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André Franik
29. Januar 1917:
Das Postscheckamt Dorotheenstraße/ Reichstagsufer wird eröffnet

Die Eröffnung des neuen Postscheckamtes in Berlin-Mitte war nach vierjähriger Bauzeit ein bedeutendes Datum der Geschichte des Kommunikationswesens der Reichshauptstadt.
     Auf den Grundmauern der von 1886 bis 1913 hier betriebenen Markthalle IV war seit 1913 durch die Kaiserliche Oberpostdirektion ein neues Postamt gebaut worden, das den 1909 im Deutschen Reich eingeführten Postscheckverkehr in Berlin verwalten sollte. Zunächst übernahm das 1906 gebaute Postamt NW 7 in der Dorotheenstraße 23–24 (seit 1911 Nr. 18, erhalten) den Postscheckverkehr für Berlin und die Postbezirke Potsdam, Frankfurt/ Oder, Magdeburg und Stettin; die rasch anwachsende Zahl von Teilnehmern am neuen Zahlungssystem führte bald zu großen Raumproblemen und erforderte ein neues Gebäude, da der Erwerb der direkt angrenzenden Grundstücke nicht zu realisieren war. Der Vertrag

zwischen dem Magistrat und der Kaiserlichen Reichspost sah einen Kaufpreis von 3811740 Mark vor, der in vier Raten zu zahlen war, und regelte die Schließung der Markthalle zum 31. März 1913 und der beiden Verkaufsplätze der Werderschen Obstzüchter am Reichstagsufer »nicht vor dem 1. Juli 1915«. Die Grundstücke Dorotheenstraße 22 (Hotel »Prinz Heinrich«), Dorotheenstraße 24 und Dorotheenstraße 25 erwarb die Oberpostdirektion zwischen Mai 1915 und Juli 1916. Die Bauleitung wurde dem Regierungsbaumeister Alfred Lempp aus Berlin übertragen, am 17. Juli 1913 begannen die Neubauarbeiten. Das ehemalige Markthallen-Torhaus mit dem repräsentativen Rundbogen wurde nicht abgerissen, sondern nach Abtragung der Seitenflügel wurde die hofseitige Fassade expressionistisch überformt und ein einheitlicher Vorhof vor dem Haupteingang geschaffen. Die Wandflächen des Vorhofes versah man mit einem Edelputz, über dem umgestalteten Torbogen befand sich eine Merkur-Statuette und zwei große Kugelleuchten an bronzenen Wandhaltern dienten der Hofbeleuchtung. Den Haupteingang des viergeschossigen Neubaus charakterisierte ein Portal mit zwei schweren hölzernen Türflügeln, flankiert von zwei dorischen Säulen auf Postamenten auf jeder Seite. Nachdem der Besucher den als Windfang angelegten Eingangsbereich in rechter Richtung durchschritten hatte, befand er sich in einer sehr
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großzügig gestalteten Eingangshalle, die gleichzeitig das Haupttreppenhaus war. Sich über drei Geschosse erstreckend und von einer fünfachsigen Pfeilerarkade bis ins zweite Obergeschoß auf der Eingangsseite durchlaufen, wirkte sie mit ihrem Wandschmuck und der verzierten ovalen Decke leicht theatralisch. Hinter der Eingangshalle befand sich die wichtigste Stelle des Postscheckamtes: die Schalter- oder Kassenhalle. Vom Grundriß her ein etwa quadratischer Raum mit rund 18 Metern Wandlänge, überdacht mit der in ihrer Zeit für ein Geldinstitut wohl prächtigsten Glaskuppel. Mattweiße und farbige Gläser ließen am Tage warmes Licht in die Schalterhalle, eine leicht ansteigende Ringfläche wies neben den Gläsern noch gläserne Halbkugeln als künstliche Beleuchtung auf, und reflektierende Goldgläser vermittelten auch bei Dunkelheit den Tageslichteffekt. Ein riesiger Reichsadler im Scheitel der Kuppel schloß das Kunstwerk ab. Die Schalter für die Auszahlungen waren wie die anderen Möbel in der Schalterhalle aus gebeiztem Eichenholz oder Eichenfurnier hergestellt. Der Mittelflügel war für das Publikum einsehbar, obwohl sich hier die Geldannahme mit einem Tresorraum befand. Im Erdgeschoß des Westflügels befand sich die Druckerei, im Ostflügel die Schriftwechselstelle.
     In den oberen Etagen waren weitere Diensträume untergebracht. Im West- und im Ostflügel um den südlichen Hof befanden
sich Einzelbüros, wie die Büros des Postdirektors und der Kanzlei im 1. OG nahe der Treppenhalle. Im Mittelflügel war die Scheckstelle in einem großen Saal untergebracht. Im 2. OG aller drei Flügel befanden sich durchgehende Arbeitssäle der Kontostelle. Das 3. OG wies die gleiche Raumkonzeption wie das darunterliegende für die Zahlkartenstelle auf. Im als Mansardgeschoß gebauten 4. OG war die Gebühren- und Auskunftsstelle zu finden, während diese Etage im Mittelflügel als Aufbewahrungsort für Belege und zur Kleiderablage genutzt wurde. Charakteristisch für alle Räume waren die Bemalungen der Kapitelle und Paneele mit Zacken- und Rautenmotiven. Eine zentrale Warmwasserheizung im Keller des Mittelflügels sorgte für Wärme im Postscheckamt.
