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Harry Nehls »... eine gar vortrefliche Wirkung ...« Das vergessene Reiterrelief im Antikentempel im Park von Sanssouci Mit großem Entsetzen reagierte man auf den am 8. August 1999 verübten Anschlag gegen das Schloß Sanssouci: Vandalen hatten in den frühen Morgenstunden das Weltkulturerbe mit Farbschmierereien verunstaltet.1) Über die zahlreichen Graffiti auf den Außenwänden des unweit des Neuen Palais gelegenen maroden Antikentempels scheint sich indes niemand zu empören. Zu den ältesten Besucherinschriften gehört die in die geriefelte Sandsteinplatte im dritten Interkolumnium der Nordseite eingemeißelte Jahreszahl »1794«; die jüngste graphologische Hinterlassenschaft stammt von einer Sanssouci-Besucherin aus Polen und datiert vom 5. Juli 1999.
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1770 erfolgte die Einrichtung. Weder die Skizzen des Königs noch die Reinzeichnungen von Gontard haben die Zeiten überdauert. Wie die Bildergalerie, so war auch der Antikentempel von Anfang an als Museumsbau konzipiert und diente zur Aufnahme großer Teile der Antikensammlung Friedrichs.2) Die jüngst geäußerte Behauptung, er sei »1770 errichtet« worden »und vor allem Cicero« gewidmet3), widerspricht den Tatsachen. Zur skulpturalen Ausstattung des Antikentempels gehörte nachweislich kein einziges Bildnis des Cicero.
Unter Malern und Zeichenkünstlern scheint das Bauwerk keinen großen Anklang gefunden zu haben, denn es existiert nur eine einzige zeitgenössische Ansicht, nämlich die bekannte Radierung des Architekten, Malers und Radierers Andreas Ludwig Krüger (17431822) aus dem Jahre 1779.4) Eine zeitgenössische Innenansicht ist nicht überliefert. Bautypologisch ist der Antikentempel eine Tholos (Rundtempel) mit quadratischem Annex. Wegen des Innenraums auf rundem Grundriß und der Kuppel mit zentraler Lichtquelle sah man den Bau dennoch als »eine Nachahmung der berühmten Rotonda zu Rom«[Pantheon] an.5) In der Mitte der Rotunde, deren Durchmesser über 16 Meter mißt, standen kreisförmig angeordnet auf runden Sockeln von weißem carrarischen Marmor zehn lebensgroße Marmorstatuen (sogenannte Familie des Lykomedes), die zuvor den Speisesaal und | ||
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die Goldene Galerie des Schlosses Charlottenburg geschmückt hatten und aus der Sammlung des Kardinals Melchior de Polignac (16611741) herrühren.6) Sie waren das eigentliche Kronjuwel des Antikentempels. Ohne erkennbares System und noch ganz der Tradition der vollgepfropften Raritätenkabinette und Kunstkammern verhaftet, standen bzw. lagen Dutzende von Gegenständen antiker Kleinkunst (Marmorurnen, Keramik, figürliche Bronzen, Geräte, Werkzeuge, Gewichte und Gläser) auf einer (erhaltenen) umlaufenden, in ein Meter Höhe befindlichen, 45 bis 48 Zentimeter breiten hölzernen Konsolbank.7) Darüber befanden sich in drei (!) übereinandergestaffelten Reihen 50 vergoldete hölzerne Konsolen, auf denen Büsten aus Marmor, Basalt und Bronze standen: in der unteren Reihe 16 (Götter, Kaiser und Privatporträts), in der mittleren waren es 18 (Götter, Kaiser und Privatporträts, darunter ein angeblich von Girardon, nach anderer Meinung von Bernini stammendes Bildnis des Kardinals Richelieu; später im Marmorsaal von Schloß Sanssouci aufgestellt, z. Z. im östlichen Kabinett der Bildergalerie) und in der oberen wieder 16 (Philosophen, die Kaiserin Sabina, Cleopatra, Solon und Privatporträts). Von den 50 Büsten stammen 31 aus der Sammlung Polignac, alle übrigen aus der Sammlung der Wilhelmine von Bayreuth.8) Der damals bei Hofe sehr einflußreiche Berliner Archäologe und Kunsthistoriker Ludwig |
