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Gardeleutnant Hubert von Meyerinck (1827–1900), Teilnehmer am Barrikadenkampf in der Königstraße, informiert, daß Gardefüsiliere unter Hauptmann von Puttkammer und Leutnant von Studnitz gewaltsam in das Restaurant Rosch eindrangen. Der Wirt und der Kellner beklagten sich kurz danach bei Meyerinck voller Zorn, »daß die Soldaten ihre unschuldigen Gäste totgeschossen hätten«.
     Er erklärt: »Im zweiten Zimmer lag ein Mann unter dem Billard, der durch einen Schuß in den Kopf getötet war.«2) Nach R. Stratz betrat ein Unteroffizier das Zimmer, als der tödlich verletzte »Doktor Heyne, Schwager des Bankiers Mendelsohn aus Berlin«, noch lebte, doch sei er kurz darauf verschieden.3)
     Nach diesen Berichten bleibt ungewiß, ob Gotthold Heine von den in das Restaurant eindringenden Offizieren und Soldaten oder von den Schützen getroffen wurde, die unmittelbar vor dem Angriff, etwa um 17 Uhr, die Fenster des Eckhauses gezielt beschossen. Und wenn er am Fenster tödlich getroffen wurde, bleibt offen, ob er als Gast und aus Neugier oder als am Kampf Beteiligter den Tod fand.
     In einem Nachruf von 1850 wird Heine lediglich mit einem Hinweis auf seine »Beiträge zur Geschichte im Zeitalter der Reformation aus spanischen und portugiesischen Archiven« sowie als Verfasser mehrerer wertvoller Abhandlungen über die
Heinz Warnecke
In der ersten Reihe bestattet

Bisher kaum gewürdigt: Der Märzgefallene Gotthold Heine

Der aus Berlin stammende Historiker Gotthold Heine (1820–1848), wohnhaft in der Kochstraße 58, wurde am 22. März 1848 in der gemeinsamen Beisetzungsstelle der Revolutionsopfer des Volkes im Friedrichshain in der ersten Reihe als Erster bestattet. Teilnehmer am Barrikadenkampf in der Königstraße (heute Rathausstraße) berichten, daß Heine kurz nach der Eroberung der ersten Barrikade in der KönigEcke Postbzw. Heilig- Geist- Straße im Restaurant Rosch in der Poststr. 2 in der ersten Etage kurz nach 17 Uhr einer Kopfschußwunde erlag.
     Der Student Paul Boerner (1825–1885), der zur gleichen Zeit in einem Haus der Heilig- Geist- Straße am Kampfgeschehen teilnahm, erfuhr, daß in dem »bekannten großen Speisehause von Rosch und dem gegenüberliegenden Eck-Hause des nicht minder bekannten Major Preuß entsetzlich gewütet worden war. Dort hatte man einen fremden, durchaus unbeteiligten Gast am Billard niedergeschossen ...«1)

