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jeden Grund brachte der hessische Finanzminister im Länderrat der Bi-Zone im Juli die Überlegung vor, daß die vom Vereinigten Wirtschaftsgebiet aufzubringenden zusätzlichen Gelder für die Bestreitung der nicht gerade geringen Kosten der Luftbrücke ja eigentlich nur dazu dienten, eine politische Aktion der USA gegen die Sowjets zu finanzieren. General Clay – der übrigens schon damals daran strickte, im Widerspruch zu den Tatsachen als »Vater der Luftbrücke« in die Geschichte einzugehen, wozu in Deutschland rituell gewordener Verzicht auf jegliches Hinterfragen seiner Erinnerungen wesentlich beigetragen hat und weiter beiträgt – platzte in einer Sitzung mit den Ministerpräsidenten bzw. Regierenden Bürgermeistern der westzonalen Länder der Kragen, als er das kleinkarierte Gezänk um die Kosten für die Berlin- Hilfe erlebte: »Sind Ihnen die Kosten zu hoch? Wollen Sie damit etwa die Anregung geben, daß sich die alliierten Mächte aus Berlin zurückziehen sollen?« (S. 340) Damit hatte er den wunden Punkt in den Diskrepanzen hinsichtlich der Berlin- Frage zwischen westzonalen Wirtschaftlern und Politikern und den weltpolitisch ausgerichteten Interessen der USA (mit den Briten willig im Schlepptau) direkt angesprochen. Aber welcher westdeutsche Ministerpräsident hätte denn gewagt, angesichts solcher Fragestellung seine wirkliche Meinung zu äußern? Waren doch ebendiese Ministerpräsidenten im Juli von Clay beschimpft worden, sie müßten Idioten oder Kommunisten sein, wenn sie sich nicht auf die verlangten Schritte zum Aufbau eines westdeutschen Teilstaats einlassen würden ... Aber unter der Hand lief doch in der praktischen westdeutschen Politik gegenüber dem »belagerten« Berlin vieles darauf hinaus, die Westberliner Industrie in die Westzonen zu ziehen, statt der immer wieder vom Magistrat geforderten Rohstoffe zur Auslastung der Westberliner Produktionskapazitäten lieber Fertigfabrikate über die Luftbrücke zu liefern und gar mit

Volker Koop
Kein Kampf um Berlin?

Deutsche Politik zur Zeit der Berlin- Blockade 1948/1949

Bouvier Verlag, Bonn 1998

Dieses Buch ist ein echter »Knaller«. Der Autor selbst hat bei der Berliner Präsentation seines Werks mitgeteilt, daß er mit ganz anderen Absichten an die Erforschung und Bewältigung des Themas heranging, als das fertige Endprodukt es vermuten läßt. D. h., er war angetreten in der Überzeugung, die gängigen Stereotype zu Blockade und Luftbrücke zu bedienen und faktenreich mit den bisher zu kurz gekommenen alltäglichen Vorgängen am Boden zu untersetzen, wenn er bis dato noch nicht ausgewertete Archivalien des Verwaltungsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebiets (im Volksmund: angloamerikanische Bi-Zone) und des Berliner Magistrats erschließen würde.
     Zu seinem eigenen Erstaunen sagten aber die Akten etwas ganz anderes aus, als es das hergebrachte Geschichtsbild von der Heldenzeit der Frontstadt West-Berlin im Würgegriff der Sowjet- Machthaber seit Jahrzehnten der Öffentlichkeit vermittelt (und wie es im Jubiläumssommer anläßlich des 50. Jahrestages des Beginns der Luftbrücke vom US-Präsidenten bis zum letzten Lieschen Müller – das in diesem Fall den Namen Mercedes Wild trug – in Berlin unendlich repetiert wurde!).
     Das betrifft zum ersten die Verrenkungen der westzonalen Entscheidungsträger hinsichtlich wirksamer Hilfe für die Westsektoren Berlins. Sie hätten ohne amerikanisch- britischen Druck Berlin nur allzu gern aufgegeben, um den wirtschaftlichen Aufbau der drei Westzonen nicht zu verlangsamen oder gar zu gefährden. Nicht ganz ohne

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dem Gedanken zu spielen, die Westberliner Bevölkerung wenigstens in Teilen nach Westdeutschland umzusiedeln (wobei z. B. der bayerische Ministerpräsident Ehard großzügig nicht an Bayern, sondern an die Französische Zone als Aufnahmegebiet dachte – s. S. 143). Ungeachtet aller äußerlichen Deklarationen – und heutiger Stereotype – gab es darüber hinaus abseits der Großmächtequerelen zwischen deutschen Wirtschaftsspezialisten (auch ausgesprochen politisch ausgewiesenen wie Ludwig Erhard auf der West- und Heinrich Rau auf der Ostseite) stillschweigende Übereinkunft, daß im Interesse des Wirtschaftslebens in Deutschland rigorose Anordnungen der Besatzungsmächte enthärtet werden konnten (S. 236 f.).
