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nen, daß alles Reden über Richtung und
Stil, über >modern< oder >historisch< am
wesentlichsten vorbeizielte«, brachte es
zwanzig Jahre nach seinem Tod die in Berlin
erscheinende »Deutsche Bauzeitung« auf
den Punkt. 2)
»Historisch« war in dem zur Reichshauptstadt aufgestiegenen Berlin Mode. Das wilhelminische Kaiserhaus favorisierte einen Neuaufguß des höfischen Barock. Die reichgewordene Berliner Bourgeoisie schwenkte ein. Was sich beispielsweise in der Kaiser- Wilhelm- Straße des Jahres 1887 (heute Karl- Liebknecht- Straße) an kuppelübertürmten, mit neobarockem Fassadenzierat überladenen Geschäftshäusern präsentierte, nahm im Geist den Raschdorffschen Bau des Berliner Domes vorweg. Julius Raschdorff (18231914) war zu Messels Studienzeit als Professor an die Berliner Bauakademie berufen worden. Er ließ seine Studenten aus den Zeichnungen von Details älterer römischer Paläste neue Fassaden zusammenstellen. »So entstanden aus einzelnen Teilen alter charaktervoller Fassaden in willkürlicher Zusammenstellung der Einzelheiten neue charakterlose«, berichtete Hoffmann. Tastend und abwägend löste sich Alfred Messel vom architekturkopierenden Historismus. Das Äußere der von ihm entworfenen Gebäude entwickelte er aus ihrer jeweils speziellen inneren Funktion, dabei neuen Baustoffen und -techniken gegenüber | ||||||
Martin Küster
»... mit etwas Liebe und künstlerischem Können« Der Architekt Alfred Messel und seine Berliner Arbeiterwohnhäuser »Bedrückten Gemüts zogen wir im
Regen durch die Straßen der uns ungewohnten Großstadt und zweifelten, ob wir trotz
Fleißes und Gewissenhaftigkeit auch nur zu einer ganz bescheidenen Tätigkeit es
jemals bringen können.«1) So beschreibt
Ludwig Hoffmann seine und seines Freundes Alfred Messel Ankunft in Berlin im Herbst
1874. Nach einem Baueleven- Jahr in Kassel
hatten die beiden Hessen ein vierjähriges
Studium an der hauptstädtischen Bauakademie
aufgenommen.
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aufgeschlossen. Angeregt besonders von der italienischen Renaissance, nahm er Bewahrenswertes auf und führte es schöpferisch fort. |
palastes, der Weihnachten 1897 eröffnete, hatte seinen Schöpfer schlagartig berühmt gemacht.
1887 oder 1888 hatte Messel seinen mini- | |||||
So wurde aus dem Architekturbeamten der Baukünstler.
Warenhaus-Sensation und Pariser Gold Mit der Nachricht, daß ihn die Akademie der Künste zu Berlin zum ordentlichen Mitglied gewählt habe, ging Alfred Messel im März 1904 ein Personalfragebogen zu.
