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Ziel des Projektes war es, städtische Einrichtungen, Wohnungen und Erholungsflächen innerhalb eines eng begrenzten Reviers so zusammenzufügen, daß sich daraus ein planmäßig entwickeltes kommunales Zentrum mit einem hohen architektonischen und städteplanerischen Anspruch ergibt. Beide wollten »ihre« Stadt nach einem demokratischen Bürgerbewußtsein gestalten. Deshalb entstand als erstes bestimmendes Bauwerk ab Sommer 1907 nicht etwa ein Rathaus, sondern ein für alle Einwohner gedachtes Haus mit Multifunktionscharakter: eine Halle für Sport und Kultur, für Versammlungen, ergänzt durch kleinere Turnhallen (für Fechtkämpfe und eigens für Damen), vier Kegelbahnen, Badeeinrichtungen (sechs Brause- und drei Wannenbäder), einen freien Turnplatz und ein Restaurant. Mit den Maßen 17 x 30 Meter entstand eine die Pistoriusstraße dominierende Front aus Ziegeln und Glas und einem aus alten Bordschwellen gestalteten Granitsockel am Fuße des kleinen Hügels, auf dem sich die wuchtige Bethanienkirche erhebt. Einschließlich der Galerie faßte die große Halle insgesamt 1 000 Personen. Die Beheizung erfolgte in wirtschaftlicher Weise für das große Haus über eine Niederdruckdampfheizung, für das Restaurant mittels Warmwasseranlage. Die Gesamtkosten beliefen sich auf 240 000 Mark. Bühring wurde später bescheinigt, daß mit diesem Bau Beispielhaftes für die Stadt Berlin geschaffen worden ist. | |||||
Joachim Bennewitz
Die Stadthalle in Weißensee Nach mehrjährigen Erneuerungsarbeiten wurde im Juni dieses Jahres das
ehemalige Restaurant der Weißenseer Stadthalle in
der Pistoriusstraße dem Verein
Frei-Zeit- Haus e.V. zur Nutzung übergeben. Ein
bedeutendes Zeugnis der vorstädtischen
Entwicklung Weißensees ist wiederhergestellt, mit
ihm zugleich der nach Kriegszerstörungen
einzig verbliebene Rest der früheren Gemeindeturnund Festhalle. Im September vor 90 Jahren ist sie eingeweiht worden.
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1 000 Personen fanden in der Stadthalle Platz | |||||||
Am 26. September 1908 war die feierliche
Eröffnung, die allerdings in der Berliner
Presse kaum Resonanz fand. Zur gleichen Stunde, da die Halle ihrer Bestimmung
übergeben wurde, hatte sich in der Stadt ein
folgenschwerer Unfall ereignet: das
Hochbahnunglück beim Gleisdreieck, das mehrere
Tote und Verletzte forderte und für die
kommenden Tage die Zeitungen seitenweise füllte.
Schon im April hatte die Gemeinde vorsorglich im Nachbarhaus für den künftigen Pächter der Restauration eine Wohnung bereitgestellt und zugleich in mehreren großen Zeitungen die Ausschreibung veröffentlicht. Mit dem Erfolg, daß sich die meisten der großen Berliner Brauereien beteiligten und versuchten, sich gegenseitig zu überbieten, vor allem die Firma des Hoflieferanten | Julius Bötzow und die ortsansässige
Brauerei Gabriel & Richter aus der
Lichtenberger Straße. Den Vertrag schloß die
Gemeinde schließlich mit der
Aktien- Brauerei- Gesellschaft Friedrichshöhe vormals
Patzenhofer. Vereinbart wurde ein Mietzins von 4
500 Mark jährlich zuzüglich einer Pauschale von 11 Mark für jeden über die Menge
von 450 ausgeschenkten Hektolitern, ab 600 Hektoliter erhöht auf 12 Mark.
Natürlich traten in den ersten Monaten auch Probleme auf. Die »Weissenseer Bürgerpost« begann eine Serie von Anwürfen gegen Gemeinde und Pächter, nachdem der erste Ansturm nur mit Müh und Not hatte bewältigt werden können. Schon Weihnachten schrieb sie: »Der Massenbesuch am 1. und 2. Feiertag hat so recht gezeigt, wie | ||||||
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verbaut unsere Turnhalle als Festlokal
bei solchem Andrang ist.« In der gleichen Ausgabe jedoch erklärte das Blatt in einem Bericht über eine Theatervorführung vom 25. Dezember, daß »die Bühne in ihrer
jetzigen Gestaltung mit den zeitgemäßen
Dekorationen und Malereien, wenn wir die Wahrheit gestehen sollen, zu der besten Weißensees« gestaltet worden ist.