     Um sich die Bedeutung des Berliner Amtes klarzumachen, muß man die folgenden Zahlen kennen: 1917 wurden insgesamt 181300 Konten mit einem Umsatz von 64 Mrd. Mark in den zehn Postscheckämtern im Deutschen Reich geführt, das Amt in der Dorotheenstraße verwaltete davon allein 34400 Konten mit einem Umsatz von 20 Mrd. Mark. Mit der Bearbeitung der pro Tag eingehenden 20000 Briefe mit Zahlkarten und anderen Überweisungs- Formularen waren etwa 1.300 Arbeitskräfte betraut, davon rund 1000 weibliche.
     Da durch den Krieg Verzögerungen im Abschluß der laufenden Bauarbeiten und
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Neubau Postscheckamt, von links: Vorderhaus Dorotheenstraße 23, Zwischenhof mit Haupteingang, Eingangs- und Treppenhalle, Schalterhalle mit Glaskuppel, Mittelflügel mit Tresorraum
beim Beginn des Neubaues zum Reichstagsufer auftraten, konnten die Werderschen Obstbauern ihre beiden Verkaufsplätze am Reichstagsufer 12 und 14 schließlich bis Dezember 1917 nutzen, ehe sie einen neuen Platz beziehen mußten. Die Bauarbeiten am Erweiterungsbau begannen Ende 1920 und dauerten bis Anfang Oktober 1923. Auch hier wurde wie schon beim ersten Neubau die alte Markthallenunterkellerung verwendet und ausgebaut. Im Unterschied zum südlichen Bauteil wurde der Erweiterungsbau mit fünf Hauptgeschossen plus zwei Dachgeschosssen errichtet, wobei diese nur von der anderen Seite des Spreeufers als solche erschienen. Im obersten Dachgeschoß, das zum nördlichen Hof hin Spitzgauben aufwies, war die Mechanikerwerkstatt untergebracht. Ebenfalls im Unterschied zum ersten Baukomplex befanden sich im Neubau keine Räume für das Publikum, sondern die Geschosse waren grundsätzlich als große Arbeitssäle eingerichtet, teilweise durch hölzerne Trennwände mit Oberlicht geteilt. Im Rahmen dieser Baumaßnahmen wurde auch der Mittelflügel um ein Geschoß aufgestockt. Im Jahre 1934 wurden im Reich bereits über eine Million Postscheckkonten geführt, in Berlin allein 169.000. Nachdem im September 1943 die benachbarte ,Loge Royale York` von Schlüter bereits schwer durch Luftangriffe beschädigt worden war, wurden im
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Januar 1944 auch der Dachstuhl des Erweiterungsbaues sowie das Vorderhaus und die Nr. 24 in der Dorotheenstraße ein Opfer der Flammen. Auch die Glaskuppel der Schalterhalle wurde in dieser Zeit beschädigt und konnte nur notdürftig repariert werden. Letztendlich waren die Schäden am Hauptgebäude vergleichsweise gering, so daß der Postscheckverkehr ab dem 25. Juli 1945 wieder aufgenommen werden konnte; die alten Vordrucke behielten ihre Gültigkeit, Guthaben durften aber nicht angetastet werden. Nach der Währungsreform verlor das Postscheckamt seine Bedeutung für ganz Berlin. Nachdem in den Jahren 1951 bis 1953 einige bauliche Veränderungen das äußere Erscheinungsbild des Postscheckamtes zur Dorotheenstraße beeinträchtigten, fanden die gravierendsten Eingriffe in die Innenarchitektur seit 1970 statt. Die Gesetzesnovelle zur Regelung des Zahlungsverkehrs von 1963 führte zu einer verstärkten Nutzung des Postscheckverkehrs und deren zunehmenden Automatisierung. In West-Berlin wurde 1972 im neuen Postscheckamt West am Halleschen Ufer das elektronische Buchungsverfahren eingeführt, im alten Postscheckamt wurde seit 1970 in der früheren Schalterhalle eine Rechneranlage für die elektronische Datenverarbeitung eingebaut. Dabei wurde die letzte Altsubstanz vernichtet, auch die Eingangs- und Treppenhalle wurde in ihrer Substanz schwer geschädigt. Durch die Automatisierung waren für den Postscheckverkehr 1988 nur noch 297 Mitarbeiter notwendig. Nach dem Ende der Nutzung des Gebäudes durch die Deutsche Post AG bis 1996 erfolgte eine grundlegende Sanierung und Neukonzeption des Raumangebotes, um dem Presse- und Informationsamt der Bundesregierung angemessene Räumlichkeiten zu bieten.

Bildquelle: Berliner Architekturwelt 1918

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 1/2000
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