Gefragt nach seinen Hauptwerken, setzte er an die Spitze das noch nicht vollendete Landesmuseum in Darmstadt, der Stadt, in der er am 22. Juli 1853 als Sohn eines kunstsinnigen jüdischen Bankiers geboren worden war. Als zehnte und letzte Hauptarbeit führte der Architekt das Warenhaus der Brüder Wertheim an der Leipziger Straße/Voßstraße in Berlin
auf, von dessen abschließendem Kopfbau am Leipziger Platz eben die Gerüste fielen. Bereits der erste Teil dieses Einkaufs- |
Alfred Messel | |||||
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des Königlichen Kunstgewerbemuseums). Ab 1896 konzentrierte er sich vollends auf sein »Atelier für Architectur und Bauausführung«, das er in Berlin W, Schellingstraße 14 II, gemeinsam mit dem Martin- Gropius- Neffen Martin Altgelt (1858_1924) führte. Das war voll beschäftigt mit Aufträgen für Wohnbauten am Kurfürstendamm und Tauentzien sowie Geschäftshäusern in Berlin-Mitte. Mit dem Stahlskelettbau des Wertheim- Kaufhauses an der Leipziger Straße war Messel eine die Baukunst revolutionierende Tat geglückt. Dieses lichtdurchflutete, scheinbar stockwerklose Gebäude, das seinen kommerziellen Zweck nicht mit einer der gewohnten eklektizistischen Prunkfassaden kaschierte, galt schlechthin als das Warenhaus seiner Zeit. »Damals sprach ganz Berlin von dem Warenhausneubau, der am Leipziger Platz und in der Leipziger Straße entstanden war, ... und pilgerte, sooft es irgend ging, dorthin, ob nun ein Einkauf nötig war oder nicht«, | |||||
Hof des Gebäudekomplexes in der Proskauer Straße, für den Messel eine Goldmedaille der Pariser Weltausstellung erhielt | |||||
schilderte Hans Fallada die allgemeine Begeisterung.3)
Weit weniger Öffentlichkeitsecho erzeugte der in Schritten 1897 und 1898 vollendete Messelsche Bau im cityfernen Berliner Osten, in Friedrichshain, dem die Pariser Weltausstellung 1900 eine Goldmedaille zuerkannte. Diesen geschmackvoll- stattlichen Block, der zwölf Häuser mit 116 Wohnungen zu einem harmonischen Ganzen | |||||
steriellen Dienst als Regierungsbaumeister quittiert und setzte seinen Staatsdienst in der Lehrtätigkeit fort (von 1885 bis 1893 war er Assistent der Bauabteilung der Technischen Hochschule Charlottenburg und danach Professor an der Unterrichtsanstalt | |||||
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zusammenfaßte, hatte Messel für
Arbeiterfamilien im Auftrag des Berliner Spar
und Bauvereines projektiert.
Reihenhaustyp für eine Arbeiterkolonie Wie es dazu kam, daß sich Alfred Messel dem Bau von Arbeiterwohnhäusern
zuwandte, offenbart keine Quelle. Dieser Mann hat seine Gedanken und Gefühle in Stein
gesetzt in über fünfzig Bauten, vom
Landhaus über Wohnhausgruppen und Geschäftshäuser bis hin zu Museen und
Palais. Aufgeschrieben hat er sie nicht. Einige
Brieffaksimiles zu Fach- und Auftragsfragen sind hier und da veröffentlicht worden. Briefe
an seine Ehefrau Elsa (18731945), Tochter des Berliner Bankiers und fünffachen
Millionärs Max Altmann (18401914), an die drei
Töchter oder Messels Brüder in England
sind nicht auffindbar.
| zu seinem frühen
Kranksein.«4) Auch das: »Messel beurteilte die Arbeiten der
Kollegen sehr streng, noch strenger seine eigenen.
So liebenswürdig und mild er zumeist war, so scharf sprach er sich oft mündlich und auch schriftlich über die vielen minderen achitektonischen Leistungen unserer Zeit aus. Architekten, die durch der Aufgabe oder ihrer örtlichen Umgebung fremde Absonderlichkeit Aufsehen zu erregen suchten, nannte er >Kunsthochstapler<.«5) Über des Freundes Engagement für besseres Arbeiterwohnen jedoch keine Zeile. Lediglich ein vager Hinweis, wie diese Angelegenheit an ihn herangetragen worden sein könnte. Trotz verpatzten zweiten Staatsexamens, das Messel vorerst einmal den Baumeistertitel vorenthielt, sei er ins »Arbeitsministerium« gekommen, ins Ministerium für öffentliche Arbeiten des Staates Preußen also, wahrscheinlich in dessen Abteilung III Allgemeine Bauverwaltung.6) Offensichtlich im dienstlichen Auftrag entwarf der preußische Regierungsbaumeister Messel unter anderem einen Reihenhaustyp für die Arbeiterkolonie der Kaiserlichen Torpedowerkstatt Friedrichsort bei Kiel sowie das Muster eines Zweifamilienhauses der Arbeiterkolonie der Howaldtswerke Kiel. Doch das waren Werkswohnungen für fachlich hochspezialisierte, relativ gut entlohnte Stammarbeiter. Außerdem entstanden die Wohnstätten mit staatlicher Un- | ||||
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terstützung und konnten auf billigem
Baugrund errichtet werden.