     Der deutsche Kfz.- Besitzer verdankt übrigens der damaligen Finanzierungsaktion des Verwaltungsrates der Bi-Zone (seit 1. August 1948 Tri-Zone) zugunsten Berlins und der Luftbrücke bis zum heutigen Tag die in der Welt einmalige Doppelbelastung mit Kfz.- Steuer und Kraftstoff- Steuer. Letztere wurde als Sondersteuer für die Finanzierung der Luftbrücke beschlossen und wäre nach deren Ende wieder abzuschaffen gewesen (S. 86 f.).
     Zweitens weist Koop nach: Die Berliner Westsektoren waren gar nicht in dem Maße »im Würgegriff«, wie es eine vom amerikanischen Außenministerium schon etliche Tage vor der Blockade in internen Schreiben an die US-Botschaften als Propagandalinie vorgegeben hatte (vgl. dazu »Foreign Relations of the US« for 1948, T. II /Germany and Austria/, S. 911). Die Wirtschaftsverbindungen mit der die Westsektoren umgebenden Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) funktionierten während der Blockadezeit weiter, und zwar so gut, daß im Oktober 1948 der Anteil der über die Luftbrücke und sonstwie aus dem Westen bezogenen Rohstoffe für die Westberliner Industrie 36 Prozent des Gesamteinsatzes ausmachte, der aus der SBZ bzw. Ost-Berlin aber 41 Prozent! (S. 224) Wer als Zeitzeuge die Blockadezeit erlebt hat, war ohnehin
immer sehr skeptisch gegenüber den offiziellen und offiziösen Darstellungen der interessierten Seiten (übrigens auch der parteioffiziellen in der DDR- Geschichtsschreibung) angesichts seiner Erinnerungen an die weithin um Normalität bemühten Alltagsanstrengungen der Berliner aller Sektoren. Dank Volker Koop lernen wir nun den Bericht Nr. 128 des US- Aufklärungsdienstes vom 23. Oktober 1948 kennen, der General Clay mitteilte, daß es mit der Blockade nicht so schlimm sein könne, wenn das Volumen der Warenbeziehungen zwischen SBZ und Berliner Westsektoren weit über das Volumen der Luftbrücke hinausginge (S. 223 f.). Die Versorgung der Westsektoren mit Obst und Frischgemüse sowohl aus dem Umland als auch aus den Westzonen (über Wege abseits der kontrollierten Hauptverkehrsadern und über Wasserwege aus der SBZ) klappte zeitweilig sogar so gut, daß der Magistrat für die Westsektoren im September eine Verfügung über eine Art »freier Läden« erließ, in denen solche Erzeugnisse verkauft werden sollten. Der Rezensent – als Zeitzeuge – erinnert sich sehr wohl, daß auch der Westberliner Kleingärtner im Herbst 1948 seinen Kleingarten in Falkensee oder Glienicke/Nordbahn aberntete – daß er übrigens von allen möglichen amtlichen und halbamtlichen Kontrolleuren belästigt wurde, unterschied ihn angesichts des nach 1945 deutschlandweit geführten Kampfes der Behörden gegen den Schwarzmarkt in keiner Weise von seinem Ostberliner Nachbarn!
     Drittens zeichnet Koop erstmals detailliert nach, wer der eigentliche Verlierer der Blockade und Luftbrücken- Zeit war: die SED. Ihre Vorstellungen von der möglichen Mobilisierung der »Massen« in Berlin gegen den Kurs der Zerreißung der Stadt mittels West- Integration und Ost- »Entflechtung« und – wie Koop nachweist – dem mit aller Konsequenz vorgeplanten Projekt einer währungspolitischen Spaltung der Stadt (Vorstellungen, denen man beim realen Vorhandensein eines spezifischen Berlin- Gefühls einige Chancen einräumen mochte)
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zerstoben vor den Realitäten, die geprägt waren von der schnell sichtbaren Überlegenheit der marshallplangestützten westdeutschen Wirtschaft.
