Bekanntlich kam es anders, die neuen Bewohner setzten ein völlig neues Sanierungskonzept durch, stoppten in vielen Aktionen den Kahlschlag. Abrißhäuser wurden instandbesetzt. Längst wurde die Hälfte der besetzten Häuser an die Besetzer verkauft, etwa 40–50 Bewohnergruppen verwalten sie selbst als eingetragene Vereine oder Genossenschaften. Unser Museum gleich neben der Betonburg Kottbusser Tor, die anschaulich zeigt, wie man den ganzen Kiez betonieren wollte, ist im ersten stehengebliebenen Haus untergebracht. Die Proteste wurden damals auch von der Verwaltung aufgenommen. Ab 1979 begann das Land Berlin eine neue Internationale Bauausstellung (IBA) zum Thema »Die Innenstadt als Wohnort« zu planen, um ramponierte Stadtteile behutsam zu sanieren, 1984/87 konnten viele mit hohem staatlichen Einsatz gerettete Quartiere und Gebäude, mehrheitlich in Kreuzberg und im südlichen Tiergarten, übergeben werden. Die Erfahrungen der damals in Kämpfen durchgesetzten behutsamen Sanierung mit ihrer Bewohnerbeteiligung sind unter veränderten Bedingungen auch Arbeitsinstrumentarien in anderen Sanierungsgebieten Berlins geworden

Der Bezirk lebte unmittelbar mit der Mauer, was hat sich seit der Wiedervereinigung der Stadt verändert?
     Martin Düspohl: Wir lebten ganz praktisch mit der Mauer, fühlten uns im Mauerschatten wohl, waren an drei Seiten eingemauert, und fanden das überhaupt nicht bedrohlich. Einmal, anläßlich des Reagan-Besuchs in Westberlin 1987, waren wir kurzzeitig sogar an allen vier Seiten abgeschlossen, keiner kam durch. Wenn man alte Fotos oder alte Filme sieht, staunt man, wieviel spontane Phantasie beim Bemalen und Besprühen der Mauer freigesetzt worden ist. Mit dem Mauerfall lag Kreuzberg plötzlich wieder in der Mitte der Metropole, der Verkehr explodierte, die Ruhe war hin. Insofern ist es kein Wunder, daß sich das buntscheckige Kreuzberger Protestpotential nach 1990 plötzlich gegen den Lärm und die Abgase auf den Durchgangsstraßen richtete, dazu

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gehörten auch die zeitweiligen Sitzblockaden vor der Wiedereröffnung der Oberbaumbrücke. Es gab Ängste vor schleichender »Gentryfizierung«, also Verdrängung der bisherigen Bewohner durch Wohlhabendere. Das trat allerdings nicht ein. Die Arbeitslosigkeit stieg besonders unter den ausländischen Bewohnern, denn mit dem Wegfall der Berlin- Förderung wanderten die Industriebetriebe ab, beispielsweise der Telefonhersteller DeTeWe und viele Arbeitsplätze gingen verloren. Unsere Ausstellung «Sarotti bis Muratti – Produkte made in Kreuzberg« zeigt anschaulich unsere verflossene Industriegeschichte. Die vielbeschworene Kreuzberger Toleranz bedeutet gegenseitiges Akzeptieren unterschiedlicher Lebensweisen, möglicherweise auch Desinteresse beziehungsweise verträgliches Nebeneinander verschiedener Kulturen, ist aber immer bedroht von Aggressionen, ausgelöst vor allem von der schlechten wirtschaftlichen Lage.
     Heike Naumann: Bis 1989 war die Mauer in Friedrichshain genau die südliche Begrenzung der vielbefahrenen Ausfallstraße Stralauer Allee, dahinter befand sich, schon im Grenzbereich, das Osthafengelände mitsamt dem großen Kühlhaus, dort arbeiteten bis zu 5000 Leute. Einzig eine doppelstökkige Blechbaracke an der Oberbaumbrücke, die als Fußgängergrenzübergang diente, unterbrach das unauffällig glatt grauingraugestrichene Grenzbollwerk. Genau dieses Teilstück der Mauer wurde 1990 in einer
internationalen Kunstaktion bemalt und ist deshalb auch stehengeblieben. Ausländische Touristen landen nach der Frage »Where is the wall« in Ermangelung anderer noch bemalter Mauerstücke stets hier. Da diese »East-Side-Galerie« inzwischen auch schon zur Historie gehört, zeigen wir sie derzeit in einer Dokumentationsausstellung unseres Museums.
     Die wunderschöne Rekonstruktion und natürlich die Öffnung der Oberbaumbrücke mit der Verlängerung der U 1 und der Erneuerung des Bahnhofs Warschauer Straße gehört zu den äußerlich auffälligsten Veränderungen im Stadtbezirk. Natürlich gibt es eine Reihe neuer Wohn- und Geschäftsbauten etwa im Samariterviertel und in der Oberbaumcity, wie auch das neue Ring-Center am S-Bahnhof Frankfurter Allee. Am verblüffendsten ist ja wohl die Restauration der denkmalgeschützten einstigen Stalinallee, jetzt Karl-Marxbzw. Frankfurter Allee, die heute fast schöner aussieht als nach ihrem Bau. Der berühmtberüchtigte jahrzehntelange Kachelfall ist Vergangenheit.