In Berlin sah das ganz anders aus. Hier plante und baute kaum einer für Arbeiter. Dabei zog die rasch wachsende Industrie Tausende in die Stadt. Der Wohnungsbau lag in den Händen privater Kapitalanleger. Und deren Interesse am Wohnungsbau für Arbei- | ter war gering. »Das durchschnittliche Miethserträgniss, namentlich aus Wohnungen für kleine Leute, ist kein so hohes, dass der Hausbesitz als eine begehrenswerthe oder gar wucherische Verzinsung einschließende Kapitalsanlage anzusehen wäre«, legte der Zentralverband der Haus- und städtischen Grundbesitzer seinen Standpunkt zum | |||||
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Arbeiterwohnungsbau dar.7)
Die Hausbesitzer überbauten bis zur äußersten Zulässigkeitsgrenze jeden Quadratmeter des Bodens, dessen Preis wilde Spekulationen in schwindelnde Höhe getrieben hatte. An wenige Treppenhäuser (die ja keine Mieteinnahmen brachten) banden sie vielzimmrige Wohnungen an. Da diese für Arbeiter unerschwinglich waren, zeigten die Vermieter insofern »Entgegenkommen«, als sie die Großquartiere in mehrere Küche/ Stube- Segmente sowie Einzelkammern an gemeinsamen Fluren parzellierten. Hier lebten auf engstem Raum kaserniert die Arbeiterfamilien. Die Enge wurde noch drängender, mußten sie an einen Schlafburschen untervermieten, um die eigene Miete aufbringen zu können. Um fast | |||||
Projekt zur Weisbach-Gruppe | ||||||
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75 Prozent hatten sich in Berlin die Wohnungsmieten zwischen 1880
und 1890 erhöht. Als Monatsmiete für
Küche und Stube waren nun zu entrichten 15,00 bis 25,00 Mark
in der äußeren Stadtzone mit Ausnahme des
Westens, bis 35,00 Mark in der inneren Stadt. Dem stand ein Monatseinkommen
von durchschnittlich 100 Mark gegenüber, das alllerdings nur die »besser
situierten« gelernten Fachkräfte
erreichten.8)
Mehr Komfort fürs gleiche Geld
Etwa Mitte der 80er Jahre kam es zu einer Verbindung zwischen Alfred Messel und Paul Felix Aschrott (1856-1927), Amtsrichter in Berlin und später vor allem bekannt geworden durch seine Mitarbeit an der Strafrechtsreform. Aschrott, gebürtiger Kasseler, war Hesse wie Messel, ebenfalls Kind |
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Eckhaus Ebelingstaße 14/ Weisbachstraße | |||||
jüdischer Eltern und Bankierssohn, und ihn beschäftigte das Problem, wie - rentabel für Aktionäre von Baugesellschaften, jedoch bezahlbar für Arbeiter - bessere Wohnungen geschaffen werden könnten. Von einem konkreten Bauterrain im Berliner Osten ausgehend, erarbeiteten die beiden den Entwurf eines großstädtischen fünfstöckigen Arbeitermietshauses mit zehn Aufgängen, als Musterempfehlung für private Bautätigkeit. |
Als Dritter im Bunde trat der Berliner Bankier Valentin Weisbach (1843-1899)
in Aktion (wohnhaft später in einer der von Messel erbauten Tiergartenvillen
und Schwiegervater von Ludwig Hoffmann).
Unter Weisbachs Regie war 1888/89 aus dem Zentralverein für das Wohl der arbeitenden Klassen der Verein zur Verbesserung der | ||||
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Entwürfe zu den Bauten in der Sickingenstraße | ||||||
kleinen Wohnungen hervorgegangen. Hier war Messel von Beginn an stellvertretender Vorsitzender. Weisbach beschaffte das Geld, mit dem er 1890 nahe dem damals noch nicht eröffneten Ringbahnhof Landsberger Allee ein 1 426 Quadratmeter umfassendes unbebautes Gelände kaufte, später erweitert für eine zusätzliche Häuserzeile. Messel erarbeitete eine Blockrandbebauung. Um einen ungewöhnlich großen Hof mit Wohn- | grün und
Gemeinschaftseinrichtungen gruppierte er die kleinen Wohnungen. Sie boten einen Raum mehr als die üblichen Stube/ Küche- Unterkünfte. Mehr Miete
als diese sollten sie aber nicht kosten.