     Gerade unter den Bedingungen der Luftbrücke ging der – ohnehin begrenzte – Einfluß der SED in West-Berlin katastrophal zurück. Koop (Jahrgang 1945) hat allerdings keinen Zugang gefunden zu nicht in den Akten nachweisbaren Imponderabilien hinsichtlich des Zeitgeistes, der die »Massen« gnadenlos auf ihre bevorzugte politische Orientierung einschwor: Es ging wohl nicht in erster Linie um die Option zwischen Diktatur und Demokratie, sondern um die Option zwischen amerikanischem Wohlstand und sowjetischer Armut, zwischen dem Aussehen aus US- Kriegsgefangenschaft heimkehrender und dem Aussehen aus Sowjet- Kriegsgefangenschaft heimkehrender deutscher Soldaten, zwischen der gnadenlosen Abräumung von Reparationen und angekündigtem Hilfsprogramm per Marshallplan, zwischen der unverblümt geschürten Hoffnung auf das Wiedererstehen der Reichsgrenzen von 1937 und dem widerstandslosen Akzeptieren der Oder- Neiße- Grenze, zwischen der Vorstellung, drei Jahre nach Kriegsende im »Weltfriedenslager« oder doch lieber bei denen zu stehen, die schon in zwei Weltkriegen mittels ihrer materiellen Überlegenheit den Sieg für sich und ihre Verbündeten gesichert hatten. Die von der SED später kreierten »Sieger der Geschichte« tauchten hier, allerdings auf der Gegenseite, erstmals auf. Plötzlich konnte man die Niederlage im Zweiten Weltkrieg etwas kompensieren durch einen ersten Sieg im Kalten Krieg – wenn man nur ein wenig durchhielt. Den interessanten Analysen des Autors zu den diversen Ansätzen der verbissenen SED- Versuche, ganz Berlin in die SBZ zu inkorporieren, fehlt natürlich das »marxistisch- leninistische« Grundverständnis, das die mitgeteilten Dokumente erst richtig interpretierbar macht: Fixiert auf die Stalin- Weisheit, daß bei richtiger politischer Linie die Organisationsarbeit alles entscheide, holten
die SED- Leitungsgremien immer neue Ansprüche an besseres Vermitteln ihrer Politik für die Berliner hervor, weil sie sich einfach nicht vorstellen konnten, daß die von der UdSSR vorgegebene politische Linie schon vom Ansatz her nicht richtig war, da sie – an sich verständlich angesichts der sowjetischen Kriegsverluste und -schäden – auf das Auspressen der deutschen Wirtschaft und damit der Deutschen insgesamt im Interesse von Reparationen orientiert war. Sehr richtig analysiert Koop den »Stadtstreich« vom 30. November, der mit der Einsetzung des Ebert- Magistrats für Ost-Berlin die administrative Trennung der Stadt in zwei Verwaltungseinheiten vollendete, als das Eingeständnis einer Niederlage von sowjetischer und SED- Berlin- Politik. Deren Traum von einer Eroberung der Berliner Westsektoren wurde damit begraben.
     Daß man es beim Verfasser mit einem geübten Journalisten zu tun hat, wertet das Buch nicht – wie es nur zu oft bei bücherfabrizierenden Journalisten der Fall ist – ab, sondern im Gegenteil auf. Obwohl in der Recherche durch und durch seriös (jeder mitgeteilte Fakt wird in dem fast 150 Seiten umfassenden Dokumententeil dokumentarisch belegt!), ist Koop im Stil flüssig, z. T. sogar packend. Mindestens eine Argumentationslinie des Autors weist ihn allerdings als allzu themenverliebt aus, denn unabhängig von dem Kampf um Berlin orientierten sich Sowjets und SED in dieser Zeit in der SBZ auf den Übergang von der Wirtschaftsplanung zur Planwirtschaft, was bestimmte ökonomische Maßnahmen beinhaltet, die selbstverständlich auch in Ost-Berlin zum Tragen kamen. Dazu gehörte u. a. der Übergang zum doppelten Preisniveau auf dem Sektor des Bevölkerungsverbrauchs mittels der »Freien Läden«. Ein Blick über den Berliner Tellerrand hätte Koop gezeigt, daß auch in Großstädten der SBZ solche Läden eingerichtet wurden – sie konnten also nicht allein dem Gedanken entsprungen sein, daß sich Westberliner unter Ausnutzung des Währungsgefälles Westmark : Ostmark dort eindecken sollten
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Der Bär von Berlin

Jahrbuch des Vereins für die Geschichte Berlins 1997

Mit sechs umfassenden wissenschaftlichen Beiträgen knüpft auch die sechsundvierzigste Folge des Jahrbuchs, herausgegeben von den Vorstandsmitgliedern Sibylle Einholz und Jürgen Wetzel, an eine langjährige Tradition an. 1951 erschien das Jahrbuch zum erstenmal. Es wurde damals von Ernst Kaeber herausgegeben. Seit 1955 heißt es »Der Bär von Berlin«.