Wie geht es mit dem Heimatmuseum im neuen Großbezirk weiter?
     Heike Naumann: Wenn nicht irgend jemandem von hoch droben einfällt, das zu ändern, bleiben wir unbedingt selbständig und arbeiten kontinuierlich weiter. Uns gibt es als heimatgeschichtliches Kabinett seit 1987, nach 1990 haben wir in einer Reihe Wechselausstellungen, darunter auch zur

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Bierbrauerei, die »Bauten von Hoffmann und Messel« und zur Entwicklung der Großen Frankfurter/ Stalinallee schon viele Aspekte der Lokalgeschichte zusammengefaßt und anschaulich gemacht. Immerhin, vorher gab es kaum aufgearbeitetes Material zum Stadtbezirk, inzwischen besitzen wir schon Einskommazwei laufende Regalmeter Friedrichshain- Literatur. Unser wunderbarer neuer Museumssitz in der ausgebauten alten Feuerwache hinter der Karl-Marx- Allee und nahe beim allerersten in der DDR gebauten Hochhaus an der Weberwiese ist ein idealer Ort, die Auseinandersetzung mit unserer Lokalgeschichte erlebbar zu machen. Die künftige Dauerausstellung wird sich mit der Friedrichshainer Siedlungs- und Stadtentwicklung befassen, klar, daß wir dabei auch Erfahrungen mit unseren Kreuzberger Partnern austauschen. Geld bleibt knapp, und so wollen wir auch unser erprobtes Sponsoring weiter ausbauen. Gerade bei Bauinvestoren fielen unsere Vorstellungen auf fruchtbaren Boden.
     Martin Düspohl: Zunächst bleiben wir selbständig. Wir zogen als letztes Museum der zwölf Westberliner Bezirke erst 1991 in unser Haus ein, das mit seinem Café, dem Kinderspielplatz davor, der historischen Druckwerkstatt und unseren beiden Ausstellungsetagen Platz für Kreuzbergs Geschichte hat. Unsere Bibliothek besitzt, einschließlich der Veröffentlichungen zur Internationalen Bauausstellung '84 '87(IBA),
dreieinhalb laufende Regalmeter Buchveröffentlichungen zu Kreuzberg. Darauf läßt sich schon aufbauen. Wir betreiben weiter Kreuzberger Traditionspflege, können mit unserer Dauerausstellung und den halbjährlichen Wechselausstellungen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Kreuzbergs auch über den Tellerrand des Bezirkes hinausblicken. Mit der Unterstützung unseres »Verein zur Erforschung und Darstellung der Geschichte Kreuzbergs e.V.« wollen wir auch künftig manches Projekt realisieren, das nicht nur die Leute aus dem Kiez anzieht.