Es dauerte geraume Zeit, bis die Probleme des Anlaufes überwunden waren. Der erste Unterpächter, Gastwirt Reichardt, schied bereits 1911 aus, ihm folgte Fritz Borck. Auch er mußte erkennen, daß sich die Umsätze trotz der vielfältigen Nutzung aller Einrichtungen des Hauses nicht so lebhaft entwickelten, wie sich Brauerei und Gastwirt gewünscht hatten. Schon nach vier Jahren äußerte deshalb Patzenhofer die Absicht, keine Verlängerung des Vertrages anzustreben. Die Verhandlungen ließen sich dennoch an, sie zogen sich bis zum Ende des Jahres 1913 hin, führten schließlich sogar zu spürbarer Erhöhung der Konditionen. So ging die Stadthalle in den Krieg. Der Wirt, der seit einiger Zeit auch eine kleine Gaststätte im ebenfalls gemeindeeigenen Ledigenheim Pistoriusstraße 17 bewirtschaftete, wurde zum Militär eingezogen. Die Veranstaltungen wurden weniger, damit ging der Bierumsatz spürbar zurück. Das Landesarchiv verwahrt einen umfangreichen Schriftwechsel zwischen Gemeinde, Brauerei und der die Geschäfte wahrnehmenden Frau des Wirtes. Sie bat | die Vertragspartner um Rücksicht, die
Gemeinde jedoch bestand auf den vertraglichen Verpflichtungen mit der Brauerei, für
sie war die Frau keine Partnerin. Und die Brauerei mußte zahlen. Dafür verwandte sie
einfach die Kaution der Borcks. Auch ein Hilferuf des Mannes auf einer
Feldpostkarte stimmte niemanden um. Die Borcks gaben auf.
Am 12. Oktober 1915 meldete die Brauerei, daß der Bierumsatz nun auf rund 40 Prozent des Vorkriegsstandes zurückgegangen sei. In dieser Situation stellte sich Hilfe ein: Wie auch andere Gemeinden im Umkreis Berlins hatte sich Weißensee um eine Kriegsgarnison beworben, die Truppen des Ersatz- Bataillons 1. Garde- Reserve- Regiment marschierten ein. Am 6. November 1915 fand auf der Rennbahn die große Begrüßungsparade statt. Neben einer bemerkenswerten Anzahl von Wohnhäusern und Schulen wurde auch die Stadthalle beschlagnahmt und für mehr als drei Jahre für die Garnison genutzt. Das Restaurant wurde zum Offiziers- Casino, ein neuer Gastronom führte die Geschäfte, nun im Auftrage der Garnison- Verwaltung II Berlin. Bis zum Februar 1919, als mehrere Monate nach der Abdankung Wilhelms II. die Kaiserlichen Gardetruppen ihre Weißenseer Quartiere endlich räumten. Schon mehr als zwei Jahre zuvor hatte sich auf Grund eines Gerüchtes, daß das Militär bald abziehen würde, ein neuer Pächter beworben: Wilhelm Heinrich jun. aus der Langhansstraße. Dieser, von Beruf | ||||
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Theaterunternehmer, hatte schon seit
Anfang 1914 im Hause, wo auch die Weißenseer Theatervereine neben dem Schloß
ihren zweiten Standort hatten, mehrere Aufführungen gegeben. Seine daraus
entwickelte Absicht, die Nachfolge des Borck nach
dessen Einberufung anzutreten, hatte er wegen der Übernahme durch das Militär nicht
verwirklichen können. Nun wünschte er,
»an Sonntagen durch Veranstaltungen von guten und billigen Theatervorstellungen und
Konzerten zum Wohle der Gemeinde zu
wirken«.1) Bemerkenswert schnell wurde
ihm eine Absage zuteil, doch Heinrich ließ
nicht locker. Wieder mit Berufung auf ein
Gerücht erneuerte er den Antrag am 12.
November 1917 und bot an, gemeinsam mit seinem einschlägig bewanderten Schwiegervater
die Bewirtschaftung ausüben zu wollen. Auch dieses Gesuch mußte, das Casino wurde
ja noch gebraucht, abgelehnt werden. Erst im Februar 1920 schließlich wurde
Heiden- Heinrich, wie er sich nun und für die
Zukunft nannte, Pächter in der Stadthalle.
Mit ihm begann die wohl interessanteste und den Zielen von Woelck und Bühring am ehesten gerecht werdende Zeit der
Stadthalle.2) Mit Theater- und
Varieté- Vorstellungen, in denen zumeist Weißensee eine
wichtige Rolle spielte, erlebte das »vor
Vergnügen kreischende Publikum« fast durchweg »phänomenale Erfolge«.
Die Bauakte nennt auch andere Theaterveranstalter, die in den Jahren bis 1932 Vor- | stellungen organisierten, und natürlich
gab es auch andere Formen der Unterhaltung. Wiederholt fanden Boxkämpfe statt.