Aloys Hirt (17591837) kritisierte anläßlich einer am 25. September 1797 in der Akademie der Künste gehaltenen Vorlesung völlig zu Recht, daß viele der Büsten im Antikentempel zu Sanssouci »so hoch placirt« seien, »daß kein Auge den Werth davon beurtheilen kann.«9) Dies trifft ganz besonders auf das stark ergänzte und goldgerahmte Reiterrelief zu, das ca. einen halben Meter über der 4,10 Meter hohen Eingangstür mit profiliertem Rundbogen als Supraporte in die runde, mit grauem schlesischem Kauffunger Marmor inkrustierte Wandung eingelassen wurde. (siehe Titelbild)
Laut Angabe des Bildergalerieinspektors Matthias Oesterreich (17261778) befanden sich »ueber der Thuere des Einganges in den Tempel« noch fünf weitere Marmorreliefs mit den Profilbildnissen Alexanders des Großen und der römischen Kaiserin Messalina, den Darstellungen des Schmiedegottes »Vulcan, welcher mit den Cyclopen an den Waffen des Achilles arbeitet«, des Heiligen Hieronymus (vormals in der florentinischen Sammlung des Barons Philipp von Stosch und angeblich von Michelangelo) und des Raubes der Proserpina (ebenfalls goldgerahmt) sowie ein 0,95 mal 1,02 Meter großes, wiederum goldgerahmtes Fragment des berühmten Nilmosaiks von Palestrina, das Wilhelmine von Bayreuth während ihres Aufenthaltes in Florenz (26. 4. bis 7. 5. 1755) von dem Antiquar Antonio Francesco Gori (16911759) erwarb.10) Leider macht Oesterreich | ||
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Der Antikentempel im Park Sanssouci, Zeichnung von Andreas Ludwig Krüger, 1779 | |||
keine näheren Angaben zur Verteilung der sechs genannten Kunstwerke. Ebenso unklar bleibt, wo z. B. die beiden (bei Oesterreich nicht erwähnten) antiken Fresken (»ein Adler« bzw. »einen verfolgenden Streiter vorstellend«) oder die drei unterlebensgroßen römischen Marmorstatuen ein Tibicen (Flötenspieler), ein Triptolemos und ein nackter Torso mit aufgesetztem (nicht dazugehörigem) Trajanskopf postiert waren.11) Daß die Rotunde ein »von jedem Rokokoelement freier Innenraum« ist12), | trifft nicht zu. Gegen diese Behauptung sprechen nicht nur die von Johann Michael Merck (17141784), Carl Joseph Sartori (17091779) und Johann Baptist Pedrozzi (17101778) ausgeführten Rokokostukkaturen der Laterne, sondern auch deren Ausmalung mit (heute stark verblaßten) Geniengruppen in Wolken, die eine Blumengirlande halten und unweigerlich an die von dem Bildhauer Georg Franz Ebenhech (gest. 1757) geschaffenen Puttengruppen mit Blumengirlanden erinnern.13) Merkwürdigerweise | ||
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erwähnt Ludewig Manger in seiner »Baugeschichte von Potsdam« diese Malerei nicht, die angeblich von den nicht näher bekannten Künstlern »Cons und Berger« nach 1775 ausgeführt wurde.14)
In dem quadratischen, mit drei Fenstern versehenen Annex von ca. 9,40 mal 9,40 Metern, dem Münzkabinett, das nur von der Rotunde her durch eine rundbogige hölzerne Tür zugänglich ist, befand sich auf vier Schränke verteilt die Münz-, Gemmen- und Kameensammlung.15) Während die bis zum Herbst 1770 erfolgte Einrichtung des Münzkabinetts Friedrich Wilhelm Stosch (?1794), dem »Aufseher« des »Medaillen- und Antiquitäten-Cabinets« im Berliner Schloß, oblag, geht die Postierung der Büsten und Statuen auf Matthias Oesterreich zurück.16) Bereits fünf Jahre später hatte man mit gravierenden Feuchtigkeitsschäden zu kämpfen, über die eine Eingabe des Architekten Manger an Friedrich II. vom 9. September 1775 Aufschluß gibt: Der Tempel zu den Antiken im Reh=Garten ist seit seiner Erbauung zu wenig geöffnet worden, als daß sich die Feuchtigkeit der Mauern und des Marmors hätte genugsam vertheilen können. Daher hat sich viele Nässe in die geschaalte Decke gezogen und durch Flecken geäußert. |