Die Backsteinfassaden der insgesamt 38 fünfgeschossigen Mietshäuser der Weisbach- Gruppe, mit Läden im Erdgeschoß, belebte er durch Putzblenden, Balkons, Erker, Giebel und variierte Portale. Die | |||||
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Pläne für dieses Wohngeviert Weisbach-, Kochhann-, Eberty-, Ebelingstraße erarbeitete Messel wie auch bei allen seinen Genossenschaftsbauten kostenlos. Und »im Ehrenamt« hatte er auch die Oberleitung der Bauausführung inne. Die als Pendant zum »Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie« eingeführte Bismarcksche Sozialgesetz- | initiierte Baugenossenschaft. Das Spektrum der Vorstandsmitglieder reichte von dem Sozialreformer Heinrich Freese (18531944), der als Fabrikbesitzer 1890 Gewinnbeteiligung für seine Arbeiter und 1899 als erster Industriebetrieb Deutschlands den Achtstundentag einführte, bis zu dem Staatswissenschaftler und Wohnreformer Heinrich Albrecht (18561931).9) Mit hoher | ||||||
gebung ließ die Wohnbedingungen der Arbeiter völlig außer acht. Als letztes
trat das Gesetz über die Invaliditäts- und Altersversicherung in Kraft. Eine Initiative im Reichstag erreichte, daß aus
den Rücklagen der gesetzlichen Altersversicherung dem Arbeiterwohnungsbau
zinsgünstige Kredite gewährt werden konnten. Zum anderen erlaubte das
novellierte Genossenschaftsgesetz vom 1. August
1889 nun auch Genossenschaften mit beschränkter Haftung. Wohlhabende
Leute mußten fortan nicht mehr die drohende Solidarhaft fürchten. Beide
Neuerungen ließen in Berlin neue
Baugenossenschaften entstehen.
In dem am 9. März 1892 ins Vereinsregister eingetragenen Berliner Spar und Bauverein (BSBV) traf Messel auf eine von einflußreichen bürgerlichen Reformern |
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Sickingenstraße 7/8, Detail der Dachgeschoßgestaltung | |||||||
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Wahrscheinlichkeit war es Albrecht,
Leiter des Referats für gemeinnütziges
Wohnungswesen der neugegründeten
halbstaatlichen Zentralstelle für
Arbeiter- Wohlfahrtseinrichtungen, der Messel zur Mitarbeit
bewegte: als Vorstandsmitglied und Leiter des genossenschaftlichen Bauausschusses, als Architekten der Genossenschaft.
Will sich der Interessierte jenes Wohnhaus in der Moabiter Sickingenstraße anschauen, das Messel als erstes für den BSBV verwirklichte, muß er nicht erst nach den Hausnummern 7 und 8 suchen; das auffallend schönste, gediegenste ist es. Es verdeutlicht, was mit der Bitte an die Architekten zu verstehen war, sich »mit etwas Liebe und künstlerischem Können« dem Arbeiterwohnungsbau zuzuwenden. Diesen Appell formulierten Heinrich Albrecht und Alfred Messel in Wort und Zeichnung in ihrem Buch »Das Arbeiterwohnhaus«, erschienen 1896 in Berlin. Es sei nicht egal, ob das Innere des Arbeiterhauses zweckmäßig oder unzweckmäßig gestaltet ist, ob seine äußere Form ansprechend ist oder darauf hinweise, »daß hier eine Menschenklasse wohnt, die von den Lichtseiten des Lebens ausgeschlossen ist«.10) Schon mit dem ersten Arbeiterwohnhaus, das er in der Großstadt realisierte, bewies Messel: »Durch die einfache künstlerische Gestaltung der Linien und Verhältnisse, durch geschickte Wahl und Verwendung des Materials läßt sich ohne viel Kostenaufwand eine Außen- | seite erzielen, auf der das Auge mit
Befriedigung ruht.«11) Waren im damaligen
Berlin Stube und Küche die »normale«
Arbeiterwohnung, konnten im Moabiter Doppelhaus auch größere bezogen werden. Und:
Jede der in sich abgeschlossenen Wohnungen erhielt ein Innen-WC!