Das Heimatmuseum fühlt sich zuständig für den Kiez und seine Tradition, wie kann man den Menschen im neuen Großbezirk dieses Heimatgefühl erhalten?
     Martin Düspohl: Wenn wir mit alten Kreuzbergern reden wollen, dann müssen wie sie in Britz, Buckow oder Rudow besuchen, sie haben dort Wohnungen mit Bad bekommen. Es ist normal, daß sich die Bevölkerung in einer Mietshausgegend wie unserer alle dreißig Jahre erneuert. Deshalb betrachten wir uns hier mitten im Kiez auch künftig als Identifikationsort für alle Kreuzberger. Erstmal ändert sich also nichts, wir sichern den »weichen Übergang«. Wir kümmern uns gemeinsam mit dem Kulturamt auch um Zeichensetzung im Stadtbezirk, so unser antifaschistisches Gedenktafelprogramm mit individuell künstlerisch gestalteten Bronzetafeln, die Widerstandskämpfer-Innen gewidmet sind. Und dann kümmern

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wir uns um einzelne Stadtquartiere, gestalten dafür Ausstellungen, arbeiten mit ansässigen Projekten zusammen. Für mich persönlich ist ein beispielhafter Ort, an dem sich die Geschichte bricht, der Mehringplatz mit seiner Victoria, die mit zwei steinernen Musen, der Friedensgöttin Eirene und Klio, der Muse der Geschichtsschreibung vom alten Belle-Alliance- Platz übrigblieb. Die totale Neubebauung im Siedlungscharakter aus den Sechzigern/ Siebzigern von Werner Düttmann nach Scharouns Generalplan, aber auf dem Grundriß des ursprünglichen »Rondells« des Soldatenkönigs, läßt kaum noch etwas vom Flair eines der historisch bedeutendsten Plätze Berlins erkennen. Wir haben vor Jahren dort Tafeln zur Platzgeschichte angebracht.
     Heike Naumann: Mein liebster Platz ist der Märchenbrunnen im Friedrichshain, jenem Park, der dem Bezirk einst seinen Namen gab. Den Brunnen gestaltete einst Stadtarchitekt Ludwig Hoffmann, nach totaler Zerstörung im Krieg wurde er Anfang der 50er wieder aufgebaut und seitdem mehrfach vervollständigt. Bei unseren Parkführungen ist auch der Friedhof der Märzgefallenen von 1848 oder das Denkmal des polnischen Soldaten und deutschen Antifaschisten wie das Spanienkämpfer-Denkmal wichtiger Anlaufpunkt. Zu Friedrichshain gehört aber auch die Halbinsel Stralau mit der Dorfkirche aus dem 15. Jahrhundert. Über das berühmteste Berliner Volksfest,
den Stralauer Fischzug, muß ich hier nicht reden. Das Museum ist mit seiner künftigen Dauerausstellung auch für Schulklassen attraktiv. Über unseren Räumen befindet sich das Theater »Schmales Handtuch« das mit seinen unterschiedlichen Programmen auch an die Tradition des Rose-Theaters anküpft. Erstmal wächst noch ein Friedrichhain- Heimatgefühl, wir werden jetzt keines des neuen Großbezirks schaffen können, sondern müssen auf unserer bisherigen Arbeit aufbauen. Aber eine Außenstelle des Museums im nördlichen der derzeit leeren neugotisch- märkischen Tortürme der Oberbaumbrücke könnte ich mit gut vorstellen.

Obwohl die Namen der neuen Bezirke noch nicht feststehen wurde gerade um sie heftig gestritten. Welcher Name des neuen Bezirks wäre Ihnen am liebsten?
     Heike Naumann: Na, Kreuzhain oder gar Friedrichskreuz werden ja nicht gehen. Oberbaum als verbindendes Element der beiden Altbezirke klingt schon ganz gut.
     Martin Düspohl: Eigentlich sollte man es so wie in Wien oder Paris machen, nämlich die Bezirke einfach numerieren. Das merkt sich prima. Schließlich wußte man früher auch ziemlich genau, wo SO 36 liegt. Aber ich könnte mich auch mit der Benennung Bezirk Oberbaum anfreunden.
Die Gespräche führte Bernd S. Meyer

Fotos: B. S. Meyer

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 1/2000
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