Es sind zwar Ventilatoren angebracht worden, da aber dieselben nur in die oberen Theile Luftzug verschaffen und bei näherer Untersuchung sich ergeben hat, daß die Feuchtigkeit würklich schon das Rohr und die Verschaalungsbretter angegriffen, welches deren Herunterfallen befürchten läßt; also habe
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[ich] E. K. M. Allerunterthänigst anzeigen und um Befehl bitten wollen, ob die Deckenschälung von Neuem gemacht und außer den jetzigen Thüren noch ein paar eiserne Gitterflügel angebracht werden sollen, damit erstere von Zeit zu Zeit aufgemacht und der Luftzug zur Austrocknung befördert werden könne.17)
Infolge der beim aufgeklärten Bürgertum herangereiften Auffassung, daß Kunstwerke nicht mehr nur Privatbesitz des Monarchen seien, sondern Gemeingut, erließ Friedrich Wilhelm III. (17701840, König ab 1797) am 1. September 1798 folgende Kabinettsorder an seinen Hofmarschall Valentin von Massow (17521817): Mein lieber Hofmarschall v. Massow! Da Ich zur Beförderung des Studiums der Alterthümer und der Kunst beschlossen habe, die Sammlung der Medaillen und Antiken im Antiken-Tempel zu Potsdam mit den ähnlichen Sammlungen in Berlin zu vereinigen, und der Akademie der Wissenschaften anzuvertrauen, so authorisire Ich Euch, die erstere an den (Jean) Henry (17611831; seit 1794 Direktor der Kunstkammer im Berliner Schloß), der von der Akademie zur Empfangnahme den Auftrag erhalten hat, verabfolgen zu lassen und verbleibe Euer wohlaffectionirter König.18) Insgesamt wurden 4369 Gemmen und Kameen (die Gipsabgüsse der Gemmen nicht mitgerechnet), 9260 Gold-, Silber- und Kupfermünzen in 310 Kästchen, einige Bücher der archäologischen Bibliothek Friedrichs II. sowie 48 Altertümer (Marmor-, Terrakotta- und Bronzereliefs, | zwei Wandfresken und das besagte Nilmosaikfragment) nach Berlin in die Kunstkammer des Schlosses restituiert.19) Drei Jahre später, 1801, wurden 449 weitere Altertümer (Skulpturen, Büsten, Kleinbronzen, Keramik, Gläser, Lampen, Aegyptiaca u. a. m.) nach Berlin abgezogen.20) Mit diesen Rückführungsaktionen war dem Museumsbau in Potsdam-Sanssouci der erste Todesstoß versetzt worden; der zweite erfolgte im Mai 1828, als man mit Ausnahme des Reiterreliefs alle übrigen Kunstwerke (die 10 Lykomedesfiguren und die 50 Büsten aus der Rotunde) an das von Schinkel neu erbaute Berliner Museum am Lustgarten abgab bzw. die dafür nicht verwendbaren Skulpturen und Postamente auf die königlichen Schlösser verteilte. Die Polignacschen Lykomedesfiguren waren noch vor ihrer Präsentation in Schinkels Museum, das seine Pforten am 3. August 1830 öffnete, gründlich in der Werkstatt des Bildhauers Christian Daniel Rauch (17771857) restauriert worden.21) In den leergeräumten Antikentempel hielt nunmehr Rauchs Zweitfassung des bekannten Sarkophages der Königin Luise Einzug, die hier am 19. Juli 1828, zum 18. Todestag der beliebten Regentin, feierlich enthüllt wurde. Seit dieser Zeit bis hin zu der von Kaiser Wilhelm II. (18591941, Kaiser von 18881918) angeordneten Überführung des Rauchschen Luisen-Grabmals in das Berliner Hohenzollern- Museum (vormals Schloß Monbijou) im | ||
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Deckenmalerei der Rotunde (Ausschnitt), gezeichnet von Harald Sill | |||
Herbst 1904 diente der Antikentempel als Mausoleum.