     Das Titelbild zeigt die bekannte Zoologin Katharina Heinroth (1897–1989), der Zoodirektor Hans Frädrich ein bewegendes Porträt widmet. Sie wurde am 4. Februar vor hundert Jahren geboren. Am 25. Juni 1997 wurden auf der Straßenseite des Zoo- Aquariums zwei Gedenktafeln enthüllt: für Oskar Heinroth (1871–1945), den Erbauer des Auquariums und Begründer der Vergleichenden Verhaltensforschung, und seine Frau Katharina. Zwölf Jahre gemeinsamen Lebens und Arbeitens waren ihnen vergönnt. Der Autor stützt sich auf die Autobiographie von Katharina Heinroth. Im Mittelpunkt des Beitrages stehen die Kriegs und Nachkriegsereignisse. Im November 1943 wurde der gesamte Zoo vernichtet, am 29. Januar 1945 ging auch das Aquarium in Flammen auf. Nur 91 Tiere hatten überlebt. Katharina Heinroth nahm im August 1945 das Angebot des Magistrats an, Zoodirektorin zu werden. Ausführlich schildert der Autor die komplizierten Aufgaben, die Katharina Heinroth zu meistern hatte, bis sie 1956, nicht ganz freiwillig, in den Ruhestand ging. Hans Frädrich resümiert: »Ich selbst habe sie als eine fröhliche, humorvolle, eigenwillige und sehr pflichtbewußte Persönlichkeit in Erinnerung, die viel Optimismus ausstrahlte. Dieser unerschütterliche Optimismus, die innere Gelassenheit waren es wohl auch, die sie dazu brachten, das Ruder des fast gestrandeten

und Ostberliner eigentlich durch die hohen Preise von ihrer Inanspruchnahme ausgeschlossen waren (S. 189). Daß sie den Schwarzmarkt legalisierten, ist eine vordergründige Agitation der Gegenseite, die sie schon 1948 mit Fleiß verbreitete, die aber schon damals von Wirtschaftssachverständigen als Propaganda eingestuft wurde. Tatsächlich trockneten die »Freien Läden« den Schwarzmarkt allmählich aus.
     Ein kleiner, aber gravierender Fehler wäre einem Ur-Berliner von Schrot und Korn wohl nicht unterlaufen: Die einstige Reichsdruckerei, für die der Magistrat 1948/49 in den Westzonen händeringend, aber vergeblich, um Großaufträge bat, liegt natürlich nicht (S. 93) in der Oranienburger Straße in Kreuzberg – diese Straße liegt im Verwaltungsbezirk Mitte (damals also Sowjetsektor). Die Straße, die gemeint ist, heißt Oranienstraße.
     P. S. An dem Tage, an dem der Rezensent letzte Hand an das Vorliegende legte (25. 6. 98), meldet die Berliner Presse, daß die Bundesländer Bayern, Baden- Württemberg und Hessen vor das Bundesverfassungsgericht ziehen werden, um eine Änderung des Länderfinanzausgleichs zu erzwingen. Dessen Änderung würde Berlin erheblich treffen, und der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) hat sich auch sofort vehement über die so gezeigte Entsolidarisierung beklagt. Damit steht er in einer guten Traditionslinie mit Oberbürgermeister Ernst Reuter (SPD), der sich im Januar 1949 beschwerte, daß die Politik westdeutscher Wirtschafts- und Verwaltungsstellen »das Wirtschaftsleben Berlins systematisch aushöhlt« (S. 96). Der Unterschied in der Berliner Empörung über die egoistischen besser situierten Brüder im Westen ist nur der, daß sie heute lauthals artikuliert wird, während sie sich damals angesichts der in der Öffentlichkeit intensiv vorgeführten schicksalsgemeinschaftlichen Einheitsfront der Demokraten gegen die totalitäre Gefahr aus dem Osten allenfalls in vertraulichen Briefen niederschlug.