Mit einer fatalen Konsequenz der in den behördlichen Bebauungsplänen festgelegten Straßenführung hatte Messel auch hier fertig zu werden: »Die unsinnig tiefen Baublocks von 100 und mehr Meter Tiefe, wie sie z. B. in Berlin die Regel bilden, zwingen geradezu zur Anlage von Höfen mit Seitenflügeln und Quergebäuden oder zu einer ganz unrentablen Verschwendung von Bauland, durch welche die Mieten ganz unnütz verteuert werden.«12) Beim Baugrundstück Sickingenstraße 7/8 stand einer Straßenfrontbreite von 36 Metern eine Tiefe von nicht ganz 80 Metern entgegen. Das zwang den Architekten, an das Doppelvorderhaus zwei Seitenflügel anzubinden, und symmetrisch zum Vorderhaus freistehend ein weiteres Gebäude dahinterzusetzen. Da es aber die Genossenschaft finanziell ermöglichte, weniger als die Hälfte des Areals zu überbauen, blieb genügend Raum für den großzügig begrünten Innenhof und einen separaten geräumigen Kinderspielplatz. Ab dem 1. Oktober 1894 und dem 1. April 1895 zogen die Bewohner ein. | |||||
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Wohnoasen in Westend, Berlin N und O
Das Berliner Adreßbuch 1906 weist für die Häuser Ulmenallee 31/Eschenallee 8 in Westend folgende Berufe der Bewohner aus: drei Steindrucker und einen Schriftsetzer, je zwei Kupferschmiede, Schlosser und Dreher, ferner einen Tischler, zwei Bürogehilfen, | nannte) das »Ulmeneck« leider
abreißen, weil ihr das Geld für eine
Instandsetzung fehlte.
Als nächstes, weit umfangreicheres Projekt folgte die bereits erwähnte Gebäudegruppe an der Proskauer Straße mit Einzug in die Mirbach(heute Bänsch-) und Schreinerstraße, bei deren architektonisch- künstlerischer Gestaltung sich | |||||
einen Postbeamten und einen Wächter. Weiterhin wohnten in
dieser Eckbebauung eine Witwe und der Gastwirt, der die
Genossenschaftswirtschaft im Hause betrieb. Bezugsfertig war
dieses zweite BSBV-Haus im Jahre 1897 geworden.
Eine Arbeiterwohnanlage in den vornehmen Vorort Westend hinzusetzen dieses Vorhaben hatte den Widerstand der Anwohner entfacht. Messel legte jedoch einen Entwurf vor, der den ökonomisch hart kalkulierten Zweizimmerwohnungen mit Küche ein Äußeres verlieh, das die benachbarten Villenbesitzer besänftigte und den hier geltenden Vorgaben der Baupolizeiordnung für einen »landhausmäßigen Stil« genügte. 1977 ließ die »Berliner Bau- und Wohnungsgesellschaft von 1892« (wie sich der BSBV 1942 umbe- |
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Stargarder/ Greifenhagener Straße | ||||||
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der BSBV- Baumeister frei von
einengenden Vorschriften entfalten konnte.
Gegenüber der Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg entstanden die Wohnbauten Stargarder Ecke Greifenhagener Straße: Randbebauung um einen gärtnerisch gestalteten Hof (hier mit Gartenhaus) zum Kinderspiel und zur nachbarschaftlichen Erholung. Dazu Gemeinschaftseinrichtungen: Waschhäuser, Baderäume, Kindergarten, Genossenschaftsläden und -wirtshaus mit Saal für Geselligkeit, Bildungsveranstaltungen und Bibliothek. Als am 1. Oktober 1900 dieser Genossenschaftsblock bezugsfertig wurde, waren die 115 Wohnungen innerhlb eines Tages vergeben. Die hier nach hartem Sparen für ihren Genossenschaftsanteil einzogen, hatten ein Zuhause gefunden, das ihnen und ihren Erben gehörte. Hielten sie den mit der Genossenschaft abgeschlossenen Mietvertrag ein, konnte ihnen nicht gekündigt werden, Mietwucher war ausgeschlossen. Die Fassade der Gruppe Stargarder Straße verrät im Gestaltungsdetail bereits die Handschrift des Messelschülers Paul Kolb. Sein Lehrer, seit 1898 nicht mehr Vorstandssondern Aufsichtsratsmitglied des BSBV, beendete 1902 die Mitarbeit in der Genossenschaft. Nicht unwesentlich dürfte zu dieser Entscheidung Messels beigetragen haben, daß der Baulanderwerb immer schwieriger wurde und für ein in Tempelhof bereits gekauftes Terrain die dortigen | Behörden unter fadenscheinigen
Vorwänden die Baugenehmigung
verweigerten.13) Aber Kundenwünschen nach Villen im
Grunewald, Landhäusern am Wannsee waren weitere gefolgt. Ersuchen nach
Geschäftshäusern Unter den Linden und ihrer Nähe
lagen bei dem gefragten Baukünstler vor.