Acht erhaltene Entwürfe des Hofarchitekten Ernst Eberhard von Ihne (18481917) aus den Jahren 1905 und 1913 bezeugen das Vorhaben, den friderizianischen Profanbau in einen wilhelminischen Sakralbau zu verwandeln.22) Das I-Tüpfelchen setzte dem Ganzen die Kaiserin Auguste Viktoria (18581921) auf, indem sie 1916 die Rotunde mit Hilfe des Hofgärtners Georg Potente | (18761945) gärtnerisch ausschmücken und hier bis 1918 Gottesdienste abhalten ließ. Diesen rührseligen Aktionismus hat die Diakonisse Jenny Gräfin Keller in einer Zeichnung festgehalten.23) Wegen der »verhältnismäßig großen Kosten« sind die Entwürfe von Ihne glücklicherweise nicht in die Tat umgesetzt worden und ebensowenig die des Architekten Albert Geyer (18461938). Dieser hatte im August 1918 den Auftrag erhalten, »den Antikentempel zu einer Grabstätte für | ||
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die Kaiserlichen Herrschaften herzurichten.«24) Der kaiserliche Auftrag war wenig originell, da er nichts weiter als eine Wiederholung des Mausoleumgedankens Friedrich Wilhelms III. darstellte. Am 21. April 1921 wurde die Kaiserin Auguste Viktoria im Antikentempel beigesetzt. Derzeit stehen hier neben dem Marmorsarkophag der Kaiserin vier schlichte Särge der Hohenzollernprinzen Joachim (18901920), Wilhelm (19061940) und Eitel Friedrich von Preußen (18831942) sowie der Prinzessin Hermine von Preußen (18871947); ferner eine 1904 (!) von dem Bildhauer Carl Begas (18451916) geschaffene marmorne Porträtstatue der Auguste Viktoria und eine Verkleinerung der Rauchschen Nike (sogenannte Kranzwerferin).25)
Von der reichen Antikensammlung hat sich in situ nur das marmorne Reiterrelief in alter, rokokozeitlicher Goldrahmung über der Eingangstür erhalten. Das rechteckige | Relief hat eine Höhe von 1,25 Metern; die Breite beträgt 0,95 Meter. Es stammt aus der Sammlung Polignac, die Friedrich II. 1742 zum Preis von 20 000 Talern erwarb. Am 17.Juli 1742 wurde in Paris der Kaufkontrakt unterschrieben, und am 15. November desselben Jahres teilte Friedrich sichtlich erleichtert Voltaire mit: Die Antikensammlung des Kardinals de Polignac ist im sicheren Port [Berlin] angelangt, ohne daß die Statuen den geringsten Schaden genommen hätten.26) Wo genau Friedrich das Reiterrelief 28 Jahre lang deponieren ließ, bevor es 1770 seine dekorative Verwendung in der Rotunde des Antikentempels fand, ist nicht überliefert; vermutlich wurde es im Schloß Charlottenburg oder in der Kunstkammer des Berliner Schlosses zwischengelagert. Matthias Oesterreich, der »auf Befehl Sr. Majestät« mit der Aufstellung der Statuen und Büsten im Antikentempel betraut worden war, beschreibt es wie folgt: Der Kaiser Trajanus zu Pferde, in Hautrelief, 4 Fuß | ||
Reiterrelieffragment, gezeichnet 1729 von Pietro Leone Ghezzi | |||
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Original ohne Ergänzung
2 Zoll hoch, und 3Fuß 1 Zoll breit. Römische Arbeit vom ersten Range, von Cararischem Marmor. Dieses schöne Stück stehet über einer Thüre des Einganges in den Tempel, woselbst es eine gar vortrefliche Wirkung macht, und ist 1736 in den Ruinen des Caracalla zu Rom gefunden worden.27) Oesterreichs Angabe, daß das Relief 1736 in den Ruinen des Caracalla zu Rom gefunden worden sei, womit zweifellos die Caracallathermen gemeint sind, entbehrt jeder Grundlage. Denn nachweislich hat der Diplomat und Kunstsammler Polignac nur von 1724 bis 1732, während seiner Zeit als französischer Gesandter bei der Kurie in Rom, in und um Rom archäologische |
Ausgrabungen vornehmen lassen bzw. Antiken erworben. Die Ausbeute von über 300 Skulpturen ließ er nach Paris überführen und dort in seinem Palais aufstellen.28) Ferner besitzen wir ein authentisches Zeugnis, aus dem der exakte Zeitpunkt der Entdeckung und die Provenienz des Reiterreliefs klar hervorgehen. Es handelt sich hierbei um eine Zeichnung des mit Oesterreich befreundeten Malers und Karikaturisten Pietro Leone Ghezzi (16741755), die in der Vatikanischen Bibliothek zu Rom aufbewahrt wird und 1971 von Lucia Guerrini publiziert wurde.29) Auf den oberen Teil des kleinen quadratischen Blattes notierte Ghezzi: Questo Bassirilievo fu ritrovato nella cava che faceva l'em[inentissim]o Cardinale di Polignachi da torre di mezza Via di Frascati per andare a Grottaferrata il di 15 maggio 1729, e presenta[mente] Lo possiede il d[ett]o Porporato ... (Dieses Flachrelief wurde bei der Ausgrabung, die der hochwürdigste Kardinal Polignac bei Torre di Mezza Via di Frascati, wenn man nach Grottaferrata geht, durchführte, am 15. Mai 1729 gefunden, und gegenwärtig besitzt es der besagte Kardinal).