Kurt Wernicke

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Zooschiffes in die Hand zu nehmen und es in ruhigere Gewässer zu lenken. Und für diese Leistung müssen wir ihr von Herzen dankbar sein.« Sie starb am 20. Oktober 1989 in Berlin.
     Eingeleitet wird das Jahrbuch mit dem Beitrag des Theaterhistorikers Rainer Theobald »Noverres Anfänge in Berlin. Zur Geschichte des Balletts an der Hofoper Friedrichs des Großen«. Jean-Georges Noverre (1727–1810), französischer Tänzer und Choreograph, war Schüler des berühmten Louis Dupré, debütierte 1743 in Paris und folgte J. B. Lany 1744 an die Hofoper Berlin. Die Verpflichtung einer Ballett- Tuppe als unverzichtbarer Bestandteil eines Opernbetriebes gehörte zu den ersten Forderungen, die Friedrich II. im Rahmen seiner Pläne zur Wiedererrichtung der höfischen Musik und Theaterkultur in Berlin stellte. Üblich wurde es, daß vor allem zwischen den Opernakten Balletteinlagen geboten wurden. Aus den Textbüchern ließ sich die Mitwirkung der Künstler nachweisen. So kann der Autor erstmals in einer Veröffentlichung belegen, daß Noverre spätestens am 15. Juli 1744 zum erstenmal in einem Berliner Opernballett mit eigner Choreographie im Rahmen der Aufführung »Catone in Utica« (Metastasio/Graun) aufgetreten ist. Der Autor hebt hervor, daß Noverre aus heutiger Sicht wohl der bedeutendste Choreograph des 18. Jahrhunderts gewesen ist. Ballettmeister war er später u. a. in Stuttgart, Paris, Marseilles, Lyon, London und in Wien. Allein während der Beschäftigung des Künstlers an der Berliner Oper wird seine Mitwirkung an mindestens 21 Opern- Balletten durch den Autor nachgewiesen. Insgesamt verfaßte Noverre mindestens 85 einaktige Werke, davon 15 als Opernballette (Das neue Lexikon der Musik in vier Bänden, Band 3). Sein choreographisches Hauptwerk »Lettres sur la danse, et les ballets« erschien 1760 in Stuttgart und Lyon, eine deutsche Ausgabe 1769 in Hamburg. Ausführlich und kritisch analysiert der Autor die biographische Quellenlage und bewertet die bisher erschienene
Literatur. Er beklagt, daß zur Berliner Episode des Künstlers bisher fast keine Quellenforschung betrieben worden ist. 39 Quellenangaben und Anmerkungen zeigen wohl, daß er dies nachgeholt hat.
     Ein Porträt Noverres sowie Gemälde von Antoine Pesne illustrieren den Artikel.
     Mit dem Thema »Eine Auktion >entbehrlicher Kunstsachen< durch die Berliner Akademie im Jahr 1800« befaßt sich Gero Seelig. Die Akademie der Künste machte am 3. Juni 1800 mit einer Auktion den Versuch, die Bestände von vielem zu entlasten, was nicht mehr benötigt wurde, am Ende aber mit 716,2 Talern nicht einmal die Hälfte der geschätzten Summe erbrachte. Die Anregung zu dieser Auktion kam vom Staatsminister von Heinitz, der 1786 auch zum Kurator der Akademie ernannt worden war. Auktionen seien für die Geschichte des privaten Kunstbesitzes und des Kunsthandels, so hebt der Autor hervor, von nicht zu unterschätzendem Wert, da sie nicht selten – in Form von Katalogen – die einzige Dokumentation des tatsächlichen Bestandes einer Sammlung bieten. In Berlin sei erst 1853 ein Auktionshaus von internationalem Rang eröffnet worden. Durch einen Glücksumstand hat sich ein Exemplar der Versteigerung von 1800 erhalten. Der Autor schildert ausführlich die Vorbereitung dieser Auktion und geht auf die Auswahl der Kunstwerke ein. U. a. wurden 35 Ölgemälde und 994 Kupferstiche ausgewählt. Direktor Daniel Chodowiecki (1726–1801) und die Mitglieder seines Direktoriums, darunter Johann Gottfried Schadow (1764–1850), erhielten vom Ministerium den Auftrag, die von Akademieprofessor Eckert erarbeitete Liste der zu versteigernden Objekte genau zu prüfen und Vorschläge zum Verkauf zu unterbreiten. Im letzten Teil des Beitrages wird das Ergebnis, auch das finanzielle, ausführlich anlysiert und bewertet. Der Autor bemerkt, daß das finanzielle Ergebnis der Auktion keineswegs den zeitgenössischen Kunsthandel widerspiegelt, der sich wohl
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zu keiner Zeit eine solche Fehlkalkulation leisten konnte und kann.