1924 stellte Heiden- Heinrich den Antrag zum Bau einer Sommerbühne im
Restaurantgarten, aus der später ein Musikpavillon
wurde. Und 1927 ließ das Bezirksamt eine
Veranda anbauen. Auf der Bühne wurden Filme vorgeführt, so von dem bekannten Afrikaforscher Schomburgk, und Vereine mit
eindeutig sozialistischer Orientierung haben in den Akten ihre Spuren hinterlassen, so
das »Aktuelle Volkstheater der Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Künstler« und eine in Weißensee beheimatete Ortsgruppe der »Liga für Mutterschutz und
sozialistische Familienhygiene e.V.« Bereits 1932 wird
als Nachfolger Heiden- Heinrichs dieser hatte inzwischen das von ihm bereits seit 1928
bewirtschaftete Wirtshaus am Orankesee als alleinige Wirkungsstätte ausgewählt
ein Kurt Salzer genannt. Bis zur Zerstörung
der Halle im Zweiten Weltkrieg wird kein weiterer Pächter aufgeführt, es ist jedoch zu
vermuten, daß mindestens noch ein Wechsel stattfand.
Die Bauakte im Bezirksamt Weißensee enthält dafür jedoch Hinweise auf mehrere Amateur- Boxveranstaltungen des Weißenseer Fußball- Clubs 1900, später auch des Box-Clubs Weißensee und eine Anzahl von Filmveranstaltungen zumeist mit propagandistischem Inhalt. So 1937 über »Wunder des Fliegens« und im gleichen Jahr auch einen | ||||
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Vortrag von »NS-Gauredner Pg. Flux«
über den Vierjahresplan. Auch für die
Wiedererlangung von Kolonien wird geworben (Mai 1939). Theatervorstellungen scheint es
in diesen Jahren kaum noch gegeben zu haben. Der Siegeszug des Films, der sich in
Weißensee auch durch den Neubau mehrerer
Filmtheater dokumentierte, hatte seine Auswirkungen. Tanzveranstaltungen jedoch
fanden regelmäßig an den Wochenenden statt.
Noch in den ersten Kriegsjahren war dies der Fall. In den wenigen erhalten gebliebenen Exemplaren der »Berliner
Nordost- Zeitung« finden sich darüber Notizen. So auch für den 13. und 14. April 1940, an denen die »beliebte Tanz- und Konzertkapelle Hans Law mit seinen Solisten« für 50 Pfennig Eintritt einschließlich Steuer aufspielte.
Am 26. Februar 1945 kam das Ende für die Stadthalle. An diesem Tage wurde das Zentrum Weißensees bis hin zum Hamburger Platz durch Luftangriffe stark in Mitleidenschaft gezogen. Den Bomben fielen die meisten Häuser am Antonplatz, die Bethanienkirche am Mirbachplatz und auch die Stadthalle zum Opfer. Spreng- und Brandbomben ließen nur noch Ruinen übrig, und in der Pistoriusstraße gelang es nur, das in einem Anbau befindliche Restaurant zu retten. Die große Halle blieb als Fragment noch wenige Jahre stehen, wurde dann abgerissen. Die Fläche wurde planiert, zuerst als Hartballplatz genutzt, dann jedoch in die Parkgestaltung einbezogen. Das Restaurant | öffnete wieder in den verbliebenen
Räumen, als Lager- und Sanitärräume wurde die
darunter befindliche frühere Wohnung genutzt. Ein 1948 gestellter Antrag zum Ausbau
kam nicht zur Ausführung, die Pächter
wechselten häufig. 1951 war es
Sportler- Treffpunkt für Hockey- und Schachspieler. Ein Jahr später schließlich war die Gaststätte
Geschichte: In den Räumen befand sich nun ein Kindergarten. Aus ihm wurde 1963 ein Kinderheim, später dann ein
Sprachheilkindergarten. Bis die mangelhaften
hygienischen Bedingungen die endgültige
Schließung erforderlich machten.
Neues Leben zog 1990 ein, als Mitglieder ehemaliger Veteranenclubs der Volkssolidarität nach deren Schließung auf der Suche nach neuen Domizilen waren. Sie fanden ein ihren Vorstellungen entsprechendes in der Pistoriusstraße 23, gründeten den Verein Frei-Zeit- Haus und können heute auf eine Reihe von Jahren erfolgreicher Arbeit zurückblicken. Aus dem Casino wurde eine Begegnungsstätte für die Bürger, ein Zentrum Weißenseer Lebens. So, wie es den Gründervätern einst für das ganze Haus vorgeschwebt hatte. Quellen:
Bildquelle: Archiv Autor | ||||
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© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de