Während Lucia Guerrini der Verbleib des bei Frascati, dem antiken Tusculum, entdeckten Relieffragmentes noch gänzlich unbekannt war, gelang 1980 dem Archäologen Gerald Heres die Identifizierung von Zeichnung und Original. Heres datierte das Reiterrelief in »trajanisch- hadrianische Zeit«.30) | ||
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Seine ikonographische Parallele findet es unter anderem in dem 1992 für die Berliner Antikensammlung angekauften Reiterrelief Giustiniani.31) Was die antiquarischen Details anlangt, insbesondere das Pferdezaumzeug mit seinen alternierenden blatt- und lunulaförmigen Schmuckanhängern, so begegnen uns diese auch auf den Sockelbzw. Nebenseitenreliefs der Ehrensäule für den Kaiser Antoninus Pius (reg. 138161 n. Chr.) in Rom. Nicht ganz auszuschließen ist, daß es sich bei dem Potsdamer Relief möglicherweise um eine Fälschung handelt. Friedrichs Antikensammlung ist bekannt dafür, daß sie einen hohen Anteil an stark ergänzten und gefälschten Skulpturen aufweist. Auch ist die Provenienzangabe bei Ghezzi und Oesterreich kein zwingendes Argument für die Echtheit, zumal das Markenzeichen »Sammlung Polignac« den Verkaufswert der begehrten Stücke ungemein steigerte. Einen Großteil der ehemals Polignacschen Altertümer hat der Bildhauer Lambert Sigismund Adam (17001759) noch in Rom restauriert. Ob er auch für die recht geschickten Ergänzungen des Potsdamer Reiterreliefs, sprich den lorbeerbekränzten Reiterkopf, die Ohren und Beine des muskulösen Hengstes sowie einen Teil des Zügels und die Basis, verantwortlich zeichnet, ist unbekannt. Denkbar wäre auch, daß solche erst in Potsdam vorgenommen wurden. Der Reiter, der durch nichts als römischer Herrscher ausgewiesen ist, trägt die Reitertoga und Patrizierstiefel. |
Ein stolaartiger Teil der über die linke Schulter drapierten Toga fällt auf den rechten Oberschenkel herab und überschneidet die mit Fransen gesäumte Satteldecke. Während seine linke Hand den Zügel umklammert, hält die rechte ein vegetabiles Gebilde, vermutlich den Rest eines Kranzes. Durch die (ergänzte) Zutat einer mehrfach profilierten Basis mit aufliegender Bodenwelle im Sinne einer Landschaftsandeutung wird der Reiter eindeutig zum heroisierten Reiterdenkmal stilisiert.32) Sollte das Relief tatsächlich antik sein eine genauere Untersuchung steht noch aus so dürfte es sich am ehesten um den Rest eines stadtrömischen Grab- oder Staatsreliefs der Zeit um 175 n. Chr. handeln.