     Die Kunsthistorikerin Sibylle Einholz dokumentiert in ihrem Beitrag »Die Große Granitschale im Lustgarten. Zur Bedeutung eines Berliner Solitärs« die Entstehungsgeschichte dieses bedeutenden historischen Kunstwerkes, das auch als »Biedermeierweltwunder« in die Geschichte eingegangen ist. Ins Zentrum stellt sie aber die in der bisherigen Literatur ausgesparte Bedeutung des verwendeten Materials. Sie charakterisiert das Gestein Granit als »vaterländisches Symbol«, als »Kulturgestein« und als »Kultgestein«. Kein Geringerer als Johann Wolfgang von Goethe wird zitiert, der sich 1828 zu den Granitarbeiten in Berlin fachmännisch geäußert hat.
     Die Entstehungsgeschichte beginnt mit der Bestellung einer großen antikisierenden Granitschale durch den englischen Gesandten 1826 beim damaligen Berliner Bauinspektor Christian Gottlieb Cantian (1794–1866). Friedrich Wilhelm III. (1770–1840) bestellte daraufhin ebenfalls eine solche Schale für Berlin, denn es sollte »das größte Produkt der Art im Lande bleiben«. Mit dem größten Markgrafenstein in den Rauenschen Bergen bei Fürstenwalde hatte Cantian 1827 einen geeigneten Stein gefunden, den man auf 14 000 bis 15 000 Zentner Gewicht schätzte. Die Schale selbst hatte in der ersten Arbeitsfassung noch ein Gewicht von ca. 1 600 Zentnern. Karl Friedrich Schinkel plante, die Schale mit 17 Fuß Durchmesser in der Rotunde des Alten Museums aufzustellen. Der König ordnete jedoch 22 Fuß an, da der Stein doch groß genug wäre.
     Ausführlich befaßt sich die Autorin mit der technischen Bearbeitung und dem außerordentlich schwierigen Transport nach Berlin. Sie betont, daß die Bearbeitung des Steinkoloß eine Meisterleistung von Cantian darstellte, die ihre künstlerische Würdigung durch die Bilderfolge des Berliner Malers Johann Erdmann Hummel (1769–1852) fand. Schließlich wird ein Abschnitt der Wahl des
Aufstellungsortes der Granitschale gewidmet. Sie wurde nicht, wie von Schinkel ursprünglich geplant, in der Rotunde des Alten Museums, sondern wegen ihrer Größe am 14. November 1831 zunächst provisorisch vor dem Museum aufgestellt, jedoch sichtbar zum Museum gehörend. Am 10. November 1834 wurde sie offiziell an die Behörde des Königlichen Museums übergeben. Bis 1934 blieb die Schale an ihrem Ort, unmittelbar an der Museumsfreitreppe, dann wurde sie beiseite geräumt. 1981 wurde sie wieder an ihren ursprünglichen Standort gebracht.