Hinzu kamen Aufträge für öffentliche Gebäude
in Berlin und außerhalb. Eine
anrührende Würdigung Alfred Messels, der einen Teil seines zu kurzen Lebens den kleinen Leuten und ihren Sorgen widmete, findet sich
in dem Text, den der Berliner Spar- und Bauverein dem auf dem Alten
St.- Matthäus- Kirchhof zu Berlin Beigesetzten nachrief: »... er war der Mitarbeiter, der jahrelang
in unendlich vielen Sitzungen und Beratungen die Wünsche der Genossen anhörte und mit bewundernswerter Hingabe liebevoll auf sie einging, soweit er es mit seinem bereits damals klangvollen Namen als
Künstler vereinen konnte ...«14)
Quellen:
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hrsg.vom Zentralverband der Haus- und
städtischen Grundbesitzervereine Deutschlands,
Leipzig 1890 (zitiert nach: »Deutsche
Bauzeitung«, Berlin, Nr. 28/1981
8 Vgl. Heinrich Albrecht: Die Wohnungsnot in den Großstädten und die Mittel zu ihrer Abhülfe, München 1891, S. 22/23 9 Vgl. Klaus Novy, Barbara v. Neumann (Hrsg.): Zwischen Tradition und Innovation 100 Jahre Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892, S. 1419 10 H. Albrecht, Das Arbeiterwohnhaus. Mit Entwürfen von Prof. A. Messsel, Berlin 1896, S. VI 11 Ebenda, S. VI 12 Ebenda, S. 33/34 13 Vgl. Max Kromrey, a. a. O., S. 4648 14 Klaus Novy, a. a. O., S. 23 Was existiert von Messel noch in Berlin? Die Objekte sind in ihrer ursprünglichen Bestimmung genannt; ihr Standort ist mit den heutigen Straßennamen und
Hausnummern angegeben.
| mon- Museum (reduziert verwirklicht von Ludwig Hoffmann 19121930).
Schöneberg: Lettehaus, Schulgebäude des Lette- Vereins (in Teilen erhalten), Viktoria- Luise- Platz 6 (1901/02). Tiergarten: BSBV- Wohnhaus, Sickingenstraße 7/8 (1894/95). Friedrichshain: BSBV- Wohnblock Proskauer Straße 15, Schreinerstraße 6364; Weisbach- Wohngruppe Kochhannstraße 1314, Ebertystraße 1112, Ebelingstraße 1213, Weisbachstraße 14 sowie Weisbachstraße 58 (1899/1906). Lückenbauten nach Kriegszerstörungen sind bei beiden Komplexen nicht mit aufgeführt. Prenzlauer Berg: BSBV- Wohnanlage Stargarder Straße 35, Greifenhagener Straße 5657 (1899/1900). Charlottenburg: Auguste- Viktoria- Haus, Säuglingsheim, Heubnerweg 6 (zusammen mit Ludwig Hoffmann, 1907/09). Wilmersdorf: Villa Wilhelm Wertheim (mit Um- und Anbauten), Lassenstraße 4 (1899); Villa Franz Wertheim, Furtwänglerstraße 11 (um 1900). Zehlendorf: Landhaus Fritz Springer, Am Großen Wannsee 39 (1901/02); Landhaus Franz Oppenheim, Zum Heckeshorn 38 (1908). Köpenick: Familiengrabstätte Rathenau, Waldfriedhof Oberschöneweide, An der Wuhlheide (nach Gesamtentwurf von Messel 1904). Bildquellen: Martin Küster, Archiv | ||||
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© Edition Luisenstadt, 1998
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