Als »Kaiser Trajanus« (reg. 98117 n. Chr.) wurde die Figur zuerst von Matthias Oesterreich angesprochen. Diese gewollte Interpretation war freilich erst möglich durch die Ergänzung eines nachträglich aufgesetzten Kopfes, dessen Physiognomie sich trotz mancherlei Abweichung an das Trajansporträt anlehnt.33) Eine relative Übereinstimmung mit dem Trajansporträt besteht vor allem in der bildhauerischen Wiedergabe der schlichten, glattgekämmten Haarsträhnen vor dem rechten Ohr, der ausgeprägten Nasolabialfalten, der kontrahierten Brauen und des zusammengepreßten Mundes. Insbesondere der Lorbeerkranz als Zeichen des Siegers erlaubt es, in dem Relief eine Huldigung für Friedrich selbst zu sehen, | ||
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den Algarotti mit dem großen römischen Kaiser, dem Kriegshelden und Freund der Künste, zu vergleichen pflegte.34)
Im Zusammenhang mit der Umgestaltung des Antikentempels zur Ruhestätte der Kaiserin Auguste Viktoria ist das Reiterrelief 1922 »durch eine in Marmorfarbe gehaltene Bretterverschalung verdeckt worden.«35) Erst in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre wurde es wieder »freigelegt«.36) Daß das Relief für so lange Zeit in Vergessenheit geriet, hängt zweifellos mit der abgeschiedenen Lage des für die Öffentlichkeit unzugänglichen Antikentempels zusammen. Zu Friedrichs Zeiten war der freie Zutritt jedenfalls kein Problem: Wer ... den Antikentempel zu sehen wünscht, heißt es bei Friedrich Nicolai, meldet sich bey dem Kastellan des neuen Schlosses Hrn. Reichenbach.37) Der späterhin zum Oberkastellan beförderte Friedrich Wilhelm Reichenbach (17691852) hat im übrigen dieses Amt nicht nur »noch 1826«38), sondern bis zu seinem Tode ausgeübt. Sanssouci könnte um eine Attraktion reicher sein, wenn es den wilhelminischen Ballast pietätvoll aus dem Antikentempel herausnähme und den architektonisch wertvollen Museumsbau z. B. in einen ansehnlichen Ausstellungsort friderizianischer Sammlungsgeschichte verwandeln würde. Der bedrohlich desolate Zustand der Außen- und Innenarchitektur macht ohnehin eine baldige Restaurierung dringend erforderlich, gemäß dem schönen Satz: |
Das gemeinsame Bemühen aller Mitarbeiter der Staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam- Sanssouci ist es, die Gebäude mit ihren historischen Ausstattungen und die Parkanlagen verantwortungsbewußt zu pflegen und zu bewahren. Sie sehen ihre Aufgabe darin, den Besuchern aus aller Welt Bildung und Erholung in ausgewogener Form zu vermitteln.39)
Quellen und Anmerkungen:
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Relieffigur des »Trajan«
6 Dazu ausführlich Huberta und Gerald Heres, Achill unter den Töchtern des Lykomedes. Zur Geschichte einer Statuengruppe, in: Forschungen und Berichte, Bd. 21, Berlin 1980, S. 105 ff.
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10 Vgl. Matthias Oesterreich, a. a. O., S. 76 ff., Nr. 478483. Ausführlich zum heute in der ntikensammlung des Pergamonmuseums aufbewahrten Nilmosaikfragment: Irmgard Kriseleit, Antike Mosaiken, Berlin 1985, S. 38 ff. Nr. 11 it Farbabb. auf S. 71
11 Vgl. Gerald Heres, a. a. O., S. 122 ff., Verzeichnisse von 1798 und 1801 12 So Detlev Kreikenbom, in: Wilhelmine nd Friedrich II. und die Antiken, a. a. O., S. 75 13 Vgl. Willy Kurth, Sanssouci, Berlin 1968, Abb. auf S. 24 14 So Horst Drescher, a. a. O., S. 168; vgl. auch Antje Adler, Der Antikentempel, in: Potsdamer Schlösser und Gärten, Ausstellungskatalog, Berlin 1993, S. 137 f. 15 Vgl. dazu die Beiträge von Hans-Dietrich Schultz und Huberta Heres, in: Friedrich II. und die Kunst, Ausstellungskatalog, Potsdam 1986, S. 74 ff. 16 Matthias Oesterreich, a. a. O., S. 66: »Die geschnittenen Steine und die Medaillen, sind von Herrn Stosch, Königlichen Hofrath und Bibliothecarius in Berlin, arrangirt. Die Buesten und Statuen aber habe ich, auf Befehl Sr. Majestaet, in folgender Ordnung stellen lassen« 17 Louis Schneider, Der Antiken- oder Antiquitäten-Tempel im Park von Sanssouci, in: Mittheilungen des Vereins für die Geschichte Potsdams, Neue Folge 1, Berlin 1875, S. 110 ff., hier S. 117 18 Louis Schneider, a. a. O., S. 118 19 Vgl. Louis Schneider, a. a. O., S. 118, und Gerald Heres, a. a. O., S. 113 und S. 122 f. 20 Vgl. Gerald Heres, a. a. O., S. 124 f., Verzeichnis von 1801 | ||
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21 Vgl. Huberta und Gerald Heres, a. a. O., S. 124 f.