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Geschichtswissenschaft in Spanien und Portugal gewürdigt.4)
     Unerwähnt bleiben zwei wichtige Druckwerke: die Veröffentlichung der Briefe des katholischen Würdenträgers Garcia de Loaysa, Beichtvater, an Kaiser Karl V. aus den Jahren 1530–15325) und die Veröffentlichung von Dokumenten aus der Zeit der Herrschaft der Goten und Araber in Spanien unter dem Titel »Monumenta regni gothorum et arabum in hispaniis.«6) Beide Bücher erschienen 1848. Bis in die Gegenwart wirken diese Arbeiten des Historikers Heine fort, 1862 unter dem Titel »Dokumente zur Geschichte Karls V., Philipp des II. und seiner Zeit aus spanischen Archiven herausgegeben«. Zuletzt wurden sie 1967 neu aufgelegt.7)
     Von Heines Leben ist soviel zu erfahren, daß er einer wohlhabenden Familie angehörte, seine Schwester Albertine mit einem Mitglied der Berliner Bankierfamilie Mendelssohn verheiratet war, sein Bruder als Professor in Halle wirkte. Gotthold W. Heine wird im Berliner Einwohnerverzeichnis als Privatgelehrter und Gutsbesitzer geführt.
     Im Jahre 1847 kehrte Heine nach mehrjährigem Studienaufenthalt in Archiven spanischer und portugiesischer Klöster sowie im spanischen Staatsarchiv nach Berlin zurück.
     Bereits vor seiner Rückkehr hatte er durch eine erste Veröffentlichung von Dokumenten zur europäischen und deutschen Geschichte des politischen Lebens und der Katholischen
Kirche in der Zeit der Reformation auf sich aufmerksam gemacht. Zunächst mit seinem Beitrag in der vom Berliner Professor Wilhelm Adolf Schmidt (1812–1887) herausgegebenen »Allgemeinen Zeitschrift für Geschichte«: »Die Wahl Maximilians zum Römischen König oder Vereitelung der Successionsentwürfe Karls des Fünften.«8)
     Er enthüllt hier die damaligen Kämpfe um politische und weltliche Macht in Europa.
     Dem Beitrag war 1846, im Oktoberheft der Geschichtszeitschrift, auf der Umschlagseite die Ankündigung »Dr. G. Heine, Madrid« als einer der etwa hundert Mitwirkenden vorangegangen. Unter ihnen so bekannte Historiker und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie Jacob und Wilhelm Grimm, August Böckh, Ernst Moritz Arndt. In einem zweiten Beitrag, »Über den gegenwärtigen Zustand der Geschichtswissenschaft in Spanien und Portugal«9), spricht Heine seine Grundhaltung ausdrücklich aus, »Ergreifen eines freien Standpunktes, eines wirklichen Fortschrittes« in seiner Zeit. Die Einschätzung der Geschichtsbeiträge von portugiesischen und spanischen Autoren beschließt er nicht nur mit anerkennenden, sondern auch mit kritischen Worten, letztere an den Autor einer eben veröffentlichten Geschichte Spaniens. Fehler und Irrtümer solle er künftig durch Heranziehen der Beiträge spanischer Historiker vermeiden.
     Die Vorworte zu den beiden genannten Büchern Heines von 1848 würdigen die Bedeu-
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tung der Dokumente aus spanischen und portugiesischen Archiven für die Erforschung der Geschichte der Völker und Staaten wie der Kirchen- und Reformationsgeschichte in Europa. Die Veröffentlichung der Dokumente zur Herrschaft der Goten und der Araber in Spanien ist dem Engagement des Leipziger Verlegers Theodor Oswald Weigel (1812–1881) zu danken. Um die Veröffentlichung der Dokumente zur Geschichte Karls V., Philipp II. und seiner Zeit hat sich Ignaz von Döllinger (1799–1890), zeitgenössischer Kirchenhistoriker, Autor einer mehrbändigen Reformationsgeschichte (1846–48), verdient gemacht. Die Versicherung, die Dokumente vollzählig und ungekürzt zu veröffentlichen, bewog den Bruder in Halle, die Papiere zum Druck freizugeben.10)
     Die Bedeutung der von Heine entdeckten und 1848 posthum veröffentlichten Urkunden war erheblich. Die Dokumente erinnerten die in der europaweiten Demokratie- und Freiheitsbewegung engagierten Frauen und Männer an die ebenfalls auf freien Standpunkt und Fortschritt der Völker und Staaten Europas gerichtete Reformationsbewegung. Der junge Historiker Gotthold Heine war, insofern er in der geistigen Bewegung seiner Zeit mitwirkte, bei den Berliner Revolutionsereignissen am 18. März kein unbeteiligter Gast. Er ist – ob er am Barrikadenkampf aktiv teilnahm oder nicht – als Historiker und Märzgefallener bleibender Erinnerung wert.
Quellen:
1     Paul Boerner, Erinnerungen eines Revolutionärs, Bd. I., S. 143
2     Hubert v. Meyerinck, Die Straßenkämpfe in Berlin am 18. und 19. März, Leipzig 1911, S. 27/28
3     Rudolph Stratz, Die Februarrevolution und ihre nächsten Folgen, Heidelberg 1869, S. 232
4     Neuer Nekrolog der Deutschen, 26. Jahrgang 1848, Zweiter Teil, Weimar 1850, S. 1041
5     Gotthold Heine, Briefe an Karl V., geschrieben von seinem Beichtvater Garcia de Loaysa in den Jahren 1530–32, Berlin 1848
6     Gotthold Heine, Monumenta regni gothorum et arabum in hispaniis, Lipsiae 1848
7     Gotthold Heine, Dokumente zur Geschichte Karls V., Philipp II. und seiner Zeit aus spanischen Archiven, Regensburg 1862
8     Gotthold Heine, Die Wahl Maximilians zum Römischen König oder Vereitelung der Successionsentwürfe Karls V., Beiträge zur Geschichte im Zeitalter der Reformation aus Spanischen und Portugiesischen Archiven mitgeteilt, I., S. 23/24, in Allgemeine Zeitschrift für Geschichte, Heft 4, 1846
9     Ebenda, S. 358
10     Ignaz von Döllinger, Beiträge zur politischen, kirchlichen und Culturgeschichte der sechs letzten Jahrhunderte; Dokumente zur Geschichte Karls V., Philipp II. und ihrer Zeit, München 1967
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