53   Novitäten Volljährig mit achtzehn  
Horst Wagner
1. Januar 1975:
Volljährig nun schon mit achtzehn

Wer im Osten der Stadt aufgewachsen ist, wird sich ob des Datums wundern. War das nicht schon viel früher? In der Tat. Nachdem die Volkskammer im Februar 1950 das Jugendgesetz verabschiedet hatte, trat in der DDR am 15. Mai 1950 die Herabsetzung der Volljährigkeit von 21 auf 18 Jahre in Kraft. In Westberlin geschah das, wie in der ganzen Bundesrepublik, knapp 25 Jahre später: am 1. Januar 1975. »Hurra, jetzt können wir heiraten«, überschrieb die im Ullsteinverlag erscheinende »BZ« am nächsten Morgen ihren kleinen Bildbericht über zwei Berliner Pärchen, die »das neue Jahr herbeisehnten, weil es ein Gesetz bringt, welches ihnen das Tor zum Glück öffnet«. Eines der beiden Paare: die 20jährige Kindererzieherin Gisela Sabow und der gleichaltrige Rohrleger Wolfgang Bönicke aus Friedenau, Eltern eines sechs Monate alten Mädchens, die gleich den erstmöglichen Termin für die Trauung, Freitag den 3. Januar, genommen hatten.
     »Der Tagesspiegel« informierte am folgenden Sonntag auf seiner Jugendseite ausführlich über das neue Gesetz, das rund 2,5 Millionen Jugendliche betreffe.

Außer der Ehemündigkeit beinhalte es die volle Geschäftsfähigkeit (bisher galten Verträge nur mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters), die freie, vom elterlichen Willen unabhängige Verfügung über Ausbildung, Arbeitsplatz und Wohnort sowie neben dem auch bisher schon ab 18 gewährten aktiven Wahlrecht auch das sogenannte passive, d. h. die Möglichkeit, ab 18 als Abgeordneter gewählt zu werden.
     Außerdem bedeute das neue Gesetz das „Ende der väterlichen Gewalt". Das Blatt zitierte zu diesem Punkt aus einem Faltblatt des zuständigen Ministeriums: »Mit 18 werden Sie gleichberechtigter Partner Ihrer Eltern ... Niemand kann Sie mehr zu etwas zwingen, was Sie nicht für richtig halten.« Das neue Gesetz sei nicht unumstritten gewesen, räumte der »Tagesspiegel« ein. Eine »reine Wohltat« sei es wohl nur für die Wirtschaft, die nunmehr mit neuen Kauf- oder Bankkunden rechnen könne. Ein Hauptargument für die nun früher einsetzende Volljährigkeit sei gewesen: »Warum soll ein 18jähriger, dem bei der Bundeswehr sogar ein Panzer von Millionenwert anvertraut wird, nicht auch zum Kauf eines Autos einen Wechsel über ein paar Tausend Mark ausstellen dürfen?« Ohnehin hinke das neue Gesetz weitgehend hinter den Realitäten her, denn rund 80 Prozent der Jugendlichen zwischen 18 und 21 hätten bereits ein eigenes Einkommen.

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 1/2000
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