22 Vgl. Antje Adler, a. a. O., S. 308 f. (mit falschen und vertauschten Bildlegenden; die beiden auf S. 309 abgebildeten Entwürfe stammen nicht von Ihne, sondern von Albert Geyer) und S. 310, Nr. III. 3840 23 Abgebildet in: Hans Kania, Der Antiken=Tempel in Sanssouci, die Ruhestätte der Kaiserin, Potsdam 1922, S. 11 24 Albert Geyer, Der Antikentempel im Park Sanssouci bei Potsdam, in: Denkmalpflege und Heimatschutz, Heft 7, Berlin 1924, S. 89 ff., hier S. 95 25 Vgl. Sibylle Einholz und Jutta von Simson, in: Ethos und Pathos. Die Berliner Bildhauerschule 1786-1914, hrsg. von Peter Bloch u. a., Ausstellungskatalog, Berlin 1990, S. 25 f., Nr. 12 bzw. S. 230 f., Nr. 193 26 Zitiert nach Hans Pleschinski (Hrsg.), Aus dem Briefwechsel Voltaire- Friedrich der Große, Zürich 1993, S. 259 f., Nr. 92 27 Matthias Oesterreich, a. a. O., S. 76, Nr. 477 28 Vgl. Huberta und Gerald Heres, a. a. O., S. 105 ff. und Astrid Dostert, in: Thomas Weiss (Hrsg.), Von der Schönheit weissen Marmors, Mainz 1999, S. 35 ff. 29 Lucia Guerrini, Marmi antichi nei disegni di Pier Leone Ghezzi, Vatikanstadt 1971, S. 86, Nr. 48 mit Tafel 33,2. Vgl. auch Eva Hofstetter-Dolega, Die Ausgrabungen oder woher stammen die Antiken? In: Römische Antikensammlungen im 18. Jahrhundert, Mainz 1998, S. 67 ff., hier S. 70 f. mit Abb. 8 sowie Astrid Dostert, a. a. O., S. 40 30 Vgl. Huberta und Gerald Heres, a. a. O., S. 107 mit Anm. 10 und S. 144 31 Vgl. Wolf-Dieter Heilmeyer, Das Reiterrelief Giustiniani in Berlin, Mainz 1996 (= Trierer Winckelmannprogramme, Heft 14) |
32 An der unteren Marmorleiste der Basis kleben links und rechts alte Inventarschildchen aus Papier mit der Nr. »III 545« (?)
33 Vgl. dazu Marc Aurel und seine Zeit, hrsg. von Klaus Stemmer, Ausstellungskatalog, Berlin 1988, S. 4, Nr. A 2 34 Hans Kania, a. a. O., S. 8 35 Ebenda, S. 8 36 Vgl. Huberta und Gerald Heres, a. a. O., S. 107, Anm. 10 37 Friedrich Nicolai, Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam, Berlin 1786, S. 1245 38 Detlev Kreikenbom, a. a. O., S. 97, Anm. 265. Vgl. auch Beschreibung von Sans-Souci, dem Neuen Palais und Charlottenhof mit Umgebungen ..., Potsdam 1850, S. 40. Reichenbach wohnte im Kastellanhaus hinter dem Neuen Palais, nördlich der Communs. Er wurde 1852 auf dem Friedhof in Bornstedt beigesetzt; seine Grabstätte ist nicht mehr erhalten 39 Hans Hoffmann, Schloß Charlottenhof und die Römischen Bäder, Potsdam 1985, S. 75 Für die Erlaubnis, das Reiterrelief fotografieren zu dürfen, dankt der Verfasser dem Direktor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Prof. Dr. Burkhardt Göres. Bildquellen:
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 1/2000
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