     »Die Geschichte des Schinkelmuseums in Berlin« von Nicole Klause stellt die erheblich gekürzte Fassung einer Diplomarbeit dar, die die Verfasserin 1997 im Studiengang Museumskunde an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft einreichte. Nicole Klause dokumentiert anhand einer Fülle von Archivalien und Originalzitaten aus Primär- und Sekundärquellen chronologisch die wechselvolle Geschichte dieses Berliner Museums, das von 1842 bis 1945 existiert hat. Peter Christian Beuth (1781–1853), damals Direktor der Schinkelschen Bauakademie und »ältester und treuester Freund des Verstorbenen«, hatte kaum einen Monat nach dem Tod Schinkels den königlichen Auftrag erhalten, »allen hinterlassenen Schinkel'schen Bildern und Zeichnungen eine würdige Aufbewahrung zu sichern«. In einem ersten Teil beschreibt die Autorin die Vorbereitung und Gründung des Museums in den Räumen der ehemaligen Dienstwohnung Schinkels im Obergeschoß der Bauakademie, wo es von 1842 bis 1883 seinen Platz hatte; sie verfolgt ausführlich das Wachsen der Sammlung durch Ankäufe und Schenkungen sowie den ständigen Briefwechsel zwischen Beuth und dem König. Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861) war selbst ein eifriger Förderer des Museums. Er genehmigte nicht nur zahlreiche Ankäufe, sondern schenkte dem Museum 26 Zeichnungen. In einem weiteren Abschnitt werden die etwas verwirrenden Vorgänge
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um Standorte und Verwaltung des Schinkel- Museums nach einem Umzug 1884 zunächst in das Gebäude der neu gebauten Technische Hochschule in Charlottenburg geschildert. Es wird jetzt vom Schinkel- Beuth- Museum gesprochen, da auch die wertvolle Kunstsammlung von Beuth in die Bestände aufgenommen wurde. Letzte Station des Museums, bevor es wieder an seinen ursprünglichen Ort in die Bauakademie zurückkehrte, ist das Prinzessinnenpalais (1929–33). Mit zahlreichen Abbildungen werden diese Jahre illustriert. Am 16. Dezember 1933 wurde das Schinkel- Museum den Besuchern in der Bauakademie wieder zugänglich gemacht. Abschließend vermerkt die Autorin, daß das 1987 errichtete Schinkelmuseum in der Friedrichwerderschen Kirche nicht mit dem alten Schinkel- Museum verglichen werden könne. Es knüpfe mit dem Namen zwar an eine Tradition an, der ausgestellte Bestand aber erfülle diesen Anspruch nicht.
     »Rudolf Carl von Ripper: >Écraser l'infâme!<« heißt der aufwühlende Beitrag Winfried Meyers von der Gedenkstätte Sachsenhausen. Der Untertitel, »Gefangenschaft im Berliner Gestapogefängnis Colombia- Haus und im KZ Oranienburg 1933/34 und ihre künstlerische Verarbeitung«, klingt nüchtern; der Inhalt aber offenbart die schrecklichsten Erfahrungen dieses österreichischen Künstlers (1905–1960). Der Autor will einen Beitrag »zur (Wieder)entdeckung der spannenden Lebensgeschichte und des zwar kleinen, aber interessanten künstlerischen Werks des Bohemiens, Freiheitskämpfers, Kriegshelden und Künstlers« leisten. Auf 32 Seiten mit 131 Anmerkungen und Quellenangaben schildert er Erfahrungen und Erlebnisse und beschreibt ausführlich fünf von 17 Radierungen des Zyklus »Écraser l'infâme«, in dem der Künstler Erlebtes künstlerisch umsetzt. »Wegen ihrer provozierenden Darstellungsform und handwerklichen Perfektion zählen sie zu den interessantesten ... auf eigene Erfahrungen gestützten künstle-
rischen Darstellungen früher nationalsozialistischer Haftstätten und Konzentrationslager«, vermerkt der Autor. Das Blatt »From the unholy organist, a hymn of hate« wurde 1939 auf der Titelseite des Nachrichtenmagazins »Time« veröffentlicht.
     Ripper war 1938 nach New York emigriert. Nachdem das New Yorker Museum of Modern art im Sommer 1939 ein Exemplar der Radierungen des Zyklus »Écraser l'infâme« erworben hatte, machte er sich auch in den USA einen Namen. Im Dezember 1941 meldete er sich freiwillig zur Armee. Mit der amerikanischen Staatsbürgerschaft und im Range eines Captains, mit den höchsten Kriegsauszeichnungen dekoriert, nahm er 1946 seinen Abschied und lehrte an der Wiener Kunsthochschule, bevor er wieder in die USA zurückkehrte.
     Im letzten Teil des Jahrbuches berichtet der neugewählte Schriftführer Joachim Strunkeit über die Tätigkeit des Vereins im Jahre 1996. Mit 41 Veranstaltungen wurde ein Rekord aufgestellt. Über die Ordentliche Mitgliederversammlung am 15. Mai 1997, wieder im Ferdinand- Friedensburg- Saal des Berliner Rathauses, berichtet Jürgen Wetzel.

Jutta Schneider

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